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U 2/93 BSch - Oberlandesgericht (Schiffahrtsobergericht)
Datum uitspraak: 29.06.1993
Kenmerk: U 2/93 BSch
Beslissing: Urteil
Language: Duits
Rechtbank: Oberlandesgericht Karlsruhe
Afdeling: Schiffahrtsobergericht

Leitsatz:

Es gibt weder eine gesetzliche noch eine durch Richterrecht geschaffene Verpflichtung für einen ausländischen Schiffsführer auf dem Neckar, Sprechfunkverkehr in deutscher Sprache verstehen bzw. durchführen zu können (§§ 6.04, 6.30 BinSchSO, § 823 BGB)

Urteil des Oberlandesgerichtes (Schiffahrtsobergerichts) Karlsruhe

vom 29.06.1993

U 2/93 BSch

(Schiffahrtsgericht Mannheim)

Zum Tatbestand:

Am 11.04.1987 stießen auf dem Neckar bei km 76,8 das mit Radar leer zu Tal fahrende MS „Lore Krieger" der Klägerin und das beladen zu Berg fahrende, ebenfalls mit Radar und Sprechfunk ausgerüstete MS „Lowi" zusammen. An beiden Schiffen entstanden Schäden. Der Beklagte, Eigner und Schiffsführer des MS „Elle Et Moi", das mit Sprechfunk, nicht aber mit Radar ausgerüstet war, befand sich mit seinem Schiff zum Zeitpunkt der Kollision ebenfalls auf der Bergfahrt, etwa 150 m hinter MS „Lowi". MS „Lowi" hatte zuvor das Schiff des Beklagten an dessen Backbordseite überholt. Der Beklagte ist der deutschen Sprache nicht mächtig.

Die Klägerin fordert Ersatz der ihr und der Interessentin von MS „Lowi" entstandenen Schäden. Diese habe ihre Ansprüche aus dem Unfall an die Klägerin abgetreten.

Die Klägerin hat behauptet, die Sicht sei im Unfallbereich durch Dunst und Nebel derart eingeschränkt gewesen, daß man nur mit Radar habe fahren können. Trotzdem habe der Beklagte die Fahrt nicht eingestellt, sondern sei, nachdem er von MS „Lowi" überholt worden sei, in der Flußmitte mehr zum geographisch linken Ufer gefahren. Obwohl nicht streckenkundig, habe er die Fahrt nicht eingestellt und sei aufgrund fehlender Sprachkenntnisse auch nicht imstande gewesen, dem zu Tal kommenden MS „Lore Krieger" über Funk rechtzeitig den Weg zu weisen und einen geeigneten Fahrweg freizulassen. Nachdem die Schiffsführung von MS „Lore Krieger" mit der von MS „Lowi" eine Begegnung steuerbord über Steuerbord vereinbart gehabt habe, habe der Schiffsführer von MS „Lore Krieger" angefragt, was der zweite Bergfahrer mache. Der Schiffsführer von MS „Lowi" habe geantwortet, der zweite Bergfahrer sei drüben und habe noch keine Flagge gesetzt. Auch ihm antworte der zweite Bergfahrer nicht. Auch danach habe der Beklagte sich nicht gemeldet. Bei Annährerung der Fahrzeuge hätten alle drei Schiffsführer die Fahrt gestoppt und zurückgeschlagen. Alle drei Fahrzeuge seien durch das Rückwärtsschlagen verfallen, MS "Lore Krieger" und MS „Lowi" jeweils nach Steuerbord, so daß die beiden Fahrzeuuge kollidiert seien.

Der Beklagte hat vorgetragen, für ihn sei die Fahrt nach optischer Sicht möglich gewesen. Von seinem Standpunkt aus habe die Sichtweite mehr als 300 m betragen. Oberhalb der Schleuse G. sei ihm von achtern das wesentlich schnellere MS „Lowi" aufgelaufen. Daraufhin sei er zum geographisch linken Ufer ausgewichen, habe die Maschinenleistung gedrosselt und MS „Lowi" die Vorbeifahrt an seiner Backbordseite ermöglicht. Dieses Fahrzeug sei näher am geographisch rechten Ufer gefahren. Nach der Vorbeifahrt sei der Talfahrer sichtbar geworden, der ebenfalls die blaue Seitenflagge gezeigt habe. Für das zu Tal kommende MS „Lore Krieger" sei genügend Raum vorhanden gewesen, um mit MS „Lowi" steuerbord an Steuerbord und mit seinem eigenen Fahrzeug backbord an Backbord zu begegnen. Im Zuge der Annäherung sei der Talfahrer plötzlich in den Kurs des MS „Lowi" gefahren, das mit seiner Maschine habe rückwärts machen müssen und verfallen sei. Beide Fahrzeuge hätten auf Kollisionskursen Kopf auf Kopf gelegen. In dieser gefährlichen Lage habe er die Maschine seines Fahrzeuges rückwärts laufen lassen, wodurch sein Schiff in Richtung auf das geographisch rechte Ufer verfallen sei. Er habe gleichfalls die blaue Seitentafel gesetzt, weil steuerbord das ganze Fahrwasser frei gewesen sei.

Das Schiffahrtsgericht hat der Klage dem Grunde nach stattgegeben. Das Schiffahrtsobergericht hat auf die Berufung des Beklagten die Klage abgewiesen. Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 21.12.1992 - II ZR 276/91 - (vgl. ZfB 1993, Heft Nr. 18, S. 46; Sammlung Seite 1438) das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Das Schiffahrtsobergericht hat die Klage wiederum abgewiesen.

Aus den Entscheidungsgründen: 

„Die Berufung des Beklagten ist zulässig und begründet.

Die Klägerin kann weder aus eigenem noch aus abgetretenem Recht vom Beklagten Schadensersatz gemäß § 823 Abs. 1 oder 2 BGB i.V.m. Vorschriften der BinSchStrO verlangen. Die Klägerin hat den ihr obliegenden Beweis dafür, daß der Beklagte schuldhaft die Kollision zwischen MS „Lowi" und MS „Lore Krieger" (mit-) verursacht hat, nicht erbracht.

1. Die Klägerin trifft als Anspruchsstellerin grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für ein haftungsbegründendes schuldhaftes Verhalten des beklagten Schiffsführers.

Entgegen der Auffassung der Klägerin spricht nicht der Beweis des ersten Anscheines dafür, daß das nautische Verhalten des Beklagten unfallursächlich geworden sei.

Der Beklagte war nicht verpflichtet gewesen, seine Fahrt einzustellen. Die Voraussetzungen des § 6.30 BinSchStrO lagen auf dem vom Beklagten gefahrenen Teilstück des Neckars in dem zeitlichen und räumlichen Bereich und bis zur Kollision zwischen MS „Lowi" und MS „Lore Krieger" nicht vor. Jedenfalls hat die Klägerin den ihr obliegenden Beweis (vgl. BGH VersR 1965, 757, 758; 1974, 466, 467) für das Vorliegen der Voraussetzungen eines Verstoßes des Beklagten gemäß § 6.30 Nr. 2 BinSchStrO nicht erbracht.

Für die Bergfahrer, d.h. den Beklagten sowie die Schiffsführung von MS „Lowi" war die Sicht im Bereich der Neckar-km 74, 75, 76 jedenfalls so gut, daß die Fahrt nicht eingestellt werden mußte...

Nicht kausal für ein mögliches zum Unfall beitragendes Verhalten des Beklagten ist der Umstand, daß im räumlichen Bereich nach der Unfallstelle, nämlich ab der Höhe des Kernkraftwerkes 0 , d.h. nach km 77 die Sichtverhältnisse schlechter waren. Ob der Beklagte, wenn er in diesen Bereich gelangte, seine ohnehin langsame Fahrt hätte einstellen müssen, spielt für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreites keine Rolle. 

Aufgrund des von ihm mitgehörten, wenn auch nicht im einzelnen verstandenen Funkverkehrs war ihm auch klar, daß er mit entgegenkommendem Schiffsverkehr rechnen mußte.

2. Entgegen der Auffassung der Klägerin gereicht es dem Beklagten nicht zum haftungsbegründenden Vorwurf, daß er der deutschen Sprache nicht mächtig ist und deshalb die über Funk an ihn gerichtete Anfrage, wie die Begegnung mit MS „Lore Krieger" stattzufinden habe, weder verstand noch ihr entsprechen konnte. Zwar gebietet es die allgemeine Sorgfaltspflicht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (Urteil vom 04.03.1991 - II ZR 51/90 - = VersR 1991, 605, 606; Urteil vom 09.11.1992 - II ZR 192/91 - = VersR 1992, 249, 250), der der Senat folgt, daß Schiffsführer auf dem Rhein die an Bord vorhandenen technischen Einrichtungen, z.B. Sprechfunkgeräte auch ohne ausdrückliche gesetzliche Verpfichtung benutzen müssen, wenn damit die Gefährdung von Menschenleben, das Entstehen von Sachschäden oder die Behinderung der Schiffahrt vermieden werden können. Es gibt jedoch weder eine gesetzliche noch eine durch Richterrecht geschaffene Verpflichtung für einen ausländischen Schiffsführer auf dem Neckar, Sprechfunkkontakt in deutscher Sprache verstehen bzw. durchführen zu können.

3. Unbegründet ist ferner der Vorwurf der Klägerin, der Beklagte habe es pflichtwidrig versäumt, Kursweisung zu geben.

Der Beklagte durfte sich darauf beschränken, den von ihm gehaltenen Kurs fortzusetzen, ohne der entgegenkommenden Talfahrt Weisung zu erteilen. Nach dem Ergebnis der in beiden Instanzen durchgeführten Beweisaufname steht zur Überzeugung des Senates fest, daß MS „Elle Et Moi" von MS „Lowi" ordnungsgemäß überholt worden war. Dabei hatte MS „Elle Et Moi" einen Kurs entlang der geographisch linken Neckaruferseite eingehalten. Das wesentlich schneller laufende MS „Lowi" fuhr entlang der am geographisch rechten Ufer ausliegenden roten Schwimmerstangen. Nachdem das Überholmanöver beendet war und MS „Lowi" 100-150 m oberhalb von MS „Elle Et Moi" fuhr, fand der erste Funkkontakt zwischen MS „Lowi" und MS „Lore Krieger" zur Absprache der Begegnung dieser beiden Schiffe statt. Die Fahrwasserbreite und auch alle anderen wesentlichen Umstände gestatteten das Überholen ebenso wie das spätere Begegnen von Schiffen im Bereich der Neckar-km 76 ff. i.S.d. § 6.03 Nr. 1 BinSchStrO. Im Bereich der Unfallstelle besteht keine geregelte Begegnung. Der Beklagte durfte sich daher dafür entscheiden, entgegenkommenden Talfahrern backbord über Backbord zu begegnen und damit kein Zeichen zu geben, § 6.04 Nr. 2 BinSchStrO.

4. Die Klägerin hat weder den Beweis dafür erbracht, daß der Beklagte MS „Lore Krieger" einen geeigneten Weg nicht frei ließ, § 6.04 Nr. 1 BinSchStrO, noch, daß der Beklagte den Kurs von MS „Elle Et Moi" in einer Weise änderte, die eine Kollisionsgefahr herbeiführte, § 6.03 Nr. 3 BinSchStrO...

5. Keines der drei Schiffe, insbesondere auch nicht der Radartalfahrer MS „Lore Krieger" gab Nebelschallsignale ab. Dem Beklagten kann nicht vorgeworfen werden, daß das Unterlassen der Abgabe eines Nebelschallsignales durch ihn unfallursächlich geworden wäre, denn das MS „Lore Krieger" hatte von beiden entgegen- kommenden Bergfahrern Kenntnis. Nach allem war auf die Berufung des Beklagten unter Aufhebung des Schiffahrtsgerichts Mannheim die Klage abzuweisen…"


Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1994 - Nr.7/8 (Sammlung Seite 1471 f.); ZfB 1994,1471 f.