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394 Z - 12/99 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Datum uitspraak: 03.11.1999
Kenmerk: 394 Z - 12/99
Beslissing: Urteil
Language: Duits
Rechtbank: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Afdeling: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Hat ein Bergfahrer nach § 6.04 Nr. 3 RheinSchPV durch die mit einem weißen hellen Funkellicht gekoppelte hellblaue Tafel eine Kursweisung zur Begegnung Steuerbord an Steuerbord gegeben, entschließt sich aber eine Talfahrt zu einer zur Kollision führenden Begegnung Backbord an Backbord, weil er die Seitentafel nicht erkannt habe, da sie mangelhaft gewesen sei, beruft er sich auf mangelhafte Ausrüstung des Bergfahrers, also auf dessen Fahruntüchtigkeit. Verfügt jedoch der Bergfahrer über ein gültiges Schiffsattest, besteht die widerlegbare Vermutung, dass er ordnungsgemäß ausgerüstet gewesen ist. Infolgedessen hat der Talfahrer zu beweisen, dass er entschuldbar die Seitentafel nicht erkannt hat und hierauf die Kollision mit dem Bergfahrer beruht.

Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

Urteil

vom 3. November 1999

 394 Z – 12/99

(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 16. November 1998 - 5 C 44/97 BSch -)

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Folgen eines Schiffsunfalls, der sich am 7.1.1997 gegen 14.15 Uhr auf dem Rheinstrom bei Km 765, Ortslage Krefeld, ereignet hat.

Die Klägerin ist Eignerin des MS E (2.582,177 t groß; Maschinenleistung: 1.000 kW), das zur Zeit nachbeschriebener Ereignisse von Schiffsführer Ostholt verantwortlich geführt worden ist.

Die Beklagte zu 1 ist Eignerin des MS V (2.295,86 t groß; 105 m lang; 8,97 m breit; Tiefgang; 2,50 m; Maschinenleistung: 933 kW), dessen verantwortlicher Schiffsführer der Beklagte zu 2 gewesen ist.

Zu der genannten Zeit befuhr der Beklagte zu 2 den Rheinstrom im Revier bei Krefeld zu Berg etwa in Strommitte. Er hatte die blaue Seitentafel gesetzt. Ihm entgegen kamen drei Talfahrer, die die blaue Seitentafel gesetzt hatten. Voraus fuhr MTS J. In geringem Abstand folgten MTS E und MS G. Die Talfahrer fuhren mehr zum linksrheinischen Ufer hin. Die Kurse der Schiffe lagen so, daß eine problemfreie Begegnung Steuerbord an Steuerbord zu erwarten war. Eine Funkabsprache über die Begegnung erfolgte nicht, noch wurden zusätzliche Schallsignale gegeben. Als sich MTS J und MTS V schon weitgehend angenähert hatten, änderte MTS J seinen Kurs nach Steuerbord, um mit dem Bergfahrer Backbord an Backbord zu begegnen. Die Begegnung wurde auch so ausgeführt. Die Schiffe passierten einander, ohne sich zu berühren. Auf das Manöver des MTS J änderte auch MTS E seinen Kurs nach Steuerbord, um ebenfalls Backbord an Backbord zu begegnen. Dieses Manöver mißlang. MTS V stieß gegen die Backbordseite des MTS E, wobei dieses Schiff beschädigt wurde. MTS V erlitt nur einen unwesentlichen Farbabrieb. Der dritte Talfahrer, das MS G blieb in seinem ursprünglichen Kurs und führte mit MTS V problemlos eine Begegnung Steuerbord an Steuerbord aus.

Die Beklagte zu 1 hat ihr Schiff in Kenntnis des Unfalls und seiner Folgen zu neuen Reisen ausgesandt.

Gegen den Beklagten zu 2 ist das Bußgeldverfahren A5-D-2151/97 Wasserschutzpolizei Duisburg durchgeführt worden.

Die Klägerin hat ihren Schaden näher auf 93.868.- DM beziffert und die Voraussetzungen des Zahlungsverzuges dargetan.

Die Klägerin hat behauptet, bei der Annäherung der Schiffe sei die blaue Seitentafel auf MTS V nicht mehr zu erkennen gewesen. Deshalb sei es zu den Kursänderungen zunächst von MTS J und dann von MTS E gekommen. Die blaue Seitentafel auf V habe nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprochen, sie sei nur schwach zu erkennen gewesen. Auch nach dem Kurswechsel von E wäre die Begegnung Backbord an Backbord möglich gewesen, wenn V seinen Kurs beibehalten hätte. Im Verlauf der Begegnung mit MTS J habe MTS V jedoch nach Backbord gehalten und habe auf diese Weise E den Fahrweg verlegt.

Nicht ohne Grund habe die Beklagte zu 1 die blaue Seitentafel an dem MTS V durch eine neue ersetzt.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagten gesamtschuldnerisch haftend zu verurteilen, an die Klägerin 93.868.- DM nebst 4% Zinsen seit dem 5.2.1997 zu zahlen, und zwar die Beklagte zu 1 im Rahmen des Binnenschiffahrtsgesetzes sowohl persönlich haftend, als auch bei Vermeidung der Zwangsvollstreckung in das MTS V.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten haben vorgetragen, der Unfall sei dadurch verursacht worden, daß die Schiffsführer von J und E die eindeutige Kursweisung des Bergfahrers nicht beachtet hätten. V sei rechtsrheinisch im normalen Fahrwasser der Bergfahrt gefahren. Als der Abstand zu dem talwärts fahrenden MTS J nur noch 150 bis 200 m betragen habe, habe J plötzlich seinen Kurs hart nach rechtsrheinisch geändert. Der Beklagte zu 2 habe seine Maschine voll auf „zurück“ gestellt und das Bugstrahlruder eingesetzt. Hierdurch habe er die Anfahrung mit J noch knapp vermeiden können. Anstatt in seinem Kurs zu bleiben, sei E dem Beispiel von J gefolgt. Für eine Begegnung mit diesem Schiff Backbord an Backbord habe es jedoch nicht mehr gereicht, weil V durch sein Notmanöver etwas nach rechtsrheinisch hin verfallen sei.

Die blaue Seitentafel an MTS V habe den gesetzlichen Anforderungen genügt. Das Schiff habe ein gültiges Schiffsattest gehabt. Die blaue Seitentafel sei später erneuert worden, nachdem ein Dritter sie beschädigt habe.

Das Rheinschiffahrtsgericht hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme und Beiziehung der Akten A5-D-2151/97 Wasserschutzpolizei Duisburg durch das am 16.11.1998 verkündete Urteil die Klage abgewiesen, weil ein unfallursächliches Verschulden der Beklagten nicht bewiesen sei.

Zur näheren Begründung seiner Entscheidung hat das Rheinschiffahrtsgericht ausgeführt, die beteiligten Schiffe hätten die blaue Seitenflagge gesetzt. Die Kurse der Schiffe hätten so gelegen, daß eine problemfreie Begegnung Steuerbord an Steuerbord zu erwarten gewesen sei, weshalb auch eine Absprache der Begegnung über Funk nicht notwendig gewesen sei. Im letzten Moment habe der Schiffsführer von MTS J seinen Kurs geändert und sei hart Steuerbord nach rechtsrheinisch hinüber gefahren, um Backbord an Backbord zu begegnen. Seinem Beispiel sei E gefolgt. Infolge dieses Kurswechsels sei es zum Zusammenstoß gekommen. Ausreichend sichere Feststellungen, daß die blaue Seitentafel auf V nicht den Vorschriften entsprochen habe, deshalb für die Talfahrer nicht zu erkennen gewesen sei und hierauf der Unfall zurückzuführen sei, hätten aufgrund des Beweisergebnisses nicht getroffen werden können.

Aus den Aussagen der Schiffsführer der Talfahrer ergäben sich zwar Zweifel betreffend die Ordnungsmäßigkeit der Seitentafel, die zu den Akten gereichten Fotos ergäben aber, daß die Seitentafeln der unfallbeteiligten Schiffe sich nur unwesentlich unterschieden. Gegenüber der Wasserschutzpolizei habe Schiffsführer O von MTS E nach dem Unfall die blaue Seitentafel auf MTS V nicht beanstandet. Auch habe das Schiff über ein gültiges Schiffsattest verfügt.

Schließlich spreche kein Anscheinsbeweis zu Lasten der Beklagten wegen der Erneuerung der Seitentafel, weil sie dargetan hätten, daß die Auswechslung der blauen Seitentafel erst geraume Zeit nach dem Unfall und erst nach Verlängerung des Schiffsattestes aufgrund einer Fremdeinwirkung nötig gewesen sei. Die Klägerin habe es in der Hand gehabt durch Einleitung eines Verklarungsverfahrens die Beweise zu sichern. Dieses Unterlassen müsse sich die Klägerin zurechnen lassen.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt und die Entscheidung der Berufungskammer der Zentralkommission erbeten. Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihren Klageanspruch weiter.

Zur Begründung ihrer Berufung hat die Klägerin vorgetragen, der Unfall sei darauf zurückzuführen, daß auf MTS V weder die blaue Tafel noch das Blinklicht zu sehen gewesen sei. Die blaue Seitentafel dieses Schiffes sei nicht ordnungsgemäß gewesen. Die blaue Tafel sei verblaßt gewesen und habe große Löcher gehabt. Es habe auch der 5 cm breite weiße Rand der Tafel gefehlt. Das Rheinschiffahrtsgericht habe das Beweisergebnis unzutreffend gewürdigt. MTS V habe ferner im Zusammenhang mit der Begegnung mit dem ersten Talfahrer keinerlei der Begegnung Backbord an Backbord widersprechende Kursweisung über Kanal 10 an die dem MTS J folgenden Talfahrer gerichtet. Spätestens als MTS J Anstalten gemacht habe, entgegen der vermeintlichen Kursweisung seinen Kurs nach Steuerbord gerichtet habe, wäre MTS V verpflichtet gewesen, gemäß § 6.04 Nr. 4 RheinSchPV sofort zur Klarstellung der Kursweisung das Schallsignal „zwei kurze Töne“ zu geben. Es sei auch keine Klärung der Kursweisung über Kanal 10 erfolgt. Wäre V so verfahren, wäre „Eiltank 233“ noch rechtzeitig davon abgehalten worden, seinerseits Kurs nach Steuerbord zu nehmen, so daß es nicht zu der Kollision gekommen wäre.

Die Beklagten hätten die nicht ordnungsgemäße blaue Seitentafel verschwinden lassen. Bei der gegebenen Sachlage spreche der Beweis des ersten Anscheins dafür, daß die Beklagten die blaue Seitentafel hätten verschwinden lassen, um dieses Beweismittel zu vernichten. Grundsätzlich sei zwar zur Beweissicherung ein Verklarungsverfahren zu beantragen, hier aber habe Schiffsführer Ostholt die Beweise durch Fotos gesichert.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach ihren erstinstanzlichen Schlußanträgen zu erkennen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Beklagten verteidigen das angefochtene Urteil und treten den Ausführungen der Klägerin entgegen.

Entscheidungsgründe:

Die in formeller Hinsicht bedenkenfreie Berufung der Klägerin konnte in der Sache keinen Erfolgt haben.

Das Rheinschiffahrtsgericht hat mit Recht ein unfallursächliches Verschulden der Beklagten an dem Unfall vom 8.1.1997 im Revier bei Krefeld nicht als erwiesen erachtet. Der Beweiswürdigung in dem angefochtenen Urteil tritt die Berufungskammer bei. Eine Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz des der Klägerin bei dem Unfall entstandenen Schadens kann daher nach den §§ 3, 4 BinnSchG, 823, 249 BGB nicht angenommen werden.

1. Nach dem unstreitigen Tatbestand des angefochtenen Urteils haben vor der Begegnung bei der Annäherung der beteiligten Schiffe an die spätere Unfallstelle, sowohl das zu Berg fahrende MTS V als auch die hintereinander zu Tal fahrenden Entgegenkommer MTS J, MTS E und MS G, die blaue Seitentafel gezeigt. So hat es auch der am Unfall nicht beteiligte Zeuge B, der Schiffsführer des MS G gewesen ist, gesehen. Im übrigen stimmen auch alle Unfallzeugen darin überein, daß zur Unfallzeit auf allen beteiligten Fahrzeugen die blaue Seitentafel gezeigt worden ist.

Unter diesen Umständen steht fest, daß MTS V der Talfahrt eine Kursweisung Steuerbord an Steuerbord erteilt hat.

2. Die Kurse der beteiligten Schiffe waren nach dem weiteren unstreitigen Tatbestand des angefochtenen Urteils so angelegt, daß eine problemlose Begegnung Steuerbord an Steuerbord zu erwarten war. Es war deshalb zunächst weder eine weitere Kursweisung über Funk noch akustische Signale erforderlich.

3. Die zunächst durchgeführte Begegnung zwischen MTS J und TMS V erfolgt nicht entsprechend der Kursweisung des Bergfahrers, sondern abweichend davon Backbord an Backbord. Schiffsführer Käufer von MTS J hatte – gleichviel aus welchen Gründen – die blaue Seitentafel des Bergfahrers nicht wahrgenommen und einen scharfen Kurswechsel nach Steuerbord zum rechten Ufer hin gesteuert. Der durch den scharfen Kurswechsel seines Schiffes aufmerksam gewordene Zeuge Voigt, der Eigner des MTS J, übernahm selbst das Ruder seines Schiffes. Er sah die blaue Seitentafel auf MTS V, sah aber zu dieser Zeit keine andere Möglichkeit mehr, als durch einen Steuerbordkurs eine Kollision mit dem Bergfahrer zu vermeiden, was ihm auch gelang.

4. Schiffsführer O will seinen erstinstanzlichen Angaben zufolge keine blaue Seitentafel auf MTS V gesehen haben und sich deshalb ebenso wie MTS J zu einer Begegnung Backbord an Backbord mit dem Bergfahrer entschlossen haben, ein Manöver, was zur Kollision der Schiffe führte, weil MTS V infolge des Manövers des MTS J zurückgeschlagen und dazu das Bugstrahlruder eingesetzt hatte, wodurch dieses Schiff nach Backbord in den Kurs des MTS E verfiel. E geriet mit seinem Backbordmittschiff gegen den Bug des nur noch mit geringem Vorausgang zu Berg fahrenden MTS V.

5. Die Klägerin führt den Unfall in erster Linie auf mangelnde Fahrtauglichkeit des MTS V zurück. Ihrer Ansicht nach genügte die von MTS V benutzte blaue Seitentafel nicht den Anforderungen des § 6.04 Nr. 3 RheinSchPV. Die Seitentafel sei verblaßt gewesen. Sie habe aus einem „verwaschenen“ rautenförmigen Drahtgestell bestanden, durch das man habe hindurchschauen und den Hintergrund erkennen können. Außerdem habe der vorgeschriebene weiße Rand von mindestens 5 cm gefehlt. Deshalb habe Schiffsführer O von MTS E die Kursweisung des Bergfahrers nicht erkannt.

Steht aber fest, daß der Bergfahrer dem Talfahrer durch die hellblaue Seitentafel, die mit einem hellen weißen Funkellicht gekoppelt ist, eine Kursweisung zu einer Begegnung Steuerbord an Steuerbord (§ 6.04 Nr. 3 RheinSchPV) gezeigt hat, wie es hier der Fall war, will aber der Talfahrer die hellblaue Seitentafel nicht erkannt haben, weil die blaue Seitentafel mangelhaft gewesen ist, beruft er sich auf mangelhafte Ausrüstung des Bergfahrers, also auf dessen Fahruntüchtigkeit. Verfügt aber wie hier der Bergfahrer über ein gültiges Schiffsattest, besteht die widerlegbare Vermutung, daß der Bergfahrer ordnungsgemäß ausgerüstet war. Der Talfahrer hat infolgedessen zu beweisen, daß er entschuldbar die blaue Seitentafel nicht erkannt hat und hierauf die Kollision mit dem Bergfahrer beruht. Diesen Beweis hat die Klägerin durch das Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme und die Ermittlungen der Wasserschutzpolizei Duisburg in dem Bußgeldverfahren A 5 – D – 2151/97 nicht hinreichend erbracht, so daß nicht von einem unfallursächlichen Verschulden der Beklagten ausgegangen werden kann:

a) Die Beklagten haben bereits in 1. Instanz das etwa ein halbes Jahr vor dem Unfall und zwar am 12.7.1996 ausgestellte Schiffsattest der SUK Duisburg betreffend MTS V vorgelegt. Aus diesem Attest ergibt sich, daß dieses Schiff zur Fahrt auf dem Rhein zwischen Basel und dem offenen Meer „mit der angegebenen höchstzulässigen Einsenkung, der nachstehend angegebenen Ausrüstung und Besatzung für tauglich befunden worden“ ist. Dieses Schiffsattest hat eine Gültigkeit bis zum 30.04.2000.

Hiernach ist von einer durch die zuständige Schiffsuntersuchtungskommission festgestellten Fahrtauglichkeit des MTS V auszugehen.

b) Daß die Zeugen Käufer und Voigt ebensowenig wie der Zeuge O von MTS E vor der Begegnung der von ihnen geführten Schiffe die blaue Seitentafel des Bergfahrers gesehen haben, wobei der Zeuge V dabei auch ein Fernglas benutzt haben will, und infolgedessen Anlaß gesehen haben, die Begegnung ihrer Schiffe mit MTS V Backbord an Backbord durchzuführen, beweist nicht hinreichend, daß auf MTS V die blaue Seitentafel mangelhaft gewesen ist. Der Zeuge V hat – allerdings sehr spät – im Zuge der Begegnung die blaue Seitentafel des Bergfahrers gesehen. Der Zeuge B hat als Schiffsführer des hinter J und E ebenfalls zu Tal fahrenden MS G bereits auf größere Entfernung die blaue Seitentafel des MTS V gesehen. Dabei hat Brockmann hinzugefügt, bei der Annäherung sei die blaue Seitentafel des Bergfahrers „wegen der untergehenden Sonne“ zeitweilig nicht zu sehen gewesen.

Daß die Seitentafel eine hellblaue und keine dunkelblaue Farbe haben muß, folgt aus § 6.04 RheinSchPV. Die Rheinschiffahrtspolizeiverordnung verlangt auch keine „strahlende Farbe“.

Die Fotos lassen über einen mangelhaften Zustand der Seitentafel keine Feststellungen zu. Denn die blaue Seitenflagge ist auf den Fotos erkennbar und zeigt keine wesentlichen Mängel. Insbesondere ist auch ein weißer Rand sichtbar.

Ob tatsächlich die blaue Seitentafel so beschädigt und verblichen war, daß sie nicht mehr als ordnungsgemäß eingeschätzt werden kann, läßt sich bei diesem Beweisergebnis nicht mehr näher nachprüfen, da seinerzeit aus Anlaß der Unfall kein Verklarungsverfahren zur Sicherung aller Beweise eingeleitet worden ist und in dem eine sachverständige Beurteilung der blauen Seitenflagge hätte erfolgen können. Heute kann die blaue Seitentafel durch Sachverständige nicht mehr überprüft werden, weil sie nicht mehr zur Verfügung steht. Nach Angaben der Beklagten soll die Seitentafel nach dem hier in Rede stehenden Unfall bei einem weiteren Unfall in Rotterdam beschädigt und durch eine neue Seitentafel ersetzt worden sein. Ob dieses Vorbringen richtig ist, brauchen nicht die Beklagten zu beweisen, da die Beweislast für die mangelnde Fahrtüchtigkeit des MTS V bei der Klägerin liegt. Es handelt sich um eine Tatsache, die zu ihren klagebegründenden Behauptungen gehört. Die Klägerin hätte also entsprechende Beweise, notfalls durch Parteivernehmung erbieten müssen, was aber unterblieben ist.

Soweit die Klägerin im Zusammenhang mit der Erneuerung der Seitentafel meint, wegen einer Beweisvereitelung spreche der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden der Beklagen, konnte ihr die Berufungskammer nicht folgen. Die Beklagten haben nachvollziehbar dargestellt, weshalb heute die damals benutzte Seitentafel nicht mehr zur Beurteilung zur Verfügung steht. Die Klägerin hatte es seinerzeit unmittelbar nach dem Unfall in der Hand, in einem Verklarungsverfahren die Seitentafel objektiv beurteilen zu lassen. Wenn sie auf ein solches Verfahren verzichtete, kann sie ihr Versäumnis heute nicht den Beklagten anlasten. Im übrigen hat Schiffsführer Ostholt nach dem Unfall ebensowenig wie sonstige Zeugen gegenüber der Wasserschutzpolizei auf Mängel der blauen Seitentafel des MTS V hingewiesen noch diese als ursächlich für den Unfall bezeichnet.

c) Daß die blaue Seitentafel des MTS V den Anforderungen an die Ausrüstung eines Rheinschiffs entsprach, hat der Zeuge B in Zweifel gezogen und dazu ausgesagt, als er an dem Bergfahrer vorbeigefahren sei, habe er bezüglich der blauen Seitentafel gedacht: „Kein Wunder, daß man sie nicht richtig sah.“ Erläuternd hat er dazu angegeben, die Seitentafel sei verblichen und verschmutzt gewesen, es sei de Farbe gewesen, die nicht mehr strahlend blau gewesen sei. So etwas werde allgemein vernachlässigt.

Auch dem Zeugen O erschien der Zustand der Seitentafel des Bergfahrers nicht ordnungsgemäß. Er will sich nach dem Unfall die Seitentafel des Bergfahrers angesehen haben. Er hat seinen Angaben zufolge die zu den Akten gereichten Fotos gemacht. Ferner hat O angegeben, er habe seinerzeit die Tafel näher auf das Material hin angesehen. Es habe aus einem rautenförmigen Drahtgeflecht bestanden, das blau angestrichen gewesen sei und einen weißen Rand gehabt habe. Weil die Tafel durchscheinend gewesen sei, sei sie nicht mehr gut zu sehen gewesen.

Diese Bekundungen der Zeugen B und O reichen auch in Verbindung mit den vorliegenden 3 Fotos nicht zu sicheren Feststellungen von Mängeln der blauen Seitentafel aus. Denn ihre Aussagen vermitteln nur einen subjektiven Eindruck der Zeugen :

Daß der Zeuge Voigt nach dem Unfall über Funk von einem nicht näher bekannten vorausfahrenden Talfahrer erfahren haben will, daß dieser ebenfalls Schwierigkeiten gehabt haben will, die blaue Seitentafel des MTS V zu erkennen, mag richtig sein. Die Gründe für das mangelnde Erkennen einer Kursweisung durch diesen Talfahrer mögen auf einem mangelhaften Zustand der Tafel beruhen. Ob das tatsächlich zutrifft, ist aber offen, da die tatsächlichen Wahrnehmungen dieses Schiffsführers im einzelnen unbekannt und daher objektiv nicht verifizierbar sind.

Zusammenfassend sprechen zwar Verdachtsmomente dafür, daß die blaue Seitentafel des MTS V mangelhaft gewesen ist und hierauf möglicherweise der Unfall beruht, weil die Schiffsführer der Talfahrer die Kursweisung des Bergfahrers nicht erkannt haben, mit der erforderlichen Sicherheit läßt sich eine solche Feststellung aber nicht treffen. Die Folgen dieser Beweislosigkeit trifft die Klägerin, weil sie nicht den aus dem Schiffsattest folgenden Nachweis der Fahrtüchtigkeit des MTS V widerlegt hat. Es kann daher auch nicht festgestellt werden, daß die unstreitige Kursweisung des Beklagten zu 2 unvorschriftsmäßig und daher unfallursächlich gewesen ist.

d) Daß das mit der blauen Seitentafel verbundene Funkellicht des Bergfahrers mangelhaft gewesen ist, kann dem Beweisergebnis nicht entnommen werden. Dazu haben die erstinstanzlich vernommenen Zeugen keine Angaben gemacht, was an sich auffällig ist, da das Funkellicht auf die Kursweisung hinwies. Die Zeugen haben aber, wie ihre Angaben ergeben, das Funkellicht nicht beachtet. Es hat keinen Eingang in ihre Erinnerung gefunden. Den Beklagten kann daher auch insoweit kein Vorwurf gemacht werden.

6. Dem Beklagten zu 2 kann auch nicht deshalb ein Vorwurf gemacht werden, weil MTS V im Zusammenhang mit der Begegnung mit MTS J verfallen und MTS E deshalb nicht mehr mit Steuerbordkurs vor dem Kopf des Bergfahrers durchfahren konnte, so daß es zur Kollision kam. Hierzu hat der Beklagte zu 2 angegeben, er habe zur Vermeidung einer Kollision mit J zurückgeschlagen und auch noch sein Bugstrahlruder eingesetzt. Diese Angaben der Beklagten hat der Zeuge Brockmann von MS G bestätigt. Brockmann hat beobachtet, daß bei dem Bergfahrer das Schraubenwasser aufschäumte und gemeint, der Bergfahrer habe seine Maschine vollauf zurück gestellt, das Ruder quer gelegt und alles versucht, um eine Kollision zu vermeiden. Wenn bei diesem Notmanöver sein Schiff nach rechtsrheinisch geriet und dem weisungswidrig Backbord an Backbord passierenden MTS E den Weg verlegte, vermag die Berufungskammer dem Beklagten zu 2 daraus keinen Schuldvorwurf zu machen. Seine Manöver beruhten auf der Mißachtung seiner Kursweisung durch MTS J. Für MTS E hätten sich daraus keine Probleme ergeben, wenn dieses Schiff nicht ebenfalls die Kursweisung unbeachtet gelassen hätte.

7. Ein unfallursächliches Verschulden des Beklagten zu 2 vermag die Berufungskammer auch nicht in dem Unterlassenen von Schallsignalen vor der Kollision der Fahrzeuge anzunehmen.

Wie dem beiderseitigen Parteivorbringen und dem erstinstanzlichen Beweisergebnis zu entnehmen ist, ist MTS E dem MTS J mit geringem Abstand gefolgt. In der Klageschrift hat die Klägerin diesen Abstand mit ca. einer Schiffslänge angegeben. In der Berufungsbegründung hat die Klägerin von 150 bis 250 m gesprochen. Wie der neutrale Zeuge B zu dem Unfallgeschehen ausgesagt hat, hat J Kurs hart Steuerbord in Richtung auf den rechtsrheinischen Grund genommen und E hat dasselbe Manöver gemacht. Bei dieser Sachlage kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit angenommen werden, daß der Beklagte zu 2 als Schiffsführer des Bergfahrers noch hinreichend Zeit hatte, neben seinen Ruder- und Maschinenmanöver zur Vermeidung einer Kollision mit J und dann mit E Funkansagen und Schallsignalen vorzunehmen. Zudem ist wegen der zeitlich schnell aufeinanderfolgenden Manöver der beiden Talfahrer nicht sicher, ob eine Funkansage oder ein Schallsignal überhaupt noch geeignet gewesen wäre, die Schiffsführer der Entgegenkommen zu veranlassen, ihre weisungswidrigen Begegnungsmanöver abzubrechen, der Kursweisung zu folgen und Steuerbord an Steuerbord zu passieren.

Das Rheinschiffahrtsgericht hat nach alledem die Klage mit Recht abgewiesen.

8. Die Kosten ihrer unbegründeten Berufung trägt die Klägerin nach § 97 Abs. 1 ZPO.

9. Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 16.11.1998 verkündete Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort – 5 C 44/07 BSch – wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

Die Festsetzung dieser Kosten gemäß Artikel 39 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte erfolgt durch das Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort.

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2000 - Nr.3 (Sammlung Seite 1775 ff.); ZfB 2000, 1775 ff.