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242 B - 8/91 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Datum uitspraak: 01.09.1990
Kenmerk: 242 B - 8/91
Beslissing: Urteil
Language: Duits
Rechtbank: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Afdeling: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsätze:

1) Art. 37 Abs. 3 MA läßt eine Verlängerung sowohl der Berufungsbegründungsfrist als auch der Erwiderungsfrist zu.
2) Nach Zustellung eines Bußgeldbescheids durch Niederlegung zur Post bleibt die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erhalten.
3) Vom Zeitpunkt der Aushändigung eines Bußgeldbescheides durch die Wasserschutzpolizei an rechnet nicht nur die Frist für den Wiedereinsetzungsantrag, sondern auch für den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid.
4) Hat die Bußgeldbehörde die Einspruchsfrist irrtümlich länger bemessen, kann auch ohne Antrag von Amts wegen und ohne einen ausdrücklichen Beschluß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand trotz Überschreitung der einwöchigen Frist für den Wiedereinsetzungsantrag gewährt werden.
5) Zur Bußgeldbewehrung der HafenVO Baden-Württemberg.

Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

Urteil

vom 1. September 1991

(auf Berufung gegen den Beschluss des Rheinschifffahrtsgerichts Mannheim vom 8. September 1989 - OWi 1011/89 RhSch -)

Tatbestand und Entscheidungsgründe:

I.

Das von dem Betroffenen verantwortlich geführte TMS "T" übernahm am 3. Oktober 1988 im Ölhafen der Rheinhäfen Karlsruhe ab 7.15 Uhr eine Ladung Benzin (ADNR-Klasse lila, Kategorie K - ls). Bei einer gegen 9 Uhr erfolgten Kontrolle des Schiffes durch die Wasserschutzpolizei stellte diese fest, dass "aus den Deckeln der Flammendurchschlagsiebe auf den Tankluken der Laderäume 3 und 7 Steuerbordseite in starkem Masse Gase austraten". Gegen den Betroffenen ist am 3. November 1988 ein Bußgeldbescheid über 100 DM ergangen. Darin wird ihm eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 71 Abs. 2 Nr. 31 HafenVO BW im Sinne des § 120 Abs. 1 Nr. 20 des WG BW vorgeworfen, weil er die Rn. 131222 (2) der Verordnung über die Beförderung gefährlicher Güter auf dem Rhein - ADNR und § 39 Abs. 1 HafenVO BW missachtet habe. Der Bußgeldbescheid ist dem Betroffenen am 5. November 1988 durch Niederlegung zur Post zugestellt worden. Gegen ihn hat er - nach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einspruchsfrist - am 10. Februar 1989 Einspruch eingelegt. Auf Grund dieses Rechtsbehelfs hat das Rheinschifffahrtsgericht Mannheim mit Beschluss vom 8. September 1989 gegen den Betroffenen gemäß § 71 Abs. 2 Nr. 31 HafenVO BW, § 120 Abs. 1 Nr. 5 und 18 WG BW eine Geldbusse von 80 DM festgesetzt, weil er fahrlässig als Schiffsführer entgegen § 39 Abs. 1 HafenVO BW während des Ladens die Luken des TMS "T" nicht fest verschlossen gehalten habe. Der Betroffene hat gegen den Beschluss des Rheinschifffahrtsgerichts Mannheim Berufung mit dem Antrag eingelegt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ihn freizusprechen. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

II.

1. Formelle Bedenken gegen die Berufung bestehen nicht. Insoweit stellt sich allerdings die Frage, ob das Rheinschifffahrtsgericht befugt war, die am 15. März 1990 endende Berufungsbegründungsfrist von 30 Tagen (Art. 37 Abs. 3 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte) am 12. März 1990 bis zum 12. April 1990 zu verlängern. Das ist zu bejahen. Art. 37 Abs. 3 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte verbietet weder eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist noch eine solche der in dieser Vorschrift ebenfalls behandelten Erwiderungsfrist des Berufungsgegners. Demgemäß hat es die Berufungskammer - in Abweichung von dem Urteil vom 15. September 1975 - 35 Z - 8/75 (ZfB 1975, 255) -in ihrer Entscheidung vom 24. Februar 1981 - 126 C - 2/81 (ZfB 1982, 53) für zulässig angesehen, dass das Rheinschifffahrtsgericht die Erwiderungsfrist des Berufungsgegners im Bedarfsfall verlängert. Diese Befugnis ist auch hinsichtlich der Berufungsbegründungsfrist anzunehmen, zumal der Grundsatz eines fairen Verfahrens es unabweisbar gebietet, die Parteien auch fristenmäßig gleichzustellen.

2. Die Bußgeldbehörde hat dem Betroffenen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der zweiwöchigen Einspruchsfrist (§ 67 Abs. 1 OWiG) gewährt, weil er glaubhaft ohne sein Verschulden keine Kenntnis von dem Inhalt des ihm durch Niederlegung zur Post zugestellten Bußgeldbescheids erlangt hatte. Die Kenntnis hat er dann mit der Aushändigung des Bescheids durch die Wasserschutzpolizei am 1. Februar 1989 erhalten. Von diesem Zeitpunkt an rechnete dann aber nicht nur die einwöchige Frist für den Wiedereinsetzungsantrag (§ 52 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 45 Abs. 1 StPO). Vielmehr musste der Betroffene innerhalb dieser Frist auch die versäumte Handlung nachholen (§ 52 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 42 Abs. 2 Satz 2 StPO). Das ist nicht geschehen. Denn sein Einspruch ist erst am 10. Februar 1989 bei der Bußgeldbehörde eingegangen. Diese (weitere) Säumnis kann ihm jedoch ebenfalls nicht zum Vorwurf gemacht werden. Die Bußgeldbehörde hat nämlich in ihrem Wiedereinsetzungsbeschluss vom 2. Februar 1989 den Betroffenen um die "Vorlage des erforderlichen Einspruchs mit Begründung bis zum 15. Februar 1989 gebeten", und damit - offenbar irrtümlich - ihm gegenüber zum Ausdruck gebracht, dass ein bis zu diesem Zeitpunkt eingegangener Einspruch rechtzeitig ist. Damit konnte das für die Entscheidung über den Einspruch zuständige Gericht (§ 52 Abs. 2 Satz 2 OWiG) dem Betroffenen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewähren, und zwar auch ohne Antrag vom Amts wegen (§ 52 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 45 Abs. 2 Satz 3 StPO) und ohne einen ausdrücklichen Beschluss (vgl. Göhler, OrdnungswidrigkeitenG 9. Aufl. § 52 Rn 40 f.). Das ist vorliegend geschehen. Für eine vernünftige Betrachtungsweise ist in der sachlichen Beurteilung des von der Bußgeldbehörde beanstandeten Verhaltens des Betroffenen durch das Rheinschifffahrtsgericht zugleich eine stillschweigende Wiedereinsetzung zu sehen. Gegen die Zulässigkeit des Einspruchs des Betroffenen bestehen danach keine Bedenken.

3. Die Anlage B zum ADNR (vgl. BGBl. 1976 I S. 3489) befasst sich in Kapitel III ("Sondervorschriften über die Beförderung gefährlicher Güter der verschiedenen Klassen in Tankschiffen") Abschnitt 2 mit dem Bau und der Ausrüstung derartiger Fahrzeuge. Darin heißt es in Rn. 131222 (2), dass die Tanköffnungen mit gasdichten Verschlüssen versehen sein müssen, die dem Prüfdruck gemäß Rn. 131223 (1) standhalten. Dass TMS "T" über solche Tanköffnungen nicht verfügt hat, lässt sich der Stellungnahme des das Schiff kontrollierenden Beamten der Wasserschutzpolizei vom 31. März 1989 nicht entnehmen. Offenbar deshalb hat das Rheinschifffahrtsgericht - im Gegensatz zu dem Bußgeldbescheid -eine Ordnungswidrigkeit des Betroffenen gegen die vorgenannte Bauvorschrift nicht angenommen und das gegen ihn verhängte Bußgeld von 100 DM auf 80 DM ermäßigt. Darin liegt der Sache nach ein Teilfreispruch des Betroffenen, den, wie er zu Recht geltend macht, das Rheinschifffahrtsgericht in seinem Beschluss ausdrücklich hätte aussprechen müssen (vgl. § 72 Abs. 3 und 5 OWiG). Insoweit bedarf es aber keiner Zurückverweisung der Sache an das Rheinschifffahrtsgericht. Vielmehr kann die Berufungskammer die notwendige Klarstellung selbst in ihrer Entscheidung vornehmen.

4. Die HafenVO BW enthält in ihrem Dritten Teil "Besondere Vorschriften für Häfen, in denen gefährliche Güter befördert oder umgeschlagen werden". Von ihnen bestimmt § 39 Abs. 1, dass "die Luken der Tanks während des Ladens oder Löschens fest verschlossen sein müssen". Ferner heißt es im Fünften Teil ("Ausnahmen, Ordnungswidrigkeiten und Schlussvorschriften") der HafenVO BW in § 71 Abs. 2 Nr. 31, dass ordnungswidrig i.S.v. § 120 Abs. 1 Nr. 5 und 18 WG BW handelt, wer als Schiffsführer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 39 Abs. 1 HafenVO BW die Luken nicht fest verschlossen hält. Nun ist der Inhalt von § 120 Abs. 1 Nr. 5 und 18 WG BW nicht stets derselbe gewesen. So lauteten diese Vorschriften nach der Bekanntmachung der Neufassung dieses Gesetzes vom 26. April 1976 (GBl. 369), dass ordnungswidrig handelt, wer den Bestimmungen über die Ausübung der Schifffahrt oder die Benutzung der Häfen, Landestellen, Lade- und Löschplätzen zuwiderhandelt (Nr. 5) oder wer sonstigen auf Grund des Wasserhaushaltsgesetzes oder dieses Gesetzes erlassenen Bestimmungen oder Anordnungen zuwiderhandelt, sofern diese ausdrücklich auf die Bußgeldbestimmungen dieses Gesetzes verweisen (Nr. 18). Diese Regelungen des § 120 Abs. 1 Nr. 5 und 18 WG BW gelten jedoch seit der am 1. März 1988 in Kraft getretenen Neufassung der Vorschrift des § 120 WG BW nicht mehr (vgl. Gesetz zur Änderung des Wassergesetzes für Baden-Württemberg vom 22. Februar 1988 - GBl. 55). Infolgedessen können sie nicht mehr, was das Rheinschifffahrtsgericht nicht berücksichtigt hat, Grundlage für das von ihm verhängte Bußgeld sein. In Betracht kommen könnte insoweit nur noch die seit 1. März 1988 geltende Neufassung des § 120 Abs. 1 Nr. 20 WG BW, wonach "ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig einer auf Grund dieses Gesetzes ergangenen Rechts Verordnung (wie z.B. die HafenVO BW) zuwiderhandelt, soweit die Rechtsverordnung für einen bestimmten Tatbestand auf diese Bußgeldvorschrift verweist". Das ist jedoch zu verneinen, weil § 71 Abs. 2 Nr. 31 HafenVO BW - mangels einer entsprechenden Änderung der Verordnung - weiter auf die nicht mehr einschlägigen Regelungen des § 120 Abs. 1 Nr. 5 und 18 WG BW und nicht auf dessen § 120 Abs. 1 Nr. 20 verweist. Infolgedessen stellt ein Verstoß eines Schiffsführers gegen § 39 Abs. 1 HafenVO BW keine bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeit mehr dar.

Es wird deshalb für Recht erkannt:

1. Auf die Berufung des Betroffenen wird der Beschluss des Rheinschifffahrtsgerichts Mannheim vom 8. September 1989 dahin geändert, dass der Betroffene in vollem Umfange freigesprochen wird.

2. Der Betroffene hat keine Kosten zu tragen.

3. Die Festsetzung der ihm zu erstattenden Kosten erfolgt durch das Rheinschifffahrtsgericht Mannheim gemäß Artikel 39 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte.