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22 U 9/05 BSch - Oberlandesgericht (-)
Datum uitspraak: 01.07.2005
Kenmerk: 22 U 9/05 BSch
Beslissing: Urteil
Language: Duits
Rechtbank: Oberlandesgericht Karlsruhe
Afdeling: -

Leitsätze:

1. Schuldhaft gegen die Verkehrssicherungspflicht verstößt, wer ein bewegliches oder möglicherweise bewegliches Hindernis durch Peilungen lediglich in seiner Positon bestimmt, nicht aber eine weitere Absicherung zum Schutz der durchgehenden Schifffahrt vornimmt.
2. Jedenfalls bei Nutzungsverlust im geringfügigen Umfang (1 Tag) ist die Geltendmachung eines abstrakten Nutzungsverlustschadens auf Basis von § 4 der Verordnung über die Lade- und Löschzeiten sowie das Liegegeld in der Binnenschifffahrt schlüssig und nicht zu beanstanden. 

Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe (Schifffahrtsobergericht)

vom 01.07.2005

- 22 U 9/05 BSch -

(Vorinstanz: AG Mannheim - Schifffahrtsgericht -, Urteil vom 26.01.2005 - 30 C 6/04)

In dem vorliegenden Rechtsstreit geht es schwerpunktmäßig um die Anforderungen zur Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht, bezogen auf bewegliche oder möglicherweise bewegliche Hindernisse in der Wasserstraße.

Tatbestand und Entscheidungsgründe 

I. Die Klägerin verlangt von der Bundesrepublik Deutschland Schadensersatz wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht.

Das der Klägerin gehörende GMS „H.K." fuhr am 08.10.2002 mit 1.750 t beladen und einem Tiefgang von 2,74 m gegen 16.00 Uhr vom Rhein in den Neckar ein. Zu diesem Zeitpunkt war die Durchfahrt für die Schifffahrt wegen eines bei Neckar-km 2,9 aufgeschwemmten Dükerrohres gesperrt. Durch die im Neckar quer zum Flussverlauf liegende Dükeranlage, deren Betreiberin die Stadt Mannheim ist, wird Abwasser in Richtung Kläranlage Sandhofen geleitet. Die Dükerrohre aus Stahl weisen einen Durchmesser von 1,40 m auf. Alle fünf Jahre müssen die Dükerrohre gereinigt werden. Dazu werden die Schieber geschlossen und die Dükerrohre leergepumpt, so dass sie begehbar sind. Am 08.10.2002 gegen 12.30 Uhr brach an einer Flansch das 150 m lange, leergepumpte Dükerrohr auseinander.

Die Beklagte ließ die Unfallstelle für die Schifffahrt sperren. Am 09.10.2002 wurde die Fahrrinne durch ein Wahrschaufloß eingeengt und für die Schifffahrt unter Herabsetzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit bei gleichzeitigem Überholverbot wieder freigegeben. Kurz danach passierte GMS „H.K." die Fahrrinnenenge. Dabei kam es mit dem Vorschiff, dem Achterschiff und der Schraube an Steuerbordseite zu einer Anfahrung an das in der Fahrrinne liegende Dükerrohr. 
Das Schifffahrtsgericht hat der Klage mit Urteil vom 26.01.2005 stattgegeben und der Klägerin für den durch den Unfall entstandenen Kaskoschaden, Nutzungsverlust und für die dabei angefallenen Sachverständigenkosten einen Schadensersatzanspruch iHv. € 11.677,16 nebst geltend gemachten Zinsen wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht gemäß § 823 Abs. 1 BGB zuerkannt. Es führt darin aus:

Nach § 7 Abs. 1 BWStrG gehöre die Unterhaltung der Bundeswasserstraßen und der Betrieb der bundeseigenen Schifffahrtsanlagen zu den Hoheitsaufgaben der Bundesrepublik Deutschland. Die Unterhaltung der Binnenwasserstraßen beinhalte nach § 8 Abs. 1 BWStrG das Erhalten eines ordnungsgemäßen Wasserablaufs und der Schiffbarkeit. Die Beklagte brauche dabei die ihr obliegenden Hoheitsaufgaben nicht ohne weiteres mit dem Mittel der sog. Obrigkeitsverwaltung zu erfüllen, sie könne sie auch im Namen der schlichten Hoheitsverwaltung bewältigen. Dazu werde nach der Rechtsprechung auch die Verkehrssicherungspflicht gerechnet (OLG - RSOG - Karlsruhe ZfB 1985, 171).

Im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht habe die Beklagte den der Schifffahrt zur Verfügung gestellten Verkehrsweg im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren zu sichern, insbesondere dafür zu sorgen, dass dieser für die zugelassene Schifffahrt die erforderliche Tiefe und Breite besitzt, frei von Hindernissen und soweit erforderlich, genügend gekennzeichnet ist. Die Fahrrinnengrenze müsse richtig und genau bezeichnet werden (BGH, ZfB 1969, 335; OLG Karlsruhe NZV 2002, 326).

Das beschädigte Dükerrohr habe eine latente Gefahr für den Schiffsverkehr dargestellt. Die Beklagte habe es deshalb bis zur Hebung oder bis zu einer entsprechenden durchgängigen neuen und sicheren Verbindung so zu kennzeichnen (BGHZ 37, 69), dass das Hindernis die Schifffahrt nicht gefährde. Dem sei die Beklagte nicht in ausreichendem Maße nachgekommen. Die Beklagte habe zwar durch Peilfahrten zunächst nach dem Bruch des Dükerrohrs festgestellt, dass die Fahrrinne hindernisfrei gewesen sei. Dies habe indes zur Erfüllung ihrer Verkehrssicherungspflicht nicht ausgereicht.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit der Berufung. Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen und trägt ergänzend vor:

Das Urteil des Schifffahrtsgerichts verstoße gegen die Denkgesetze, indem es den tatsächlichen und physikalischen Verhältnissen nicht gerecht werde. Während der rechte Teil des Dükerrohrs voll Wasser gelaufen und wieder im Flussbett versunken sei, sei der linke Teil schräg aus dem Wasser herausragend stehen geblieben. Von der aufgetriebenen und aus dem Wasser stakenden linken Dükerrohrhälfte dürften keinerlei Rückschlüsse auf das Verhalten der rechten, wieder versunkenen Rohrhälfte gezogen werden. Die ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht habe sie erfüllt, indem sie die beiden Peilfahrten durchgeführt und nach den Messungen die Durchfahrt für die Schifffahrt eingeschränkt wieder zugelassen habe. Sie habe davon ausgehen dürfen, dass über den von ihr abgesicherten Bereich hinaus keine weiteren Gefahren von dem Dükerrohr mehr ausgehen würden.

Im übrigen werde nunmehr die Höhe der geltend gemachten Nutzungsausfallentschädigung bestritten.

Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil und trägt ergänzend vor: 
Zu Recht gehe das Schifffahrtsgericht davon aus, dass beide Hälften des gebro- chenen Dükerrohrs in Bewegung gewesen seien und sich hieraus der Schluss ergebe, dass es sich auch bei der in den Neckar zurückgesunkenen Dükerrohrhälfte um ein bewegliches Hindernis gehandelt habe. Der zurückgesunkene Teil des Dükerrohrs sei keineswegs im Flussbett verankert, sondern im Sog, der Strömung und dem Propellerschlag der freigegebenen Schifffahrt ausgesetzt gewesen. Die Verkehrssicherungspflicht habe erfordert, sich auf mögliche Bewegungen des Rohres einzustellen oder die Schifffahrt erst freizugeben, wenn nicht nur die linke, sondern auch die rechte Rohrhälfte aus der Fahrrinne entfernt worden sei.

Das Bestreiten der Höhe des geltend gemachten Nutzungsverlustschadensersatzes sei verspätet. Im übrigen ergebe er sich aus der Taxe hinsichtlich der Tragfähigkeit des Gütermotorschiffes. Die Berechnung entspreche den Vorgaben des § 4 BinSchLV. Die abstrakte Form der Schadensberechnung sei in der Rechtsprechung anerkannt.

II. Der Senat folgt uneingeschränkt den Erwägungen des Schifffahrtsgerichts, aus denen es der Klägerin einen Schadensersatzanspruch wegen schuldhafter Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte gem. § 823 Abs. 1 BGB zuerkannt hat.

Er führt aus:

1. Die Beklagte bestreitet nicht, dass sie für die Bundeswasserstraße Neckar verkehrssicherungspflichtig ist. Dass die Stadt Mannheim Betreiberin der Dükeranlage ist, ändert nichts an der Passivlegitimation der Beklagten. Im Rahmen der ihr obliegenden Verkehrssicherungspflicht hat die Beklagte den der Schifffahrt zur Verfügung gestellten Verkehrsweg im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren zu sichern, insbesondere dafür zu sorgen, dass dieser für die zugelassene Schifffahrt die erforderliche Tiefe und Breite besitzt, möglichst frei von Schifffahrtshindernissen ist und, wenn Schifffahrtshindernisse entstehen, diese bezeichnet oder bekannt gemacht werden, solange sie noch nicht beseitigt sind. Die Fahrrinnengrenze muss richtig und genau bezeichnet werden. Das Moselobergericht Köln hat mit anschaulichen Worten die Verkehrssicherungspflicht der Bundesrepublik Deutschland als Eigentümerin einer Bundeswasserstraße wie folgt umschrieben: Da die lebendige Kraft des strömenden Wassers das Strombett ständigen Veränderungen unterwirft, ein ordnungsgemäßer Schiffsverkehrs aber möglichst stabile und sichere Verhältnisse voraussetzt, muss durch Stromregulierung und Baggerung eine Fahrrinne von bestimmter Breite und Tiefe geschaffen und erhalten werden, die das Rückgrat des durchgehenden Schiffsverkehrs bildet (VersR 2000, 1524). Die Häufigkeit der Überprüfung des Fahrrinnenzustandes, die Art der Hindernisbeseitigung, der Kennzeichnung von Hindernissen und die Unterrichtung der Schifffahrt in geeigneter Weise beurteilt sich nach den Umständen des konkreten Einzelfalls.

Im vorliegenden Fall durfte die Durchfahrt für die Schifffahrt erst dann freigegeben werden, wenn und soweit die Beklagte der sicheren Überzeugung sein konnte, dass keine Gefahr mehr von den geborstenen Dükerrohren ausgehen konnte. Aufgrund der durchgeführten Peilungen durfte die Beklagte die Schifffahrt noch nicht im erfolgten Umfang freigeben. Denn die Beklagte berücksichtigte nicht die Möglichkeit, dass nicht nur der auf der linken Seite über die Wasseroberfläche hinausragende abgebrochene Dükerrohrteil eine Gefahr darstellte, sondern auch und gerade der auf der rechten Seite verbliebene Teil. Die hiergegen gerichteten Berufungsangriffe sind unbegründet. Das Schifffahrtsgericht hat nicht gegen Denkgesetze verstoßen. Im ersten Rechtszug hat die Beklagte selbst nicht ausgeschlossen, dass der Dükeranteil im rechten Farrinnenbereich seine Lage verändert haben konnte; sie meinte lediglich, dass dieser Umstand für sie jedenfalls nicht voraussehbar gewesen sei. Dem hat das Schifffahrtsgericht zu Recht widersprochen. Es ist unstreitig, dass GMS „H.K." den geltend gemachten Schaden erlitt, als es unmittelbar nach der Freigabe die gefährliche Stelle bei Neckar-km 2,9 in der Bergfahrt passierte. Eine falsche Fahrweise oder ein unrichtiger Kurs ist nach den Feststellungen des Schifffahrtsgerichts der Klägerin nicht vorzuwerfen. Die Grundberührung ist vielmehr auch nach Überzeugung des Berufungsgerichts ausschließlich darauf zurückzuführen, dass der nach dem Flanschbruch zurückgesunkene Teil des Rohres trotz seines Ausmaßes und Gewichtes noch Antriebskräften ausgesetzt war und es durch Strömung und andere durch die Schifffahrt verursachte Bewegungen zu Lageveränderungen kam.

Der Senat folgt auch der Auffassung des Schifffahrtsgerichts dahingehend, dass die Beklagte auch durch den Einsatz eines Wahrschaufloßes ihrer Verkehrssicherungspflicht nicht hinreichend genügt habe. Denn dieses Floß habe es nicht vermocht, die Grundberührung zu vermeiden, insbesondere vor der tatsächlich vorhandenen Gefahr zu warnen.

2. Die Berufung sei auch insoweit unbegründet, als mit ihr erstmals die geltend gemachte Höhe des Nutzungsausfallsschadens bestritten werde. Eine Berücksichtigung des neuen Verteidigungsvorbringens sei gem. § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO ausgeschlossen. Gründe, die sie daran gehindert hätten, das Vorbringen bereits im ersten Rechtszug einzuführen, mache die Beklagte nicht geltend; solche Gründe seien auch sonst nicht ersichtlich. Unabhängig davon hält der Senat es nicht für schlüssig und nicht für zu beanstanden, wenn die Klägerin - jedenfalls wenn es, wie vorliegend, nur um einen einzigen Tag geht - den Nutzungsverlust ihres beschädigten Schiffes für den erforderlichen Werftaufenthalt sowie die dazu anfallenden Fahrten nach der Neuregelung des Liegegeldes gern. § 412 Abs. 3 HGB i.V.m. § 4 der Verordnung über die Lade- und Löschzeiten sowie das Liegegeld in der Binnenschifffahrt (BinSchLV) im Wege der abstrakten Schadensberechnung nach den gesetzlichen Liegegeldsätzen berechnet (ebenso, mit eingehender Begründung OLG Köln, TransportRecht 2002, 224 = ZfB 2002, 1873 mit kritischer Anmerkung von Dütemeyer). 
Bei der Entschädigung von Nutzungsverlust handelt es sich um entgangenen Gewinn, für dessen Bemessung § 252 BGB gilt. Nutzungsverlust ist der entgangene Umsatz abzüglich ersparter Unkosten, den das Schiff während der Reparaturzeit erzielt hätte (RSOG Karlsruhe, Urt. v. 28.07.1995 - U 4/95 RhSch -; SOG Karlsruhe, Urt. v. 08.12.1998 - U 3/98 BSch -). Der Eigner kann entweder konkret oder abstrakt berechnen. Bei abstrakter Berechnungsweise des Gläubigers steht allerdings dem Schuldner der Nachweis offen, dass der entgangene Gewinn tatsächlich geringer war (SOG Karlsruhe, a.a.O.). Einen derartigen Nachweis hat die Beklagte nicht geführt. 
Gründe, die Revision zuzulassen, lagen nicht vor.

 

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2007 - Nr.4 (Seite 68 ff.); ZfB 2006, 68 ff.