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198 B - 9/87 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Datum uitspraak: 21.09.1987
Kenmerk: 198 B - 9/87
Beslissing: Urteil
Language: Duits
Rechtbank: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Afdeling: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Zur Bewertung von Zeugenaussagen über den Hergang eines Schiffszusammenstoße.

Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

vom 21. September 1987

198 B - 9/87

(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)

Zum Tatbestand:

Im Februar 1985 gegen 21.00 Uhr begegneten sich bei Nebel in Höhe Emmerich hintereinanderfahrend zu Tal Schubverband „Herkules IV", KMS „Sea Merlan" und KMS „Kinso", zu Berg TMS „Eiltank 14" und TMS „Arctic". Alle Schiffe hatten ihre Radargeräte eingeschaltet. Zwischen „Sea Merlan" und „Eiltank 14" kam es zur Kollision, wobei beide Schiffe schwer beschädigt wurden. Von den Führungen beider Schiffe wurde jeweils der anderen Seite vorgeworfen, plötzlich vom eigenen Kurs abgewichen und in den Kurs des anderen Schiffes hingesteuert zu sein. Das Rheinschiffahrtsgericht hat den Betroffenen, den Schiffsführer von „Eiltank 14", für die Kursänderung verantwortlich befunden und ihn zu einer Geldbuße von DM 150,— verurteilt. Der Betroffene hat mit Erfolg Berufung eingelegt. Die Berufungskammer der Rheinzentralkommission hat ihn freigesprochen.

Aus den Entscheidungsgründen:
„...
1. Die besten Positionen zur Beobachtung der zur Havarie führenden Ereignisse hatten Mitglieder der Besatzungen der Schiffe „Kinso" und „Arctic". Diese fuhren nämlich hinter denjenigen, die zusammengestoßen sind, her. Die mit ihrer Führung betrauten Personen übersahen deshalb von den Ruderhäusern aus das gesamte Revier, in dem sich die Havariesituation entwikkelte. Ihre Aussagen müßten deshalb die zuverlässigsten sein, wenn man aufmerksame Beobachtung unterstellt. Daran scheint es aber gefehlt zu haben, denn die in Betracht kommenden Aussagen erweisen sich bei kritischer Wertung als wenig besagend (und ausgeführt). Insbesondere hat der Lotse Düffels vom „Kinso" die zur Havarie führenden Bewegungen der zusammengestoßenen Schiffe offensichtlich nicht wahrgenommen, denn in seinem der Wasserschutzpolizei am 8. 5. 85 übergebenen schriftlichen Zeugenbericht heißt es:
„Auf dem Radarbild sah ich nur, daß da KMS „Sea Merlan" nach Steuerbord in Land lief und dabei sah ich auch, daß der Berfahrer nicht mehr auf seinem normalen Bergkurs lag, sondern quer zum Revier mit dem Vorschiff gegen „Sea Merlan". Es hatte also eine Kollision stattgefunden, bei welcher der Bergfahrer, total aus seinem Kurs gekommen und die Querfahrt über das Revier gemacht haben muß". Das ist eine Schilderung der Situation nach der Havarie, und nicht eine solche der Schiffsbewegungen, die zu ihr geführt haben. Auf die Havarieursache schließt der Zeuge nur aus den Bewegungen der schon zusammengestoßenen Schiffe mit der Bemerkung, der Bergfahrer (Eiltank 14) müsse total aus seinem Kurs gekommen sein und eine Querfahrt über das Revier gemacht haben. Diese Schlußfolgerung ist schon deshalb nicht zwingend, weil aus den Folgen einer Havarie nicht immer sicher auf deren Ursache geschlossen werden kann. Hinzu kommt, daß eine Querfährt des Bergfahrers durch das Revier dem Zeugen, der ja dieses Revier zu beobachten hatte, kaum hätte entgehen können. Gesehen hat er aber nichts davon, wie seine Aussage zeigt. Bei ihr ist der Zeuge auch bei seiner Vernehmung durch das Rheinschiffahrtsgericht geblieben. Ähnlich unergiebig sind die Aussagen des Zeugen J., des Schiffsführers von „Arctic", vor der Wasserschutzpolizei und dem Rheinschiffahrtsgericht. Er schildert zunächst den Kurs seines Schiffes und den des vor ihm fahrenden „Eiltank 14" an den Ankerliegern am linksrheinischen Ufer entlang, sodann das Erscheinen von „Sea Merlan" auf seinem Radarbild in Höhe von „Eiltank 14" und fuhr dann fort:
„Plötzlich sah ich auf dem Radarbild beide Echo zusammenkommen und den Talfahrer nach Steuerbord ausscheren" (vor der Wasserschutzpolizei). Vor dem Rheinschiffahrtsgericht hat der Zeuge hinzugefügt, das Echo des Talfahrers habe sich demjenen von „Eiltank 14" vor der Havarie auf seinem Radarbild genähert.
Auch dieser Zeuge hat also eine Änderung des Kurses von „Eiltank 14" vor der Havarie nicht beobachtet. Seine Aussage vor dem Rheinschiffahrtsgericht kann aber dahin verstanden werden, eine solche Kursänderung habe der Talfahrer vorgenommen, der sich nach der Meinung des Zeugen „Eiltank 14" genähert hat.
Zusammenfassend sind deshalb die bisher besprochenen Zeugenaussagen nicht nur unzureichend zur Erklärung der Havarieursache, sondern auch widersprüchlich. Sie erlauben mithin keine sicheren Feststellungen. Weiter verwertbare Zeugenaussagen von Besatzungsmitgliedern von an der Havarie nicht beteiligen Schiffen gibt es nicht.
2. Eindeutig sind allein die Aussagen des Lotsen von „Sea Merlan" und des Betroffenen über die Ursache der Havarie. Danach hat jeweils der andere sein Schiff in den Kurs des eigenen Schiffes hineingefahren. Diese Aussagen sind einmal deshalb mit Vorsicht zu bewerten, weil sie von Personen stammen, die von dem Bestreben nach Selbstrechtfertigung durch Schuldzuweisung an den anderen geleitet sein können. Zum anderen sind sie so gegensätzlich, daß sie sich aufheben. Feststellungen auf ihrer Grundlage verbieten sich also.
3. Die Erwägungen, mit denen das Rheinschiffahrtsgericht die bestehenden Beweislücken zu schließen versucht hat, überzeugen die Berufungskammer nicht. Wenn der Betroffene z. B. den Talfahrer „Sea Merlan" zunächst für einen Stillieger gehalten hat, so mußte das nicht zur Havarie führen. Auch das Rheinschiffahrtsgericht vermag nicht darzulegen, daß dee genannte Irrtum diese Folge hatte. Wenn das Rheinschiffahrtsgericht weiter meint, es sei nicht ersichtlich, warum das rechtsrheinisch fahrende „Sea Merlan" sich plötzlich linksrheinisch befunden haben solle, so muß es sich entgegenhalten lassen, daß es ebensowenig einsichtig ist, daß der linksrheinisch fahrende „Eiltank 14" sich schließlich rechtsrheinisch befunden haben solle. Schließlich können auch einige vom Rheinschiffahrtsgericht erwogene Denkmodelle nicht mögliche Tatsachenfeststellungen nicht ersetzen.
Abschließend ist festzustellen, daß aus den dargelegten Gründen nicht bewiesen ist, daß die Havarieursache in einem falschen Verhalten des Betroffenen liegt.
...“

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1989 - Nr.5 (Sammlung Seite 1261 f.); ZfB 1989, 1261 f.