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U 9/94 Bsch - Oberlandesgericht (Schiffahrtsobergericht)
Date du jugement: 01.12.1995
Numéro de référence: U 9/94 Bsch
Type de décision: Urteil
Language: Allemande
Juridiction: Oberlandesgericht Karlsruhe
Section: Schiffahrtsobergericht

Leitsätze:

1) Fährt ein Schiff bei der Einfahrt in eine Schleuse das Untertor an, so streitet der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden der Schiffsführung.

2) Innerhalb der Schleuse hat der Schiffsführer dafür zu sorgen, daß das Fahrzeug durch Belegen der Poller oder Haltekreuze der Schleu­senkammer mit Tauen und Trossen auch ohne Maschinenkraft recht­zeitig angehalten werden kann. Es wird äußerste Sorgfalt gefordert.

3) Ein sorgfältiger Schiffsführer muß in der Lage sein, nicht nur das Ausbleiben des angestrebten Rückwärtsmanövers, sondern auch das Einsetzen einer unbeabsichtigten Vorausfahrt rechtzeitig zu erkennen und die nach § 6.28 Nr. 8 Abs. 3 BinSchStrO vorgeschriebenen manuel­len Abstoppmaßnahmen durchführen zu lassen. Fährt er in die Schleu­se ein mit einer Geschwindigkeit, die den Einsatz von Maschinenkraft erforderlich macht, um abzustoppen, so trägt er allein das Risiko des Versagens der Umsteuerungsanlage.

4) Zur Darlegung- und Beweislast der Parteien hinsichtlich der Voraus­setzungen der Haftungsbeschränkung nach dem BinSchG.

Urteil des Oberlandesgerichts (Schiffahrtsobergerichts) Karlsruhe

vom 1. Dezember 1995

U 9/94 Bsch

(Schiffahrtsgericht Mannheim)

Zum Tatbestand:

Der Beklagt ist Schiffseigner/Schiffs­führer des MS "S". das am 30.3.1992 bei der Einfahrt in eine Neckarschleuse nach Versagen der Umsteuerung das Untertor angefahren hat. Die Klägerin, Eigentüme­rin der Schleuse, verlangt Schadensersatz.

Das Schiffahrtsgericht hat der Klage in roher Höhe des Schadensbetrags stattge­geben. Die Berufung des Beklagten führte zur Ergänzung des Urteil-Tenors hinsicht­lich der Haftungsbeschränkung.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Berufung des Beklagten ist zuläs­sig, hat aber bis auf die Frage der gesetzli­chen Haftungsbeschränkung nach den Vor­schriften des Binnenschiffahrtsgesetzes keinen Erfolg.

1. Der beklagte Schiffseigner/Schiffs­führer haftet der Klägerin als Eigentümer­in der Neckarschleuse N gemäß § 823 Abs. 1 BGB. §§ 4, 114 BinSchG auf Ersatz des mit MS "S" am 30.03.1992 durch die Erfahrung des Untertores der Neckar­schleuse N entstandenen Schadens in Höhe von DM 44.449,39.

Zu Recht geht das Schiffahrtsgericht da­von aus. daß dann, wenn ein Schiff bei Ein­fahrt in eine Schleuse das Untertor anfährt, der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden der Schiffsführung streitet (vgl. dazu auch OLG Hamburg VersR 1962, 949; Vortisch/Bemm, BinSchR 4. Aufl. § 92 b Rdnr. 38: Bemm/Kortendick. RhSchPolVO 1983 § 6.28 Rdnr. 27). Ein derartiger Anscheinsbeweis kann vom Schädiger erschüttert werden, wenn er Tat­sachen darlegt und erforderlichenfalls be­weist, die die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufes ergeben; der atypische Geschehensablauf selbst braucht nicht positiv nachgewiesen zu werden (RhSchOG Karlsruhe ZfB 1994, 1500).

Dem Beklagten ist es gelungen, hinsicht­lich eines Teiles den gegen ihn streitenden Anscheinsbeweis durch die Darlegung und den Beweis der Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufes zu entkräften: Soweit es um das Mißlingen des Versuches geht. das Schiff beim Einfahren in die Schleuse durch Maschinenkraft abzustoppen und ständig zu machen, trifft den Beklagten kein Verschulden. Aufgrund der durchgeführten Untersuchungen des Sachverständigen K im Verklarungsverfahren steht fest, daß das Versagen der Umsteuerung des Steuerbord­getriebes auf eine durchgebrannte Siche­rung zurückzuführen ist. Ursächlich hier­für war, daß Feuchtigkeit in den Elektro­schaltkasten eingedrungen war, deshalb ein dort angeordneter Potentiometer verzögernd reagierte, der Drehschieber des Getriebes bis in die Endlage gedreht wurde, es zur Überlast kam und deshalb die Sicherung ausfiel. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß ein ähnlicher Ausfall auf dem Schiff vor dem Unfall schon einmal vorge­kommen war. Den beklagten Schiffsführer/ Schiffseigner trifft daher insoweit kein Verschuldensvorwurf, als für ihn überra­schend die Umsteuerung des Wende­getriebes ausfiel und das Schiff, obwohl beide Kupplungen der Maschinen mit der elektrischen Bedienung auf rückwärts ge­stellt wurden und auch das Bugstrahlruder auf rückwärts geschaltet worden war, wei­tere Fahrt voraus nahm.

Der Anscheinsbeweis ist jedoch insoweit nicht entkräftet, als er dafür streitet. daß der Beklagte seine sonstigen Sorgfaltspflichten beim Einfahren in die Schleuse verletzte und diese Pflichtverletzungen ursächlich für das Anfahren des unteren Schleusentores wurden. Die BinSchStrO enthält einen Ka­talog von Geboten und Verboten, die dazu dienen, Beschädigungen von Schleusenan­lagen und anderen Fahrzeugen zu vermei­den. Die Sorgfaltspflichten der Schiffs­führung bei Einfahrt in eine Schleuse sind besonders hoch. Innerhalb der Schleuse und bei Einfahrt in diese muß die Geschwin­digkeit so vermindert werden, daß ein An­prall an die Schleusentore oder an die Schutzvorrichtungen vermieden wird, § 6.28 Nr. 8 BinSchStrO. Demgegenüber braucht bei der Annäherung an den Schleu­senbereich gemäß § 6.28 Nr. 2 BinSchStrO ein Fahrzeug "nur" mit mäßiger Geschwin­digkeit zu fahren. Darin unterscheidet sich auch der vorliegende Fall von dein vom Beklagten zitierten Fall. der der Entschei­dung des Moselschiffahrtsobergerichts vom 29.10.1991 (ZfB 1992, 1369) zugrundelag: In jenern Fall war ein Schiff. bei dem eben­falls eine Umsteueranlage ausfiel und das weiter voraus statt zurück lief, von außen gegen ein Schleusentor gefahren. Das Moselschiffahrtsobergericht hat ausdrück­lich ausgeführt, daß die gesteigerte Sorg­faltspflicht nicht für die gesamte Annähe­rung an die Schleuse von außen gilt.

Innerhalb der Schleuse hat der Schiffs­führer dafür zu sorgen, daß das Fahrzeug durch Belegen der Poller oder Haltekreuze der Schleusenkammer mit Tauen oder Tros­sen auch ohne Maschinenkraft rechtzeitig angehalten werden kann. Dieses in § 6.28 Nr. 8 BinSchStrO ausdrücklich enthalten­de Gebot wurde auch in der Rechtsprechung wiederholt hervorgehoben. Denn nur durch Erfüllung dieser Pflichten trägt der Schiffs­führer dem allgemein bekannten Umstand hinreichend Rechnung, das technisches Versagen beim Umsteuern eines Schiffs nicht völlig ausgeschlossen werden kann (vgl. BGH VersR 1973, 541; VersR 1976, 485). Nichts anderes gilt für entsprechen­de technische Fehler, die - wie im vorlie­genden Fall - denselben Effekt bei nicht umsteuerbaren Maschinen erzielen. Mit Rücksicht darauf, daß Schäden der

Schleusentore nicht nur zu großen Schäden an der Schleusenanlage führen, sondern - bei einem Ausfall der Kammer - auch an­deren Schiffahrtstreibenden erhebliche Ver­luste verursachen, wird bei der Einfahrt in eine Schleusenkammer "äußerste Sorgfalt" gefordert (vgl. BGH a.a.O.). Ein Versagen der technischen Einrichtungen des Schif­fes gefährdet die Schleusenanlage dann nicht, wenn der Schiffsführer die Maschi­ne lediglich einsetzen will, um das Anhal­ten seines Fahrzeuges mit Hilfe eines Hal­tetaues oder eines Stoppdrahtes zu unter­stützen. Denn auf diese Weise bleibt es möglich, das Schiff trotzdem rechtzeitig zu stoppen. Das trifft selbst dann zu, wenn das Schiff entgegen dem Steuerungsversuch des Schiffsführers nicht rückwärts läuft, son­dern weiter vorwärts. Bereits hei Einfahrt in die Schleuse muß der Schiffsführer in Betracht ziehen, daß es zu einem derarti­gen Versagen kommen kann und daß selbst eine steuerungswidrige Fahrterhöhung noch manuell durch Einsatz eines Haltetaues oder eines Stoppdrahtes verhindert werden kann. Ein sorgfältiger Schiffsführer muß in der Lage sein, nicht nur das Ausbleiben des angestrebten Rückwärtsmanövers, sondern auch das Einsetzen einer unbeabsichtigten Vorausfahrt rechtzeitig zu erkennen und die nach § 6.28 Nr. 8 Abs. 3 BinSchStrO vor­geschriebenen manuellen Abstoppmaß­nahmen durchzuführen bzw. durchführen zu lassen. Es kann den Beklagten daher auch nicht entlasten, wenn MS "S" erst nach dem Umsteuerversuch zu schnell wurde, um ein Anhalten mit Tauen noch durchführen zu können. Wäre der Beklag­te von vornherein nur mit einer Geschwin­digkeit in die Schleuse eingefahren, die es ermöglicht hätte, das Fahrzeug durch Be­legen der Pollen oder Haltekreuze rechtzei­tig anzuhalten, wäre er auf den Einsatz von Maschinenkraft überhaupt nicht angewie­sen gewesen. Fährt er aber in die Schleuse ein mit einer Geschwindigkeit, die den Ein­satz von Maschinenkraft erforderlich macht- um abzustoppen, so trägt er allein das Risiko des Versagens der Umsteueran­lage.

Entgegen den Berufungsangriffen hat das Schiffahrtsgericht im übrigen dem Beklag­ten zu Recht zum Vorwurf gemacht, daß er zur Abwendung der drohenden Anfahrung des Schleusentores nicht die Maschine selbst stoppte. als er merkte, daß das Schiff trotz Betätigung der Hebel zur Unisteue­rung des Wendegetriebes auf rückwärts Lind Erhöhung der Maschinendrehzahl und Ein­satz des Bugstrahlruders nicht langsamer wurde. Auf diese Weise hätte ein Weiter­drehen der Schraube verhindert werden können, nachdem die Betätigung des Schal­ters für das Wendegetriebe offenbar ohne die gewünschte Wirkung geblieben war.

2. Völlig unbegründet sind die Be­rufungsangriffe des Beklagten gegen die Zuerkennung von Zinsen. Sie steht im Ein­klang mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl. LM Nr. 7 zu § 288 BGB) sowie des Senates in dieser Frage (vgl. ferner BK ZKR ZtB 1994, 1493 ff ).

3. Soweit der Beklagte mit der Berufung geltend macht, die Haftungsbeschränkung nach den Vorschriften des Binnenschiff­fahrtsgesetzes sei sowohl bei den Anträgen der Klägerin als auch in dem antragsgernä­ßen Urteil des Schiffahrtsgerichts nicht be­rücksichtigt worden, hat er teilweise recht.

a) Für Prozeßkosten, Prozeß- und Ver­zugszinsen haftet der verurteilte Eigner unbeschränkt (vgl. Wassermeyer, Kol­lisionsprozeß 4. Aufl. S. 44; Vortisch/ Bemm, BinSchR 4. Aufl. § 4 BinSchG Rdnr. 24.jew. m.w.N.).

b) Der Beklagte haftet als Schiffseigner/ Schiffsführer nach § 4 Abs. 2 Satz 2 BinSchG "für einen durch fehlerhafte Füh­rung des Schiffes entstandenen Schaden ausschließlich mit Schiff und Fracht, es sei denn, daß ihm eine bösliche Handlungswei­se zur Last fällt". Die Vorschrift bezweckt, den Schiffseigner/Schiffer für nautisches Verschulden bei der Führung des Schiffes nicht strenger haften zu lassen als den Schiffseigner, der die Führung einem frem­den Schiffer anvertraut. Daher ist unter dem Begriff "fehlerhafte Führung" ein nauti­sches Versehen zu verstehen. "Bösliche Handlungsweise" umfaßt nach einer Ent­scheidung der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt (vgl. ZfB 1993, 1420) zwar nicht nur Vor­satz, sondern auch bewußte grobe Fahrläs­sigkeit. Im vorliegenden Fall liegt jedoch keine "bösliche Handlungsweise" des Be­klagten, sondern nur einfache Fahrlässig­keit vor. Die Beschränkung der Haftung auf Schiff und Fracht beruht auf dem Gedan­ken, daß derjenige, der ein Gewerbe betreibt und dadurch anderen Gefahren bringt, für die durch Verwendung des Schiffes verur­sachten Schäden wenigstens mit Schiff und Fracht einstehen soll. Das Gesetz räumt dafür ein Pfandrecht ein. Im vorliegenden Fall ist ein solches nach § 102 Nr. 5 BinSchG entstanden.

Neben der beschränkten dinglichen Haf­tung mit Schiff und Fracht haftet auch der Schiffseigner/Schiffsführer, der sein Schiff selbst führt, nach § 114 BinSchG be­schränkt persönlich, wenn er sein Schiff in Kenntnis der Forderung eines Schiffs gläubigers zu einer neuen Reise aussandte, ohne daß dies zugleich im Interesse des Gläubigers geboten war. Diese Haftung wird durch § 4 Abs. 2 Satz 2 BinSchG nicht ausgeschlossen (so auch Vortisch/Bernur I a.a.O. § 114 BinSchG Rdnr. 10).      

Grundsätzlich trägt der Schiffsgläubiger - vorstehend also die Klägerin - dir Darlegungs- und Beweislast dafür. daß der Schiffseigner sein Schiff in Kenntnis der Forderung des Schiffsgläubigers zu einer neuen Reise ausgesandt hat. Dieser Darlegungslast hat die Klägerin jedcnfalls in der letzten mündlichen Verhandlungyor dem Senat genügt. Da es jedoch im Inter­esse der Schiffahrtstreibenden liegt, ihre Schiffe schnellstmöglich wieder zu neuen Reisen zu entsenden und dies in der Praxis regelmäßig auch geschieht, genügt kein ein­faches Bestreiten des Schiffseigners. Viel­mehr hat er gegebenenfalls im Wege eines substantiierten Bestreitens, d.h. unter An­gabe von Daten und Gründen und unter Beachtung der prozessualen Wahrheits­pflicht darzulegen, sein Schiff sei - insbe­sondere, wenn es, wie im vorliegenden Fall, nur leicht oder gar nicht beschädigt wurde - gleichwohl nicht zu einer neuen Reise ausgesandt worden.. Solange er dies unter­läßt und, wie vorliegend, nur schlicht be­streitet, rechtfertigt eine tatsächliche Ver­mutung die Annahme, daß das Schiff tat­sächlich zu neuen Reisen entsandt wurde. Das Schiffahrtsgericht hat daher insoweit im Ergebnis zu Recht angenommen, der Beklagte habe "ersichtlich" sein Schiff zu neuen Reisen entsandt.

Eine unbeschränkte Verurteilung zur Zahlung der Hauptforderung durfte indes­sen nicht ergehen. Die oben im einzelnen dargelegte Haftungsbeschränkung muß im Tenor des Urteils ausgesprochen werden, der Antrag auf eine darüber hinausgehen­de unbeschränkte Verurteilung ist - im üb­rigen - abzuweisen. Eine uneingeschränkte Verurteilung zur Zahlung darf nur dann er­gehen, wenn im Verfahren positiv festge­stellt wurde, daß das Schiffsvermögen zur Befriedigung des Schiffsgläubigers aus­reicht. Dazu ist jedoch nichts vorgetragen worden. Die gesetzliche Vermutung des 114 Abs. 2 BinSchG reicht für eine Verur­teilung zur Zahlung ohne Haftungs­beschränkung nicht aus (vgl. dazu auch Vortisch/Bemm a.a.O. § 114 BinSchG Rdnr. 16).

4. Die Aufnahme der Haftungsbe­schränkung und die Abweisung der Klage im übrigen stellt jedoch kostenmäßig kei­nen Erfolg des Beklagten in beiden Instan­zen dar, die Zuvielforderung der Klägerin war verhältnismäßig geringfügig..."

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1995 - Nr.9 (Sammlung Seite 1551 ff.); ZfB 1995, 1551 ff.