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II ZR 19/88 - Bundesgerichtshof (-)
Date du jugement: 26.09.1988
Numéro de référence: II ZR 19/88
Type de décision: Urteil
Language: Allemande
Juridiction: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Section: -

Leitsatz:

Zur Frage, ob und welche Sicherungen bei der Anlage von Festmachevorrichtungen an Schiffsanlegestellen zur Abwehr von Gefahren für Leib und Leben in der Nähe befindlicher Menschen, z. B. zur Verhinderung des Wegfliegens von Seitenpollern bei großer Beanspruchung, erforderlich sind.

Urteil des Bundesgerichtshofs

vom 26. September 1988 

II ZR 19/88

(Oberlandesgericht Karlsruhe)


Zum Tatbestand:


Beim Verholen des MS „E" an der Anlände eines Salzwerkes kam der landseitig vom Poller noch nicht gelöste Vorausdraht rack, wodurch der Poller abriss, in Richtung des Schiffes flog und den auf Deck stehenden Kläger (Schiffsjunge) am Kopf traf und schwer verletzte.


Der Kläger nimmt nur noch die Beklagte zu 2 auf Schadensersatz in Anspruch. Diese hatte die Anlände 1981 im Auftrage des Salzwerkes nach von ihr gefertigten und behördlich genehmigten Plänen umgestaltet. Die Bauarbeiten wurden auch ohne Beanstandung amtlich abgenommen. U. a. wurden an mehreren in den Flussgrund getriebenen Sturmpfählen Konsolen angebracht und auf diesen Seitenpoller aufgeschraubt (18cm hoch, Durchmesser in der Mitte 7cm). Sie wurden zum Schutz der Spundwand und der Sturmpfähle vor einer Beschädigung durch übermäßigen Trossenzug an dem Einspannzapfen mit einer Sollbruchstelle versehen, an welcher auch im Streitfall der Poller abgerissen ist. Der Kläger verlangt Schadensersatz in Geld und Feststellung der Zahlungspflicht des Beklagten zu 2 bezüglich weiterer Unfallschäden mit der Behauptung, dass die Seitenpoller nicht ausreichend dimensioniert gewesen seien und die Sollbruchstelle des Einsatzzapfens nicht die notwendige Sicherheit bei Überbeanspruchung besessen habe.


Die Beklagte zu 2 bestreitet jede Haftpflicht. Der Seitenpoller sei nach den Regeln der Technik ausgelegt gewesen. Ein Schiff von der Größe des MS "E" (1718t) habe an dem Seitenpoller nicht festmachen dürfen. Der Schiffsführer habe durch ein zu frühes Rückwärtsmanöver die ruckartige Spannung des Vorausdrahts bewirkt.
 
Das Schifffahrtsgericht hat die Klage gegen die Beklagte zu 2 dem Grunde nach zu  4/7   für gerechtfertigt erklärt, das Schifffahrtsobergericht hat sie abgewiesen. Der Bundesgerichtshof hat die Sache unter Aufhebung des Berufungsurteils an das Schifffahrtsobergericht zur anderweiten Entscheidung zurückverwiesen.


Aus den Entscheidungsgründen:


1. Nach den Ausführungen des Berufungsgerichts:
Zu berücksichtigen sei weiter der Inhalt der Empfehlungen des Arbeitsausschlusses Ufereinfassung (EAU), die den Rang von anerkannten Regeln der Technik hätten und für die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes für verbindlich erklärt worden seien. Nach deren im Streitfall maßgeblichen Fassung von 1975 hätten Seitenpoller der vorliegenden Art einem Trossenzug bis zu 100 kN standhalten müssen. Das sei nach den Darlegungen des gerichtlichen Sachverständigen Prof. P. hier der Fall gewesen. Dieser habe allerdings - gestützt auf eine DIN-Vorschrift für Stahlwasserbauten weiter eine 2,06 fache Sicherheit gegen das Abreißen der Polier verlangt, also ein Standhalten bis zu einem Trossenzug von 206 kN. Dem sei in Übereinstimmung mit der zuständigen Fachbehörde, dem Wasser- und Schifffahrtsamt H. und der Bundesanstalt für Wasserbau, K., nicht zu folgen. Die Seitenpoller seien auch nicht mit einer Fangkette gegen ein Wegfliegen zu sichern gewesen.

Eine solche Vorrichtung hätten die EAU für Uferanlagen nicht und die Richtlinien des Bundesministers für Verkehr für die Ausrüstung von Schleusen erst seit 1984 für die Schwimmpoller in den Schleusen vorgesehen. Im übrigen würde selbst bei einer unzureichenden Dimensionierung der Seitenpoller eine Haftung der Beklagten zu 2 mangels Verschuldens ausscheiden, nachdem die Anlage plangemäß errichtet, außerdem von den zuständigen Behörden genehmigt und abgenommen worden sei. Auch sei für die Beklagte zu 2 nicht ersichtlich gewesen, das die Anlage den Anforderungen eines bestimmungsgemäßen Gebrauchs nicht gerecht wurde.


2. Die Revision greift mit einer Reihe von Verfahrensrügen die Feststellung des Berufungsgerichts an, dass die Zugfestigkeit der Seitenpoller ausreichend dimensioniert gewesen sei. Die Rügen bedürfen jedoch keiner näheren Prüfung. Denn das Berufungsgericht hat für den Fall einer nicht genügenden Dimensionierung der Seitenpoller rechtlich fehlerfrei ein Verschulden der Beklagten zu 2 daran verneint.


Nach den Ausführungen des Berufungsgerichts mussten die Seitenpoller so beschaffen sein, dass sie einerseits den Zug einer Trosse bis zu einer bestimmten Stärke aushielten, andererseits aber abrissen, wenn ein übermäßiger Trossenzug den Sturmpfahl, an dem sie befestigt waren, beschädigen konnte. Unbestritten hat die Beklagte zu 2 die Seitenpoller von einem Fachunternehmen herstellen lassen, wobei es sich, wie das Schifffahrtsgericht den Bestellunterlagen entnommen hat, um ,5t- Abreißpoller’ gehandelt hat. Dagegen sind von den Genehmigungsbehörden (Regierungspräsidium S.; Wasser- und Schifffahrtsamt H.) für das Bauvorhaben weder im Genehmigungsverfahren noch bei der Abnahme der Bauarbeiten Bedenken erhoben worden. Vielmehr hat das als besonders sachkundig anzusehende Wasser- und Schifffahrtsamt H. selbst nach dem Unfall des Klägers mit Schreiben vom 20. Oktober 1982 an das Landesbergamt B. die Ansicht vertreten, dass die von der Beklagten zu 2 eingebauten ’5t-Seitenpoller’ die Mindestforderung der EAU für den möglichen Trossenzug erfüllten und ihre Auswechslung nicht gefordert werden könne. Ferner hat es in einem Schreiben an die Staatsanwaltschaft H. vom 13. Juni 1983 nochmals ausdrücklich betont, dass die Seitenpoller für die an der Anlände normalerweise auftretenden Beanspruchungen ausreichend bemessen seien und beim Bau der Festmacheinrichtungen nicht gegen technische Vorschriften und damit gegen die anerkannten Regeln der Baukunst verstoßen worden sei. Demgemäß sind die von der Beklagten zu 2 eingebauten Seitenpoller auch jetzt noch mit Billigung der Genehmigungsbehörden an den Sturmpfählen vorhanden. Unter diesen Umständen kann aber keine Rede von einem schuldhaften Verhalten der Beklagten zu 2 sein.

3. Hingegen ist es eine andere, vom Berufungsgericht bisher nur knapp berührte Frage, ob die Beklagte zu 2 nicht deshalb ein Verschulden an den schweren Verletzungen des Klägers trifft, weil sie die Seitenpoller für den Fall des Abrisses nicht mit einer Fangeinrichtung versehen hat, die deren Wegschleudern verhindert hätte. Bei einer Anlände, wie sie die S. AG betreibt, kann es erfahrungsgemäß beim Verholen oder Ablegen von in der Regel bereits ganz oder teilweise beladenen Fahrzeugen oder durch den Sog oder Druck passierender Schiffe auf die Stillieger zu einem übermäßigen Zug ihrer Befestigungsdrähte oder einzelner von ihnen kommen. Dem soll, soweit die Drähte an den Seitenpollern der Sturmpfähle festgemacht sind, ein Abriss der Polier zum Schutz der Pfähle vor Beschädigungen entgegenwirken. Deshalb ist deren an ihrem Einspannzapfen befindliche
Sollbruchstelle so beschaffen, dass die Polier bei einem übermäßigen Trossenzug abreißen und sich dieser damit nicht auf den einzelnen Sturmpfahl auswirken kann. Dabei muss es wegen des im allgemeinen stets seitlich angreifenden Trossenzuges zu einem seitlichen Wegschleudern des relativ leichten Eisenpollers (im Streitfall 5,5 kg) kommen, wodurch eine ganz erhebliche Gefahr für die in der Nähe befindlichen Personen oder Sachen eintreten kann. Es dürfte deshalb für jeden mit diesen Gegebenheiten Vertrauten nahe liegen, durch eine sichere Fangeinrichtung das Wegschleudern eines Seitenpollers beim Bruch seines Einspannzapfens zu vermeiden. Als eine solche Einrichtung bietet sich nach dem Vorbringen des Klägers an, derartige Polier mit einer Fangkette oder -leine zu versehen. Ergänzend hat er vorgetragen, dass alle fabrikmäßig zu beziehenden Abreißpoller’ mit einer derartigen Sicherung ausgestattet sind. Ferner hat der Kläger ein Prospektblatt des Herstellungsunternehmens, das die Seitenpoller an die Beklagte zu 2 geliefert hat, für Abreißpoller für 5-80t-Trossenzug’ vorgelegt. Darin heißt es u. a., dass eine, Fangkette das Abstürzen des Pollers beim Zubruchgehen der Halteschraube verhindert. Weiter wird in einer Auskunft der Bundesanstalt für Wasserbau vom 19. Oktober 1987 ausgeführt, dass in Schleusen im Bolzenfuß von den Schwimmpollern ein Fangseil eingelegt ist, das nach Abreißen der Halteschraube das Wegschleudern des Festmachers verhindert. Das alles könnte dafür sprechen, dass ein Flussbauunternehmen, wie die Beklagte zu 2, auch schon im Jahre des Umbaus der Anlände verpflichtet gewesen ist, die an den Sturmpfählen befestigten Seitenpoller mit einer Fangkette oder -leine zu versehen, so dass das Nichtanbringen einer solchen Sicherung mit den Regeln der Baukunst und den Verkehrspflichten der Beklagten zu 2 nicht zu vereinbaren gewesen wäre. Allerdings könnte sich auch in diesem Zusammenhang zugunsten der Beklagten zu 2 anführen lassen, dass sie plangerecht’ gebaut habe und die Genehmigungsbehörden das Fehlen von Fangketten oder -seilen an den Seitenpollern nicht beanstandet hätten. Indes wird hier weiter zu prüfen sein, ob das Versehen der Seitenpoller mit einer Fangeinrichtung zum Schutze von Personen oder Sachen für den Fachmann auf der Hand gelegen hat oder ob sich ihm das Anbringen einer derartigen Einrichtung auf Grund der Gegebenheiten des Falles aufdrängen musste. Möglicherweise wird es dann die Beklagte zu 2 nicht entlasten können, dass die Genehmigungsbehörden - anscheinend, weil Sicherungseinrichtungen in den maßgebenden Bauvorschriften noch nicht besonders erwähnt waren oder sie selbst die Gefahrenlage unterschätzten - das Nichtanbringen von Fangeinrichtungen nicht beanstandet haben. Damit das Berufungsgericht Gelegenheit hat, den Sachverhalt - gegebenenfalls nach Ergänzung des Parteivortrags - unter den vorstehend angesprochenen Gesichtspunkte zu prüfen, war das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit es zum Nachteil des Klägers im Verhältnis zur Beklagten zu 2 erkannt hat.

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1989 - Nr.1 (Sammlung Seite 1244 f.), ZfB 1989, 1244 f.