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248 Z - 12/91 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Date du jugement: 16.12.1991
Numéro de référence: 248 Z - 12/91
Type de décision: Urteil
Language: Allemande
Juridiction: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Section: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsätze:

1) Ein vereinbarter Begegnungskurs ist mit gehörigem Abstand einzuhalten.
2) Eine „Notmaßnahme des allerletzten Augenblicks" zur Vermeidung einer Kollision ist ohne Rücksicht auf ihre Zweckmäßigkeit nicht vorwerfbar. Schuldig ist, wer die Notsituation herbeigeführt hat.

Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

Urteil

vom 16. Dezember 1991

(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgericht St. Goar vom 10. Oktober 1990 - 4 C 12/90 BSchRh -)

Tatbestand:

Die Klägerin ist die Eignerin des MS "M" und des Schubleichters "H", der zur Zeit des noch zu schildernden Unfalles an die Seite von "M" gekoppelt war. Die Beklage zu 1) ist die Eignerin des Motorfahrgastschiffes "As"; der Beklagte zu 2) war dessen Führer. Am 29.4.1989 fuhr der Koppelverband "M" bei Emmerich beladen zu Tal. "As" fuhr zu Berg. Es herrschte Nebel, sodass beide Einheiten mit Radarhilfe fuhren. Zwischen ihnen war auf Verlangen des Bergfahrers "As" eine Begegnung Steuerbord an Steuerbord vereinbart worden. Kurz vorher oder nachher war "As" aus der linksrheinischen Stromhälfte bis dicht in die Nähe des rechtsrheinischen Ufers gefahren, wo das Schiff an einen Steiger gelegt werden sollte. Der Koppelverband hielt einen Abstand von 80-100 m. zum rechtsrheinischen Ufer. Trotzdem stiessen beide Einheiten zusammen, wobei erheblicher Schaden entstand. Jede der zusammengestossenen Einheiten wirft der anderen vor, den bisher geschilderten Kurs nach Steuerbord verlegt und dadurch die Kollision herbeigeführt zu haben. Die Klägerin macht einen Schaden von DM. 24.355,78 geltend. Eine Aufschlüsselung erübrigt sich, da die Berufungskammer zur Schadenshöhe nicht Stellung zu nehmen hat.

Es haben beantragt:

Die Klägerin,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie DM 24.355,78 nebst 8,5% Zinsen seit dem 24.4.1990 zu bezahlen und auszusprechen, dass die Beklagte zu 1) sowohl dinglich mit dem MFS "Astoria" als auch persönlich im Rahmen des Binnenschifffahrtsgesetzes hafte.

Die Beklagten,

die Klage abzuweisen.

Der geschilderte Vorfall hat zu dem Verklarungsverfahren 4 II 2/89 BSch des Schifffahrtsgerichts St. Goar geführt. Das Rheinschifffahrtsgericht hat diese Akten und diejenigen des polizeilichen Ermittlungsverfahrens die Havarie betreffend beigezogen und sodann die Klage abgewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf das Urteil verwiesen.

Die Klägerin hat Berufung bei der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt eingelegt.

Sie beantragt,

nach ihren Anträgen aus dem ersten Rechtszuge zu erkennen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Parteien wiederholen ihren Vortrag aus dem ersten Rechtszuge und nehmen zu der Begründung des ergangenen Urteils Stellung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist formell nicht zu beanstanden.

In der Sache ist sie aber aus den folgenden Gründen erfolglos.

1. Es ist unstreitig, dass die Vereinbarung der Führer der später kollidierten Schiffe, einander Steuerbord an Steuerbord zu begegnen, so rechtzeitig erfolgt ist, dass die Kurse entsprechend festgelegt werden konnten. Die Begegnung war also gefahrlos möglich. Ebenso ist unstreitig, dass Ereignisse vor der Kursabsprache die Kollision nicht beeinflusst haben. Sie bedürfen also keiner Erörterung.

2. Es steht weiter fest, dass das MFS "As" nach der Kursabsprache zunächst so gefahren ist, wie es nach der getroffenen Vereinbarung notwendig war. Das hat sogar der Führer des Koppelverbandes "M", der Zeuge L., bei seiner Vernehmung im Verklarungsverfahren bestätigt. Seine Aussage lautet: "Nach unserer ersten Kursabsprache hatte der Bergfahrer den Rhein überquert und hatte bereits geraden Kurs am rechtsrheinischen Ufer, sodass er mir nicht mehr im Wege war". Unerheblich ist deshalb, wann "As" aus der linksrheinischen Stromhälfte zum rechtsrheinischen Ufer hinübergefahren ist. In diesem Punkte stimmen die Aussagen der Besatzung von "As" nicht überein. Der Übergang erfolgte in jedem Falle so rechtzeitig, dass er die verabredete Begegnung gefahrlos möglich machte.
 
3. Der Kurs des zu Tal fahrenden Koppelverbandes lag nach der Aussage seines Kapitäns L. vor der Wasserschutzpolizei 80-100 m vom rechtsrheinischen Ufer entfernt. Er wurde nach der Begegnungsvereinbarung "etwas nach Backbord" verlegt. Zu diesem Kurs ist kritisch zu bemerken, dass er der abgesprochenen Begegnung nicht so eindeutig entsprach, wie der von "As". Der Raum zwischen dem rechtsrheinischen Ufer und dem Koppelverband war knapp, wenn man bedenkt, dass sich in ihm auch der Bergfahrer "As" zu bewegen hatte. Es hätte bei der Kursabsprache nahegelegen, den Kurs des Koppelverbandes weiter zum linksrheinischen Ufer zu verlegen, wo genügend Platz vorhanden war. Der Führer des Koppelverbandes, der Zeuge L., hat bei seiner Vernehmung durch die Wasserschutzpolizei ausgesagt, er sei "im normalen Talkurs" gefahren. Das mag sein. Angesichts der vereinbarten Begegnung war aber in erster Linie zu prüfen, ob der Kurs mit Rücksicht hierauf vertretbar war. Die Aussage des Zeugen Luiken lässt offen, ob diese Prüfung mit genügender Sorgfalt vorgenommen worden ist. Immerhin machte der geschilderte Kurs die vereinbarte Begegnung nicht unmöglich. Er war mit Rücksicht hierauf lediglich riskant.

4. Für den Ausgang des Rechtsstreites ist entscheidend, ob eine der beiden später zusammengestossenen Einheiten ihren geschilderten Kurs so verändert hat, dass der  zusammenstoss die notwendige Folge war. Dazu ist zu sagen:

a) Nach den Aussagen der Besatzung von "As" bereitete sie sich darauf vor, das Schiff an einen Steiger am rechtsrheinischen Ufer zu legen, als der Zusammenstoss erfolgte. Die Besatzung befand sich deshalb an Deck. Es besteht kein Anlass, diesen übereinstimmenden Aussagen keinen Glauben zu schenken. Die Tatsache, dass "As" am rechtsrheinischen Ufer anlegen wollte, ist unstreitig. Das gleiche gilt von seinem Kurs nahe an diesem Ufer. Unstreitig ist weiter, dass in der Nähe von "As" andere Schiffe bereits an Steigern festlagen. Das alles spricht für die Richtigkeit der Aussagen, die Besatzung von "As" sei kurz vor der Kollision bereit gewesen, am Steiger anzulegen. In dieser Situation hatte die Führung von "As" keinen Anlass, den Kurs des Schiffes nach Steuerbord zu verlegen, denn eine solche Maßnahme wäre mit dem Anlegemanöver nicht vereinbar gewesen.

b) Nun glaubt allerdings der Prozessvertreter des Koppelverbandes, eine solche Kursveränderung durch eine Handskizze beweisen zu können, die der Führer von "As", der Zeuge S., bei seiner Anhörung durch die Wasserschutzpolizei gezeichnet hat. Sie zeigt das Schiff im Zeitpunkt der Kollision auf der Höhe eines an einem Steiger liegenden Fahrgastschiffes. Weiter stromaufwärts ist ein weiterer Steiger eingezeichnet, an dem 3 Schiffe liegen. Noch weiter stromaufwärts liegt ein weiterer, nicht belegter Steiger. Nach der Skizze wäre "As" in das Dreierpäckchen hineingefahren, wenn das Schiff seinen eingezeichneten Kurs fortgesetzt hätte. Hieraus leitet der Prozessvertreter des Koppelverbandes den Zwang ab, den Kurs von "As" nach Steuerbord zu verlegen, um das Dreierpäckchen zu umfahren. Dabei wird verkannt, dass die geschilderte Skizze keinen Anspruch darauf erhebt, maßgerecht zu sein. Sie will nur in groben Strichen die Lage am rechtsrheinischen Ufer zu der Zeit der Kollision darstellen. Aus ihr können deshalb keine Schlüsse gezogen werden, die eine maßgerechte Zeichnung voraussetzen.

c) Die Prozessvertretung des Koppelverbandes ist der Ansicht, einen zur Kollision führenden Kurswechsel von "As" nach Steuerbord auch durch die Aussage des Zeugen L. im  Verklarungsverfahren beweisen zu können. Der Zeuge ist der Maschinist von "As". Nach seiner Aussage kam er kurz vor dem Anlegemanöver des Schiffes aus dem Maschinenraum an Deck, um beim Anlegen zu helfen.
 
Er ging auf der Steuerbordseite über Gangbord zum Bug. Unmittelbar nachdem er das Vorschiff erreicht hatte, sah er den Koppelverband aus dem Nebel heraus schräg auf "As" zu fahren. Er befand sich 5-10 m entfernt. "As" lag gestreckt. Kurz vor dem Zusammenstoss hat dessen Führer versucht, das Heck des Schiffes "wegzudrehen", um eine Kollision zu vermeiden. Durch dieses Ausweichmanöver, wie es der Zeuge wiederholt genannt hat, sei "As" hinter das vor ihm liegende Paket aus 3 Schiffen gedrückt worden. Die Maschine sei mit voller Kraft rückwärts gelaufen, um eine Kollision zu vermeiden. Bei einer Bewertung dieser Aussage ergibt sich, dass der Zeuge eine Notmassnahme des letzten Augenblicks geschildert hat, deren Ziel die Vermeidung einer unmittelbar bevorstehenden Kollision war. Ist sie so abgelaufen, wie der Zeuge sie geschildert hat, so musste dabei der Bug von "As" nach Steuerbord ausscheren. Das ist aber keine Kursveränderung, sondern eine Folge der geschilderten Notmassnahme. Wenn der Zeuge L. die von ihm geschilderten Maßnahmen der Führung von "As" als Ausweichmanöver bezeichnet hat, so ist dies möglicherweise nicht ganz zutreffend. Bei einer Wertung seiner Aussage darf man aber nicht bei dem genannten Wort stehen bleiben, sondern muss ihren Inhalt prüfen. Das Ergebnis ist dann nicht die Schilderung eines Kurswechsels, sondern eine Notmassnahme des allerletzten Augenblicks zur Vermeidung einer Kollision. Eine solche Maßnahme ist ohne Rücksicht auf ihre Zweckmäßigkeit nicht vorwerfbar. Sie erfolgt unter starkem Zeitdruck, der vom Zwang zum sofortigen Handeln ausgeht und Abwägungen unmöglich macht. Schuldig ist derjenige, der diese Notsituation herbeigeführt hat.

d) Es kann als durch die Aussagen von 3 Beamten der Wasserschutzpolizei im Verklarungsverfahren und durch ihren Bericht vom 29.04.1989 bewiesen angesehen werden, dass der Führer des Koppelverbandes denjenigen von "As" vor der Havarie über Funk etwa wie folgt angesprochen hat: "Wenn Du zum Steiger willst, dann fahr doch dahin". Hieraus kann aber nicht zwingend gefolgert werden, "As" habe seinen zunächst eine Kollision abschließenden Kurs nach Steuerbord hin verändert und sei so auf Havariekurs gekommen. Von einem solchen ist in der Durchsage nicht die Rede. Auch die Aussage des Zeugen Luiken vor der Wasserschutzpolizei, auf die er sich bei seiner Vernehmung im Verklarungsverfahren bezogen hat, zeigt einen solchen nicht. Nach ihr hat "As" den Kurs zur Strommitte hin verlegt, was den Zeugen veranlasste, mit seinem Koppelverbande weiter nach Backbord zu gehen. Dann erfolgte der geschilderte Zuruf über Funk. Anschließend soll dann "As" eine Kurskorrektur versucht haben, die aber die Kollision nicht mehr habe vermeiden können. Die letzte Erklärung überrascht angesichts der sonstigen Aussage. Der Koppelverband konnte dem nach Steuerbord fahrenden MFS "As" nach Backbord ausweichen. Wie, so ist zu fragen, konnte es dann zur Kollision kommen, obschon "As" auf den geschilderten Anruf hin seinen Kurs nach Backbord korrigierte? Die Aussage des Zeugen beantwortet diese Frage nicht. Die 3 vernommenen Beamten der Wasserschutzpolizei haben nur den Funkverkehr vor der Havarie mitgehört, die Ereignisse aber nicht beobachtet. Deren Ablauf kann aus dem Funkverkehr nicht erschlossen werden. Es ist deshalb eine unverbindliche Meinungsäußerung, wenn die Beamten zu dem Ergebnis kamen, nach dem Funkverkehr könne sich die Havarie eher auf die Weise ereignet haben, die der Zeuge Luiken geschildert habe. Grundlage gerichtlicher Feststellungen kann eine solche Meinungsäußerung nicht sein.
 
5. Die Führung des Koppelverbandes "M" bestreitet, dass der Schiffsführer von "As", der Zeuge S., der kein Radarschifferpatent hat, mit der Verwendung von Radar hinreichend vertraut war. Wäre das so, so hätte "As" bei dem zur Kollisionszeit herrschenden Nebel gemäß § 6.32 Nr. 2 RhSchPVO nicht fahren dürfen. Die Schuld seiner Führung an der Havarie stände dann fest. Es wird versucht, aus dem Verhalten des Zeugen S. vor der Havarie zu folgern, er sei mit der Verwendung des Radars nicht hinreichend vertraut gewesen. Dieser Versuch ist aber gescheitert. Wertet man das feststehende Verhalten des Zeugen, so spricht es für seine Vertrautheit mit der Verwendung von Radar. Er hat den Koppelverband auf eine Entfernung erkannt, die hinreichend Zeit für eine Kursabsprache und ihr entsprechende Kurse hatte. Den Kurs des eigenen Schiffes hat er rechtzeitig der Absprache gemäß verlegt. Auch die durchgeführte Beweisaufnahme hat nichts ergeben, was gegen die Eignung des Zeugen zum Umgang mit Radar spricht. Dieser hat insbesondere nicht ausgesagt, den Koppelverband erst im Radarbild gesehen zu haben, als dieser noch 500-600 m entfernt gewesen sei, sondern bei dieser Entfernung die Kursabsprache getroffen zu haben. Er hat weiter richtig gesehen, dass außer dem Koppelverband keine Talfahrt im Revier war. Insgesamt, so ist abschließend festzustellen, hat der Führer von "As" das Radargerät in einer Weise benutzt, das für seine Vertrautheit mit ihm spricht. Da außer ihm ein Inhaber eines Radarschifferpatentes im Ruderhause von "As" anwesend war, durfte das Schiff trotz des Nebels in Fahrt bleiben.

6. Zusammenfassend kommt die Berufungskammer zu dem folgenden Ergebnis. "As" war im Zeitpunkt der Kollision dicht am rechtsrheinischen Ufer in der Nähe eines Steigers, an den das Schiff gelegt werden sollte. Wenn das Schiff in dieser Position angefahren wurde, so gibt es dafür die Erklärung, dass der Koppelverband seinen ohnehin schon für eine Begegnung Steuerbord an Steuerbord knappen Kurs 80-100 m vom rechtsrheinischen Ufer entfernt noch näher an dieses Ufer verlegt hat. Warum dies geschehen ist, bedarf keiner Klärung, denn die festgestellte Tatsache genügt für die Entscheidung des Rechtsstreites. Die Schuld an der Havarie trägt die Führung des Koppelverbandes "M", weil sie einen Kurs gefahren ist, welcher nicht der vereinbarten Begegnung Steuerbord an Steuerbord entsprach. Hierin liegt ein Verstoß gegen § 6.03 Nr. 3, § 1.04 RhSchPVO.

Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:

1. Die Berufung der Klägerin gegen das am 10.10.1990 verkündete Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts St. Goar wird zurückgewiesen;

2. Das genannte Urteil wird bestätigt. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
3. Deren Festsetzung gemäß Artikel 39 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte erfolgt durch das Rheinschifffahrtsgericht St. Goar.