Decision Database

II ZR 96/72 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Decision Date: 19.11.1973
File Reference: II ZR 96/72
Decision Type: Urteil
Language: German
Court: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Department: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsatz:

Der Schiffer muß sich auf Grund seiner allgemeinen Sorgfaltspflicht und der beruflichen Übung rechtzeitig und hinreichend darüber unterrichten, ob die Schiffahrt in bestimmten Bereichen, insbesondere an schwierigen Stellen, bestimmte Kurse üblicherweise einhält.

Urteil des Bundesgerichtshofes vom 19. November 1973

II ZR 96/72

(Schiffahrtsgericht Mannheim; Schifffahrtsobergericht Karlsruhe)

Zum Tatbestand:

In der Rechtskurve bei Neckar-km 40,200 oberhalb der Schleuse Neckarsteinach stieß im linken Teil des 70 m breiten Fahrwassers das zu Berg fahrende MS R mit dem leer zu Tal kommenden, der Beklagten zu 1 gehörenden und vom Beklagten zu 2 geführten MS E zusammen. Beide Schiffe wurden erheblich beschädigt.
Die Klägerin, bei deren Rechtsvorgängerin MS R versichert war, fordert Ersatz des erstatteten, an diesem Schiff entstandenen Schadens von ca. 56000,- DM, weil der Zusammenstoß dadurch verursacht worden sei, daß der Beklagte zu 2 die Weisung des Bergfahrers zur Backbordbegegnung nicht befolgt habe.
Die Beklagten bringen demgegenüber vor, daß der Bergfahrer pflichtwidrig dem Talfahrer nicht den Weg zur Steuerbordbegegnung gewiesen habe, um dem Talfahrer gemäß Binnenschiffahrtstraßenordnung die tiefe Seite des Fahrwassers zu überlassen.
Schiffahrtsgericht und Schiffahrtsobergericht haben die Klage dem Grunde nach zur Hälfte für gerechtfertigt erklärt Auf die Revision der Klägerin ist die Klage zu 3/4 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und der Klägerin 1/4, den Beklagten 1/2 der Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt worden.

Aus den Entscheidungsgründen:

Zur Unfallzeit galt die - bei der Neufassung der Binnenschiffahrtstraßen-Ordnung im Jahre 1971 weggefallene - Vorschrift des § 38 Nr. 1 Abs. 2 BinnSchSO 1966. Danach mußten auf allen Flüssen die Bergfahrer den Talfahrern nach Möglichkeit die tiefe Seite des Fahrwassers (Grube) überlassen und ihre Fahrt zu diesem Zweck erforderlichenfalls verlangsamen oder einsteilen. Bei der Begegnung auf einer Flußstrecke mit Grube hatte daher der Bergfahrer den Begegnungskurs grundsätzlich so festzulegen, daß dem Talfahrer die tiefe Seite des Fahrwassers zur Verfügung stand (BGH VersR 1968, 392, Urt. v. 29. 1. 1968 - II ZR 205 65 -)*) Jedoch hatte der Talfahrer der Kursweisung des Bergfahrers auch dann zu folgen, wenn dieser ihm die tiefe Seite des Fahrwassers nicht überließ (BGH a.a.O.; vgl. auch BGH VersR 1964, 187, 189, Urt. v. 13. 1. 1964 - II ZR 103/62). Letzteres bedeutet jedoch nicht, wie die Revision anscheinend meint, daß ein Verstoß des Bergfahrers gegen § 38 Nr. 1 Abs. 2 BinnSchSO 1966 entfiel, wenn dem Talfahrer genügend Zeit blieb, einer mit dieser Vorschrift in Widerspruch stehenden Kursweisung des Bergfahrers nachzukommen. Denn damit, daß eine fehlerhafte Kursweisung (noch) befolgt werden kann, wird sie nicht zu einer fehlerfreien. Insoweit kann es daher die Führung des MS R nicht entlasten, daß der Talfahrer, wie das Berufungsgericht festgestellt hat, der Kursweisung des Bergfahrers „bei der gebotenen Aufmerksamkeit hätte entsprechen können".
Nun mußte aber auf einer Flußstrecke der Bergfahrer dem Talfahrer die tiefe Seite des Fahrwassers nicht stets überlassen, sondern, wie es in § 38 Nr. 1 Abs. 2 BinnSchSO 1966 heißt, nur nach MögIichkeit. Daran fehlte es, wenn es wegen der besonderen Gegebenheiten des Falles geboten war, daß der Bergfahrer die Grube für sich selbst beanspruchte (vgl. auch Kählitz, Verkehrsrecht auf Binnenwasserstraßen Anm. 6 zu § 38 BinnSchSO). Das konnte insbesondere notwendig sein, wenn sich an einer schwierigen Stelle aus Sicherheitsgründen eine ent. sprechende, von der allgemeinen Regelung des § 38 Nr. 1 Abs. 2 BinnSchSO 1966 abweichende Schiffahrtsübung gebildet hatte. Hier hätte das Befolgen dieser Vorschrift nicht zu einer Sicherung, sondern zu einer Gefährdung des Schiffsverkehrs geführt und damit Sinn und Zweck der Vorschrift in ihr Gegenteil verkehrt Dem läßt sich nicht entgegenhalten, revierfremde Schiffer hätten sich auf die Regelung des § 38 Nr. 1 Abs. 2 BinnSchSO 1966 verlassen dürfen, da sie eine hiervon abweichende Schiffahrtsübung nicht hätten kennen müssen. Das ist schon deshalb nicht richtig, weil es zu den Pflichten eines Schiffers gehört, sich darüber rechtzeitig und hinreichend zu unterrichten, ob die Schiffahrt in bestimmten Bereichen, insbesondere an schwierigen Stellen, bestimmte Kurse üblicherweise einhält. Das folgt aus der allgemeinen Grundregel für den Schiffsverkehr, wonach die Schiffsführer alle Vorsichtsmaßregeln zu treffen haben, welche die allgemeine Sorgfaltspflicht und die berufliche Übung gebieten, um gegenseitige Beschädigungen der Fahrzeuge oder Behinderungen der Schiffahrt zu vermeiden (§ 4 BinnSchSO 1966; § 1.04 BinnSchSO 1971; vgl. auch § 4 RheinSchPolVO 1954; § 1.04 RheinSchPolVO 1970).
Beurteilt man den Streitfall nach diesen Grundsätzen, so ist ein Verstoß der Führung des MS R gegen § 38 Nr. 1 Abs. 2 BinnSchSO 1966 zu verneinen. Nach der fachlichen Stellungnahme der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung vom 10. August 1967, die - ebenso wie der inhaltlich damit übereinstimmende Abschlußbericht der Wasserschutzpolizei vom 16. Juli 1967 - Gegenstand der Berufungsverhandlung war, muß die Talfahrt für die Einfahrt in das unmittelbar unterhalb der starken Rechtskrümmung auf der rechten Flußseite befindliche Oberwasser der Schleuse Neckarsteinach und für das Anlegen dort das rechte Ufer so hart wie möglich anhalten; daraus habe sich die Übung ergeben, daß die Bergfahrt die Talfahrt im Unfallbereich an der Backbordseite vorbeifahren lasse. Hierzu richtet sie, wie in dem Abschlußbericht der Wasserschutzpolizei ausgeführt ist, den Kurs nach dem Verlassen des Schleusenoberwassers hart nach Steuerbord zum linken Ufer, demnach in die tiefe Seite des Fahrwassers, damit die Talfahrt sie zeitiger wahrnehmen, an der Backbordseite vorbei und gefahrlos in das Schleusenoberwasser einfahren kann. Da sich MS R nach den Feststellungen des Berufungsgerichts in dieser Weise verhalten hat, kann seiner Führung nicht vorgeworfen werden, sie habe durch den von ihr gewählten Kurs die Bestimmung des § 38 Nr. 1 Abs. 2 BinnSchSO 1966 verletzt.
Mit Recht hat das Berufungsgericht hingegen einen schuldhaften Verstoß der Führung des MS R gegen § 38 Nr. 4 BinnSchSO 1966 angenommen. Danach müssen Bergfahrer zusätzlich das Schallzeichen „1 x kurz" geben, wenn die Vorbeifahrt des Talfahrers an Backbord stattfinden soll und zu befürchten ist, daß er die hierzu (durch Nichtzeigen der blauen Seitenflagge) gegebene Weisung nicht verstanden hat oder die Gefahr eines Zusammenstoßes besteht. Beides war hier bereits in dem Augenblick der Fall, als die Führung des MS R beim Insichtkommen des auf mindestens 400 m wahrnehmbaren Talfahrers bemerkte, daß dieser mit beigesetzter blauer Seitenflagge von der Flußmitte zum linken Ufer hin und damit in ihren Kurs fuhr. Deshalb war es falsch, daß sie das Schallzeichen „1 x kurz" erst gab, als der Talfahrer noch höchstens 100 m entfernt war und nunmehr, wie das Berufungsgericht festgestellt hat, einen gefahrlosen Kurswechsel nicht mehr vornehmen konnte.
Der Senat kann die Schuldverteilung selbst vornehmen, da alle hierfür notwendigen Tatsachen feststehen. Danach geht zu Lasten der Führung des MS R lediglich, daß sie das in § 38 Nr. 4 BinnSchSO 1966 vorgeschriebene Schallzeichen verspätet gegeben hat. Demgegenüber wirkt sich zum Nachteil des Talfahrers aus, daß seine Führung, wie die Angaben des Beklagten zu 2 vor der Wasserschutzpolizei ergeben, keine Kenntnis von den im Unfallbereich üblichen Kursen der Berg- und Talfahrt hatte und an ihrem hiervon abweichenden Kurs selbst dann noch festhielt, als ihr der Bergfahrer den Weg zu einer Backbordbegegnung wies und sie dieser Weisung ohne Gefahr hätte folgen können.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1, § 92 Abs. 1 ZPO. Eine solche kam nach der ausdrücklichen Vorschrift des § 97 Abs. 1 ZPO allerdings nur insoweit in Betracht, als die Revision und die Rechtsmittel der Parteien im Berufungsrechtszug ohne Erfolg geblieben sind. Die Entscheidung über die weiteren Rechtsmittelkosten war demnach dem Betragsverfahren vorzubehalten (vgl. Stein/Jonas, ZPO 19. Aufl. Anm. IV. 2. zu § 91 ZPO). Soweit der Senat eine hiervon abweichende Ansicht vertreten hat (vgl. Urt. v. 26. 10. 1970 - II ZR 125/69) - VersR 1971, 76, 78), wird hieran nicht festgehalten."