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II ZR 56/73 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Decision Date: 05.12.1974
File Reference: II ZR 56/73
Decision Type: Urteil
Language: German
Court: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Department: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Zu den Pflichten der Anhangschiffer, die nebeneinander gemeerte Kähne gemeinsam nachsteuern.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 5. Dezember 1974

II ZR 56/73

(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort; Rheinschiffahrtsobergericht Köln)

Zum Tatbestand:

Das dem Kläger gehörende Boot G fuhr mit 2 gemeerten Anhängen, nämlich dem der Beklagten zu 1 gehörenden, vom Beklagten zu 2 geführten Kahn GM (steuerbords) und dem der Beklagten zu 3 gehörenden, vom Beklagten zu 4 geführten Kahn L (backbords) auf dem Rhein zu Tal. Unterhalb von Emmerich hatte SK GM rechtsrheinisch starke Grundberührung und blieb auf dem dortigen Grunde liegen. Dadurch riß SK L ab, geriet gegen das Achterschiff von Schleppboot G, das durch den Strang zu SK GM festgehalten war, und beschädigte dieses Fahrzeug. Danach fiel SK GM nach Loswerfen des Schleppstranges mit dem Achterschiff über Backbord herum und kam gegen die Steuerbordseite des hinter dem Schleppzug herfahrenden MS M, das auch beschädigt wurde.
Der Kläger verlangt von den Beklagten Ersatz seines Schiffsschadens in Höhe von ca. 15 200,- DM und des den Interessenten von MS M erstatteten Havarieschadens von ca. 18600,- DM. Er behauptet, daß die beiden auf 70 m langen Strängen schleppenden Kähne dem Boot nicht richtig nachgesteuert seien, als der Schleppzug einem - der Streithelferin der Beklagten gehörenden - Koppelverband backbords in dem stark beengten Revier begegnet sei. Dadurch seien die Kähne nach Steuerbord versetzt gefahren und dem Emmericher Grund zu nahe gekommen.
Die Beklagten behaupten, die Kähne hätten stets gestreckt hinter dem Boot gelegen, das seinerseits den Koppelverband bei der Begegnung nicht genügend angehalten habe.
Rheinschiffahrts- und Rheinschiffahrtsobergericht haben die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin hatte zum Teil Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:

Dem Schleppbootführer steht kraft seines nautischen Oberbefehls die Leitung des Schleppzuges zu (§ 2 Nr. 4 RheinSchPoIVO 1954; § 1.02 Nr. 5 RheinSchPolVO 1970). Er trägt sowohl auf der Talfahrt wie auf der Bergfahrt grundsätzlich die Verantwortung für den richtigen Kurs seiner Anhänge und hat, falls auf den Anhängen nicht richtig nachgesteuert wird, diesen Fehler durch entsprechende Anweisung oder bei deren Nichtbefolgen durch geeignete Gegenmaßnahmen zu berichtigen (BGH, Urt. v. 29. 6. 59 - II ZR 3/58, LM Nr. 3 zu RheinschiffahrtspolizeiV0 v. 24. 12. 1954 = VersR 1959, 608, 611; BGH, Urt. v. 16. 6. 69 - 11 ZR 189/67, LM a.a.0. Nr. 46 = VersR 1969, 749, 750). Auch muß er den Kurs des Bootes so wählen, daß den ordnungsgemäß nachsteuernden Anhängen eine sichere Fahrt ermöglicht wird (BGH, Urt. v. 2. 3. 70 - II ZR 11/69, VersR 1970, 567, 568). Daneben sind aber auch die Anhangschiffer für den richtigen Kurs ihrer Fahrzeuge verantwortlich (BGH, Urt. v. 18.3.1965 - II ZR 138/63, VersR 1965, 455, 456). Das folgt aus § 2 Nr. 4 Abs. 2 Satz 2 RheinSchPolVO 1954, § 1.02 Nr. 5 Abs. 2 Satz 2 RheinSchPolVO 1970, wonach die Führer der Anhänge auch ohne Anweisung des Schleppzugführers alle Maßnahmen zu treffen haben, die für die sichere Führung ihrer Anhänge durch die Umstände geboten erscheinen, wie auch aus § 7 Abs. 1 BinnSchG, der bestimmt, daß der Führer des Schiffes bei allen Dienstverrichtungen die Sorgfalt eines ordentlichen Schiffers anzuwenden hat (vgl. auch BGH, Urt v. 27. 3. 58 - II ZR 338/56, LM a.a.O. Nr. 1 = VersR 1958, 392). Danach kann es für die Anhangschiffer notwendig sein, nicht unmittelbar in der Kurslinie des Bootes, sondern seitlich versetzt davon zu fahren. Das wird beispielsweise in Betracht kommen, wenn der Kurs des Bootes zu nahe neben dem anderer Fahrzeuge verläuft oder wenn es seinen Weg hart am Rande eines Grundes nimmt oder sonst an Stellen sucht, wo für die Anhänge die Gefahr einer Grundberührung besteht.

So lag es hier. SK GM war auf 2,34 m abgeladen. Bei einem Ruhrorter Pegel von 259 cm am Unfallmorgen ging damit der Kahn, wie es in dem Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts heißt, hart aufs Wasser. Das hatte neben dem Schiffer des SK GM (Beklagter zu 2) auch der Schiffer des SK L (Beklagter zu 4) beim Nachsteuern der Anhänge zu berücksichtigen. Da die Anhänge nebeneinander gemeert waren und von ihren Schiffern gemeinsam nachgesteuert wurden, oblag beiden die Pflicht, jedes Risiko für die Anhänge auszuschließen. Dazu gehörte, daß sie sich vor Fahrtantritt über die Abladetiefe des anderen Fahrzeugs unterrichteten und bei der Wahl des Kurses der Anhänge besonders auf den Tiefgang des am stärksten abgeladenen Fahrzeugs achteten, um jede Grundberührung auch dieses Fahrzeugs zu vermeiden, zumal eine solche bei der engen Verbindung der beiden Anhänge außerdem zu einer Gefährdung des weniger tief abgeladenen Fahrzeugs führen konnte. Schlug daher das Boot im Bereich des Emmericher Grundes, dessen Lage auch jeder Anhangschiffer auf dem Rhein zu kennen hat, einen Kurs ein, der, wie das Berufungsgericht ausgeführt hat, hart am Grund lag und deshalb für den tief abgeladenen, steuerbords hängenden SK GM das Risiko einer Grundberührung in sich barg, so durften sie diesem Kurs nicht einfach folgen. Vielmehr hätten sie stärker als das Boot vom Grund abbleiben, somit einen gegenüber dem Boot nach Backbord versetzten Kurs nehmen müssen.

Dem widerspricht nicht, daß Anhangschiffer im allgemeinen darauf vertrauen können, daß der von dem Boot eingeschlagene Kurs auch für. die Anhänge ohne Gefahren ist. Denn nach dem angefochtenen Urteil hat das Boot G keinen für seine Anhänge risikolosen Kurs eingehalten. Das mußten die Beklagten zu 2 und 4 als erfahrene Rheinschiffer bei gehöriger Aufmerksamkeit erkennen.

Auch läßt sich ihrer Pflicht, mit den Anhängen einen gegenüber dem Boot nach Backbord versetzten Kurs zu nehmen, nicht entgegenhalten, daß das Revier durch zahlreiche linksrheinische Ankerlieger und den neben diesen zu Berg kommenden Koppelverband der Streithelferin, möglicherweise noch durch weitere Bergfahrt, erheblich eingeengt und deshalb zu fordern war, daß die Anhänge des Schleppzuges genau hinter ihrem Boot blieben.

Denn insoweit kann nicht außer Betracht gelassen werden, daß nach den Feststellungen des Berufungsgerichts der Seitenabstand zwischen dem Schleppzug und dem Koppelverband etwa 40 m betrug.

Bei einem Seitenabstand von etwa 40 m hätten aber die Anhänge, ohne den Gegenkommer zu gefährden, ein bis zwei Schiffsbreiten gegenüber dem Boot nach Backbord versetzt fahren und damit einen Abstand zum Grund einhalten können, bei dem eine Grundberührung des SK GM vermieden worden wäre.

Danach läßt sich die Abweisung der Klage nicht aufrechterhalten. Ihr kann allerdings auch nicht, wie die Revision meint, in vollem Umfange stattgegeben werden, weil nach den rechtlich einwandfreien Ausführungen des Berufungsgerichts das Schleppboot „Geri" den Grund nicht genügend freigefahren und damit das Festkommen des SK GM mitverschuldet hat.

Trifft demnach alle drei Fahrzeuge des Schleppzuges ein Verschulden an dem Festkommen des SK GM (wodurch es sodann zu der Beschädigung des Schleppers G und des MS M gekommen ist), so sind die Eigner dieser Fahrzeuge zum Ersatz des streitigen Schadens nach dem Verhältnis der Schwere des auf jeder Seite obwaltenden Verschuldens verpflichtet (§ 92 BinnSchG a.F., § 736 Abs. 1 HGB, § 738 HGB a.F.), während sich die Schadensverteilung unter den schuldigen Schiffsführern nach § 254 Abs. 1 HGB richtet. Dabei sind die Grundsätze zu beachten, wie sie in dem Senatsurteil vom 29. Juni 1959 - II ZR 3/58 (LM a.a.O. Nr. 3 = VersR 1959, 608, 612/613) für die Schadensverteilung unter mehr als zwei schuldigen Schiffen eingehend dargestellt sind. Danach ist zunächst jeweils im Verhältnis vom Geschädigten zu jedem einzelnen Schädiger das mitwirkende Verschulden des Geschädigten und damit die Schadensersatzpflicht des Schädigers besonders festzustellen. Sodann sind die Einzelabwägungen mit einer aus der Gesamtschau gewonnenen Gesamtabwägung zu verknüpfen. Letztere bildet gleichzeitig den Verteilungsmaßstab für die Schiffseignerhaftung nach § 92 BinnSchG a.F., § 736 Abs. 1 HGB.

Im Verhältnis zwischen den Schiffsführern des Schleppbootes G und des SK GM (Beklagter zu 2) ist die Schuld mit 2:1 (2/3 : 1/3) zu verteilen. Maßgebend hierfür ist, das es in erster Linie Sache des Schiffsführers des Bootes als Führer des Schleppzuges war, durch einen richtigen Kurs für eine sichere Fahrt der Anhänge zu sorgen Auch hat der Schleppzugführer dadurch, daß er diese Pflicht verletzte, erst die Gefahrenlage geschaffen, in der sich der Schiffsführer des SK GM falsch verhielt. Dessen Mitverschulden muß jedoch mit 1/3 angesetzt werden.

Im Verhältnis zwischen den Schiffsführern des Schleppbootes G und des SK L erscheint eine Schuldverteilung von 4:1 (4/5 : 1/5) angemessen. Auch insoweit fällt der Fehler des Schleppzugführers, einen falschen Kurs gesteuert und dadurch die Gefahrenlage, in der es zu den Havarien kam, erst herbeigeführt zu haben, ganz erheblich ins Gewicht. Demgegenüber wiegt das Verschulden des Beklagten zu 4 wesentlich geringer.

Aus dem Ergebnis der beiden Einzelabwägungen mit 2:1 und 4:1 folgt für die Gesamtabwägung das Verhältnis 4:2:1. Das bedeutet, daß der Kläger 4/7 der streitigen Schäden selbst zu tragen hat, während er sie im übrigen von den Beklagten zu 2 und zu 4 ersetzt verlangen kann, von dem Beklagten zu 2 jedoch nicht mehr als 1/3 und von dem Beklagten zu 4 nicht mehr als 1/5.
Da, wie bereits erwähnt, die Gesamtabwägung von 4:2:1 gleichzeitig der Verteilungsmaßstab für die Eignerhaftung der Beklagten zu 1 und zu 3 ist, ergibt sich insgesamt folgende Schadensersatzpflicht der Beklagten:

Beklagte zu 1 zu 2/7, im Rahmen der
Beklagte zu 3 zu 1/7, §§ 4, 114 BinnSchG,
Beklagter zu 2 zu 1/3, zusammen nicht mehr
Beklagter zu 4 zu 1/5, als 3/7.

Dabei besteht zwischen den Beklagten folgende gesamtschuldnerische Haftung:

Beklagte zu 1 und zu 2 zu 2/7,
Beklagte zu 3 und zu 4 zu 1/7,
Beklagte zu 2 und zu 4 zu 1/5.

Diese gründet sich darauf, daß eine gesamtschuldnerische Haftung (§ 840 BGB) jeweils vorliegt zwischen Eigner und Schiffsführer jedes einzelnen schädigenden Fahrzeugs sowie zwischen den Schiffsführern aller schädigenden Fahrzeuge, stets allerdings nur in Höhe des niedrigsten Bruchteils der einzelnen Schadensersatzansprüche.