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II ZR 40/74 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Decision Date: 18.09.1975
File Reference: II ZR 40/74
Decision Type: Urteil
Language: German
Court: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Department: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsatz:

Jede Freizeichnung von der Haftung für anfängliche Fahruntüchtigkeit ist unwirksam, also auch dann, wenn sie auf schuldhaft verursachter falscher Beladung des Schiffes beruht.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 18. September 1975

II ZR 40/74

(Schiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort; Schiffahrtsobergericht Köln)

Zum Tatbestand:

Der Beklagte hatte mit seinem Motorschiff (102 t Tragfähigkeit) als Unterfrachtführer der Fa. V. Schnitthölzer in Amsterdam zum Transport nach Neuß und Köln übernommen. Von dem Holz staute er 50 t im Laderaum, 20 t auf Deck. Bei km 780 kam sein Schiff ins Schlingern, nahm Wasser über und verlor einen Teil der Decksladung. Die Klägerin verlangt als Ladungsversicherin einer Teilpartie Ersatz des erstatteten Schadens, nämlich für Teilverlust, Nässeschäden und einen Havarie-grosse-Beitrag, insgesamt ca. 11 000,- DM mit der Begründung, daß das Motorschiff bereits bei Reiseantritt wegen zu hoher Decksladung instabil gewesen sei. Der Beklagte bestreitet ein Verschulden. In jedem Fall sei er nach den Verlade- und Transportbedingungen der Fa. V. freigezeichnet, in denen es heiße, daß „jede Haftung der Reederei oder des Schiffers für Verlust oder Beschädigung der Güter infolge mangelhafter Stabilität ausgeschlossen" sei. Das Schiffahrtsgericht hat der Klage dem Grunde nach stattgegeben, das Schiffahrtsobergericht hat sie abgewiesen. Auf die Revision ist das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt worden.

Aus den Entscheidungsgründen:

„Nach den rechtlich einwandfreien Ausführungen des Berufungsgerichts . . . ist der Beklagte für den streitigen Ladungsschaden zumindest nach § 7 Abs. 1 und 2 BinnSchG, § 823 BGB ersatzpflichtig.


Jedoch meint es, eine Haftung des Beklagten komme deshalb nicht in Betracht, weil diese durch § 18 der Verlade- und Transportbedingungen der Fa. V. ausgeschlossen sei. Dem ist, wie die Revision mit Grund rügt, nicht zu folgen.

Nach der Rechtsprechung des Senats ist jede in allgemeinen Geschäftsbedingungen erfolgende Freizeichnung des Frachtführers, des Schiffseigners oder des Schiffers von der Haftung für die anfängliche Fahrtüchtigkeit des Schiffes grundsätzlich unwirksam (BGHZ 49, 356, 359; Urt. v. 23. 6. 66 - II ZR 81/63, VersR 1966, 871, 873; Urt. v. 25. 6. 73 - 11 ZR 72/71,- LM Nr. 49 zu Allg. Geschäftsbedingungen = VersR 1973, 1060, 1061/1062; Urt. v. 21. 4. 1975 - II ZR 163/73 zur Veröffentlichung vorgesehen; vgl. außerdem Urt. v. 2. 7. 73 - II ZR 125/71, LM a. a. O. Nr. 51 = VersR 1974, 131, 132). Das ist auch die Ansicht des Berufungsgerichts. Dennoch hält es diesen Grundsatz hier nicht für anwendbar, weil der Vorschrift des § 8 BinnSchG zu entnehmen sei, daß „eine fehlerhafte Ladung die Fahrtüchtigkeit im rechtlichen Sinne nicht berühre"; zwar entspreche § 8 Abs. 1 BinnSchG der Bestimmung des § 513 HGB; im Gegensatz zu dieser Bestimmung könne aus § 8 Abs. 1 BinnSchG aber nicht hergeleitet werden, daß auch ein Staufehler zur Fahruntüchtigkeit eines (Binnen-)Schiffes führen könne; insoweit sei zu beachten, daß § 8 Abs. 2 BinnSchG weitere Dienstobliegenheiten des Schiffers für das Laden aufzähle, was nicht erforderlich wäre, wenn § 8 Abs. 1 BinnSchG diese bereits begründe; auch erwähne § 8 Abs. 4 BinnSchG nicht die in § 8 Abs. 2 aufgeführten Dienstobliegenheiten des Schiffers, was ebenfalls dafür spreche, daß das Binnenschiffahrtsgesetz den Begriff „Fahrtüchtigkeit" enger verstanden wissen wolle als die seerechtlichen Bestimmungen.

Diesen Ausführungen ist entgegenzuhalten: Die Rechtsprechung des Senats zur Frage der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit einer formularmäßigen Freizeichnung von der Haftung für die anfängliche Fahrtüchtigkeit eines Schiffes beruht vor allem auf dem Gedanken, daß der Antritt der Frachtreise mit einem fahrtüchtigen Schiff für die ordnungsgemäße Erfüllung des Frachtvertrags von überragender Bedeutung und deshalb eine derartige Freizeichnung nicht mit Treu und Glauben zu vereinbaren ist. Da die Fahrtüchtigkeit eines Schiffes - d. h. seine Fähigkeit, die gewöhnlichen Gefahren der geplanten Reise zu bestehen (vgl. Mittelstein, Deutsches Binnenschiffahrtsrecht 2. Aufl. Bd. 1 BSchG § 8 Anm. 2 sowie Vortisch/Zschucke, Binnenschiffahrts- und Flößereirecht 3. Aufl. BSchG § 8 Anm. 2) - nicht nur durch Mängel des Schiffes selbst, sondern auch durch falsches Beladen beeinträchtigt sein kann, ist nicht einzusehen, weshalb die Zulässigkeit einer formularmäßigen Haftungsfreizeichnung für den zweiten Fall anders als für den ersten beurteilt werden soll. Auch gibt § 8 BinnSchG zu diesem Punkte nichts her. Selbst wenn diese Vorschrift den Begriff „Fahrtüchtigkeit" in einem engeren als dem vorbeschriebenen Sinne verwenden würde, so könnte das die unter ganz anderen rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfende Freizeichnungsfrage nicht oder nur kaum berühren. Überdies trifft die - auch von Vortisch/Zschucke a.a.O. und von Mittelstein (Das Recht der Binnenschiffahrt S. 81) vertretene - Ansicht nicht zu, daß zur Fahrtüchtigkeit eines Schiffes im Sinne von § 8 BinnSchG nicht dessen ordnungsgemäße Einrichtung, Ausrüstung, Bemannung und Beladung gehöre. Zwar heißt es in § 8 Abs. 1 BinnSchG, der Schiffer habe vor Antritt der Reise darauf zu sehen, daß das Schiff in fahrtüchtigem Zustande, gehörig eingerichtet und ausgerüstet sowie hinreichend bemannt ist. Auch wird in § 8 Abs. 2 BinnSchG weiter bestimmt, der Schiffer habe für die gehörige Stauung der Ladung sowie dafür zu sorgen, daß das Schiff nicht schwerer beladen wird, als die Tragfähigkeit desselben und die jeweiligen Wasserstandsverhältnisse es gestatten. Damit steht jedoch der Begriff „Fahrtüchtigkeit" nicht im Gegensatz zur ordnungsgemäßen Einrichtung, Ausrüstung, Bemannung oder Beladung des Schiffes. Vielmehr liegt insoweit nur die beispielhafte Aufzählung einzelner, besonders bedeutsamer Dienstobliegenheiten des Schiffers im Rahmen seiner allgemeinen Sorgfaltspflicht (vgl. § 7 BinnSchG) vor. Das wird dadurch verdeutlicht, daß diese Obliegenheiten jeweils verschiedene Gebiete betreffen und ihr gemeinsamer Berührungspunkt allein darin besteht, daß die Verletzung einzelner von ihnen auch die Fähigkeit des Schiffes beseitigen kann, die gewöhnlichen Gefahren der geplanten Reise zu bestehen. Mit einer Einschränkung des Begriffs „Fahrtüchtigkeit" hat das aber alles nichts zu tun. Eine solche folgt auch nicht aus § 8 Abs. 4 BinnSchG. Die Vorschrift („Für die Fahrtüchtigkeit des Schiffes bei Antritt der Reise haftet den in § 7 Abs. 2 bezeichneten Personen auch der Schiffseigner persönlich, nicht nur mit Schiff und Fracht") besagt überhaupt nichts über den Inhalt des Begriffs „Fahrtüchtigkeit". Sie kann daher zu dessen Ausfüllung nicht herangezogen werden. Im übrigen wäre es gerade hier unverständlich, weshalb die erweiterte Haftung des Schiffseigners nicht auch in den Fällen eintreten soll, in denen die Fahruntüchtigkeit des Schiffes darauf beruht, daß es nicht gehörig eingerichtet oder ausgerüstet oder nicht ordnungsgemäß bemannt oder beladen ist (folgen Hinweise auf die Entstehungsgeschichte des § 8 - s. hierzu die Entscheidungsgründe oben in Sachen II ZR 164/73).