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II ZR 191/78 - Bundesgerichtshof (-)
Decision Date: 26.11.1979
File Reference: II ZR 191/78
Decision Type: Urteil
Language: German
Court: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Department: -

Leitsatz:

Der Kapitän eines Seeschiffes kann sich - ebenso wie der Schiffsführer eines Binnenschiffes - in der Regel auf haftungsbeschränkende oder haftungsausschließende Klauseln der Reederei in der Chartepartie (hier: Klausel 14 der Deutzeit-Charter) berufen. Das gilt auch für einen Reeder-Kapitän, der wegen Beschädigung der Ladung durch einen nautischen Fehler bei der Führung des Schiffes in Anspruch genommen wird.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 26. November 1979

 (Schifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort; Schifffahrtsobergericht Köln)

Zum Tatbestand:

Die Fa. Tr. hatte von der Fa. D. den „Versandauftrag" erhalten, Baumaterial mit Küstenmotorschiffen von Rheinhäfen nach Lulea (Schweden) zwecks Errichtung einer Hochofenanlage zu befördern. Tr. schaltete die Streithelferin zu 1, diese die Streithelferin zu 2 ein, die ihrerseits das KMS „FH" vom Beklagten charterte. Das Schiff, dessen Kapitän und Reeder der Beklagte war, kollidierte unmittelbar nach Antritt der Reise mit starkem Wassereinbruch, wodurch Ladungsschäden in Höhe von ca. 663 000,-- DM entstanden.
Die Klägerin als Transportversicherin verlangt aus abgetretenem Recht wegen hälftigen Mitverschuldens des Beklagten von diesem etwa 331 500,- DM Schadensersatz.
Der Beklagte und die beiden Streithelfer berufen sich auf Freizeichnung vom nautischen Verschulden.
Das Schifffahrtsgericht hat den Klageanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, das Schifffahrtsobergericht hat die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin blieb erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

„Die Revision hat keinen Erfolg.


I. Soweit die Klägerin den Klageanspruch auf § 485 HGB stützt, verkennt sie, dass die Vorschrift nur die Haftung des Reeders für fremdes Verschulden regelt, wogegen es im Streitfall um ein Eigenverschulden des Beklagten geht.


II. Eben sowenig kommen die §§ 511, 512, 606, 607 HGB als Grundlage für den Klageanspruch in Betracht. Diese Bestimmungen befassen sich mit der Haftung des Kapitäns beziehungsweise des Verfrachters gegenüber den Ladungsbeteiligten . Die D. war aber im Verhältnis zu den mit ihr in keinen frachtvertraglichen Beziehungen stehenden Beklagten kein Ladungsbeteiligter (Befrachter), und zwar auch nicht, was dessen Stellung als Kapitän des KMS „FH" angeht.


III. Entgegen der Ansicht der Klägerin vermag § 823 BGB der Klage ebenfalls nicht zum Erfolg zu verhelfen. Zwar hat der Beklagte durch ein nautisches Verschulden die im Eigentum der D. stehende Ladung erheblich beschädigt. Jedoch ist er von der Haftung hierfür freigezeichnet.

1. Die D. und Tr. hatten für die Beförderung des Baumaterials mit Küstenmotorschiffen vereinbart, dass „neben den ADSp die Bedingungen der Gencon C/P sowie die Bedingungen der am Transport beteiligten Unternehmer gelten". Diese Abrede ist nach den rechtlich fehlerfreien Ausführungen des Berufungsgerichts ein Vertrag zu Gunsten Dritter (§ 328 BGB), nach dem sich die mit der Transportdurchführung befassten weiteren Unternehmen gegenüber der D. jeweils auf ihre eigenen Bedingungen berufen können (vgl. auch Senatsurteil vom 21. Oktober 1971 - II ZR 157/69  ), LM Allg. Geschäftsbedingungen Nr. 37 = VersR 1972, 40 f.), soweit es sich um im Seefrachtgeschäft übliche Bedingungen handle, wozu „anerkanntermaßen auch die Freizeichnung von Ladungsschäden gehöre". Wieso diese Abrede, wie die Revision meint, keinen bestimmbaren Inhalt haben soll, ist nicht ersichtlich. Auch geht es hier nicht um die Frage, ob der Letztverfrachter, der keine eigenen Transportbedingungen hat, dem Erstbefrachter haftungseinschränkende Klauseln der Beförderungsbedingungen des Erstverfrachters mit Erfolge, entgegenhalten kann (vgl. insoweit Senatsurteil vom 7. Juli 1960 - II ZR 209/58), LM a.a.O. Nr. 11 = VersR 1960, 727 f und vom 28. April 1977 - II ZR 26/76), LM a.a.O. Nr. 79 = VersR 1977, 717 f.).

2. Die „Bedingungen" des Beklagten sind in dem Zeitfrachtvertrag enthalten, den er mit Streithelferin zu 2 abgeschlossen hat. Für diesen haben die Vertragsparteien ein vorgedrucktes Formu¬lar (Name: „Deutzeit") benutzt, das in Deutschland vielfach verwendet wird und bei dem es sich um die deutsche Übersetzung der - von der Baltic and White Sea Conference entworfenen - „Baltime C/ P" (Fassung 1912) handelt (vgl. Trappe, Neuere Entwicklungen im Charterrecht des Seeverkehrs S. 6 -Heft 21 der Reihe A der Schriften des deutschen Vereins für internationales Seerecht). In dem Formular befinden sich eine Reihe von für Zeitfrachtverträge typischen Klause1n. Sie sind die Bedingungen" dies Beklagten im Sinne des zwischen der D. und Tr. geschlossenen Vertrages.

3. a) Klausel 14 („Haftungsbeschränkungen") der Deutzeit-Charter und damit der Bedingungen des Beklagten  lautet:
„Unter diesem Vertrag ist die Reederei nicht verantwortlich für Verluste oder Schäden, die an der Ladung  durch die folgenden Ursachen entstehen:... durch Kollisionen, ... durch Nachlässigkeit, Fehler oder Irrtum des Lotsen, des Kapitäns oder der Mannschaft oder anderer in unmittelbaren oder mittelbaren Diensten der Reederei stehenden Personen oder durch Fehler in der geschäftlichen oder nautischen Leitung des Dampfers".
b) Die Klausel verstößt nicht gegen die zwingende Haftungsregelung des § 662 HGB, da die Vorschrift auf Charterpartien nicht anzuwenden ist (§ 663 Abs. 2 Nr. 4 HGB).
c) Das Berufungsgericht hat die Klausel dahin ausgelegt, dass sie den Beklagten von der Verantwortung für den Schaden der D. als Reeder u n d als Kapitän des KMS „FH" freistelle.
d) Der Senat kann die Auslegung der Klausel durch das Berufungsgericht uneingeschränkt nachprüfen (vgl. Senatsurteil vom 18. März 1971 - II ZR 94/69 "), LM HGB § 511 Nr. 1 = VersR 1971, 559, 560).
Er stimmt dessen Ansicht zu, dass die Klausel den Beklagten auch von der Haftung dafür freigestellt, dass er als Kapitän des KMS „FH" das Eigentum der D. durch einen nautischen Fehler verletzt hat. Bei den vielfach großen Werten der Ladung eines Schiffes können Schadensersatzansprüche wegen der Beschädigung oder des Verlusts derselben außergewöhnlich hoch sein. Soweit sie sich gegen ein Besatzungsmitglied richten, übersteigen sie daher fast immer dessen finanzielle Leistungskraft, zumal sich das Entgelt für die Tätigkeit der Besatzung in der Regel nicht an den Risiken orientiert, die mit den von ihr zu bewältigenden Aufgaben verbunden sind. Zum Schutze der Schiffsbesatzung drängen sich damit haftungsbeschränkende oder -ausschließende Klauseln besonders auf. Dem wird seitens der Reeder dadurch Rechnung getragen, dass sie derartige Klauseln in die Bedingungen der Chartepartien oder der Konnossemente aufnehmen, so insbesondere durch das Einfügen der sog. Himalaya-Klausel, die auf einen Schadensfall aus dem Jahre 1954 zurückgeht (vgl. Schaps/Abra-ham, Seerecht 4. Aufl. Seehandelsrecht Anh II § 663 b Rnr. 59 f. sowie Prüssmann, Seehandelsrecht § 663 Anm. D 2). Daran fehlt es allerdings bei der Deutzelt-Charter. Jedoch folgt daraus nicht, dass die Besatzung eines Schiffes, das unter einer solchen Charter fährt, für einen von ihr verschuldeten Schaden an der Ladung uneingeschränkt haftet. Hier greift nämlich - Jedenfalls bei der Anwendung deutschen Rechts - der Gedanke ein, dass auch Dritte sich auf haftungsbeschränkende oder -ausschließende Klauseln berufen können, wenn der Vertragszweck (vgl. § 328 Abs. 2 BGB) oder die Interessenlage es naheliegend, vernünftig und sachgerecht erscheinen lassen, dass die Klauseln ihnen ebenfalls zugute kommen sollen. Hiervon ausgehend hat der Senat schon mehrfach bei Binnenschiffstransporten ausgesprochen, dass Klauseln, welche die Haftung des Frachtführers oder des Schiffseigners beschränken oder ausschließen, im allgemeinen auch zu Gunsten des Schiffsführers wirken (Urteil vom 7. Juni 1960 - II ZR 209/ 58 ), LM Allg. Geschäftsbedingungen Nr. 11 = VersR 1960, 727, 729 und vom 28. April 1977 - II ZR 26/76 ), LM a.a.O. Nr. 79 = VersR 1977, 717/718; vgl. ferner Urteil vom 21. Januar 1971 - II ZR 147/68), LM a.a.O. Nr. 33 = VersR 1971, 412/413). Das setzt nicht, wie die Revision unter Hinweis auf das (übrigens einen Seefrachtvertrag betreffende) Senatsurteil vom 9. Juli 1973 - 1 1 ZR 86/71), LM § 612 HGB Nr. 4 = VersR 1973, 1038, 1039/ 1040 meint, voraus, dass es innerhalb des in Frage stehenden Verkehrskreises üblich ist, die Haftung der Besatzung entsprechend der des Frachtführers oder des Schiffseigners zu beschränken. Vielmehr heißt es in der Entscheidung lediglich, dass das Bestehen einer solchen Übung es besonders gebieten kann, bei der Auslegung von haftungsbeschränkenden oder -ausschließenden Klauseln § 328 BGB zu Gunsten der Schiffsbesatzung heranzuziehen. Auch kann der Revision nicht gefolgt werden, soweit sie meint, dass die Frage der Freizeichnung zu Gunsten der Schiffsbesatzung auf dem Gebiete des Seefrachtrechts anders als bei Transporten auf Binnengewässern zu behandeln sei. Dort (und das zeigt gerade die Schaffung der sog. Himalaya-Klausel) wie hier wird es gleichermaßen für notwendig angesehen, die Haftung der Besatzung zumindest entsprechend der des Verfrachters/ Frachtführers oder des Reeders/ Schiffseigners zu beschränken. Zudem wäre ohne eine solche Beschränkung diejenige des Verfrachters/Frachtführers oder des Reeders/Schiffseigners wegen des arbeitsrechtlichen Anspruchs der Besatzung auf Freistellung von Schadensersatzansprüchen Dritter im Ergebnis vielfach sinnlos, wobei auch das für den Befrachter, der haftungsbeschränkende oder -ausschließende Klauseln einer Chartepartie oder eines Konnossements akzeptiert, erkennbar ist.
Nun geht es im Streitfall aber nicht nur darum, ob sich die Besatzung eines unter der Deutzeit-Charter fahrenden Schiffes auf die Haftungsbeschränkungen der Klausel 14 berufen kann, sondern ob diese auch einem Reeder, soweit er selbst als Mitglied der Besatzung, nämlich als Kapitän, tätig geworden ist, zugute kommt. Das ist ebenfalls zu bejahen. Entscheidend hierfür ist, dass die Klausel sonst für den Reeder-Kapitän weitgehend bedeutungslos wäre, außerdem kein Anhalt dafür besteht, dass sie den Reeder, der sein Schiff nicht selbst führt, haftungsmäßig besser stellen will als den Reeder-Kapitän. Für die Interessen der Befrachter spielt die Gleichbehandlung von Reeder-Kapitän und angestelltem Schiffsführer ohnehin keine wesentliche Rolle, da sie sich in aller Regel vor den Risiken der Beförderung durch den Abschluss einer Transportversicherung schützen und seit langem die weitgehenden, sich aber zu Gunsten niedriger Frachtraten auswirkenden, Haftungsbeschränkungen oder -ausschlüsse auf der Verfrachter/ Reederseite hinnehmen."