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II ZR 163/78 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Decision Date: 13.03.1980
File Reference: II ZR 163/78
Decision Type: Urteil
Language: German
Court: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Department: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsätze:

1) Das Wattenmeer ist kein Binnengewässer. Deshalb ist ein Schwimmbagger, der bestimmungsgemäß auf Binnengewässern und auf See verwendet wird, während des Einsatzes im Wattenmeer haftungsrechtlich als Seeschiff zu behandeln.
2) Zur Frage, wann der Reeder die Erfüllung eines Anspruchs besonders gewährleistet hat (§ 486 Abs. 4 Satz 1 HGB).

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 13. März 1980

 II ZR 163/78

(Landgericht Hamburg; Oberlandesgericht Hamburg)

Zum Tatbestand:

Die Klägerinnen hatten die Verlegung einer Erdgasleitung im Wattenmeer zwischen der Insel Juist und Emden übernommen und für die Naßbaggerarbeiten durch Subvertrag die Beklagte eingeschaltet, die hierfür den ohne eigene Antriebsmaschine arbeitenden Saugbagger U charterte.
Beim Ausbringen eines Ankerpfahles, mit dessen Hilfe sich der Bagger durch Heranziehen fortbewegen konnte, beschädigte er ein Unterwasserstromkabel. Von dem Gesamtschaden von fast 670 000,- DM haben die Versicherer des Baggers nur etwa 99 000,- DM erstattet. Die Klägerinnen fordern den Differenzbetrag von ca. 571 000,- DM.
Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung; sie hält die Forderung auch für übersetzt. Außerdem sei die Haftung gemäß §§ 486 f. HGB auf eine weniger als 99000,- DM betragende Summe beschränkt. Auf Antrag der Beklagten hat das Amtsgericht während des erstinstanzlichen Verfahrens die Haftsumme auf etwa 85800,- DM festgesetzt und das seerechtliche Verteilungsverfahren eröffnet.
Nach Ansicht der Klägerinnen ist der Bagger kein Seeschiff und daher die Haftung nicht beschränkbar, so daß der Rechtsstreit auch nicht nach § 8 Abs. 2 SeeVert.O. unterbrochen werden könne. Ferner habe die Beklagte die Erfüllung der Klageforderung besonders gewährleistet.
Das Landgericht hat dem Klageantrag - ohne Haftungsbeschränkung - dem Grunde nach entsprochen. Das Berufungsgericht hat die Klage gleichfalls dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, aber die Beschränkbarkeit gemäß
§§ 486, 487 HGB anerkannt. Die Revision wurde zurückgewiesen, soweit das Berufungsgericht eine Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von ca. 571 000,- DM außerhalb des seerechtlichen Verteilungsverfahrens verneint hatte. Das Urteil wurde jedoch aufgehoben und der Rechtsstreit als unterbrochen erklärt, soweit er nicht die Haftung außerhalb des seerechtlichen Verteilungsverfahrens betrifft.

Aus den Entscheidungsgründen:

„I. Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist der Rechtsstreit durch die Eröffnung des Verteilungsverfahrens nicht gemäß § 8 Abs. 2 SeeVertO unterbrochen worden.

Zu diesem Punkte ist zu bemerken:

1. Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SeeVertO nehmen an dem Verteilungsverfahren alle Gläubiger von Ansprüchen teil, für welche die Haftung durch die Eröffnung des Verteilungsverfahrens beschränkt worden ist. Diese Ansprüche können - im Interesse einer gleichmäßigen Befriedigung dieser Gläubiger (vgl. § 23 SeeVertO) - nur nach den Vorschriften des Verteilungsverfahrens verfolgt werden (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SeeVertO). Um das sicherzustellen, bestimmt § 8 Abs. 2 SeeVertO, daß Rechtsstreitigkeiten wegen der in Absatz 1 genannten Ansprüche, die bei der Eröffnung des Verteilungsverfahrens anhängig sind, mit dem Erlaß des Eröffnungsbeschlusses unterbrochen werden, bis sie nach § 19 SeeVertO, also erst nach Erörterung und Bestreiten eines Anspruchs im Prüfungstermin (§ 19 Abs. 2 und 3), aufgenommen werden oder bis das Verteilungsverfahren aufgehoben oder eingestellt wird.

2. Nun gibt es Fälle, in denen der Gläubiger eines Anspruchs, der aus der Verwendung eines Schiffes entstanden ist, meint, der Schuldner könne seine Haftung nicht nach § 486 Abs. 1 HGB beschränken, weil es an den Voraussetzungen für eine Anwendung dieser Vorschrift fehle oder eine der Ausnahmen des § 486 Abs. 2 bis 4, § 487 Abs. 2 HGB gegeben sei. Streitet er darüber mit dem Schuldner im Zeitpunkt der Eröffnung des Verteilungsverfahrens im Rahmen eines Prozesses, so kann er diesen über die Frage der Haftungsbeschränkung ohne weiteres fortsetzen, wenn er klarstellt, daß er den Schuldner für die Forderung außerhalb des Verteilungsverfahrens in Anspruch nimmt. Das zeigt die Regelung des § 24 Satz 2, § 25 Satz 1 SeeVertO, wonach der Streit, ob der Schuldner für einen Anspruch unbeschränkt und damit außerhalb des Verteilungsverfahrens haftet, im ordentlichen Prozeß auszutragen ist.

3. Hier streiten die Parteien sowohl über die Beschränkbarkeit der Haftung der Beklagten als auch über den Grund und die Höhe der Schadensersatzforderung der Klägerinnen. Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem Berufungsantrag der Beklagten. Mit diesem wird lediglich deutlich, daß Kernpunkt des Streits der Parteien im Berufungsrechtszug - und nunmehr im Revisionsverfahren - die Frage der Haftungsbeschränkung der Beklagten ist, während der Streit zur Verjährungsfrage und zur Höhe der Schadensersatzforderung der Klägerinnen zunächst in den Hintergrund getreten ist.

II.

1. Nach Ansicht des Berufungsgerichts kann die Beklagte ihre Haftung für den mit der Klage verfolgten, aus der Verwendung des Schwimmbaggers entstandenen Schadensersatzanspruch nach den §§ 486 f HGB beschränken, da es sich bei dem Bagger um ein Seeschiff handle. Demgegenüber meint die Revision, der Bagger sei überhaupt kein Schiff, sondern eine reine Arbeitsmaschine; außerdem umfasse die Regelung der §§ 486 f HGB nur die Haftung für Fahrzeuge, die dem Seehandel dienten; im übrigen komme eine Haftungsbeschränkung der Beklagten nach den §§ 486 f HGB auch deshalb nicht in Betracht, weil ein Schwimmbagger, der, wie hier, nicht auf hoher See, sondern lediglich im Wattenmeer eingesetzt gewesen sei, allenfalls als Binnenschiff betrachtet werden könne. Dem ist in keinem Punkte zu folgen:

a) Der Schneidkopfspüler Utrecht' besitzt einen etwa 50 m langen und mehr als 11 m breiten pontonförmigen Schwimmkörper. Er ist zur Fortbewegung auf dem Wasser bestimmt und wird dementsprechend auch verwendet. Er ist deshalb als Schiff anzusehen, mag er auch über keine eigene Antriebsmaschine verfügen (vgl. BGH, Urt. v. 14. 12. 51 - 1 ZR 84/51, LM § 4 BinnSchG Nr. 3 = NJW 1952, 1135; Schaps/Abraham aaO Vor § 476 Rnr. 1 f; Vortisch/Zschucke, Binnenschiffahrts- und Flößereirecht 3. Aufl. BSchG § 1 Anm. 2).

b) Die Vorschriften der §§ 486 f HGB gelten nicht nur für die im Seehandel eingesetzten Fahrzeuge, sondern für jedes zum Erwerbe durch die Seefahrt dienende Schiff (vgl. § 484 HGB).

c) Nach dem von der Beklagten vorgelegten Prospekt, dessen Inhalt unbestritten ist, wird der Schwimmbagger U bestimmungsgemäß auf See und auf Binnengewässern verwendet. Für ein solches Fahrzeug beantwortet sich die Frage, ob er haftungsrechtlich als See- oder als Binnenschiff einzuordnen ist, nach dem Charakter der jeweiligen Reise oder, wo eine solche noch nicht angetreten oder schon beendet ist, nach dem Einsatz- oder Liegeort (vgl. SenUrt. v. 17. 4. 78 - II ZR 6/76 1), VersR 1978, 712, 713). Hier war der Bagger im Wattenmeer zwischen der Insel Juist und dem Festland eingesetzt. Deshalb ist er als Seeschiff zu behandeln. Zwar läßt sich weder dem Binnenschifffahrtsgesetz noch den seerechtlichen Vorschriften des Handelsgesetzbuches unmittelbar entnehmen, ob das Wattenmeer als Binnengewässer oder als See anzusehen ist. Auch gibt es Stimmen, welche das Wattenmeer zu den Binnengewässern rechnen (Schaps/Abraham aaO Vor § 476 Rnr. 12; Wüstendörfer, Neuzeitliches Seehandelsrecht 2. Aufl. S. 45; Schlegelberger/ Liesecke, Seehandelsrecht S. 6; Brockhaus, Enzyklopädie 17. Aufl. Stichwort: Binnengewässer). Indes widerspricht es natürlicher Betrachtungsweise, ein Gewässer, das sich, wie das Wattenmeer, vollständig vor der Festlandküste befindet, nicht als See zu betrachten, mag es auch zur Hohen See selbst noch nicht gehören. Hinzu kommt, daß sich eine Zuordnung des Wattenmeers zum Kreis der Binnengewässer nicht mit der Festlegung der geographischen Grenzen zwischen der See- und der Binnenschiffahrt durch § 1 der Dritten Durchführungsverordnung vom 3. August 1951 - BGBI. 1 155 zum Flaggenrechtsgesetz vom 8. Februar 1951 - BGBI. 1 79 vereinbaren läßt (vgl. ferner § 1 der Verordnung über die Sicherung der Seefahrt vom 15. Dezember 1956 - BGBI. 11 1579; § 1 des Gesetzes über die Küstenschiffahrt vom 26. Juli 1957 - BGBI. 11 738; § 1047 RVO).

d) Die Beklagte hat in der Revisionsverhandlung vortragen lassen, daß die Frage, ob es sich bei dem Schwimmbagger U um ein See- oder um ein Binnenschiff handle, durch die Eröffnung des Verteilungsverfahrens in dem ersten Sinne bindend entschieden sei. Dem ist nicht zuzustimmen. Sicher hat das Amtsgericht Hamburg mit der Eröffnung des Verteilungsverfahrens inzidenter den Charakter des Schwimmbaggers als Seeschiff bejaht. Daß daraus aber eine Bindung des Prozeßgerichts in diesem Punkte folgen soll, entbehrt jeder rechtlichen Grundlage. Auch spricht gegen eine solche Bindung, daß die Eröffnung des Verteilungsverfahrens ohne vorherige Anhörung der Gläubiger erfolgt und der Eröffnungsbeschluß auch gegenüber solchen Gläubigern unanfechtbar ist, die innerhalb der Erinnerungsfrist des § 12 Abs. 4 Satz 2 und Abs. 3 SeeVertO keine Kenntnis von dem Eröffnungsbeschluß erlangen konnten.

2. Nach Ansicht des Berufungsgerichts kommt die Regelung des § 486 Abs. 4 Satz 1 HGB hier nicht zum Zuge, wonach der Reeder seine Haftung nicht beschränken kann, wenn er die Erfüllung des Anspruchs besonders gewährleistet hat (und die nach § 487 Abs. 1 Nr. 1 Abs. 2 Satz 1 HGB für den Charterer entsprechend gilt). Auch in diesem Punkte ist der gegenteiligen Meinung der Revision nicht zu folgen.
Seit der Neugründung der Reederhaftung haftet dieser (der Reeder) für Ansprüche Dritter stets persönlich. Jedoch kann er die Haftung für vertragliche und außervertragliche Ansprüche auf Ersatz von Personen- oder Sachschäden beschränken, sofern die Ansprüche aus der Verwendung des Schiffes entstanden sind (§ 486 Abs. 1 HGB n. F.). Allerdings entfällt diese Möglichkeit, wenn er die Erfüllung des Anspruchs besonders gewährleistet (§ 486 Abs. 4 Satz 1 HGB n. F.), d. h. ausdrücklich oder stillschweigend gegenüber dem Anspruchsberechtigten auf eine Haftungsbeschränkung verzichtet hat.
Hier haben die Parteien in Nr. 7.3 des Subunternehmervertrages bestimmt, daß die Beklagte während der ganzen Bauzeit die Verantwortung für alle Unfälle und Schäden trägt, die durch Fahrlässigkeit entstehen, sowie für alle Ansprüche, die aus solchen Anlässen von irgend jemand gestellt werden. Diese Bestimmung hat das Berufungsgericht dahin ausgelegt, daß sie einen Verzicht der Beklagten auf die Beschränkung ihrer Haftung hinsichtlich der streitigen Schadensersatzforderung nicht enthalte. Dagegen läßt sich aus Rechtsgründen nichts einwenden.
So hat das Berufungsgericht nicht, wie die Revision in der mündlichen Verhandlung in erster Linie gerügt hat, für die Auslegung des Subunternehmervertrages einen falschen Ausgangspunkt gewählt. Folgt man nämlich der Revision dahin, daß bei Abschluß des Subunternehmervertrages - wegen der Einordnung des Wattenmeeres als Binnengewässer im Schrifttum - eine Haftungsbeschränkung der Beklagten nach den §§ 486 f HGB und damit ein Verzicht derselben auf diese Möglichkeit ernsthaft nicht in Betracht kam, so war es trotzdem nicht rechtsfehlerhaft, daß das Berufungsgericht die Frage eines in diese Richtung gehenden Verzichts der Beklagten anhand des Subunternehmervertrages geprüft hat. Insoweit übersieht die Revision, daß bei Binnenschiffen die Haftung von Eigner und Ausrüster für ein Besatzungsverschulden sogar von vornherein (auf Schiff und Fracht) beschränkt ist (§§ 1, 2, 4 BinnSchG) und sich deshalb bei einer Einordnung des Schwimmbaggers Utrecht' in den Kreis der Binnenschiffe zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses erst recht die Frage nach einem Verzicht der Beklagten auf eine mögliche Haftungsbeschränkung ergab, zumal deren Stellung gegenüber dem Schwimmbagger jedenfalls nach dem Subunternehmervertrag auch die eines Eigners oder eines Ausrüsters sein konnte.

III. Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, daß die Klägerinnen die Beklagte außerhalb des Verteilungsverfahrens nicht in Anspruch nehmen können. Deshalb ist die Klage, soweit sie auf eine Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 571 216,44 DM nebst Zinsen und Mehrwertsteuer außerhalb des Verteilungsverfahrens gerichtet ist, unbegründet. Da das Berufungsgericht, wie sich aus dem Sinn der Urteilsformel und dem Zusammenhang seiner Entscheidungsgründe ergibt, insoweit die Klage abgewiesen hat, erweist sich die Revision als unbegründet. Ferner folgt aus den Darlegungen oben unter Ziff. 1 und II, daß der Rechtsstreit, soweit es darin um die Verjährungsfrage und die Höhe der Klageforderung geht, durch die Eröffnung des Verteilungsverfahrens unterbrochen worden ist. Das ist - unter Aufhebung des von dem Berufungsgericht im Rahmen der §§ 486 f HGB erlassenen Grundurteils (vgl. § 249 Abs. 3 ZPO) - klarzustellen. Auch steht der Aufhebung nicht, wie die Revision in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, das Verbot der Schlechterstellung des Rechtsmittelklägers (vgl. §§ 536, 559 ZPO) entgegen. Dieses greift hier nicht ein, weil es um die Beachtung einer unverzichtbaren Prozeßvoraussetzung geht und den Klägerinnen durch die Aufhebung desjenigen Teils des Berufungsurteils, der ihren Klageanspruch im Rahmen der Haftungsbeschränkung der §§ 486 f HGB dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt hat, dieser Anspruch nicht endgültig aberkannt wird (Zöller, ZPO 12. Aufl. § 536 Anm. II 8; Thomas/ Putzo, ZPO 9. Aufl. § 536 Anm. 3b; vgl. auch BGHZ 18, 98, 106; a. M. Stein/Jonas, ZPO 19. Aufl. § 536 Anm. 1 2 a).
Offen kann danach bleiben, ob oder inwieweit überhaupt in einem Grundurteil über die beschränkte oder unbeschränkte Haftung des Reeders entschieden werden kann.
..."