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II ZR 139/71 - Bundesgerichtshof (-)
Decision Date: 25.01.1973
File Reference: II ZR 139/71
Decision Type: Urteil
Language: German
Court: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Department: -

Leitsatz:

Zu Fragen der Nichtigkeit des Versprechens des Abladers („Revers"), den Verfrachter von Vermögensnachteilen freizustellen, die diesem aus der Ausstellung eines unrichtigen Konnossements entstehen können.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 25. Januar 1973

II ZR 139/71

(Landgericht Hamburg; Oberlandesgericht Hamburg)


Zum Tatbestand:

Die beklagte Spediteurin hatte eine Partie Hemdenstoff für die Firma F. zu verschiffen, zu deren Gunsten der Empfänger ein Akkreditiv gestellt hatte. Um der Firma F. den Nachweis rechtzeitiger Abladung nach den Bedingungen des Akkreditivs zu ermöglichen, hatte die Klägerin als Reedereiagentin für die Reederei, mit deren Schiff die Partie befördert werden sollte, der Beklagten ein rein gezeichnetes Konnossement vom 15. B. 1968 ausgehändigt, in welchem die Klägerin bescheinigte, die Güter seien „shipped an board" des MS „L". Dieses Schiff war aber bereits abgefahren. Die Güter wurden erst am 22.8. 1968 in das MS „KK" geladen. Die Firma F. hat das Akkreditiv mit Hilfe des Konnossements eingelöst.

Der Empfänger, der von der verspäteten Abladung und dem unrichtigen Konnossement Kenntnis erhielt, verweigerte die Annahme der Güter und verlangte von der Reederei Schadensersatz. Die Klägerin löste die Ware später gegen Zahlung von ca. 68 500,- DM ein und verkaufte sie nach ergebnislosen Verhandlungen mit Firma F. für 35 500,- DM. Sie verlangt mit der Klage den Unterschiedsbetrag von ca. 33 500,- DM, wobei sie sich auf einen Revers der Beklagten mit Datum vom 15. B. 1968 beruft, den diese erst später - nach ihrer Behauptung im Oktober 1968, nach Behauptung der Klägerin im August 1968 - ausgestellt hat und in welchem es heißt:

„Hiermit bitten wir um vorzeitige Aushändigung der Konnossemente (für) die obige Partie, die am 22. August 1968 per MS „KK" für „L" nach Hongkong zur Verschiffung gelangt.

Wir verpflichten uns, für alle evtl. Folgen, die durch die vorzeitige Aushändigung entstehen könnten, aufzukommen."

Die Beklagte meint, ihre Verpflichtungserklärung sei nichtig. Die Freistellungsvereinbarung sei bereits bei der Herstellung des Konnossements mündlich getroffen. Der gleichzeitig zugesagte schriftliche Revers sei auf Anfordern der Klägerin erst später ausgestellt worden. Diese habe den Schaden teilweise selbst zu vertreten, da sie die Ware nicht habe verkaufen dürfen, jedenfalls einen höheren Preis habe erzielen können.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten, die die Abweisung der Klage nur noch in Höhe von ca. 18 500,- DM beantragt hatte, zurückgewiesen. Die insoweit eingelegte Revision führte zur Aufhebung der Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Berufungsgericht unterstellt zunächst den Vortrag der Beklagten als richtig, die Parteien hätten schon vor oder jedenfalls im Zusammenhang mit der Ausstellung und Aushändigung des unrichtigen Konnossements mündlich vereinbart, die Beklagte solle, wie diese im Fernschreiben vom 19. August 1968 ihrer Auftraggeberin mitgeteilt habe, „den üblichen Revers zeichnen, d. h. daß die Reederei für alle Folgen freigezeichnet wird". Es hält eine solche Vereinbarung, weil sie den Zweck gehabt habe, die Voraussetzung dafür zu schaffen, daß das Konnossement ausgestellt und die Akkreditivbank über das Verschiffungsdatum zum Nachteil des Käufers getäuscht werden konnte, für sittenwidrig. Insoweit folgt es der einheitlichen Rechtsauffassung des In- und Auslandes zu den Fällen der sog. arglistigen Konnossementsausstellung (vergl. für deutsches Recht: 6. Zivilsenat des OLG Hamburg, MDR 1970, 146).
Das Berufungsgericht meint jedoch, aus der Sittenwidrigkeit des Reversvertrages folge nicht, daß dieser gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig sei. Sein Hauptzweck habe nicht darin bestanden, einen anderen zu schädigen, sondern die Rechtsbeziehungen der Parteien untereinander zu regeln. Es bestehe kein Bedürfnis, den Vertrag als nichtig anzusehen, wenn das nicht im Interesse des Geschädigten geboten sei.
Die Revision hält dies zutreffend für rechtlich nicht haltbar. § 138 Abs. 1 BGB bestimmt, daß ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, nichtig ist. Nur in besonderen Ausnahmefällen sieht das Gesetz besondere Rechtsfolgen für sittlich anstoßige Geschäfte vor (vgl. § 123 BGB, §§ 1 ff AnfG, §§ 29 ff KO).
Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Die Nichtigkeit des Geschäfts ist daher die unausweichliche Folge der Sittenwidrigkeit. Es kann nicht darauf ankommen, ob der „Hauptzweck" des Vertrages die vorsätzliche Schädigung eines Dritten ist, und es ist auch nicht richtig, daß - wie das Berufungsgericht weiter meint - kein Bedürfnis bestehe, Freistellungsversprechen dieser Art die Wirksamkeit abzusprechen, wenn der Geschädigte, wie hier, genügend Ansprüche auf Ersatz seines Schadens habe. Diese Beurteilung geht an der Tatsache vorbei, daß der Verfrachten in der Regel zur Ausstellung eines unrichtigen Konnossements nicht bereit sein wird, wenn er das damit verbundene Regreßrisiko nicht im Innenverhältnis durch ein verbindliches Freistellungsversprechen voll auf den Ablader abwälzen kann. Das Bedürfnis, Reversverträgen dieser Art im Interesse eines redlichen Konnossementsverkehrs durch die Anwendung des § 138 BGB die Anerkennung zu versagen, liegt daher geradezu auf der Hand. Die Revision verweist mit Recht darauf, daß unerlaubten Handlungen, die ihrerseits dem § 826 BGB unterliegen, vorgebeugt werden soll, indem eine Rückendeckung des Schädigers nicht zugelassen wird, und daß es auch rechtspolitisch verfehlt wäre, solche Verträge zwar als sittenwidrig zu kennzeichnen, aber als wirksam zu behandeln. In den vom Berufungsgericht angeführten Entscheidungen, in denen Reversverträge nicht für unwirksam angesehen wurden, handelt es sich entweder nicht um Fälle „arglistiger Reverse" oder es wird der Gesichtspunkt der Nichtigkeit wegen Sittenwidrigkeit überhaupt nicht erörert (LG Hamburg, HansRGZ 1928 B Sp. 147 f, 151).
Der internationale Konnossementsverkehr und seine Verflechtung mit den Interessen der Banken, Versicherer und Empfänger erfordert es entgegen der Ansicht des angefochtenen Urteils, daß auch die deutsche Rechtsprechung jedenfalls Reverse im Zusammenhang mit bewußt zur Täuschung falsch ausgestellten Konnossementen (hier überhaupt keine Verladung der Güter) für nichtig erklärt und den beteiligten Reversnehmern damit vor Augen führt, daß sie keine Aussicht haben, den Rückgriff aus solchen „Garantien" vor den Gerichten durchsetzen zu können, so daß auch ein Anreiz entfällt, sich auf solche Geschäfte im Gewinninteresse einzulassen. Welche Maßstäbe im Einzelfall für die Nichtigkeit von Reversen anzulegen sind, wenn Vermerke über Mängel der Güter auf Wunsch des Abladers im Konnossement weggelassen werden („Reine Konnossemente gegen Revers"; vgl. Schaps/Abraham, Das deutsche Seerecht 3. Aufl. Bd. II HGB § 656 Anh. II S. 626), ist hier nicht zu erörtern.

Hilfsweise vertritt das Berufungsgericht die Auffassung, die Beklagte habe jedenfalls das mündliche Freistellungsversprechen, das sie nach ihrer Behauptung bereits bei Aushändigung des unrichtigen Konnossements abgegeben habe, später durch Ausstellung des schriftlichen Revers in dem Sinne bestätigt, daß das nach § 141 BGB als neue Vornahme zu beurteilen sei. Die Parteien hätten dann mit denn Revers erkennbar und unmißverständlich ihren Willen zum Ausdruck gebracht, an dem bis dahin fehlerhaften und als fehlerhaft erkannten Vertrag festhalten zu wollen, Der Revers sei frühestens Anfang Oktober 1968 und damit nach Täuschung der Akkreditivbank und Einlösung des Akkreditivs, also nach Begehung der unerlaubten Handlung gegenüber dem Empfänger, ausgehändigt worden. Damit sei der Reversvertrag wirksam geworden.

Auch dieser Auffassung ist nicht zu folgen. Ein nach gemeinschaftlich begangener unerlaubter Handlung zwischen den Mittätern geschlossener Vertrag über die Freistellung von Ersatzansprüchen ist zwar grundsätzlich nicht sittlich anstößig und deshalb wirksam, weil im Gegensatz zu Zusagen, die vor Begehung der Tat gemacht werden, regelmäßig der Vorwurf nicht mehr erhoben werden kann, die unerlaubte Handlung werde hierdurch überhaupt erst ermöglicht, gefördert oder jedenfalls erleichtert. Das Berufungsgericht hat aber nicht in Betracht gezogen, daß hier der Bestätigung eines mündlich bereits im Zusammenhang mit der Konnossementsausstellung geschlossenen Reversvertrages und damit der Neuvornahme ebenfalls der Makel der Sittenwidrigkeit anhaften würde. Mit der Aushändigung des mündlich zugesagten Reverses wird die vor Begehung der unerlaubten Handlung versprochene Förderung des rechtswidrigen Verhaltens nur noch abschließend vollzogen. Erst der „übliche" Revers des Abladers für Schäden aus unrichtigen Konnossementen ermöglicht die Mißbräuche, die sich aus einer solchen Ausstellung ergeben. Die Erwartung, für das falsche Konnossement eine Rückendeckung zu erhalten („Reverspraxis"), ist geradezu die Voraussetzung dafür, daß falsche Konnossemente in den Verkehr gelangen, wodurch Empfänger, Banken und Versicherer geschädigt werden können. Die Zusage des Abladers, „wie üblich" für das unrichtige Konnossement einen Revers zu geben, bedeutet, daß der Verfrachter und seine Agenten im Falle der Wirksamkeit weitgehend ohne Risiko das Konnossement ausstellen können und damit die Schädigung Dritter ermöglichen. Daher macht es für die Sittenwidrigkeit des Verhaltens keinen Unterschied, ob der Revers alsbald ausgestellt wird oder ob seine spätere Aushändigung vorbehalten bleibt. Der Verfrachter verläßt sich jedenfalls auf die Zusage des Abladers, dieser werde einen „Freibrief" geben. Das Geschäft „falsches Konnossement gegen Revers" ist ein einheitliches auch bei nachgereichter Urkunde.

In solchen Fällen kann die Bestätigung das Geschäft nicht wirksam machen (RGZ 64, 146, 149).