Decision Database

73 P - 10/77 - Berufungskammer der Zentralkommission (-)
Decision Date: 20.04.1977
File Reference: 73 P - 10/77
Decision Type: Urteil
Language: German
Court: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Department: -

Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

vom 20. April 1977

(auf  Berufung   gegen   das  Urteil des  Rheinschifffahrtsgerichts Strassburg   vom  20.   April   1977 -   IE   1951/76)

Es wird Bezug genommen auf:

- das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Strassburg vom 20. April 1977, laut welchem der Betroffene von der Anklage freigesprochen worden ist

- die Berufungserklärung der Staatsanwaltschaft des Gerichts Strassburg vom 5. Mai 1977 und deren Berufungsschrift vom 2. Juni 1977;

- die Berufungsantwort der Verteidigung vom 16. Juni 1977, in der auf die erstinstanzliche Berufungsschrift vom 7. März 1977 verwiesen wird.

- die Untersuchungsakten, insbesondere die Bekanntmachung an die Schifffahrt Nr. 2 vom 1972 mit den in Frage stehenden statistischen Formularen sowie die Bekanntmachung des Schifffahrtsamtes Strassburg vom 25. Januar 1977 die im Rahmen einer vom Schifffahrtsgericht Strassburg vom 17. November 1976 zusätzlich angeordneten Ermittlung ergangen ist;

- die Gerichtsakten IE 1951/76 des Rheinschifffahrtsgerichts Strassburg, die der Berufungskammer vorlagen.

Danach ist dem Betroffenen "W" Schiffsführer des Motorschiffs "S" am 5. Dezember 1975 auf der Fahrt von Strassburg nach Basel an der Schleuse Marckolsheim ein Protokoll erteilt worden, weil er das für die statistische Erhebung der Rheinschifffahrt erforderliche Formular nicht ordnungsgemäß ausgefüllt und abgegeben hat.

In der Praxis geht dies wie folgt vor sich:

Die Schiffsführer haben den an den Schleusen Strassburg aufgestellten Kästen ein Formular zu entnehmen, darin Angaben über ihr Schiff und dessen Ladung zu machen und es dann in einen hierfür vorgesehenen Kasten an der Wand der Schleusen Marckolsheim einzuwerfen, umgekehrt ebenso auf der Talfahrt von Marckolsheim nach Strassburg;

Die Verpflichtung hierzu würde sich aufgrund der Bekanntmachung an die Schifffahrt Nr. 2 des Schifffahrtsamtes Strassburg vom 10. Januar 1972 ergeben, Sie soll die statistische Erhebung des Verkehrs an den Schleusen des Grossen Elsässischen Kanals und des Rheins ermöglichen.

Die in Frage stehenden Vorfälle, die sich am 16. Dezember 1975 wiederholt haben, werden vom Betroffenen keineswegs bestritten. Dieser führt zu seiner Entlastung an, dass § l.22 der Rheinschifffahrtspolizeiverordnung (RhSchPVO), der herangezogen wird, um die Verpflichtung zu rechtfertigen und die Nichteinhaltung zu bestrafen, im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist.

Der Betroffene vertritt nämlich die Auffassung, dass die Bekanntmachung an die Schifffahrt Nr. 2 vom 10. Januar 1972 keinesfalls im Hinblick auf die Sicherheit und Leichtigkeit der Schifffahrt erlassen worden sei, sondern lediglich eine statistischen Verpflichtung darstelle, deren Nichteinhaltung nicht durch strafrechtliche Bestimmungen geahndet werden könne, und dass die Verwaltung, wenn sie dies beabsichtige, Amtsmissbrauch begehe.

Die Staatsanwaltschaft macht geltend, das Rheinschifffahrtsgericht Strassburg habe den Betroffenen zu unrecht mit der Begründung freigesprochen, dass die mit der Bekanntmachung an die Schifffahrt Nr. 2 vom 10. Januar 1972 ergangenen Anordnungen weder vorübergehender Art, noch im besonderen im Hinblick auf die Sicherheit und Leichtigkeit der Schifffahrt auf dem Rhein erlassen worden sind. In § 1, 22 Ziffer 1 der RhSchPVO sei keine genaue Frist für die Gültigkeit derartiger Bekanntmachungen festgesetzte.

Die geforderten Auskünfte trügen vorübergehend zur Sicherheit und Leichtigkeit der Schifffahrt bei, denn sie ermöglichten die Ausarbeitung des Jahresberichts der Zentralkommission, auf Grund dessen die geltenden Verordnungen abgeändert würden.

Nach Ansicht der Berufungskammer ist die Bekanntmachung an die Schifffahrt jedoch nicht durch § 1.22 gedeckt, der, die Anordnungen vorübergehender Art betrifft, die die zuständigen Behörden aus besonderen Anlässen im Hinblick auf die Sicherheit und Leichtigkeit der Schifffahrt erlassen können. Diese Bekanntmachung an die Schifffahrt dient nämlich ganz offensichtlich nur der Erleichterung statistischer Erhebungen und nicht der Sicherheit und Leichtigkeit der Schifffahrt, die durch die umstrittene Pflicht und Praxis eher in Frage gestellt werden, da sie die Aufmerksamkeit des Schiffsführers von den Verkehrsverhältnissen ablenken.

Jedenfalls sei § 1.22 Ziffer 1 RhSchPVO nicht mit dem Ziel erlassen worden, den nationalen Behörden die Möglichkeit zu geben, den Schiffern eine verwaltungstechnische  Verpflichtung aufzuerlegen, selbst wenn diese vorübergehend der Ausarbeitung einer Regelung zur Sicherung der Rheinschifffahrt dient.

Anderseits gibt § 1.22 RhSchPVO der zuständigen Behörde der Mitgliedstaaten der Zentralkommission die Möglichkeit, "Anordnungen vorübergehender Art" zu erlassen.

Die mit der angefochtenen Bekanntmachung erlassenen Vorschriften sind nicht dieser Art, und somit von der zuständigen Behörde außerhalb des Rahmens von § 1.22 RhSchPVO erlassen worden.

Diese bereits über vier Jahre geltende Bekanntmachung enthält weder einen Hinweis auf ihre Gültigkeitsdauer noch darauf, warum sie nicht zeitlich befristet ist.

Es muss daher festgestellt werden, dass im Zeitpunkt ihrer Herausgabe nicht daran gedacht worden ist, sie zeitlich zu begrenzen, was den darin enthaltenen Vorschriften einen nicht nur vorübergehenden Charakter verleiht.

Außerdem sieht sich die Berufungskammer auch deshalb in ihrer Überzeugung bestärkt, weil es üblich ist, in den Bekanntmachungen an die Schifffahrt, selbst wenn sie keinen Hinweis auf ihre Gültigkeitsdauer enthalten, auf den Anlass für ihre Herausgabe hinzuweisen, da sich aus diesem Anlass der vorübergehende Charakter ablesen lässt.

Aus den beiden vorgenannten Umständen ergibt sich, dass die Bekanntmachung an die Schifffahrt Nr. 2 vom 10. Januar 1972 keine rechtliche Grundlage hat und dass die Nichteinhaltung der darin enthaltenen Verpflichtung nicht strafbar sein kann.
 
Demgemäß:

hat die Berufungskammer der Zentralkommission in formeller Hinsicht
- die Berufung der Staatsanwalt angenommen
- sie dem Grunde nach verworfen
- das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Strassburg vom 20. April 1977, mit dem der Betroffene freigesprochen worden ist, bestätigt.