Decision Database

51 P - 8/76 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Decision Date: 02.06.1976
File Reference: 51 P - 8/76
Decision Type: Urteil
Language: German
Court: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Department: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsätze:

1) Im Berufungsverfahren bei der Rheinzentralkommission gilt die Regel des § 37 Abs. 2 der deutschen Strafprozeßordnung, wonach im Falle der Zustellung an mehrere Empfangsberechtigte sich die Berechnung einer Frist nach der zuletzt bewirkten Zustellung richtet.

2) Auch wenn im Falle einer Unterbemannung die Schuld eines Schiffsführers äußerst gering ist - plötzlicher unvorhersehbarer Ausfall eines Matrosen, Kürze der vom unterbemannten Fahrzeug zurückgelegten Fahrstrecke, keine Möglichkeit der sofortigen Gestellung eines Ersatzmannes, Einsatz zwecks umgehender Weiterfahrt eines anderen Fahrzeugs - bleibt die Handlung des Betroffenen. 

Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

vom 2. Juni 1976

51 P - 8/76

(Rheinschiffahrtsgericht Mannheim)

Zum Sachverhalt:

Der Betroffene ist als Schiffsführer des MS B durch Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts vom 26. 8. 1975 zu einer Geldbuße von 100,- DM verurteilt worden, weil er im Raum Mannheim eine Strecke von 600 m ohne ein weiteres Besatzungsmitglied gefahren war. Der Verteidiger hat sofort Berufung eingelegt, die am 27. 8. 1975 beim Rheinschiffahrtsgericht eingegangen ist. Die Berufungsbegründung ging beim gleichen Gericht am 13. 11. 1975 ein, nachdem das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts dem Verteidiger am 3. 10. 1975 und dem Betroffenen selbst am 15. 10. 1975 zugestellt worden war.
Die Berufungskammer hat die Berufung als form- und fristgerecht angesehen und das Urteil durch Herabsetzung des Strafmaßes auf 40,- DM zum Teil geändert.

Aus den Gründen:

Die Begründung der Berufung ging am 13. 11. 1975 beim Rheinschiffahrtsgericht in Mannheim ein. Sie wahrt also nicht die Frist von 4 Wochen nach erfolgter Anmeldung der Berufung, die in Artikel 37 Abs. 3 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte bestimmt ist. Diese Frist wäre aber dann beobachtet, wenn man in der Berufungsbegründung auch die erneute Einlegung der Berufung sehen würde. In diesem Falle wäre Berufung und ihre Begründung im gleichen Schriftsatz enthalten, so daß sich das Problem der Einhaltung der Begründungsfrist nicht stellen würde. Eine solche Sicht setzt voraus, daß am 13. 11. 1975 eine Berufung noch wirksam eingelegt werden konnte. Die Berufungsfrist beträgt nach Artikel 37 Abs. 2 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte 30 Tage „nach der in Gemäßheit der Landesgesetze erfolgten Insinuation des Urteils", wobei Insinuation Zustellung bedeutet. Das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Mannheim ist zweimal zugestellt worden, nämlich am 3. 10. 1975 dem Verteidiger des Betroffenen und diesem selbst am 15. 10. 1975. Kommt es für den Beginn der Berufungsfrist auf das erste Datum an, so wäre die am 13. 10. 1975 eingegangene Berufung verspätet. Ist dagegen das zweite Datum entscheidend, so ist die Berufung rechtzeitig. Die Regel des § 37 Abs. 2 der deutschen Strafprozeßordnung bestimmt, daß, wenn eine Zustellung an mehrere Empfangsbevollmächtigte bewirkt wird, sich die Berechnung einer Frist nach der zuletzt bewirkten Zustellung richtet. Daraus wird in den Kommentaren zur deutschen Strafprozeßordnung abgeleitet, daß bei einer Zustellung eines Urteils an den Verteidiger des Angeklagten und an diesen selbst der Beginn der Berufungsfrist sich nach der letzten Zustellung richtet. (Hinweis auf Kleinknecht: Strafprozeßordnung § 37 Anm. 2). Kann man also in dem Schriftsatz vom 13. 11. 1975 auch die Einlegung einer Berufung sehen, so wäre diese rechtzeitig eingelegt. Die Berufungskammer ist der Ansicht, daß eine solche Sicht möglich ist. Eine Berufungsbegründung bringt auch den Willen, Berufung einzulegen - erneut - zum Ausdruck. Allerdings ist dieser Wille in der Regel unbeachtlich, wenn die Berufungseinlegung bereits erfolgt ist. Beachtlich wird er aber dann, wenn diese Einlegung nicht wirksam war. Das gleiche gilt dann, wenn eine Berufung zwar wirksam wurde - wie im vorliegenden Falle -, die mit dieser Einlegung beginnende Begründungsfrist aber nicht eingehalten worden ist. Ist in einem solchen Falle bei Einreichung der Berufungsbegründung die Berufungseinlegung noch möglich, so will der Betroffene auch diesen Schritt mit der Begründung tun, auch wenn dies nicht ausdrücklich geschehen sein sollte. Aus den dargelegten Gründen hält die Berufungskammer das eingelegte Rechtsmittel für formell einwandfrei.
Zur Sache selbst ist folgendes zu sagen. Der Betroffene hat gegen § 1.09 Nr. 2 und 3 der Rheinschiffahrtspolizeiverordnung dadurch verstoßen, daß er am 1. 10. 1974 mit dem von ihm geführten MS B in Mannheim eine Strecke von etwa 600 m auf dem Rhein gefahren ist, obschon außer ihm kein Besatzungsmitglied an Bord war, der vorgeschriebene zweite Mann - Matrose oder Schiffsjunge - also fehlte. An diesem Verstoß würde sich nichts ändern, wenn die zurückgelegte Entfernung kürzer gewesen sein sollte. Die Handlung des Betroffenen war auch rechtswidrig, da kein Rechtfertigungsgrund gegeben ist. Ein solcher liegt insbesondere nicht in dem Grund für die Unterbemannung des Schiffes - plötzlicher Ausfall des Matrosen während der Arbeitszeit -, in der Kürze der zurückgelegten Entfernung und in dem Bestreben des Betroffenen, die baldige Weiterreise eines anderen Schiffes zu ermöglichen. Auch unter solchen Voraussetzungen sind die Bemannungsvorschriften einzuhalten, da sie keine Ausnahmen für Fälle wie der vorliegenden vorsehen.

Die Schuld des Betroffenen erscheint aber aus den folgenden Gründen milder als vom ersten Richter angenommen.

1. Der Betroffene hat am 1. 10. 1974 seinen Dienst als Bilgenentöler mit einem richtig bemannten Schiff angetreten. Während der Arbeitszeit fiel sein Matrose aus, da er sich wegen heftiger Zahnschmerzen in Behandlung begeben mußte. Das Schiff des Betroffenen wurde also plötzlich und unvorhersehbar unterbemannt.

2. Der Betroffene benachrichtigte seine Reederei von dem Vorfall; diese konnte ihm aber keinen Ersatzmann stellen.

3. Die mit dem unterbemannten Schiff zurückzulegende Entfernung war sehr gering. Sie betrug nicht mehr als 600 m. Die Fahrt konnte in Ufernähe durchgeführt werden.

4. Der Betroffene handelte in dem Bestreben, einem anderen Schiff durch die notwendige Entleerung der Bilge die baldige Weiterreise zu ermöglichen.

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1976, 404 ff.