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477 Z - 7/13 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Decision Date: 18.09.2013
File Reference: 477 Z - 7/13
Decision Type: Urteil
Language: German
Court: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Department: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsätze:

1) Der Talfahrer hat auch eine vermeintlich nicht sachgemäße oder an sich zeitiger gebotene Kursweisung der Bergfahrt zu befolgen. Dies gilt nur dann nicht, wenn der Talfahrer beweisen kann, dass die Bergfahrt ihm keinen geeigneten Talweg freigelassen hat.

2) Durch Kursweisung festgelegte gefahrlose Kurse dürfen grundsätzlich nicht mehr abgeändert werden.

3) Dies gilt nicht nur für den weisungsgebundenen Talfahrer, sondern auch für den weisungsberechtigten Bergfahrer selbst. Behält der Bergfahrer den seiner Weisung entsprechenden Kurs bei, so kann ihm dies nicht als Mitverschulden angelastet werden, wenn eine Kursänderung unter Missachtung der eigenen Kursweisung riskant gewesen wäre, etwa die Gefahr mit sich gebracht hätte, in den Kurs der Talfahrt oder in den Kurs des nachfolgenden Bergfahrers zu geraten.

4) Versucht der Talfahrer, eine von der Weisung der Bergfahrt abweichende Begegnungsweise zu erzwingen, so ist ein solches Verhalten in höchstem Maße unverantwortlich und als besonders grobes Verschulden zu werten, zumal wenn der Bergfahrer zusätzlich zur Weisung über Funk auf der von ihm gewiesenen Begegnungsweise besteht.

Urteil

der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt in Straßburg

vom 18. September 2013

Az.: 477 Z- 7/13

(Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort, Az.: 5 C 26/09 BSchRh)

Anmerkung der Redaktion:

Die Berufungskammer hat über eine Begegnungshavarie auf dem Rhein in der Stromkrümmung bei Rhkm 764 zu entscheiden.

Schon bei einem Abstand von mehr als einem Kilometer konnten Bergfahrer und Tatfahrer erkennen, dass es zu einer Begegnung kommen werde. Der weisunqsberechtigte erste Bergfahrer, dem ein zweiter Bergfahrer in dichtem Abstand folgte, hatte die blaue Tafel gezeigt und damit eine Begegnung steuerbord/steuerbord gewiesen.

Bei der Annäherung der Schiffe hat der tatfahrenden Schubverband zunehmend eine Schräglage hin zum rechtsrheinischen Ufer eingenommen und über Funk der gewiesen Begegnungsart steuerbord/steuerbord widersprochen und darum gebeten, backbord/backbord begegnen zu können. Der Bergfahrer hat seinen Kurs nicht geändert und seine Weisung beibehalten.

Der talfahrende Schubverband hatte sich im Prozess darauf berufen, dass der sehr hohe Wasserstand in der Stromkrümmung die Gefahr mit sich brächte, dass der Schubverband bei einer gewiesenen steuerbord/steuerbord Begegnung in den linksrheinischen Hang verfallen könnte. Deshalb habe er der Weisung widersprochen. Die Berufungskammer hat in Übereinstimmung mit dem Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort entschieden, dass dieses Verhalten des Talfahrers absolut unzulässig ist. Der Talfahrer habe zwingend der Weisung des Bergfahrers zu folgen, auch wenn er sie für nautisch nicht sachgerecht halte. Der Bergfahrer sei seinerzeit ebenfalls gehalten gewesen, den seiner Weisung entsprechenden Kurs beizubehalten und keinerlei Kursänderung vorzunehmen, insbesondere nicht eine Kursänderung, die eine Havariegefahr heraufbeschwört, etwa falls der Talfahrer nun doch noch der Weisung des Bergfahrers folgt.

Die Berufungskammer hat damit - wie schon in zahlreichen vorangegangenen Entscheidungen und in ausdrücklicher Übereinstimmung mit dem Rheinschifffahrtsobergericht Köln - betont, dass das Weisungsrecht des Bergfahrers bis auf ganz wenige Ausnahmen absolut ist. Im Interesse der Klarheit der Begegnung müssen Talfahrer einer Weisung des Bergfahrers immer Folge leisten. Der Bergfahrer ist im Gegenzug gehalten, den seiner Weisung entsprechenden Kurs beizubehalten.

Rechtsanwalt Dr. Martin Fischer, Frankfurt am Main

Aus den Gründen:

... Begegnen sich Berg- und Talfahrt auf dem Rhein, so müssen - von bestimmten vorliegend nicht interessierenden Ausnahmen abgesehen - die Bergfahrer den Talfahrern den Weg weisen und die Talfahrer die Weisung befolgen (§ 6.04 RheinSchPV). Diese Regelung bezweckt, mehr Klarheit für die Begegnungskurse zwischen Berg- und Talfahrt zu schaffen und damit die Sicherheit des Schiffsverkehrs zu erhöhen (BGH, ZfB 1989, Sammlung Seite 1251). Dieser Zweck erfordert es, dass die Talfahrer auch eine (vermeintlich) nicht sachgemäße oder an sich zeitiger gebotene Kursweisung der Bergfahrer befolgen müssen (BGH aaO m.w.N.; Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt vom 18. März 2013 - 475 Z = ZfB 2013, Sammlung Seite 2232 ff). Das gilt nur dann nicht, wenn ein Bergfahrer entgegen § 6.04 Nr. 1 RheinSchPV keinen geeigneten Weg für den Talfahrer freigelassen hat oder wenn sonst Umstände vorliegen, die es der Talfahrt nach § 1.05 RheinSchPV erlauben, von der Kursweisung des Bergfahrers abzuweichen. Den Beweis dafür hat der Talfahrer zu erbringen ...

Zu diesem Zeitpunkt betrug die Entfernung Bug zu Bug zwischen TMS »Piz Gloria« und dem SV »Carmel/GL 2500« nach den übereinstimmenden Angaben der Parteien ca. 1.100 m. Auf diese Entfernung war es ohne jeden Zweifel möglich, der Kursweisung Folge zu leisten und durch Einhaltung eines Kurses im linksrheinischen Teil der 150 m breiten Fahrrinne die anstehende Begegnung mit der Bergfahrt Steuerbord an Steuerbord durchzuführen. Auch die Beklagten stellen dies nicht in Abrede, sondern machen nur geltend, dass zu einem späteren Zeitpunkt, als sich der Abstand zwischen den Fahrzeugen verringert und der Schubverband auf Steuerbordkurs bereits im rechtrheinischen Teil der Fahrrinne fuhr, eine Kursänderung des Schubverbands nach Backbord nicht mehr gefahrlos möglich gewesen sei. Das vermag die Schiffsführung des Schubverbands indessen nicht zu entlasten, denn diesen weisungswidrig auf eine Begegnung Backbord an Backbord ausgerichteten Kurs durfte der talfahrende Schubverband schon gar nicht einschlagen.

Die Beklagten haben ihre abweichenden Behauptungen zur Fahrweise der beteiligten Fahrzeuge bei der Annäherung an die Unfallstelle nicht zu beweisen vermocht. Den Angaben der Schiffsführer B und R im Verklarungsverfahren zu einem angeblich zunächst linksrheinischen Kurs der Bergfahrer stehen nicht nur die Aussagen der Schiffsführer des TMS »Piz Gloria« und des TMS »Bohemia«, sondern auch die Auswertung der Radaraufzeichnungen auf TMS »Bohemia« durch den Sachverständigen Dr.-lng. Sa entgegen. Denn danach fuhren die beiden Bergfahrer bereits ab Rheinkilometer 768 ständig im rechtrheinischen Teil der Fahrrinne mit einem seitlichen Abstand zum rechtsrheinischen Rand der Fahrrinne von maximal 40 m. Dem zu Tal kommenden Schubverband stand somit durchgängig die verbleibende Fahrrinnenbreite von mehr als 100 m für die gewiesene Begegnung Steuerbord an Steuerbord zur Verfügung. Dass diese Fahrrinnenbreite nicht ausgereicht hätte, um die aus Sicht der Talfahrt starke Rechtskurve zu passieren, ohne in den linksrheinischen Hang zu verfallen, machen die Beklagten selbst nicht geltend. Damit ist den Beklagten der ihnen obliegende Beweis ihrer Behauptung, die Bergfahrt habe dem Talfahrer keinen geeigneten Weg für die geforderte Begegnung Steuerbord an Steuerbord gewiesen, nicht gelungen. Denn wie das Rheinschifffahrtsgericht zutreffend ausgeführt hat, hätte die Schiffsführung des SV »Carmel/GL 2500« nichts weiter tun müssen, als den ursprünglichen Kurs im linksrheinischen Teil der Fahrrinne beizubehalten, um die anstehende Begegnung Steuerbord an Steuerbord gefahrlos durchführen zu können ...

Ein Mitverschulden des Schiffsführers S des TMS »Piz Gloria« hat das Rheinschifffahrtsgericht zu Recht verneint ...

Ein Mitverschulden des Schiffsführers S lässt sich schließlich entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht daraus herleiten, dass TMS »Piz Gloria« zur Vermeidung der drohenden Kollision weiter nach Backbord ausgewichen ist und nicht, wie es die Beklagten für richtig halten, Steuerbordruder gelegt hat, um den Schubverband Backbord an Backbord zu passieren. Schiffsführer S konnte vielmehr auch unmittelbar vor der Kollision erwarten, dass die Schiffsführung des SV »Carmel/GL 2500« den weisungswidrigen Versuch einer Begegnung Backbord an Backbord aufgeben und den in Steuerbordschräglage zu Tal kommenden Schubverband noch so weit aufstrecken würde, dass die Begegnung Steuerbord an Steuerbord würde durchgeführt werden können. Hätte Schiffsführer S in dieser Situation seinerseits unter Missachtung der eigenen Kursweisung im ... Augenblick Ruder nach Steuerboard gelegt, wäre er Gefahr gelaufen, in ... aufstreckenden Schubverband ...

Dass Schiffsführer S dieses ... eingegangen ist, kann ihm nicht als nautisches Fehlverhalten angelaste werden ...

 

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2014 - Nr. 8 (Sammlung Seite 2306 f.); ZfB 2014, 2306 f.