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4 U 17/85 - Oberlandesgericht (-)
Decision Date: 21.10.1985
File Reference: 4 U 17/85
Decision Type: Urteil
Language: German
Court: Oberlandesgericht Bamberg
Department: -

Leitsatz:

Zur Begriffsbestimmung „Werkverkehr":
Soll ein angeblicher Kaufvertrag bezüglich der beförderten Güter nur das zugrunde liegende Transportgeschäft verdecken, handelt es sich um unechten Werkverkehr. Werkverkehr liegt auch dann nicht vor, wenn zwar die Güterbeförderung eines rechtlich selbständigen Unternehmens für ein anders rechtlich selbständiges Unternehmen, also für „Andere" erfolgt, die beiden Unternehmen aber so miteinander verbunden sind, dass sie wirtschaftlich ein Unternehmen darstellen.

Urteil des Oberlandesgerichts Bamberg

vom 21. Oktober 1985

Zum Tatbestand:

Die Beklagte handelt mit Kies, den sie 1981/82 in 16 Einzelfällen vom Produzenten mit zwei Schiffen abholen und direkt zu den Endabnehmern befördern ließ. Je ein Schiff gehörte einer von zwei Gesellschaften, die in Form einer GmbH & Co KG gebildet worden waren und deren jeweilige Geschäftsführerin die Geschäftsführerin der Beklagten war. Jede Gesellschaft kaufte den Kies vom Produzenten und verkaufte ihn an die Beklagte weiter, die ihn ihrerseits an den Endabnehmer veräußerte. Unstreitig berechnete die Beklagte in diesen Fällen Frachten, die unter den festgesetzten Tarifentgelten lagen.
Die Klägerin verlangt im Wege der Teilklage Differenzbeträge in Höhe von annähernd 28000,- DM mit der Begründung, dass es sich um unechten Werkverkehr handele. Die Beklagte habe den geschilderten Geschäftsablauf nur gewählt, um Werkverkehr vorzutäuschen und durch Umgehung der Festfrachten geringere Frachten zu berechnen.
Die Beklagte macht geltend, dass durch das beschriebene Verfahren die Kosten für Verwaltung und Betreuung der Schiffe gering gehalten worden seien. Sie verhandele mit Produzenten und Endabnehmern stets jeweils namens der einzelnen Gesellschaften. Diese erzielten beim Verkauf an die Beklagte auch Gewinne und hätten eigene Baustofflager. Bei einer Betriebsprüfung hätten die Prüfer das Verfahren in Ordnung befunden und bestätigt, dass es sich um Werkverkehr handele. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben; das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Aus den Entscheidungsgründen:

Nach § 31 Abs. 1 BiSchVG sind Abweichungen von den festgesetzten Entgelten unzulässig. Gemäß § 29 BiSchVG werden die Beschlüsse, die durch den Bundesminister für Verkehr genehmigt worden sind, als Rechtsverordnung erlassen und sind deshalb geltendes Bundesrecht. Die Schifffahrt ist verpflichtet, nach diesen festgesetzten Entgelten alle dem Gesetz unterliegenden Verkehrsleistungen zu vereinbaren und abzurechnen. Nach § 5 BiSchVG besteht diese Verpflichtung allerdings dann nicht, wenn es sich um Werkverkehr handelt, d. h., wenn „die Beförderung von eigenen Gütern für eigene Zwecke des Unternehmens mit eigenen Schiffen" erfolgt. Werkverkehr könnte im vorliegenden Fall jedoch nur dann angenommen werden, wenn eine rein wirtschaftliche Betrachtungsweise zulässig wäre und die beiden Schiffe „A" und „B" als Betriebsvermögen der Beklagten angesehen werden könnten. Dafür könnte sprechen, dass Komplementär der beiden zu Kommanditgesellschaften rechtlich verselbständigten Schiffe jeweils die Beklagte ist und deren Geschäftsführerin auch in allen dem vorliegenden Rechtsstreit zugrunde liegenden Kaufverträgen die Vertragsverhandlungen geführt und Abschlüsse getätigt hat, und zwar sowohl mit den Kieslieferanten wie mit den Abnehmern. Wirtschaftlich betrachtet erwarb die Beklagte jeweils den Kies ab Silo des Lieferanten und transportierte ihn mit „ihren" Schiffen direkt zum Lager des Endabnehmers. dass nicht auch rechtlich so verfahren ist, hat die Beklagte damit begründet, es handle sich um eine „aus steuerlichen Gründen gewählte Konstruktion" bzw. die Beklagte habe als GmbH mit 20000,- DM Stammeinlage für eine Kieslieferung im Wert von über 40000,- DM keine Sicherheit bieten können. Abgesehen davon, dass dieses Argument gerade gegen eine rechtliche Verselbständigung der Schiffe und gegen die Konstruktion eines zusätzlichen Kaufvertrags in der rechtlichen Beziehungskette zwischen Lieferant, Händler und Endabnehmer spricht, muss sich die Beklagte an der von ihr gewählten rechtlichen Konstruktion festhalten lassen. Gilt dies bereits allgemein im Verhältnis zwischen Steuer- und Zivilrecht (vgl. BGHZ 67, 334 ff., 338), so auch bei der Beurteilung der Frage, wann echter Werkverkehr im Sinne des § 5 BiSchVG vorliegt. Nach § 42 a BiSchVG bleibt der Tarifzwang von rechtsgeschäftlichen oder firmenrechtlichen Gestaltungen oder Scheintatbeständen, die zur Umgehung des Tarifzwangs geeignet sind, unberührt. Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist es, ein Handeln gegen die Zielsetzungen des Binnenschiffsverkehrsgesetzes, insbesondere auf dem Gebiet der Frachten, zu verhindern; es sollen Tarifunterbietungen verhindert werden, die zum völligen Ruin des Binnenschifffahrtsgewerbes führen könnten. Im Übrigen können die zum Werkverkehr im Güterkraftverkehr von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze sinngemäß auch für die Auslegung des § 5 BiSchVG herangezogen werden. Nach § 48 Abs. 1 S. 1, 3 Abs. 1 GüKG ist Werkverkehr jede Beförderung von Gütern für „eigene" Zwecke. Somit befördert Güter im Werkverkehr, wer diese Beförderung für „eigene" Zwecke und nicht für „Andere" betreibt.
Die Güterbeförderung eines rechtlich selbständigen Unternehmens für ein anderes rechtlich selbständiges Unternehmen ist demnach auch dann Beförderung für „Andere", also kein Werkverkehr, wenn die Unternehmen finanziell und organisatorisch derart miteinander verbunden sind, dass sie wirtschaftlich ein Unternehmen darstellen. Der Grad der Verflechtung spielt keine Rolle. Die „totale" wirtschaftliche Identität beider Unternehmen kann zu keiner anderen Betrachtung führen. Das Gesetz lässt es nicht zu, den Begriff des „eigenen" Zwecks anders als nach der rechtlichen Selbständigkeit von Rechtssubjekten abzugrenzen. Für diese Gesetzesauslegung spricht, dass sie eine klare - wenn auch formalrechtliche - Unterscheidung zwischen solchen Transporten ermöglicht, die dem Tarifzwang unterliegen, und solchen, die als Werkverkehr vom Tarifzwang befreit sind (vgl. Hein/Eichhoff/ Pukall/Krien a. a. 0.).
Bei Betrachtung der von der Beklagten gewählten zivilrechtlichen Konstruktion zeigt sich, dass es sich bei den Rechtsbeziehungen zwischen ihr und den beiden Kommanditgesellschaften nicht um „echte" Kaufverträge handelte, vielmehr erbrachten die Kommanditgesellschaften die Transportleistungen vom Lieferanten zu den Endabnehmern und stellten auch diese als „Kaufpreis" der Beklagten in Rechnung. Der angebliche Kaufvertrag diente dazu, das zugrunde liegende Transportgeschäft zu verdecken, für das die festgelegten Entgelte zu berechnen gewesen wären. Die Beklagte hat durch den Tarifverstoß auch - was für die Inanspruchnahme durch die Klägerin Voraussetzung ist (vgl. BGHZ 64, 159 ff.) - tatsächlich einen Vorteil erlangt, weil sie den eingekauften Kies letztlich billiger weiterverkaufen konnte als wenn sie das tarifmäßige Frachtentgelt an die Kommanditgesellschaften hätte zahlen und bei sachgerechtem kaufmännischem Verhalten in den Verkaufspreis an den Endabnehmer hätte einkalkulieren müssen. Ob die Beklagte auch unter Berücksichtigung der Verflechtung mit den Kommanditgesellschaften, d. h. bei rein wirtschaftlicher Betrachtungsweise, durch die Tarifunterschreitungen letztlich einen Vorteil gehabt hat bzw. ob es für sie wirtschaftlicher gewesen wäre, die rechtliche Verselbständigung der Schiffe aufzuheben, die Schiffe als Betriebsvermögen bei sich einzugliedern und Handels- und Frachtgeschäfte in einer Hand - als Werkverkehr - zu betreiben, bleibt für die Anwendung des § 31 Abs. 3 BiSchVG ohne Bedeutung.
Die von der Beklagten mit den beiden Kommanditgesellschaften geschlossenen Verträge hatten trotz der vorgeschobenen Form von Kaufverträgen im wesentlichen Verkehrsleistungen im Sinne von § 21 BiSchVG zum Inhalt. Für diese Verkehrsleistungen waren Entgelte vereinbart, welche die aufgrund des Binnenschiffsverkehrsgesetzes tariflich festgesetzten Entgelte insgesamt in Höhe des Doppelten der eingeklagten hälftigen Ausgleichsforderung unterschritten haben. Dies ergibt sich aus einem Vergleich der von den Kommanditgesellschaften mit den Lieferanten vereinbarten Einkaufs- mit den mit der Beklagten vereinbarten - die Transportleistungen umfassenden - Verkaufspreise; die Höhe der Differenz zum tarifmäßigen Entgelt ist unstreitig. Das wegen der Tarifunterschreitung nach § 31 Abs.2 S.2 BiSchVG geschuldete Entgelt ist nach § 31 Abs. 3 S.1 BiSchVG an die Klägerin zu entrichten, weil die beiden Partner dieser Verkehrsleistung - die Beklagte einerseits und jeweils eine der beiden Kommanditgesellschaften andererseits - diese Tarifunterschreitung zumindest grob fahrlässig begangen haben. Während der Maßstab bei der für die Anwendung des § 31 Abs. 3 BiSchVG nicht ausreichenden leichten Fahrlässigkeit ein ausschließlich objektiver ist, sind bei der groben Fahrlässigkeit auch subjektive, in der Individualität des Handelnden begründete Umstände zu berücksichtigen (vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, 44. Aufl., 1985, Anm. 2 zu § 277 m. w. N.). Von der Rechtsprechung wird grobe Fahrlässigkeit bejaht, wenn ein Unternehmer, der sich an der Binnenschifffahrt als Auftraggeber oder als Frachtführer beteiligt, die einschlägigen Gesetze und Rechtsverordnungen - also auch die Tarife - nicht kennt und sich auch nicht an berufener Stelle nach der Rechtslage erkundigt (vgl. BGH LM Nr. 7 BiSchVG). Die Geschäftsführerin der Beklagten und der Komplementäre der Kommanditgesellschaften kannte die Tarife und wusste auch durch frühere Frachtenprüfungen der Wasser- und Schifffahrtsdirektion West in Münster, dass der Tarifzwang nicht durch Umgehungsgeschäfte vereitelt werden durfte. Dennoch hat sie in den vorliegenden Streitfällen eine den wirtschaftlichen Verhältnissen nicht entsprechende rechtliche Konstruktion gewählt, bei der sich auch einem juristischen Laien die Annahme einer Umgehung des Tarifzwangs nach §42a BiSchVG aufdrängen musste. Sie durfte auf die Unbedenklichkeit ihrer Handlungsweise nicht vertrauen und hätte auch ein etwaiges Schweigen der Prüfer bei der Frachtenprüfung im August 1981 nicht als eine Art Unbedenklichkeitserklärung deuten dürfen. Es kommt jedoch hinzu, dass der Prüfer bei seiner Einvernahme durch das Erstgericht ausdrücklich bekundet hat, er habe die Geschäftsführerin der Beklagten auf die Bedenken bezüglich einer Tarifumgehung hingewiesen und zu verstehen gegeben, dass die Überprüfung im einzelnen von den Juristen der Wasser- und Schifffahrtsdirektion vorgenommen werde. dass diese sich mit der Prüfung mehr als ein Jahr Zeit gelassen haben, entlastet die Beklagte nicht.