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34 Z - 4/75 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Decision Date: 21.04.1975
File Reference: 34 Z - 4/75
Decision Type: Urteil
Language: German
Court: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Department: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsätze:

1) Wer bei unsichtigem Wetter als zu Berg kommender Radarfahrer der Talfahrt den Weg zu weisen hat, ist verpflichtet, den richtigen Sprechweg (gemäß Bekanntmachung vom 1. 3. 1972 Sprechweg 10 statt bis dahin Sprechweg 13) einzuschalten und auf Anforderung Angaben über Standort, Fahrzeugart, Begegnungskurs usw. zur Vermeidung unklarer Begegnungssituationen zu machen.

2) Kommt der Bergfahrer dieser Verpflichtung nicht nach, hat der Talfahrer bei weiterhin unklarer Situation sofort die Fahrt einzustellen.

Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
  

vom 21. April 1975

(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 13.9.1974 - 5 C 4l/74 BSch -)

Tatbestand:

Die Klägerin (Berufungsklägerin) ist Eigentümerin des MTS "RK" (500 PS). Die Beklagten (Berufungsbeklagten) sind Eigentümer der Motorgüterschiffe "A" (Länge: 67 m; Breite: 7,20 m; Tragfähigkeit: 904 tons; 600 PS) und "R" (Länge: 51 m; Breite: 6,60 m; Tragfähigkeit: 639 tons; 2 x 165 PS). MS "A" wurde von dem Beklagten Ehemann R.P. und  MS "R" von der beklagten Ehefrau J.P. verantwortlich geführt. Am 17. Oktober 1972 befanden sich die nebeneinander gekoppelten Motorgüterschiffe "A" und "R" auf dem Rhein oberhalb Strom-km 729,000 mit Stückgütern beladen (Tiefgänge: 1, 20 m und 1 m) bei dichtem Hebel mit Sichtweiten um 100 m auf der Talfahrt. MS "A" war auf der Steuerbordseite befestigt. Dem Schiffsführer P. dieses Fahrzeugs oblag die Führung des Koppelverbandes. Auf MS "A" war ein Marine-Radar-Gerät Kelvim-Hughes des Typs 17 NR in Betrieb, das für die Verwendung in der Binnenschiffahrt nicht zugelassen ist. An Bord von MS "A" und MS "R" war niemand im Besitz eines Radarschiffer-Zeugnisses. Dem zu Tal fahrenden Koppelverband kam bergwärts das MTS "RK", das unbeladen war, entgegen. Auf diesem Fahrzeug war ein für die Binnenschiffahrt zugelassenes Radargerät in Betrieb. Auch die sonstigen, für die Radarschiffahrt vorgeschriebenen Voraussetzungen waren erfüllt. Eine Verständigung von Berg- und Talfahrer über die Begegnungskurse kam nicht zustande. Im Verlaufe der weiteren Annäherung hielt der Koppelverband "A"/"R" Steuerbordkurs. MTS "RK" stiess dann kurz oberhalb der Fähre Uedesheim-Himmelgeist mit seinem Steven gegen das Backbordvorschiff des innerhalb des Koppelverbandes auf der Backbordseite befestigten MS "R". Bei diesem Zusammenstoss entstand an allen drei Schiffen erheblicher Schaden. Die Klägerin hat in erster Instanz behauptet, die Führung des oberhalb der Rheinfähre Uedesheim-Himmelgeist rechtsrheinisch zu Berg fahrenden MTS "RK" habe den zu Tal kommenden Koppelverband "A"/"R" auf eine Entfernung von 1600 m auf dem Radarbild wahrgenommen und sich daraufhin wiederholt über Sprechweg 10 mit Namensangabe, Standort und Begegnungskurs gemeldet. Eine Antwort des Talfahrers, der seinen Kurs etwa 50 m vom linken Ufer entfernt gehalten habe, sei nicht erfolgt. Wegen des oberhalb Strom-km 729,000   liegenden rechtsrheinischen Grundes habe MTS "RK" in einer Entfernung von 1000 m zu dem Koppelverband etwas nach Steuerbord abgehen müssen. Danach sei MTS "RK" mit gestrecktem Kurs weitergefahren. Da auch der talfahrende Koppelverband "A"/"R" linksrheinisch verblieben sei, habe keine Unklarheit über eine Begegnung Steuerbord über Steuerbord bestanden. Auf eine Entfernung zwischen den Einheiten von 200 bis 300 m habe der Talfahrer dann plötzlich Steuerbordkurs genommen. MTS "RK" habe daraufhin sofort einen langen Signalton gegeben und die Fahrtgeschwindigkeit auf halbe Kraft vermindert. Da die Talfahrer jedoch immer weiter nach rechtsrheinisch herübergekommen seien, habe man auf eine Entfernung von etwa 200 m das Signal "zwei kurze Töne" gegeben. Ausserdem sei die Maschine gestoppt und auf "vollan zurück" umgesteuert worden. Durch dieses Manöver habe MTS "RK" im Augenblick der Kollision keinen Vorausgang über Grund mehr gehabt. Durch den Zusammenstoss sei an MTS "RK" ein Schaden -einschliesslich Nutzungsverlust- in Höhe von DM 29.251,95 entstanden. Die Klägerin (Berufungsklägerin) hat vor dem Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort beantragt, die Beklagten (Berufungsbeklagten) als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin (Berufungsklägerin) den Betrag von DM 29.251,95 nebst 9 % Zinsen seit dem 25. Februar 1973 zu zahlen, und zwar beide Beklagten (Berufungsbeklagten) im Rahmen des Binnenschiffahrtsgesetzes sowohl persönlich haftend als auch bei Vermeidung der Zwangsvollstreckung in MS "R" und MS "A". Die Beklagten (Berufungsbeklagten) haben Klagabweisung, fürsorglich die Bewilligung von Vollstreckungsschutz beantragt. Sie haben behauptet, von der Führung des MTS "RK" sei es unterlassen worden, dem entgegenkommenden Koppelverband "A"/"R" über Sprechfunk Standort, Fahrzeugart und Fahrtrichtung mitzuteilen, obwohl man seitens des Koppelverbandes den Bergfahrer wiederholt über Sprechweg 10 aufgefordert habe, sich zu melden. Als eine Antwort des bereits auf grosse Entfernung ins Radarbild gekommenen Bergfahrers ausgeblieben sei, habe man auf MS "A" auf eine Distanz von etwa 1000 m zum erstenmal Dreiklangsignal gegeben und dieses akustische Signal in einem Abstand von 800 m wiederholt. Zu dieser Zeit habe sich der Bergfahrer etwas linksrheinisch der Strommitte gehalten, während der Koppelverband "A"/"R" sich ungefähr in Fahrwassermitte befunden habe. Da eine Verständigung mit dem bergfahrenden MTS "RK" nicht zustande gekommen sei, habe man auf dem Koppelverband schliesslich Steuerbordkurs genommen, um eine Begegnung Backbord über Backbord durchzuführen. Diese Absicht habe man dem Bergfahrer über Sprechweg 10 mitgeteilt. Als die Entfernung zwischen beiden Schiffen nach dem Radarbild nur noch etwa 100 m betragen habe, habe MTS "RK" plötzlich Kurs nach Backbord gehalten und sei so in den Kurs des Koppelverbandes hineingelaufen.

Das Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort hat am 13.9.1974 folgendes Urteil erlassen:

"Der Klaganspruch ist mit der Massgabe dem Grunde nach gerechtfertigt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin bis zu einem Betrag von 9.750,65 DM nebst 4 %  Zinsen seit dem 25.2.1973 den Schaden zu ersetzen, der anlässlich des Unfalls vom 17. Oktober 1972 an MTS "RK" entstanden ist. Die Beklagten haften im Rahmen des Binnenschiffahrtsgesetzes sowohl persönlich als auch bei Vermeidung der Zwangsvollstreckung in MS "A". Die weitergehende Klage wird abgewiesen. Die übrigen Entscheidungen bleiben dem Schlussurteil vorbehalten."

Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort ausgeführt:

Aufgrund der im Rahmen des vorausgegangenen Verklarungsverfahrens durchgeführten Beweisaufnahme sei es insbesondere durch die Aussagen der unbeteiligten Zeugen J. des vor MTS "RK" zu Berg fahrenden MS "R" wie auch aufgrund der Bekundungen des Matrosen K. von MTS "RK" als erwiesen zu erachten, dass auf MTS  "RK" nicht -wie zur Ünfallzeit vorgeschrieben- der Sprechweg 10, sondern der vor dem 1.3.1972 zur Verständigung benützte Sprechweg 13 eingeschaltet gewesen sei«, Von der Führung des MTS "RK" haben deshalb schuldhafterweise die wiederholten Aufforderungen des zu Tal fahrenden Koppelverbandes "A"/"R", sich zu melden, nicht aufgenommen werden können. Andererseits seien von MTS "R" die für den Bergfahrer vorgeschriebenen Sprechfunkmeldungen nicht ordnungsgemäss über den Sprechweg 10 abgegeben worden. Die Führung des MTS "RK" habe somit gegen die Bestimmung des § 6.353 der Rheinschiffahrtpolizeiverordnung verstossen und dadurch den Unfall herbeigeführt. Aber auch auf Seiten der Führung des MS "A" liege ein Mitverschulden vor, da die Führung des Koppelverbandes MS "A"/"R" die Fahrt nicht sofort gemäss § 6.352 Rheinschiffahrtpolizeiverordnung eingestellt habe, als eine Kursverständigung mit MTS "RK" nicht zustande kam. Soweit aus der Verwendung eines für die Rheinschiffahrt nicht zugelassenen Radargeräts sowie aus dem Fehlen eines Radarschiffer-Zeugnisses ein Anscheinsbeweis für ein ursächliches Mitverschulden an dem Unfall wegen Fehlens der Voraussetzungen für die Radarfahrt spreche, sei dieser prima-facie-Beweis ausgeräumt, da feststehe, dass der Unfall auf die fehlerhafte Kursweisung durch die Führung des MTS "RK" zurückzuführen sei. Selbst wenn auf MS "A" die vorgeschriebenen technischen und persönlichen Voraussetzungen für die Radarfahrt vorgelegen hätten, wäre es nach der Überzeugung des Gerichts zu dem Unfall gekommen. Aus diesem Grunde lasse sich eine Mitschuld der Führung des MS "A" nicht schon deshalb feststellen, weil man auf diesem Fahrzeug nicht überhaupt die Fahrt eingestellt hatte. Das Verschulden der Besatzung von MTS "RK" erschien dem Gericht doppelt so schwerwiegend als das Verschulden der Führung des Koppelverbandes "A"/"R", da ein Bergfahrer kraft seiner Verpflichtung, dem Talfahrer den Kurs zu weisen, die wesentlich grössere Verantwortung trage. Demgegenüber wiege die unterlassene Fahrteinstellung des Koppelverbandes geringer, so dass eine Schadensteilung 2:1 zu Lasten des MTS "RK" gerechtfertigt erscheine. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin (Berufungsklägerin) hat gegen dieses, am 13.9.1974 verkündete Urteil, das nach seiner Behauptung am 19.9.1974 zugestellt worden ist, mit Schriftsatz vom 3.10.l974, der am 4.10.1974 beim Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort einkam, Berufung eingelegt und die Entscheidung der Berufungskammer der Zentralkommission begehrt. Die Berufungsbegründung ist am 31.10.1974 beim Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort eingegangen.

Zur Begründung ihrer Berufung führt die Klägerin {Berufungsklägerin) aus:

Die Aussagen der im Verklarungsverfahren vernommenen Zeugen seien von dem Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort unzutreffend gewürdigt worden. Nicht nur durch die Bekundungen der Besatzungsmitglieder von MTS "RK", sondern auch durch die Angaben der übrigen gehörten Zeugen, sei bestätigt worden, dass von MTS "RK", ordnungsgemäss entsprechend der Bestimmung des § 6.353 Rheinschiffahrtpolizeiverordnung über Kanal 10 den zu Tal kommenden Fahrzeugen der Begegnungskurs gewiesen worden sei. Das ergebe sich -entgegen der Ansicht des Rheinschiffahrtsgerichts- auch aus den Aussagen des unbeteiligten Zeugen  J. von MS "R". Somit stehe fest, dass die Führung des MTS "RK" kein Vorwurf an dem Unfall gemacht werden könne. Demgegenüber falle der Führung des Koppelverbandes "A"/"R" vor allem zur Last, dass man ein für die Rheinschiffahrt nicht zugelassenes Radargerät benutzt habe und ausserdem niemand der Besatzung im Besitz eines Radarschiffer-Zeugnisses gewesen sei. Dementsprechend habe der Koppelverband bei dem vorhandenen unsichtigen Wetter überhaupt nicht in Fahrt sein dürfen. Bezüglich der Feststellung des Rheinschiffahrtsgerichts, dass nach seiner Ansicht es auch zu dem Unfall gekommen wäre, wenn auf MS "A" die technischen und persönlichen Voraussetzungen für die Radarfahrt vorgelegen hätten, fehle es an jeglicher überzeugenden Begründung. Die Alleinschuld an dem Unfall treffe somit die Führung des Koppelverbandes "A"/"R". Die Klägerin (Berufungsklägerin) stellt deshalb in der Berufungsinstanz den Antrag, auf die Berufung hin das Urteil des Amtsgerichts -Rheinschiffahrtsgerichts- Duisburg-Ruhrort - 5 C 41/74 BSch - vom 13.9.1974 abzuändern und die Beklagten(Berufungsbeklagten) in vollem Umfange gemäss den diesseits in erster Instanz gestellten Schlussanträgen zu verurteilen, sowie ihnen die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.

Die Beklagten (Berufungsbeklagten) lassen Kostenfällige Zurückweisung der Berufung der Klägerin(Berufungsklägerin) beantragen. Sie sind der Ansicht, dass das Rheinschiffahrtsgericht zu Recht ein Verschulden der Führung des MTS "RK" an dem Zusammenstoss festgestellt habe, da die Führung dieses Fahrzeugs es unterlassen habe, der Talfahrt die erforderlichen Mitteilungen über Standort und Begegnungskurs zur übermitteln. Auch die von dem Rheinschiffahrtsgericht ausgesprochene Haftungsverteilung von 2/3 zu Lasten des bergfahrenden MTS "RK" und 1/3 zu Lasten der Führung des talfahrenden Koppelverbandes sei zutreffend und entspreche den von den Beklagten (Berufungsbeklagten) bereits in erster Instanz gestellten Anträgen.

Entscheidungsgründe:

I.
Die Berufung wurde form- und fristgerecht eingelegt und innerhalb der Frist des Artikels 37 Absatz 3 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte von 1868 auch schriftlich begründet. Die Berufung ist somit zulässig.

II.
Aufgrund des Beweisergebnisses sieht die Berufungskammer -ebenso wie das erstinstanzliche Rheinschiffahrtsgericht- als bewiesen an, dass die Führung des MTS "Raab Karcher 110" es schuldhaft unterlassen hat, entsprechend der Bestimmungen des § 6.353 der Rheinschiffahrtpolizei-Verordnung (RhPolVO) dem talwärts entgegenkommenden Koppelverband MS "A"/"R" in der entscheidenden Annäherungsphase über Sprechfunk auf dem ab 1.3.1972 verbindlichen Sprechweg 10 ihren Standort, Namen und Art ihres Fahrzeugs sowie ihre Fahrtrichtung mitzuteilen unter gleichzeitiger Ansage, ob die blaue Seitenflagge oder das weisse Funkellicht gezeigt werden oder nicht. Im einzelnen hat die Beweisaufnahme, insbesondere durch die Aussagen des unbeteiligten Schiffsführers  J. von MS "R" und des gleichfalls unter Eid vernommenen Steuermanns H.J. dieses Fahrzeuges, folgenden Geschehensablauf ergeben:

Schiffsführer  J., der sich mit seinem MS "R" in einem grösseren Abstand vor MTS "RK" auf der Bergfahrt befand, hatte zunächst seinerseits über Sprechweg 10 mit dem zu Tal kommenden Koppelverband eine Backbord über Backbordbegegnung abgesprochen, die dann auch auf Höhe der Verladestelle Stürzelberg -also zwischen Rhein-km 726,00 und 726,90 stattfand. Da  der  Zeuge J. mit Sicherheit angeben konnte, dass auf seinem Schiff der Sprechweg 10 eingeschaltet war, steht somit fest, dass auch auf MS "A", mit dem die Begegnungsabrede getroffen wurde, das Sprechfunkgerät auf diesen Kanal geschaltet war und einwandfrei funktionierte. Vor dieser Begegnungsabsprache mit dem Koppelverband hatte der Zeuge J.  über Sprechweg 10 gehört, dass sich auch das nachfolgende MTS "RK" gemeldet hat. Ein Echo dieses Fahrzeuges hatte Schiffsführer  J. nicht auf seinem Bildschirm; er wusste lediglich aufgrund der Meldungen über Sprechfunk, dass sich MTS "RK" hinter ihm befand. Kurz vor oder unmittelbar nach der Vorbeifahrt des Koppelverbandes "A"/"R" an MS "R" hat Schiffsführer J. nochmals über Sprechweg 10 eine Durchsage des MTS "RK" gehört. Nach der Schilderung der beiden Zeugen J. erfolgte auf diese letzte Meldung des MTS "RK" hin nach einer Weile dann die Durchsage des Koppelverbandes mit der Aufforderung an die Bergfahrt, sich zu melden. Eine Standort- und Kursmeldung des MTS "RK" ist nach den Angaben der Zeugen J. daraufhin nicht gegeben worden. Von dem Koppelverband ist nach den Zeugenbekundungen danach noch zweimal die Bergfahrt gebeten worden, sich zu melden und gleichzeitig angekündigt worden, dass man Backbord über Backbord passieren wolle. Auch diese Aufforderungen blieben ohne Antwort von MTS "RK". Nach einer Weile -und offenbar bereits nach dem Unfall- hörten die beiden Zeugen J. dann, dass von MS "A" über Sprechweg 10 gesagt wurde, MTS "RK" solle einmal auf Kanal 13 umschalten. Als Schiffsführer J. daraufhin, um  das Gespräch weiter verfolgen zu können, auf seinem Schiff ebenfalls von Kanal 10 auf Sprechweg 13 umschaltete, hörte er, dass von MS "A" bei MTS "RK" angefragt wurde, warum dieses Fahrzeug sich nicht gemeldet habe.
Da aufgrund dieser Aussagen der beiden unbeteiligten Zeugen J. feststeht, dass in der entscheidenden Phase der Annäherung von Berg-und Talfahrt die auf Sprechweg 10 wiederholt gegebenen eindeutigen Aufforderungen des talfahrenden Koppelverbandes an die Bergfahrt, sich zu melden, von der Führung des MTS "RK" unbeantwortet gelassen wurden, spricht eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass auf MTS "RK" in dieser Zeitspanne das Sprechfunkgerät überhaupt nicht auf Sprechweg 10, sondern auf den früher üblichen Sprechweg 13 geschaltet war. Diese Vermutung wird durch die Angaben des Steuermanns K. von MTS "RK" bestätigt, dass man sich auf MTS "RK" laufend über Kanal 13 gemeldet, auf diesem Kanal aber keine Antwort erhalten habe. Der Schiffsführer von MTS "RK" habe daraufhin auf Kanal 10 umgeschaltet und sich dort noch einmal gemeldete Da auch diese Meldung ohne Antwort geblieben sei, habe man wieder auf Kanal 13 zurückgeschaltet. Der von dem Zeugen K. geschilderte Geschehensablauf lässt sich unschwer mit den Bekundungen der beiden Zeugen J. in Einklang bringen, dass sich MTS "RK" in dem Zeitpunkt, als der Koppelverband gerade MS "R" passierte oder unmittelbar danach, über Kanal 10 meldete, später aber bei der weiteren Annäherung des Koppelverbandes alle dessen über Sprechweg 10 gegebenen Anfragen unbeantwortet blieben; denn diese Anfragen dürften in die Zeitspanne fallen, in der auf MTS "RK" nach einmaliger Benützung des Kanals 10 wieder auf Sprechweg 13 umgeschaltet worden war. In diesem Zusammenhang ist auch die Tatsache nicht ohne Bedeutung, dass im Gegensatz zu dem als Zeugen gehörten Matrosen Kleinau von MTS "Raab Karcher 110", der aussagte, dass man für alle Durchsagen ausschliesslich den Sprechweg 10  benutzt habe, der Schiffsführer M. dieses Fahrzeugs bei seinen Vernehmungen über die Sprechfunkdurchsagen doch gewisse Unsicherheit zeigte, indem er bei seiner ersten, unmittelbar nach dem Unfall erfolgten Anhörung durch die Wasserschutzpolizei erklärte, dass der Kanal 10 benutzt worden sei, bei seiner späteren Vernehmung vor Gericht dann den Kanal 13 als den benutzten Sprechweg bezeichnete und sich erst auf Vorhalt hin wieder auf Kanal 10 berichtigte. Auch die von den Zeugen J. schliesslich noch geschilderte Aufforderung des Koppelverbandes nach dem Unfall an MTS "RK", auf Kanal 13 umzuschalten und die auf diesem Sprechweg dann zustande gekommene Unterhaltung, die von den Zeugen mitgehört wurde, steht der Annahme, dass von MTS "RK" bei der Annäherung der Sprechweg 13 eingeschaltet war, nicht entgegen; denn das Gespräch konnte auf diesem Sprechweg mit dem Koppelverband auch zustande gekommen sein, ohne dass von MTS "RK" die vorherige, auf Sprechweg 10 gegebene Aufforderung des Koppelverbandes, auf Kanal 13 umzuschalten, mitgehört werden musste. Aber selbst wenn von MTS "RK" die Sprechfunkanlage nicht, wie aufgrund des Beweisergebnisses anzunehmen ist, fehlerhaft auf Sprechweg 13, sondern wie in § 6.351 RhPolVO vorgeschrieben, auf Sprechweg 10 auf Empfang geschaltet gewesen wäre, so fiele trotzdem der Führung dieses Fahrzeugs ein Verstoss gegen § 6.353 RhPolVO zur Last, da dann aufgrund der Bekundungen der neutralen Zeugen davon ausgegangen werden müsste, dass die nach  § 6.353 RhPolVO gebotenen Standort-, Fahrtrichtungs- und Kursmeldungen trotz der wiederholten dringenden Aufforderungen seitens der Talfahrt von MTS "RK" nicht abgegeben wurden. Die Führung dieses Fahrzeugs ist somit in jedem Falle der ihr obliegenden Verpflichtung, der herankommenden Talfahrt den Weg zu weisen, nicht nachgekommen, was zur Folge hatte, dass bei der Führung des MS "A" Unklarheit entstand, auf welcher Seite man dem auf dem Bildschirm ausgemachten Bergfahrer begegnen sollte, so dass sie schliesslich Steuerbordkurs nahm, was zu dem  Zusammenstoss führte.
 
Die Berufungskammer stimmt mit dem erstinstanzlichen Rheinschiffahrtsgericht darin überein, dass weitere unfallursächliche Fehler der Besatzung des MTS "RK" nicht nachzuweisen sind. Soweit Schiffsführer M. von MTS "RK" und sein Matrose Kl. bei ihrer unmittelbar nach dem Unfall erfolgten Vernehmung durch die Wasserschutzpolizei angaben, dass MTS "RK" kurz vor dem Unfall -wie auch die Besatzungsmitglieder des Koppelverbandes bekundeten- Backbordkurs genommen habe, war in der Beweisaufnahme nicht zu klären, ob diese Kursänderung nach Backbord eingeleitet worden war, bevor man erkennen konnte, dass der Talfahrer seinerseits Steuerbordkurs eingeschlagen hatte. Eine Feststellung über ein zusätzliches Verschulden wegen dieser Kurswahl nach Backbord kann deshalb nicht getroffen werden. Weiterhin ist seitens der Besatzung des MTS "RK" auch unwiderlegt angegeben worden, dass man alles versucht habe, um durch Maschinenmanöver und akustische Signale den Zusammenstoss abzuwenden.

III.
Zu Recht hat das Rheinschiffahrtsgericht auch ein adäquat kausales Mitverschulden des Schiffsführers des MS "A" angenommen, dem die Gesamtführung der beiden gekoppelten Talfahrzeuge oblag, weil er es in Verletzung des § 6.352 RhPolVO unterlassen hat, sofort seine Talfahrt zu unterbrechen, als die von ihm versuchte und als notwendig erachtete Funkverbindung mit dem auf dem Radarschirm ausgemachten herankommenden Bergfahrer nicht zustande zu bringen war. Es kann dahingestellt bleiben, ob die zunächst eingehaltenen Kurse der Berg-und Talfahrt scheinbar kollisionsfrei waren; denn schon die Tatsache, dass eine Sprechfunkverständigung über den Begegnungskurs nicht möglich war, schuf eine Gefahrenlage im Sinne des § 6.352 RhPolVO, so dass der Koppelverband "A"/"R" seine Talfahrt nicht mehr weiter fortsetzen durfte, sondern sofort anhalten musste. Nach dem Sachverhalt stand dem Koppelverband auch eine ausreichende Strecke zur Verfügung, um noch oberhalb des Bergfahrers anhalten zu können. Angesichts der Tatsache, dass die konkrete, zum Unfall führende Situation in der dargelegten Weise aufgeklärt werden konnte, ist es keine für die zivilrechtliche Haftung massgebliche adäquate Unfallursache, dass der Koppelverband MS "A"/"R" unter Verstoss gegen § 6.33 RhPolVO trotz des Fehlens der technischen und persönlichen Voraussetzungen für die Radarfahrt weitergefahren ist, obschon die Sichtverhältnisse eine Fahrt mit Augensicht nicht erlaubten.
Damit entfällt auch ein adäquat kausales Mitverschulden der Schiffsführerin des MS "R", das darin hätte erblickt werden können, dass diese es bei Eintritt des Nebels, also der optischen Voraussetzungen für eine Einstellung der Fahrt, unterlassen hat, nachdrücklich auf eine Fahrtunterbrechung wegen des ilir bekannten Fehlens der technischen und persönlichen Voraussetzungen für eine Radarfahrt hinzuwirken. Somit verbleibt als einziges zu Lasten der Führung des MS "A" zu berücksichtigendes kausales Mitverschulden, dass sie es in Verletzung des § 6.352 RhPolVO unterlassen hat, sofort bei Nichtzustandekommen der Sprechfunkverbindung mit MTS "RK" die Talfahrt abzubrechen.

IV.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Schiffszusammenstoss durch gemeinsames Verschulden der Führung des MTS "RK" sowie des MS "A" verursacht worden ist, für das die Eigner dieser Schiffe gemäss § 92 c des deutschen Binnenschiffahrtsgesetzes entsprechend dem Verhältnis der Schwere des auf jeder Seite obwaltenden Verschuldens haften. In Übereinstimmung mit dem Rheinschiffahrtsgericht ist auch die Berufungskammer der Auffassung, dass das Verschulden der Führung des MTS "RK", dem als Bergfahrer die Bestimmung des Begegnungskurses oblag, doppelt so schwer wiegt als dasjenige der Führung des talfahrenden Koppelverbandes "A"/"R" . Durch das Unterlassen der von der Talfahrt mehrfach dringend angeforderten Sprechfunkmeldung über Standort und Kurs des eigenen Fahrzeuges sowie Unterlassen der Mitteilung, ob die blaue Seitenflagge oder weisses Funkellicht gezeigt werde, hat die Führung des MTS "RK" die unklare Begegnungssituation geschaffen, die dann zu dem Zusammen-stoss führte. Dem Talfahrer fällt dagegen nur zur Last, dass er in unrichtiger Weise auf dieses Fehlverhalten des Bergfahrers reagierte, indem er nicht sofort seine Fahrt einstellte, als eine Sprechfunkverständigung mit dem von ihm auf dem Radarschirm ausgemachten Bergfahrer nicht zustande kam, sondern seine Fahrt fortsetzte und unglücklicherweise seinen Kurs zu einem Ausweichmanöver nach Steuerbord änderte, wohin auch der Bergfahrer ausweichend zuhielt. Die Frage, ob der Talfahrer seinen Kurs vorher linksrheinisch im Hang hatte und diesen an jener Stelle üblichen Kurs verliess, um nach Steuerbord zu halten, kann dahingestellt bleiben, da einmal die Beweisaufnahme nicht mit Sicherheit ergeben hat, ob der Koppelverband entgegen der eigenen Aussagen seiner Besatzung sich tatsächlich linksrheinisch befand, zum anderen  ein Fehlverhalten bei dieser Kursänderung nach Steuerbord eine Folge der unerlaubten Fahrtfortsetzung darstellt und in dieser bereits erfasst ist. Eine Haftungsverteilung im Verhältnis 2:1 ZU Lasten des Bergfahrers, wie sie das Rheinschiffahrtsgericht vorgenommen hat, ist nach dem oben Dargelegten somit nicht zu beanstanden. Die zu treffende Kostenentscheidung hat aus § 97 der deutschen Zivilprozessordnung zu erfolgen.

Es wird für Recht erkannt:

Die Berufung der Klägerin (Berufungsklägerin) gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 13.9.1974 wird als unbegründet abgewiesen und das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts bestätigt.

Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen der Klägerin (Berufungsklägerin) zur Last.

Die Festsetzung der Kosten unter Berücksichtigung des Artikels 39 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte erfolgt durch das Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort.


Der Gerichtskanzler:                                                          Der Vorsitzende:

(gez.) Doerflinger                                                               (gez.) S. Royer

Veröffentlicht in ZfB 1976, S. 403