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3 U 75/98 BSch - Oberlandesgericht (Schiffahrtsobergericht)
Decision Date: 26.02.1999
File Reference: 3 U 75/98 BSch
Decision Type: Urteil
Language: German
Court: Oberlandesgericht Köln
Department: Schiffahrtsobergericht

Urteil des Oberlandesgerichts – Schiffahrtsobergericht Köln

vom 26.02.1999

3 U 75/98 BSch


Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte und zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat das Amtsgericht - Schiffahrtsgericht - den von der Klägerin geltend gemachten Schadensersatzanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Denn es ist von einer schuldhaften Schadensverursachung auszugehen.

Dies folgt aus den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen über den Beweis des ersten Anscheins. Dieser setzt einen typischen Geschehensablauf voraus, der nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache hinweist. Die Gesamtgestaltung des Geschehens muss so sein, dass sich der aus der Erfahrung des Lebens gezogene Schluss ohne weiteres aufdrängt.

Diese Voraussetzung ist gegeben. Treibt ein Stillieger ab, und richtet er hierbei einen Schaden an, so besteht zugunsten des Geschädigten ein Anscheinsbeweis dahin, dass der Stillieger nicht genügend gesichert war (BGH, VersR 1971, 856 m.w.N.; Baumgärtel/Korioth, Hdb. der Beweislast, Bd. 4, §§ 92 - 92 f BSchG, Rn 21; Vortisch/Bemm, Binnenschiffahrtsrecht, 4. Aufl., § 92 Rn 9).

Dem kann der Schädiger zum einen dadurch begegnen, dass er Tatsachen behauptet und beweist, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs ergibt. Dabei hat er nicht den vollen Gegenbeweis für die behauptete Abweichung vom gewöhnlichen Verlauf der Dinge zu erbringen. Denn die Beweislast kehrt sich nicht um. Jedoch hat er Tatsachen darzutun und zu beweisen, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des typischen Ablaufs ergibt. Erst dann ist für die Anwendung des Anscheinsbeweises kein Raum mehr (OLG Köln, Urt. v. 6.6.1990 - 13 U 280/89 -). Die häufig nicht auszuschließende Denkmöglichkeit, dass ein Schadensereignis auch durch andere Ursachen ausgelöst worden sein kann, reicht zur Erschütterung nicht aus, sondern es müssen weitere Umstände hinzukommen und ggfs. bewiesen werden, die einen solchen Geschehensablauf als ernsthafte, ebenfalls in Betracht kommende Möglichkeit nahelegen (BGH, NJW 1978, 2032, 2033; 1991, 230, 231).

Zum anderen kann der Schädiger den hier gegebenen Anscheinsbeweis dadurch ausräumen, dass er die ordnungsgemäße Befestigung nachweist (BGH, VersR 1971, 856). Gelingt letzteres, so spricht dies dafür, dass ein unzulässiger Sog oder Druck bzw. Wellenschlag eines vorbeifahrenden Schiffes das Brechen der Befestigung des Stilliegers verursacht haben kann (BGH, VersR 1969, 1090; OLG Köln ZfB 1982, 402; Bemm/v. Waldstein, Rheinschiffahrtspolizeiverordnung, 3. Aufl., § 7.01 Rn 25).
Die Beklagten haben nicht zu beweisen vermocht, dass der Koppelverband MS H/SL B ordnungsgemäß befestigt war, auch wenn der Senat der Ansicht des Schiffahrtsgerichts, dass der Aussage des Zeugen K zur ordnungsgemäßen Befestigung bereits deshalb kein entscheidender Beweiswert zukomme, weil er Besatzungsmitglied des MS H und an der fraglichen Befestigung persönlich beteiligt war, in dieser Absolutheit nicht zu folgen vermag. Vielmehr sind Aussagen, bei denen der Zeuge ein Interesse am Ausgang des Rechtsstreits haben könnte, in besonderem Maße einer kritischen Würdigung zu unterziehen (Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 55. Aufl., § 286 Rn 36 f; Bemm/v. Waldstein, 3. Aufl., RheinSch PV § 7.01 Rn 25; aus dessen Kommentierung nichts anderes folgt).

Zur Frage der ordnungsgemäßen Befestigung haben es die Beklagten nicht vermocht, den entsprechenden Beweis zu erbringen. Diese ist letztlich offengeblieben, was dazu führt, dass der gegen sie sprechende Anscheinsbeweis nicht erschüttert ist. Zwar hat der Zeuge K, Matrose des MS H, bekundet, man habe das Schiff abends vorne mit einem Draht und einem Tau sowie hinten mit einem Tau befestigt. Die Befestigung sei durch Winden rack gezogen worden. Den Draht habe er mit 7-8 Schlägen über zwei Schiffspoller in Achten gelegt. Draht und Tau verliefen zum Land hin leicht nach oben, die Haken in der Spundwand hätten höher’ (geschätzt 50 cm) gelegen.
Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Entscheidung Schiffahrtsgerichts nicht zu beanstanden. Es hat weder Beweislastverteilung noch die Regeln über den Beweis ersten Anscheins verkannt...,

Dem gegenüber steht aber der unstreitige Umstand, dass die vorderen zwei Befestigungen nach dem Vorfall völlig unbeschädigt vorgefunden wurden, insbesondere nicht gerissen sind. Das spricht gerade nicht dafür, dass eine ordnungsgemäße Verbindung zum Land hin vorgenommen wurde, da sich beide ohne Substanzschaden haben lösen können.

Hierein fügt sich auch die weitere Bekundung des Zeugen K - auf die unten in anderem Zusammenhang nochmals einzugehen sein wird, nämlich dass er keinen Anlass sah, die Drähte zu kontrollieren, als er nachts durch die Manöver von „Aqua Team" wach wurde, weil ihm der Anstoß als „nicht besonders" erschien. Mithin spricht nichts’ dafür, dass durch das Anlegemanöver bereits die Befestigung beeinflusst worden sein könnte.

Es besteht im übrigen grundsätzlich aber auch die Pflicht, dass die Befestigung überprüft und rack gehalten werden muss. Der Schiffsführer darf sich nicht darauf verlassen, dass tatsächlich (oder vermeintlich) rack gezogene Drähte ihren Zustand nicht verändern. Wasserbewegungen oder Sogeinflüsse vorbeifahrender Schiffe, eine unzureichende Verankerung sowie die Strömungsverhältnisse sind geeignet, die einmal geschaffene Befestigungssituation negativ zu beeinflussen, wobei sich dies durchaus erst ganz allmählich auswirken kann (Bemm/v. Waldstein, § 7.01 Rn 16). Zu irgendwelchen Überprüfungen h der Zeuge K aber nicht veranlasst. Selbst wenn man ihm darin folgen wollte, dass und wie die Befestigung abends hergestellt wurde, so belegt dies angesichts der nach dem Ablauf verbleibenden Zweifel nicht, dass die Befestigung (hinreichend) ordnungsgemäß erfolgte und ein ordnunsgemäßer Zustand aufrechterhalten blieb.
Es ist den Beklagten auch nicht gelungen, Tatsachen darzulegen und zu beweisen, die eine ernsthafte, nicht bloß denkbare Möglichkeit nahelegen, dass der Schadensfall auf einem atypischen Geschehensablauf beruht. Dies gilt gerade für die Behauptung, der hintere Draht sei infolge der Manöver von „Aqua Team" gerissen, was letztlich das Abtreiben des Koppelverbandes bewirkt habe.

Was das kurzfristige Ablegen des SL B angeht, so ist zu berücksichtigen, daß derartige Manöver für eine ordnungsgemäße Befestigung einzubeziehen sind. Schiffe sind so festzumachen, dass sie sich durch äußere Einflüsse nicht verändern können. Dass ein solches Ablegen nichts Ungewöhnliches darstellt, haben die Zeugen Kund W übereinstimmend und glaubhaft bekundet. Dem sind die Beklagten auch nicht entgegengetreten. Dann musste aber von vornherein die Befestigung so ausgelegt werden, dass in einem solchen Falle nichts passieren konnte. Für ein ungewöhnlich beanspruchendes Manöver fehlt es an konkreten Anhaltspunkten. Die Bekundung des Zeugen K spricht dagegen, dass die Manöver von „Auga Team" schadensursächlich sein könnten. Danach ist er infolge eines Anstoßes zwar aufgewacht. Er hat aber weiter bekundet, dieser Anstoß sei nicht besonders heftig gewesen, so dass er keinen Anlass für die Annahme gehabt habe, die Befestigung des Koppelverbandes sei verändert worden. Hieraus folgt, dass der Zeuge, selbst als er sich an Deck begeben und die Ursache des Anstoßes registriert hatte, keinerlei Gründe für eine mögliche Gefährdung und zu Vorsichtsmaßnahmen sah. Dies widerspricht aber der Behauptung der Beklagten, das Ablegen des Leich¬ters habe zum Reißen oder der Veränderung der Befestigung zum Land hin geführt. Denn bei einem ordnungsgemäß gesicherten Schiff kann ein gewöhnliches Manöver nicht zum Brechender Lösen der Drähte und Taue führen.

Es ergeben sich auch keine Anhaltspunkte dafür, dass das Ablegen des Leichters oder durch „Aqua Team" verursachte Wellen- oder Sogbewegungen zum Reißen der Befestigung geführt haben könnten. Gleiches gilt für das Lösen der vorderen Drähte. Auch insoweit steht die Aussage des Zeugen K dem entgegen. Denn nachdem er an Deck das Festmachen des Leichters registriert hatte, habe er sich, so der Zeuge in seiner Aussage, wieder hingelegt und sei erst längere Zeit später von einem Wackeln des Schiffes wachgeworden. Er habe dann festgestellt, dass es zu einem Abtreiben und zu einer Kollision des Schiffsverbandes mit einem anderen Schiff gekommen war.

Hieraus lässt sich folgern, dass die weiteren Manöver von „Aqua Team" nach Ablegen des Leichters, also dessen Wiederaufnehmen und das Sichentfernen von Ort und Stelle, nicht von besonderer Intensität gewesen sein können. Jedenfalls haben sie den Zeugen K nicht mehr veranlasst, sich nochmals an Deck zu begeben. Dies ist um so gewichtiger, als er außerdem bekundet hat, er schlafe regelmäßig unruhig und könne nicht schlafen, wenn sich das Schiff bewege. Es spricht demgemäß viel dafür, dass der Zeuge bemerkt hätte wenn „Aqua Team" anlässlich ihres Weiterfahrens an Ort und Stelle so intensive Wellen- oder Sogbewegungen verursacht hätte, dass die Befestigung des Koppelverbandes, wenn sie denn ordnungsgemäß gewesen wäre, reißen musste. Auch aus den zeitlichen Abläufen lassen sich zugunsten der Beklagten keine Anhaltspunkte gewinnen. Denn erst längere Zeit (Stunden) nach dem Manöver von „Aqua Team" ist der Schadensfall eingetreten. Bei dieser langen Zeitspanne lässt sich eine hinreichende Verbindung zu dem Manöver nicht herstellen, mag der Liegeplatz auch in nahezu stehendem Gewässer gelegen haben.

Anderes ergibt- sich auch nicht aus der Bekundung des Zeugen W, keine außergewöhnlichen Manöver mit „Aqua Team" durchgeführt zu haben. Wenn auch der Zeuge als Streitverkündeter ein Interesse am Ausgang dieses Rechtsstreits haben könnte, so besteht angesichts der dargelegten Aussage des Zeugen K kein Grund dafür, ein andersartiges Verhalten zugrundezulegen. Dass im Übrigen die Verhängung eines Bußgeldes gegen den Zeugen Werkman kein Präjudiz darstellt, bedarf keiner Erläuterung.
Unter Abwägung aller Umstände ist es den Beklagten nicht gelungen, den gegen sie sprechenden Anscheinsbeweis zumindest zu erschüttern. Sowohl der Grund als auch der Zeitpunkt des Reißens des vorderen Drahtes sind hierbei völlig offengeblieben. Einer Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der damit reinen Denkmöglichkeit, dass das Abtreiben des Koppelverbandes durch die Manöver von „Aqua Team verursacht worden sein könnte, bedurfte es mithin nicht. Genauso wahrscheinlich ist es nämlich, dass sich die beiden Befestigungen im Bereich des Vorderschiffes wegen einer unsachgemäßen Ausführung zuerst gelöst haben, und zwar zu einem Zeitpunkt, als „Aqua Team" nicht vor Ort war. Dadurch hätte der Koppelverband mit seinem vollen Gewicht nur noch an dem hinteren Draht gehangen, so dass auch hierin die Ursache für das Reißen der Verbindung und das allmähliche Abtreiben bis hin zu Kollision liegen könnte.

Soweit die Beklagten die Geltung des schon von der Vorinstanz zu Recht bejahten Erfahrungssatzes bestreiten, geht dies fehl. Vorliegend handelt es sich nicht um einen individuellen Ablauf, der eines Anscheinsbeweises nicht zugänglich wäre, sondern um eine typische Situation, die in dem vom Senat bejahten Erfahrungssatz abstrahierend tatbestandlich erfasst worden ist. Die Regeln des Anscheinsbeweises sollen es gerade ermöglichen, ungeklärte konkrete Schadensereignisse unter Zuhilfenahme von Erfahrungssätzen beweisbar zu machen. Anderenfalls liefe dies darauf hinaus, dass der Geschädigte, der über den tatsächlichen Ablauf des Geschehens aus eigener Wahrnehmung gar nichts beitragen kann, prinzipiell beweisfällig bliebe (vgl. Schneider, Beweis und Beweiswürdigung, 3. Aufl., S. 93).

Daraus ergibt sich des Weiteren, dass entgegen der Ansicht der Beklagten kein Fall des § 92 a BSchG in der Alternative der Ungewissheit der Ursache vorliegt. Kraft des Erfahrungssatzes hat die Klägerin die Voraussetzungen des von ihr geltend gemachten Schadensersatzanspruches dem Grunde nach bewiesen.
Mithin war die Berufung mit der Kostenfolge des § 97 ZPO als unbegründet zurückzuweisen. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Zur Zulassung der Revision entsprechend dem Antrag der Beklagten sieht der Senat keinen Anlass, da die Voraussetzungen des § 546 1 ZPO nicht vorliegen. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch weicht der Senat mit seinem Urteil von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichte des Bundes ab.
Streitwert der Berufung und Beschwer der Beklagten: 11.849,-- DM.

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2000 - Nr.4 (Sammlung Seite 1778 ff.); ZfB 2000, 1778 ff.