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206 C 501/07 - Amtsgericht (Schiffahrtsgericht)
Decision Date: 06.05.2008
File Reference: 206 C 501/07
Decision Type: Urteil
Language: German
Court: Amtsgericht Berlin
Department: Schiffahrtsgericht

Leitsatz:

Der Schiffseigner eines Fahrgastschiffs muss seine Passagiere vor der Unterquerung niedriger Brücken warnen. Ihn trifft in sofern eine Verkehrssicherungspflicht, eine Gefährdungshaftung besteht jedoch nicht. Der Verkehrssicherungspflicht kann in Form von Hubsignalen, Lautsprecherdurchsagen oder Warnhinweisen beim Betreten des Schiffes Folge geleistet werden. Gegebenenfalls kann es auch erforderlich sein, Fahrgäste kurz vor der Unterquerung an einem Betreten des Oberdecks zu hindern.

Beschluss des Schifffahrtsobergericht Berlin 


Aktenzeichen 12 U 153/08 BSch vom 25. Juni 2009 und
Urteil des Schifffahrtsgericht Charlottenburg,
Aktenzeichen 206 C 501/07 vom 06. Mai 2008

Aus dem Tatbestand des Urteiles erster Instanz:

Am 03.08.2006 nahm die Klägerin als Fahrgast an einer Spreefahrt auf dem Fahrgastschiff des Beklagten zu 1 teil. Die Fahrt hatte sie vorher schon des Öfteren unternommen. Das Oberdeck des Schiffes verfügt über ca. 30 Stuhlreihen und ist ca. ca. 25, 5 m lang, das Oberdeck ca. 20 m. Die durchschnittliche Fahrtgeschwindigkeit betrug ca. 7 km/h.
Die Fahrgäste wurden bei Fahrtantritt und während der Fahrt nach Erreichen des Landwehrkanals sowohl vom Schiffsführer als auch vom Matrosen – dem Beklagten zu 2) – auf die Gefahren der niedrigen Brücken hingewiesen sowie darauf, dass während der Fahrt durch Ansagen über Lautsprecher und über zusätzliche akustische Signalgebung vor jeder Brücke auf die bevorstehende Unterquerung aufmerksam gemacht werden würde.
Die Fahrgäste wurden durch Lautsprecheransage vor den niedrigen Brücken gewarnt. Zusätzlich war am Aufgang zum Oberdeck am Heck des Schiffes der Beklagte zu 2) postiert, um Fahrgäste, die sich auf dem Unterdeck befanden, davon abzuhalten, im Zeitpunkt der Brückenunterquerung das Oberdeck zu betreten bzw. zu gewährleisten, dass die Anweisungen befolgt würden.
Die Klägerin hatte einen Platz auf dem Oberdeck vorne rechts. Während der Fahrt ging sie mit Ihrem Enkel unter Deck. Nachdem mehrere niedrige Brücken am Landwehrkanal unterquert waren, betrat die Klägerin zwischen der Bendler Brücke und der Potsdamer Brücke – die ca. 500 m auseinander liegen – das Oberdeck, um Ihren Platz wieder einzunehmen. Der Beklagte zu 2 war in diesem Moment nicht auf seinem Posten.
Auf dem Weg zu ihrem Platz ganz vorne, prallte die Klägerin in Richtung Bug gehend mit dem Kopf gegen einen Brückenträger und kam rückwärts zu Fall, wobei streitig ist, ob in der Mitte des Oberdecks (so die Klägerin) oder im vorderen Teil des Oberdecks (so die Beklagte). Die Klägerin wurde bewusstlos und wurde ins Krankenhaus gebracht. Sie befand sich zwei Wochen in stationärer Behandlung.

Die Klägerin hat als Folge des Unfalls keine Erinnerung mehr an dessen Hergang. Mit Anwaltsschreiben vom 12. Juli 2007 wurde die Klägerin bis zum 31. Juli 2007 zur Zahlung eines Schmerzensgeldes aufgefordert.

Klägerin behauptet:

Sie habe die Warnhinweise unter Deck nicht wahrgenommen.

Sie sei infolge des Unfalls für mehrere Stunden ins Koma gefallen. Sie habe ein Schädelhirntrauma, ein akutes Subduralhämatom, eine Kopfplatzwunde, eine Risswunde am Ellenbogen erlitten und habe unter Sprachstörungen gelitten. Bis heute sei sie gesundheitlich nicht wieder hergestellt. Sie leide unter einem Hörschaden rechts, Schwindelgefühl und eingeschränkter Motorik. Bis zum Zeitpunkt der Klagerhebung habe sie sich in fortdauernder ärztlicher und logopädischer Behandlung befunden. …

Der Beklagten behaupten: Die Klägerin sei auf der Höhe der fünften Reihe von vorne zu Fall gekommen. Die Fahrgäste seien durch Lautsprecheransagen des Schiffsführers vor jeder Brücke und so auch vor der Potsdamer Brücke, durch ein Hupsignal und eine Ansage der Stadtführerin angehalten worden, bei Brückendurchfahrten auf dem Oberdeck nicht von ihren Sitzen aufzustehen. Die über Lautsprecher gegebenen Warnhinweise seien sowohl auf dem Oberdeck als auch unter Deck gut zu hören gewesen. Zudem habe sich die Klägerin schon auf dem Oberdeck befunden, als die Warnhinweise betreffend der bevorstehenden Durchfahrt der BendlerBrücke erfolgt seien (ca. 30 m vor dem Erreichen der Brücke). Auch auf die Warnung durch einen Fahrgast habe die Klägerin nicht reagiert. Der Beklagte zu 2) habe – nachdem er seinen Posten verlassen habe, um auf die Toilette zu gehen – die Klägerin, die sich als einziger Passagier unter Deck befunden habe, dort persönlich angesprochen und sie vor der Brückendurchfahrt gewarnt. Die Beklagte habe hierauf signalisiert, die Warnung verstanden zu haben.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Zeugenvernehmung. …

Entscheidungsgründe des Urteiles erster Instanz:

Die Klage ist unbegründet.

I. Die Klägerin hat gegen den Beklagten zu
1) keinen Schmerzensgeldanspruch wegen Verletzung vertraglicher Nebenpflichten aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 278, 241 Abs. 2, 252 BGB. Dem Beklagten zu 1) ist eine Verletzung von Verkehrssicherungspflichten nicht vorzuwerfen. Im Binnenschifffahrtsrecht besteht keine Gefährdungshaftung (v. Waldstein/Holland, Binnenschiffahrtsrecht, 5. Auflage 2007, § 3 Rn. 27, 5 92 a Rn. 14). Eine solche Gefährdungshaftung ist wegen des für sie geltenden Enumerationsprinzips auch nicht in Gesetzesanalogie zum Straßenverkehrsgesetz, Luftverkehrsgesetz, Haftpflichtgesetz oder anderen gesetzlichen Regelungen zu begründen (BGH, NJW-RR 2006, 1098 m.w.N.)
Es kommt mithin allein auf die Verletzung von Verkehrssicherungspflichten an. Werden Ausflugsfahrten auf einem Kanal angeboten, der über niedrige Brücken verfügt, die für aufrecht stehende Passagiere auf dem Oberdeck in Kopfhöhe liegen, besteht durchaus eine berechtige Sicherheitserwartung, dass besondere Vorkehrungen getroffen werden, die Passagiere bei Brückendurchfahrten davor bewahren, sich an Oberdeck aufzurichten. Der Beklagte zu 1) hat hierfür Sicherheitsmaßnahmen dergestalt getroffen, dass die Fahrgäste vor Fahrtantritt Verhaltensmaßregeln an die Hand bekommen haben und unmittelbar vor Unterquerung einer Brücke Hupsignale gegeben wurden, so auch vor der streitgegenständlichen Brücke, wie nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts feststeht. Alle vernommenen Zeugen, an deren Glaubwürdigkeit im Hinblick auf ihre Neutralität keine Zweifel bestehen, haben glaubhaft bestätigt, dass vor jeder Brückendurchfahrt, insbesondere auch vor Unterquerung der Potsdamer Brücke Warnsignale gegeben wurden. Warnungen über den Lautsprecher und Hupsignale zu geben, ist – jedenfalls für die auf dem Oberdeck befindlichen Fahrgäste – eine nahe liegende, zweckmäßige und ausreichende Sicherheitsmaßnahme. Soweit der Beklagte zu 2) darüber hinaus darauf achten sollte, dass die Fahrgäste den über Lautsprecher gegebenen Anweisungen auch Folge leisteten, war dies eine überobligatorische Sicherheitsvorkehrung. Denn im Rahmen der Eigenverantwortung der Fahrgäste auf dem Oberdeck konnte von ihnen erwartet werden, dass sie – insbesondere nachdem sie bereits bei Fahrtantritt auf die Gefahren und Verhaltensregeln hingewiesen worden waren – ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit würden walten lassen, d.h. den An-sagen lauschen und ihr Umfeld beobachten würden.

Darüber hinaus mag es notwendig sein, die Fahrgäste, welche sich unter Deck befinden, davor zu schützen, genau in dem Augenblick den Aufstieg zum Oberdeck anzutreten, in dem die Brückendurchfahrt unmittelbar bevorsteht. Insbesondere wenn die Möglichkeit eröffnet wird, sich unter Deck mit Verpflegung und Getränken zu versorgen, so dass zu einem Hin- und Her zwischen Oberdeck und Unterdeck geradezu herausgefordert wird, findet dieser Befund seine Bestätigung. Es ist mithin nicht fern liegend, dass Passagiere das Oberdeck spontan betreten, ohne sich in diesem Augenblick der Gefahr bewusst zu sein oder sie richtig einzuschätzen. Dies kann jedoch nur für den Zeitraum gelten, in dem die Brückenunterquerung gerade stattfindet oder unmittelbar bevorsteht. Unmittelbar bevorsteht die Brückenunterquerung, wenn der Fahrgast, der die Treppe vom Unterdeck zum Oberdeck benutzt, keine Zeit mehr hat, sich zu orientieren und auf die sich nähernde Brücke angemessen zu reagieren. Dies ist jedenfalls dann nicht mehr der Fall, wenn der Fahrgast – wie hier die Klägerin – die Treppe deutlich verlassen hat und sich bereits (mindestens) in der Mitte des Oberdecks befindet. In diesem Fall hatte der Fahrgast ausreichend Zeit, sich an Oberdeck zu orientieren und nach der – über Lautsprecher angekündigten – Brücke Ausschau zu halten und sich entsprechend zu verhalten. In dem Zeitpunkt, als die Klägerin den Aufstieg zum Oberdeck antrat, stand die Brückenunterquerung gerade nicht unmittelbar bevor, so dass es (noch) nicht erforderlich war, dass der Beklagten zu 2) seinen Posten an der Treppe bezog. Die Klägerin ist insoweit nicht anders zu behandeln als die übrigen Fahrgäste des Oberdecks. Dass der Beklagte zu 2) – oder eine Ersatzperson, für die der Beklagten zu 1) wohl zu sorgen hätte – auch kurz vor der Brückenunterquerung noch nicht wieder auf seinem Platz stand, mag zwar eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht gewesen sein, jedoch ist diese nicht kausal für den Unfall geworden

Selbst wenn man der Auffassung ist, dass die Fahrgäste, die sich unter Deck befinden, nochmals einer persönlichen Ansprache bedürfen, weil zu befürchten ist, dass sie durch Essen und Trinken sowie den räumlichen Abstand zum Oberdeck und der Umgebung abgelenkt sind und den Warnsignalen nicht die erforderliche Beachtung schenken, so wäre auch diese Sicherheitsvorkehrung erfüllt. Denn nach der Überzeugung des Gerichts hat der Beklagten zu 2) die Klägerin nochmals persönlich unter Deck angesprochen und sie gewarnt, dass sie mit den Brücken aufpassen solle, wenn sie hochgehe. Der Beklagte zu 2) hat von Anfang an behauptet und im Rahmen der Parteivernehmung nochmals bekräftigt, dass er die Klägerin unter Deck persönlich angesprochen und gewarnt hat. Die Klägerin habe hierauf sinngemäß geantwortet, sie mache solch eine Schiffsfahrt nicht das erste Mal. Das Gericht hält dies für glaubhaft. Der Beklagte zu 2) hat bei seinem Gang zur Toilette unter Deck allein die Klägerin angetroffen und da er für die Gefahren sensibilisiert war und er seinen Posten verlassen musste, ist es nicht fernliegend, dass er die Klägerin persönlich angesprochen hat. Schadensursächlich war mithin allein das unachtsame Verhalten der Klägerin. Sie ist nach dem Vortrag des Beklagten (und auch nach den Zeugenaussagen) im vorderen Teil, nach dem Vortrag der Klägerin in der Mitte des Oberdecks zu Fall gekommen. Dies bedeutet, dass sie schon für einen signifikanten Zeitraum Übersicht über das Terrain gewonnen haben muss. Sie ist über mindestens 10 Meter sehenden Auges in ihr Unglück gelaufen. Bei Wahrung der elementaren Eigensorgfalt hätte sie nicht um jeden Preis ihren vormals besetzten Platz ganz vorne einnehmen dürfen, sondern sich bei der Anfahrt auf die Brücke auf den nächstliegenden Platz setzen oder sich zumindest bücken müssen, um die Brückendurchfahrt abzuwarten.
Aus demselben Grund bestehen auch keine Ansprüche aus deliktischer Haftung.

II.  Ein Anspruch gegen den Beklagten zu 2) scheitert zum einen aus den unter Ziff. I erörterten Gründen und besteht überdies auch schon aus anderem Grund nicht. Denn zwar bleibt bei einem Arbeitnehmer, wenn er einen Dritten schädigt, der weder Arbeitgeber noch Arbeitskollege ist, die nach §§ 823, 276 begründete Haftung grundsätzlich unberührt (BAG VRS 14, 328). Hier oblag die Verkehrssicherungspflicht im Außenverhältnis aber nicht dem Beklagten zu 2, sondern seinem Arbeitgeber, dem Beklagten zu 1. Mithin kann ein Unterlassen des Beklagten zu 2 nur das Innen, nicht aber das Außenverhältnis tangieren.

Gründe des Beschlusses zweiter Instanz:
Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg . ...
Der Senat folgt hinsichtlich der Abweisung der Klage gegen den Beklagten den zutreffenden Gründen auf S. 6 (das sind die letzten drei Absätze der Entscheidungsgründe. Red.) der angefochtenen Entscheidung, die durch die Berufungsbegründung nicht entkräftet werden.
Zu Recht und von der Berufung unangegriffen hat das Amtsgericht … ausgeführt, dass den Beklagten als Matrosen und damit weisungsgebundenen Arbeitnehmer im Verhältnis zur Klägerin als Passagierin nach den Umständen des konkreten Falles keine eigene haftungsbegründende Verkehrsicherungspflicht traf (die von der Rechtsprechung insoweit entwickelten Fallgruppen von Verkehrssicherungspflichten beziehen sich auf Personen, die eine selbstständige Stellung haben, vgl. Palandt/Sprau, BGB, 68. Aufl. 2009, § 823 BGB, Rn. 49 m.w.N.).
Insofern kommt – jedenfalls im rechtlichen Ansatz – allenfalls eine Haftung des ursprünglichen Beklagten zu 1), W, im Unfallzeitpunkt handelnd unter »Reederei S«, für den Beklagten als seinen Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB auf Grundlage von vertraglich begründeten Verkehrssicherungspflichten in Betracht; die hebt die Klägerin auf Seite 3 der Berufungsbegründung selbst hervor.
Eine eigenständige Haftung des Beklagten als weisungsgebundenen Arbeitnehmer scheidet aus mit der Folge, dass es auf die Berufungsausführungen der Klägerin zu den sonstigen Haftungsvoraussetzungen nicht ankommt.

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2009 - Nr.12 (Sammlung Seite 2055 ff.); ZfB 2009, 2055 ff.