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2 BvL 4/65 - Bundesverfassungsgericht (-)
Decision Date: 19.12.1967
File Reference: 2 BvL 4/65
Decision Type: Beschluss
Language: German
Court: Bundesverfassungsgericht Karlsruhe
Department: -

Leitsatz:

Zur Frage der Übernahme der Bergbau-Altlasten durch andere Berufsgenossenschaften bzw. deren Mitglieder. Artikel 3 §§ 1 und 2 und Artikel 4 § 16 Abs. 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung (Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz - UVNG) vom 30. April 1963 (BGBI. 1 S. 241) sind mit dem Grundgesetz vereinbar.

Beschluss des Bundesverfassungsgerichts

vom 19. Dezember 1967

Zum Tatbestand:

Durch das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz - UVNG - vom 30. 4. 1963 ist mit Wirkung vom 1. 1. 1963 die Rentenlast der Bergbau-Berufsgenossenschaft, soweit sie vor dem 1. 1. 1953 entstanden war, der Gesamtheit der gewerblichen Berufsgenossenschaften sowie der See-Berufsgenossenschaft - u. a. auch der Binnenschifffahrts-Berufsgenossenschaft - auferlegt worden. Ebenso wie viele andere Verfahren, so auch durch Betriebe der Binnenschifffahrt, eingeleitet wurden, klagte ein Unternehmen der Nahrungsmittelindustrie vor dem Sozialgericht in Duisburg gegen seine Berufsgenossenschaft mit dem Antrag, den Beitragsbescheid, mit dem die Beklagte die Klägerin zur Zahlung des auf sie entfallenden Anteils an der Alt-Rentenlast der Bergbau-Berufsgenossenschaft aufgefordert hatte, für nichtig zu erklären.
Das Sozialgericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob die entscheidenden Bestimmungen des UVNG (Art. 3 §§ 1, 2 und Art. 4 § 16 Abs. 1) mit den Artikeln 3, 14, 20 und 24 GG vereinbar seien, da es selbst diese Bestimmungen für verfassungswidrig hält.
Das Bundesverfassungsgericht hält die Bestimmungen für verfassungsmäßig.

Aus den Gründen:

„Wie sich aus der Entstehungsgeschichte des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes ergibt, hatte sich hinsichtlich der in der Unfallversicherung beabsichtigten Änderungen eine Wandlung vollzogen. Der Vorschlag des Sozialausschusses des Bundestages zielte auf eine erste Neuordnung im System der Unfallversicherung ab, indem er die gewerblichen Berufsgenossenschaften zu 6 Gruppen zusammenfasste, innerhalb deren die Rentenaltlast gemeinsam getragen werden sollte. Die spätere - zum Gesetz gewordene - Vorlage hatte nur noch eine Entlastung der Bergbau-Berufsgenossenschaft zum Gegenstand.

Ob die getroffene Regelung noch in den Rahmen des Art. 74 Nr. 12 (Sozialversicherung) fällt und die Gesetzgebungsbefugnis des Bundesgesetzgebers aus dieser Verfassungsnorm hergeleitet werden kann, bedarf keiner Entscheidung. Art. 3 UVNG müsste, wenn nicht dem Sozialversicherungsrecht, dem Recht der Wirtschaft zugeordnet werden. Der Bundesgesetzgeber wäre dann jedenfalls nach Art. 74 Nr. 11 zuständig. Auch unter dieser Voraussetzung ist er zu einer Umverteilung von Belastungen der Wirtschaft in der durch Art. 3 UVNG unternommenen Art und Weise befugt.

Das System der Unfallversicherung gehört seit der Schaffung der Sozialversicherungsgesetze des Kaiserreichs, zusammengefasst in der Reichsversicherungsordnung vom 19. Juli 1911 (RGBI. S. 509), zum festen Bestand der deutschen Rechtsordnung. Seine Besonderheit liegt darin, dass es eine Zwangsgemeinschaft der „Unternehmer" begründet, die ohne Ansehen der individuellen Verantwortlichkeit solidarisch für die Folgen der von den Versicherten erlittenen Berufsunfälle aufkommt. Zwar ist die Unfallversicherung seit ihrer Einführung berufsgenossenschaftlich gegliedert; grundsätzlich bringt jeder Gewerbezweig, der eine Berufsgenossenschaft bildet, die Mittel für die in seinem Bereich entstehenden Unfallversicherungslasten selbst auf. Wegen der in den einzelnen Gewerbezweigen sehr verschiedenen Unfallgefahr liegt dieses berufsgenossenschaftliche Prinzip besonders nahe. Die gesetzliche Regelung der Unfallversicherung ist aber niemals von einer unabänderlichen Autarkie der bestehenden Berufsgenossenschaften ausgegangen. Die sachliche Zuständigkeit der Berufsgenossenschaften nach Art und Gegenstand der Unternehmen kann durch Rechtsverordnung geändert werden (§ 646 Abs. 2 RVO). Eine Berufsgenossenschaft kann geteilt, mehrere Berufsgenossenschaften können vereinigt, neue Berufsgenossenschaften gebildet werden. Die Berufsgenossenschaften können vereinbaren, ihre Entschädigungslast gemeinsam zu tragen; eine Gemeinlast oder eine gegenseitige Unterstützung der Berufsgenossenschaften kann auch durch Rechtsverordnung angeordnet werden (§§ 737 f. RVO n. F.; §§ 714, 715a RVO a. F.). All diese Möglichkeiten zeigen, dass der Wirtschaftsbereich, innerhalb dessen die aus Arbeitsunfällen erwachsenden Lasten gedeckt werden, schon nach der herkömmlichen Struktur der Unfallversicherung keineswegs ein für allemal festgelegt ist, sondern ausgeweitet und eingeengt werden kann. Ein Risikoausgleich über die Grenzen einer Berufsgenossenschaft hinaus ist der Unfallversicherung demnach keineswegs fremd. Ordnet der Gesetzgeber einen solchen Ausgleich an, so ist er an die Voraussetzungen, die die Reichsversicherungsordnung - etwa in § 739 - dafür aufstellt, naturgemäß nicht gebunden, vorausgesetzt, dass die „wesentlichen Strukturelemente" (BVerfGE 11, 105 [112]) gewahrt bleiben.

Eine unvermeidliche und immanente Auswirkung dieses Systems besteht darin, dass jede Unterstützungsaktion für eine Berufsgenossenschaft gleichzeitig dem betreffenden Wirtschaftszweig zugute kommt. Sie wirkt nicht nur im unfallversicherungsrechtlichen, sondern auch im wirtschaftlichen Bereich. Die Auswirkung unfallversicherungsrechtlicher Maßnahmen auf die wirtschaftliche Lage eines Gewerbezweiges führt jedoch nicht dazu, dass solche Maßnahmen notwendigerweise zu einer öffentlichen Angelegenheit werden, deren Lasten nur die Allgemeinheit treffen und die deshalb nur mit öffentlichen Mitteln durchgeführt werden darf. Selbstverständlich kann der Staat mit unmittelbaren Zuwendungen (z. B. Subventionen) helfen, wie es durch § 723 Abs. 2 RVO geschehen ist. Dem Gesetzgeber ist es aber im Hinblick auf die dem Unfallversicherungswesen eigene Solidarität der Unternehmer auch nicht verwehrt, die wirtschaftliche Stützung eines Gewerbezweiges durch, eine Umverteilung innerhalb der Berufsgenossenschaften herbeizuführen. Der Charakter der dem einzelnen Mitglied einer Berufsgenossenschaft dadurch erwachsenden zusätzlichen Leistungen an seine Berufsgenossenschaft ändert sich nicht; sie bleiben Beiträge im Rahmen der Unfallversicherung.

Unter diesen Umständen kann die Frage, ob eine „direkte Umverteilung" (s. oben A II 3) nur auf dem Wege über die gemäß Art. 110 GG im Haushalt ausgewiesenen Mittel zulässig ist, auf sich beruhen. Die Zulässigkeit der Regelung des Art. 3 UVNG bestimmt sich ausschließlich nach den - auch von dem vorlegenden Gericht angeführten - grundgesetzlichen Normen, insbesondere dem Gleichheitsprinzip.
Art. 3 UVNG ist mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.

Das Sozialgericht geht mit Recht davon aus, dass der Gesetzgeber bei der Regelung der Verhältnisse von Körperschaften des öffentlichen Rechts an den Gleichheitssatz gebunden ist. Zwar können sich Körperschaften des öffentlichen Rechts im Bereich ihrer öffentlichen Aufgaben nicht auf Art. 3 Abs. 1 GG als Grundrecht berufen (BVerfGE 21, 362 [369]). In Art. 3 Abs. 1 GG kommt jedoch zugleich ein allgemeiner Rechtsgrundsatz zum Ausdruck, der bereits aus dem Wesen des Rechtsstaats, dem Prinzip der allgemeinen Gerechtigkeit folgt; insofern beansprucht der Gleichheitssatz auch Geltung für die Beziehungen innerhalb des hoheitlichen Staatsaufbaus (BVerfGE 21, 362 [372]). Im Übrigen muss die Regelung des Art. 3 UVNG den Anforderungen des Gleichheitssatzes schon deshalb genügen, weil sie sich auf die - grundrechtsfähigen - Mitglieder der Berufsgenossenschaften auswirkt.

Nach der feststehenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegt ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nur dann vor, wenn der Gesetzgeber versäumt, tatsächliche Gleichheiten oder Ungleichheiten der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, dass sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise beachtet werden müssen. Der Gesetzgeber hat hiernach weitgehende Gestaltungsfreiheit. Es ist nicht Sache des Bundesverfassungsgerichts zu prüfen, ob er jeweils die gerechteste und zweckmäßigste Regelung getroffen hat, sondern lediglich ob jene äußersten Grenzen gewahrt sind (BVerfGE 14, 221 [238]).

1. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz wird darin gesehen, dass Art. 3 UVNG einseitig die Bergbau-Berufsgenossenschaft und damit den Bergbau begünstigt, obwohl auch andere Gewerbezweige in Schwierigkeiten seien. Diese bevorzugte Behandlung der Bergbau-Berufsgenossenschaft rechtfertigt sich indessen aus der Situation zur Zeit des Erlasses des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes. Sie ergibt sich aus der Darstellung von Watermann (vgl. Der Kompass, Zeitschrift für Sozialversicherung im Bergbau, 75 [1965] S. 130f.), die für das Jahr 1962 folgendes Bild bietet (wird ausgeführt):
Es bestand ein wachsendes krasses Missverhältnis zwischen der Belastung der Bergbau-Berufsgenossenschaft und der der anderen Berufsgenossenschaften. Das Eingreifen des Gesetzgebers beruhte unter diesen Umständen auf gewichtigen, die tatsächliche Ungleichheit berücksichtigenden Erwägungen. Die Art und Weise, in der der Gesetzgeber die Verhältnisse regelte, hält sich in den Grenzen der ihm zukommenden Gestaltungsfreiheit.

Art. 3 UVNG führte keine Nivellierung der Lasten innerhalb der Berufsgenossenschaften herbei. Nach einem von der Hauptverwaltung der Bergbau-Berufsgenossenschaft am 20. Mai 1965 erstatteten, von keiner Seite in Zweifel gezogenen Bericht über „Höhe und Entwicklung der Belastung der Bergbau-Berufsge-nossenschaft im Vergleich mit anderen gewerblichen Berufsgenossenschaften vor und nach der Entlastung gemäß Art. 3 UVNG" blieb die Bergbau-Berufsgenossenschaft auch nach der Neuordnung die am stärksten belastete Berufsgenossenschaft.

Von einem willkürlichen Eingriff in bestehende Rechtsverhältnisse kann deshalb keine Rede sein.

2. Eine gleichheitswidrige Differenzierung sieht das vorlegende Gericht darin, dass nach Art. 3 UVNG nur die gewerblichen Berufsgenossenschaften einschließlich der See-Berufsgenossenschaft, nicht aber die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften und die Träger der Unfallversicherung der öffentlichen Hand an der Aufbringung der Bergbau-Altlast beteiligt sind. Für diese Differenzierung gibt es jedoch sachlich einleuchtende Gründe.

Der Gesetzgeber hat sich entschlossen, den wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Bergbaus auch dadurch zu steuern, das er die Unfallversicherungs-Lasten dieses Wirtschaftszweiges in gewissem Umfang anderen Wirtschaftszweigen auferlegt; dies bedeutet eine Hilfe innerhalb der Wirtschaft aus eigener Kraft. Landwirtschaft und Gartenbau werden schon selbst vom Bund auf mannigfache Weise nach dem „Grünen Plan" finanziell unterstützt. Wenn der Gesetzgeber die Lage dieser Wirtschaftszweige so einschätzt, dass er sie von einer Beteiligung an der Unterstützungsaktion freistellt, so liegt dies auf der Linie zu dem erstrebten Ziel und beruht auf sachlich noch vertretbaren Gründen.

Das Bundesverfassungsgericht hat bereits bei der Prüfung des Fremdrentengesetzes in seiner Entscheidung vom 24. Juli 1962 (BVerfGE 14, 221 ff.) entsprechende Gesichtspunkte dargelegt (a. a. O. 238 ff.). Sie gelten auch hier. Wenn der Gesetzgeber unter diesen Umständen zur Finanzierung der Bergbau-Altlast nur die gewerblichen Berufsgenossenschaften verpflichtet hat, dem die Bergbau-Berufsgenossenschaft selbst angehört, so liegt darin keine willkürliche Ungleichbehandlung von im wesentlichen gleichen Sachverhalten.

3. Das vorlegende Gericht hat einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz ferner darin erblickt, dass durch die - den Bergbau begünstigende, die anderen Gewerbezweige belastende - Regelung des Art. 3 UVNG auch solche Unternehmen des Bergbaus begünstigt würden, die durchaus in der Lage wären, den vollen Beitrag für die Bergbau-Berufsgenossenschaft zu zahlen, während manche Mitglieder der anderen gewerblichen Berufsgenossenschaften an der sie treffenden zusätzlichen Last schwer zu tragen hätten. Wie das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung hervorgehoben hat, steht dem Gesetzgeber bei der Bestimmung des Personenkreises, für den die gesetzliche Regelung Anwendung finden soll, ein weiter Spielraum zur Verfügung, dessen Grenzen dadurch bestimmt werden, das für die gesetzliche Maßnahme einleuchtende Gründe vorhanden sind (BVerfGE 11, 245 [253], vgl. 9, 20 [32] und 17, 1 [23]). Ein solcher einleuchtender Grund liegt darin, dass eine Generalisierung notwendig war. Der Gesetzgeber, der im Hinblick auf die übermäßig hohen Beitragslasten der Mitglieder der Bergbau-Berufsgenossenschaft eine Änderung der Verteilung der Lasten für geboten halten durfte, konnte nicht die wirtschaftliche Lage jedes einzelnen Unternehmens berücksichtigen. Die Regelung hält sich, daher ebenfalls in dieser Hinsicht noch im Rahmen der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit.

4. Auch der vom Sozialgericht beanstandete Maßstab der Lohnsumme, nach dem die Bergbau-Altlast gemäß Art. 3 § 2 UVNG verteilt wird, verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz.

Die Berechnung nach der Lohnsumme ist in der Unfallversicherung herkömmlich. Sie benachteiligt zwar die lohnintensiven Betriebe; aber auch andere Maßstäbe sind für gewisse Betriebe günstig, für andere ungünstig (BVerfGE 11, 105 [119 f.]). Der Maßstab der Lohnsumme mag unbefriedigend sein, er ist jedoch nicht sachfremd. Er hat den Vorzug, sicher und nicht manipulierbar zu sein. Er knüpft außerdem an ein seit langem bestehendes Erhebungssystem an, dessen Änderung mit einem erheblichen Verwaltungsaufwand verbunden wäre.

Art. 3 UVNG verstößt auch nicht gegen andere Grundgesetznormen.

1. Die Regelung ist mit Art. 2 Abs. 1 GG vereinbar.

Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet nicht nur natürlichen Personen, sondern auch Handelsgesellschaften und juristischen Personen des privaten Rechts eine allgemeine Handlungsfreiheit (BVerfGE 10, 89 [99]; 201, 323 [336]). Die durch Art. 3 UVNG bedingte Erhöhung der Unfallversicherungsumlage ist aber nicht von solchem Gewicht, dass die betroffenen Unternehmen in der Freiheit ihrer wirtschaftlichen Betätigung ernstlich beeinträchtigt werden.

2. Art. 14 GG ist gleichfalls nicht verletzt.

Soweit die Berufsgenossenschaften durch Art. 3 UVNG belastet werden, kommt ein Verstoß gegen Art. 14 GG schon deshalb nicht in Betracht, weil Körperschaften des öffentlichen Rechts im Bereich ihrer öffentlichen Aufgaben den Schutz des Art. 14 GG nicht genießen (BVerfGE 21, 362 [369 ff.]).
Art. 3 UVNG verletzt aber auch insoweit die Eigentumsgarantie nicht, als er die Mitglieder der gewerblichen Berufsgenossenschaften betrifft.

Die Auferlegung solcher Zwangsbeiträge enthält aber keine Verletzung des Eigentums, es sei denn, dass die Beiträge jedes Maß übersteigen (BVerfGE 14, 221 [242]; 10, 354 [371]). Dass die durch Art. 3 UVNG bedingte Erhöhung der Beitragspflichten der Mitglieder der gewerblichen Berufsgenossenschaften nicht „jedes Maß übersteigt", ergibt sich aus den oben angeführten Zahlen.

3. Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass Art. 3 UVNG gegen das Subventionsverbot des Art. 4 Buchst. c EGKS-Vertrag verstößt.

Aus Art. 68 § 5 Abs. 2 EGKS-Vertrag ergibt sich, dass der Vertrag zu den Formen der Sozialleistungen im Sinne des § 1 auch die Vorschriften über die Finanzierung der Sozialversicherung rechnet und dass er von der Zulässigkeit einer Änderung dieser Vorschriften ausgeht. Staatliche Maßnahmen im Rahmen der Unfallversicherung berühren das Verbot des Art. 4 Buchst. c EGKS-Vertrag demnach nicht.
Nach Art. 4 § 16 Abs. 1 UVNG tritt Art. 3 bereits am 1. Januar 1963, also 4 Monate vor den übrigen Bestimmungen des Gesetztes (30. April 1963) in Kraft. Diese Rückwirkung ist nicht verfassungswidrig.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind belastende Gesetze, die sich echte Rückwirkung beilegen, regelmäßig „unvereinbar mit dem Gebot der Rechtsstaatlichkeit, zu dessen wesentlichen Elementen die Rechtssicherheit gehört, die ihrerseits für den Bürger in erster Linie Vertrauensschutz bedeutet" (BVerfGE 18, 429 [439]). Echte Rückwirkung liegt vor, wenn ein Gesetz „nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift" (BVerfGE 11, 139 [145 f.]). Art. 4 § 16 Abs. 1 UVNG ordnet eine solche echte Rückwirkung nicht an. Zwar ergibt sich aus Art. 4 § 16 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 UVNG, dass alle Zahlungen, die die Bergbau-Berufsgenossenschaft vom 1. Januar 1963 an auf Grund der alten Versicherungsfälle zu leisten hat, von der Gesamtheit der gewerblichen Berufsgenossenschaften und damit von deren Mitgliedern zu decken sind. Diese Deckung betrifft jedoch die Gesamtheit der im Lauf des Jahres anfallenden Zahlungen, deren Summe erst nach Ablauf des Jahres festgestellt wird. Deshalb regelt Art. 4 § 16 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 UVNG nicht nachträglich einen bereits in der Vergangenheit liegenden, abgeschlossenen Tatbestand, sondern einen Tatbestand, der zur Zeit der Verkündung des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes am 30. April 1967 noch in der Entwicklung begriffen war."