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162 Z - 5/84 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Decision Date: 22.03.1981
File Reference: 162 Z - 5/84
Decision Type: Urteil
Language: German
Court: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Department: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt

vom 22. März 1981

(Auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts St. Goar vom 2. Februar 1983 -MC 16/81 BSchRh -)

Zum Tatbestand:

Die Klägerin war bis 1981 die Ausrüsterin des MTS "C". Die Beklagten sind die Eignerin und der Schiffsführer des MTS "MM". Zu dem vorliegenden Rechtsstreit ist es aus den folgenden Gründen gekommen:

Das MTS "MM" hatte Ende März 1980 auf einer Fahrt von Neuwied nach Karlsruhe den Steuerbordanker mit der ganzen Kette verloren, ohne dass die Besatzung den Verlust bemerkt hatte. Es wurde durch Zufall in Karlsruhe festgestellt und der zuständigen Behörde gemeldet, ohne dass die Verluststelle angegeben werden konnte. Anker und Kette sind am 10.12.1980 bei einer Suche unter Einsatz des Taucherschachtes "KA" bei Km 551.970 (Geisenrücken - Raum Loreley) gefunden worden. Diese Suche war aus dem folgenden Grunde veranlasst worden.

Am 13.11.1980 hatte das MTS "C" auf der Bergfahrt im Raume Geisenrücken, etwa bei Km 552, durch Kollision mit einem unter Wasser liegenden Hindernis Leckage erlitten. Da dieses der zweite Fall dieser Art im gleichen Raume innerhalb kurzer Zeit war und eine Suche mit einem Peilrahmen zu keinem Erfolg geführt hatte, wurde der Taucherschacht "KA" eingesetzt, der Anker und Kette des MTS "MM" sofort fand.
 
Die Klägerin hat behauptet, ihr Schiff sei auf diesen Anker gefahren und dabei schwer beschädigt worden. Die Beklagten haben dies bestritten und behauptet, das Schiff der Klägerin habe sich seine Beschädigungen bei der Auffahrt auf Felsbrocken unter Wasser zugezogen. Außerdem haben die Beklagten die Ansicht vertreten, die Besatzung des MTS "MM" sei für den Verlust des Ankers mit Kette nicht verantwortlich.

Nach der Behauptung der Klägerin beträgt ihr mit der Havarie verbundene Schaden DM 192.885,86 DM. Weiter hat sie vorgetragen, ständig Bankkredit in Anspruch zu nehmen für den sie 12 % Zinsen bezahlen müsse.

Es haben beantragt:

Die Klägerin, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie DM 192.885,86 nebst 12 % Zinsen seit dem 20.3.1981 zu bezahlen und auszusprechen, dass die Beklagte zu 1) sowohl dinglich mit dem MTS "MM", als auch persönlich im Rahmen des Binnenschifffahrtsgesetzes hafte.

Die Beklagten, die Klage abzuweisen.

Das Rheinschifffahrtsgericht St. Goar hat Zeugen vernommen. Ferner hat es die Verklärungsakten 4 II 5/80 BSch des Amtsgerichts- Rheinschifffahrtsgericht St. Goar und die Akten OWi-Nr. 1869/80 der Wasserschutzpolizei Südwest in Mainz beigezogen. Diese sind im Zusammenhang mit der Havarie entstanden, die Gegenstand dieses Rechtsstreites ist.

Nach dieser Vorbereitung hat das Rheinschifffahrtsgericht die Klage zur Hälfte dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und sie abgewiesen, soweit mit ihr mehr als DM 96.442,93 nebst 12 % Zinsen seit dem 20.3.1981 verlangt werden.

Das Rheinschifffahrtsgericht hat dargelegt, dass das MTS "C" auf den verlorenen Anker des MTS "MM" aufgefahren ist und sich dabei diejenigen Schäden zugezogen hat, die vorliegend geltend gemacht werden. Es ist der Ansicht, dass Führung und Besatzung des MTS "MM" für den Ankerverlust verantwortlich sind. Seiner weiteren Ansicht nach, ist die Führung des MTS "C" für den Unfall mitverantwortlich weil das Schiff so tief abgeladen war, dass es in der Nähe der Unfallstelle kein Wasserpolster unter dem Kiel hatte. Dieser Umstand, so meint das Rheinschifffahrtsgericht, habe den Schadensumfang erheblich beeinflusst. Aus diesen Gründen hat es der Klägerin nur Ersatz in Höhe der Hälfte des Schadens dem Grunde nach zugesprochen.

Beide Parteien haben Berufung eingelegt.
Sie wiederholen ihren Vortrag aus dem ersten Rechtszuge und nehmen zu den Ausführungen des Rheinschifffahrtsgerichtes Stellung.
 
Es  beantragen:

1. Die Klägerin,

a) nach ihren im ersten Rechtszuge zuletzt gestellten Anträgen zu erkennen, das heißt die Klage im vollen Umfange dem Grunde nach für gerechtfertigt zu erklären,

b) die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

2. Die Beklagten,

a) die Klage im vollen Umfange abzuweisen,

b) die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufungen sind formell nicht zu beanstanden. In der Sache hat diejenige der Klägerin Erfolg, während die Berufung der Beklagten erfolglos ist.

Die Berufungskammer hat im Einzelnen folgendes erwogen:

1. In Übereinstimmung mit dem Rheinschifffahrtsgericht wird festgestellt, dass das Schiff der Klägerin auf den Anker aufgefahren ist, welchen dasjenige der Beklagten verloren hatte. Diese Feststellung wird wie folgt begründet:

a) Entscheidendes Gewicht hat die Aussage des Tauchers R., der am 15.11.1980 das Schiff der Klägerin im Wasser liegend untersucht hat. Nach seiner Aussage war der unter der Wasserlinie liegende Riss "ganz blank". Weder Steinchen noch Holzteile waren an der Risslinie festzustellen. Das gleiche hat der Zeuge von den neben dem Riss von ihm festgestellten Einbeulungen eingesagt. Er hat weiter erklärt, im Verlaufe seiner Berufstätigkeit schon viele Schiffslecks untersucht zu haben. Er wisse deshalb, wie ein Leck aussehe, das bei der Auffahrt eines Schiffes auf felsigem Untergrund entstehe. Ein solches Leck habe das Schiff der Klägerin nicht gehabt. Es sei auch nicht von Beginn ab kleiner geworden, was nach seinen Erfahrungen bei einem Leck der Fall sei, das entstehe, wenn ein Schiff über einen Felsen rutsche, der unter dieser Einwirkung abbröckele. Der Zeuge hat sich weiter Fotos des Ankers des Schiffes der Beklagten angesehen und den Eindruck gewonnen, dass er das Leck bewirkt haben könne. Die Aussage dieses sachverständigen Zeugen rechtfertigt die Feststellung, dass das Leck des Schiffes der Klägerin bei der Auffahrt auf einen Gegenstand, der aus Metall bestand, entstanden ist. Dieser Gegenstand kann aus den unter Ziffer e) angestellten Erwägungen nur ein Anker gewesen sein.

b) Die gleiche Schlussfolgerung erlaubt die Aussage des Schiffssachverständigen W.. Er hat den Riss des Schiffes der Klägerin untersucht, als dieses auf Helling in einer Werft in Speyer lag. Auch er hat festgestellt, dass an der Risslinie und den außerdem noch vorhandenen Einbeulungen Gestein- oder Felsteilchen nicht erkennbar waren und daraus gefolgert, das Schiff könne nicht auf einen Felsen aufgefahren sein. Da der anwesende Schiffsführer, der Zeuge M., eine solche Auffahrt behauptete, hat ihm der Zeuge W. eine andere Sicht vorgehalten.

c) Die Berufungskammer übersieht nicht, dass der Schiffsmaschinensachverständige Dipl. Ing. K. bei seiner Anhörung im Verklarungsverfahren die bisher getroffenen Feststellungen für nicht nötig erklärt hat. Seine Darlegungen sind aber nicht überzeugend. Der Zeuge hat nicht das Schiff der Klägerin, sondern den Anker desjenigen der Beklagten untersucht. Dessen Beschädigungen und Deformierungen, die er fotografiert hat, erklärt er zum größten Teil damit, dass der Anker eine Zeit lang über den Grund mitgeschleift worden sei. Ein geringer Teil der Schäden könne durch Gewalteinwirkung des eigenen Fahrzeugs entstanden sein. Dazu ist zu sagen: Hätte das Schiff der Beklagten den eigenen Anker eine Zeit lang so über den Grund geschleppt, dass er dabei erheblich geschädigt und deformiert wurde, so hätte die Besatzung dies bemerken müssen. Das Gleiche gilt bei einer sonstigen Gewalteinwirkung des Schiffes auf den Anker. Solche Beobachtungen der Besatzung sind aber nicht vorgetragen worden, insbesondere nicht für die Reise, auf den der Anker verloren wurde. Der Verlust blieb im Gegenteil zunächst unbemerkt, ein Beweis dafür, dass ihm Gewalteinwirkungen auf den Anker nicht voraufgingen. Beschädigungen des Ankers aus früherer Zeit sind ebenfalls nicht vorgetragen worden. Der Anker muss also die festgestellten Beschädigungen und Deformierungen erlitten haben, nachdem sein Schiff ihn verloren hatte. Die anders lautenden Feststellungen des Sachverständigen K. haben keine hinreichende Grundlage. Die Berufungskammer vermag sie nicht zu übernehmen.

d) Aus der Lage des Ankers und seiner Kette auf der Sohle des Rheines kann nicht gefolgert werden, das Schiff der Klägerin könne nicht auf ihn aufgefahren sein. Eine solche Auffahrt muss nicht dazu führen, dass der Anker seine Lage wesentlich verändert, zum Beispiel neben seine Kette geschleppt wird, während er vorher hinter ihr lag. Die Lage des Ankers hinter seine Kette bei der Auffindung spricht also nicht gegen die Festgestellte Havarie. 

 Das Gleiche gilt von der Fundstelle im Verhältnis zu dem Punkt, wo nach dem Vortrag der Klägerin die Auffahrt stattgefunden hat. Das Rheinschifffahrtgericht hat auf Schwierigkeiten hingewiesen, die der genauen Feststellung einer Auffahrtstelle entgegenstehen. Die Berufungskammer schließt sich an. Die Tatsache, dass der Anker von MS "MM" in 4,5 Meter Tiefe gefunden worden ist, spricht nicht dafür, dass es als Havarieursache ausscheidet. Allerdings konnte er in der genannten Tiefe keinem Schiff gefährlich werden. Die genannte Fundstelle spricht aber nicht zwingend dafür, dass der Anker dort immer gelegen hat. Er kann dorthin auch nach dem Unfall vom fließenden Wasser transportiert worden sein, nachdem zwei Schiffe auf ihn aufgefahren waren. Im Revier der Unfallstelle sind die Wassertiefen sehr unterschiedlich, wobei die unterschiedlichen Tiefen dicht beieinander liegen können. Eine nur geringfügige Verlagerung des Ankers von seiner ursprünglichen Liegestelle kann ihn deshalb an einen Punkt gebracht haben, wo 4,50 Meter Wasser über ihm waren.

e) Die Schäden am Schiff der Klägerin zeigen, dass sie bei der Auffahrt auf einen Gegenstand, der aus Metall bestand, entstanden sind. Die Deformierungen und Beschädigungen des Ankers des Schiffes der Beklagten zeigen, dass dieser der Gegenstand gewesen ist. Dafür sprechen auch die Unfallstelle und die Fundstelle des Ankers, die nahe beieinander liegen. Dafür spricht weiter, dass in diesem Revier trotz intensiver Suche kein weiterer Gegenstand aus Metall auf der Sohle des Rheines gefunden wurde. Schließlich spricht dafür, dass nach der Bergung des Ankers des Schiffes der Beklagten sich Unfälle wie der vorliegende nicht mehr ereignet haben. Dabei betont die Berufungskammer die Wirkung der Gesamtheit dieser Umstände die bei einer Gesamtschau einander stützen und ein vollständiges Bild ergeben.

Der Verlust des Ankers ist von den Beklagten zu verantworten. Es ist nicht die Sache der Klägerin, diese Verantwortlichkeit im Einzelnen darzulegen und zu beweisen.  Dazu ist sie nämlich nicht in der Lage, da sie keine Vorgänge auf klären kann, die sich im Schiffsbetriebe der Beklagten ereignet haben. Diese also hat solche Vorgänge aufzuklären, wenn sie darlegen und beweisen will, für den Ankerverlust nicht verantwortlich zu sein. Eine solche Aufklärung ist nicht erfolgt. Sie kann nicht in der Erklärung gesehen werden, man habe den Verlust von Anker und Kette in Karlsruhe durch Zufall festgestellt und dabei bemerkt, dass die Ankerkettenbremse so stark angezogen gewesen sei, dass man sie mit einer Eisenstange habe lösen müssen. Hieraus kann nicht gefolgert werden, der Anker sei unter Umständen verloren worden, die von den Beklagten nicht zu verantworten seien. Die Darlegung ist in diesem Punkte nichtssagend. Ihre Richtigkeit kann deshalb dahinstehen.

Eine Mitschuld der Klägerin an der Havarie vermag die Berufungskammer nicht festzustellen. Das Rheinschifffahrtsgericht sieht sie in der Abladung ihres Schiffes auf eine Tiefe, die an der Unfallstelle dazu führte, dass das Schiff der Klägerin kein Wasserpolster unter dem Kiel hatte. Es meint weiter, das Schiff der Klägerin wäre auch bei ordnungsgemäßer Abladung auf den Anker aufgefahren, die. Folgen wären aber dann weit weniger bedeutend gewesen. Dazu bemerkt die Berufungskammer: die entscheidende Feststellung des Rheinschifffahrtsgerichtes ist von ihm nicht begründet worden und kann auch nicht begründet werden. Es ist die Sache der Beklagten, eine Mitschuld der Klägerin an der Havarie ihres Schiffes darzulegen und zu beweisen. Das gilt auch für den Kausalzusammenhang zwischen schuldhaftem Verhalten und Havarie. Beweislücken gehen zu Lasten der Beklagten. Sie bestehen aber im vorliegenden Falle insofern, als nicht sicher festgestellt werden kann, welchen Einfluss eine ordnungsgemäße Abladung des Schiffes der Klägerin auf die Havarie gehabt hätte. Es gibt keine hinreichenden Gründe für die Feststellung, die Havarie wäre dann nicht erfolgt, oder sie hätte weniger bedeutende Folgen gehabt, Eine solche Feststellung ist deshalb nicht möglich. Allein verantwortlich für den Unfall sind die Beklagten. Ihre Haftung ergibt sich aus den §§ 823 BGB, 3 BSchG, 830 BGB, 4, 114 BSchG.
 
Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das am 2.2.1983 verkündete Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts St. Goar wird zurückgewiesen.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das genannte Urteil dahin abgeändert, dass die Klage dem Grunde nach im vollen Umfange für gerechtfertigt erklärt wird.

3. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.

4. Zur Verhandlung und Entscheidung über die Höhe sowie über die Kosten des ersten Rechtszuges wird der Rechtsstreit an das Rheinschifffahrtsgericht St. Goar zurückverwiesen.

5. Es setzt auch die Kosten des Berufungsverfahrens unter Berücksichtigung des Artikels 39 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte fest.

Der Stellvertretende Gerichtskanzler:                       Der Vorsitzende:

(gez.) A. BOUR                                                       (gez.) MISCHLICH