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161 Z - 2/84 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Decision Date: 22.03.1984
File Reference: 161 Z - 2/84
Decision Type: Urteil
Language: German
Court: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Department: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Zur Beweisführung und Beweislast für Ereignis- und Kausalketten bei Kollisionsschäden infolge verschiedenartiger, nicht einwandfrei feststellbarer Manöver der durch zeitweiligen, plötzlichen Nebeleinfall behinderten, auf engem Raum massierten Berg- und Talfahrt.

Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

vom 22. März 1984

(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)

Zum Tatbestand:

Bei Rhein-km 830 fuhren hintereinander zu Tal an der Spitze das dem Beklagten zu 2 gehörende und von ihm geführte MS V, sodann folgend das dem Beklagten zu 1 gehörende und von ihm geführte MS R und das beim Kläger versicherte MTS K,  wobei bei den beiden letzteren die Reihenfolge umstritten ist. Nachdem bei nebligem Wetter und wegen wechselnder Sichtverhältnisse nach wiederholten Fahrtunterbrechungen der Nebel erneut zu Stillliegemanövern auf engem Raum zwang, begann MS V ohne vorheriges Schallsignal aufzudrehen. MTS K und MS R berührten sich, als eines von ihnen das andere zu überholen versuchte. Infolgedessen geriet MTS K nach Backbord und kollidierte mit dem zu Berg fahrenden MTS D, das gerade den Schubverband E überholte. K und D erlitten Schäden.

Der Kläger verlangt Ersatz des an K entstandenen Schadens und der an die Interessenten von D gezahlten Abfindung von 18900 hfl, und zwar vom Beklagten zu 1 zu 60% (ca. 36800,- DM), vom Beklagten zu 2 zu 40% (ca. 24250,- DM). Dem Beklagten zu 1 wirft er vor, das MTS K überholt zu haben, obwohl er diesem die Absicht des Aufdrehens seines Schiffes über Sprechfunk signalisiert habe. Der Beklagte zu 2 habe ein nicht angekündigtes Aufdrehmanöver ausgeführt, statt, wie angekündigt, lediglich zurückzuschlagen.
Der Beklagte zu 1 bestreitet, das MTS K überholt zu haben. Umgekehrt habe dieses sein Schiff (MS R) überholt und sei dadurch in den Kollisionskurs mit MTS D geraten. Der Beklagte zu 1 behauptet, sein nicht aufschiebbares Aufdrehmanöver angekündigt zu haben, was ihm andere Schiffsführer bestätigt hätten. Beide Beklagte sehen die Schuld auch bei MTS D, das eine Überholung durchgeführt habe, die angesichts des Nebels und der ankommenden Talfahrt gefährlich gewesen sei.

Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage gegen den Beklagten zu 1 zu fünf Sechstel dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und die Klage gegen den Beklagten zu 2 abgewiesen. Die Berufungskammer der Rheinzentralkommission hat auf die Berufung beider Beklagten die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und die Klage gegen den Beklagten zu 1 in vollem Umfang abgewiesen.

Aus den Entscheidungsgründen:

„.....

Nach Ansicht der Berufungskammer ist es nicht möglich, mit ausreichender Sicherheit festzustellen, wer die Verantwortung für die umstrittene Havarie trägt. In Betracht kommen die folgenden Beteiligten:

1. Die Führung des MS V, die ein nicht ordnungsgemäß angekündigtes Aufdrehmanöver durchgeführt hat.

2. Die Führer von K und R, weil eines dieser Schiffe das andere überholt und dabei so berührt hat, daß K nach Backbord in einen   Kurs gedrückt wurde, der zur Kollision führte.

3. Die Führung des MTS D, weil das Schiff im Nebel einen Schubzug überholte und dabei das Fahrwasser der Talfahrt so verengte, daß die umstrittene Kollision die Folge war.

4. Die Führung aller genannten Schiffe, weil sie trotz Nebels mit schlechter Sicht die Fahrt nicht eingestellt hatten. Keine dieser möglichen Verantwortlichkeiten kann hinreichend sicher festgestellt werden.

Zu 1. Der Schiffsführer H. des MS V hat erklärt, er habe seine Absicht aufzudrehen über Sprechfunk angekündigt. Diese Ankündigung ist auf K gehört, aber möglicherweise falsch verstanden worden. Die Eigner dieses Schiffes, die Brüder H. und E., die es auch abwechselnd geführt haben, haben nämlich erklärt, V habe angekündigt, zurückzuschlagen. Das ist auf diesem Schiff auch nach der Aussage seines Schiffers geschehen, kann also auch angekündigt worden sein. Einer solchen Feststellung steht aber die Tatsache im Wege, daß der Zeuge E. auch die Ankündigung gehört haben will, V werde aufdrehen. Vor allem aber ist eine solche Feststellung mit der Aussage des Zeugen L., des Matrosen von K, unvereinbar. Er hat nur die Ankündigung von V gehört, man werde aufdrehen und weiter wahrgenommen, daß von K aus erwidert wurde, man habe dasselbe vor, wolle aber vorher an V vorbeifahren. Der Zeuge hat weiter erklärt, auch von R sei die Ankündigung gekommen, man werde aufdrehen. Aufgrund dieser Aussagen kann nicht als bewiesen angesehen werden, es bestehe ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Nichtankündigung des Aufdrehmanövers durch ein akustisches Signal gemäß § 6.13 RhSchPVO und der möglicherweise ebenfalls unterbliebenen Ankündigung des Aufdrehmanövers über Kanal 10 und der Kollision. Diese Beweislücke geht zu Lasten des Klägers. Dessen Klage gegen den Beklagten zu 2, dem allein die Nichtankündigung des Aufdrehens vorgeworfen wird, hat deshalb keine Tatsachengrundlage.

Zu 2. Es kann nicht als bewiesen angesehen werden, daß das MS R das MTS K überholt, es dabei angestoßen und auf einen Kurs gedrückt hat, der zur Kollision zwischen K und D führte. Die Führung von K hat einen solchen Geschehensablauf behauptet. Das gleiche hat der Matrose L. dieses Schiffes getan. Einen solchen Geschehensablauf haben schließlich die Zeugen Ey. und M., Mitglieder der Besatzung des MTS N, bestätigt. Demgegenüber hatte der Steuermann W. von N den Eindruck, K gehe nach Backbord, um eine Kollision mit dem aufdrehenden MS V zu vermeiden. Von einer Behinderung dieses Schiffes durch das überholende MS R hat er nichts gesehen. Wohl hat er hinter K oder möglicherweise auch seitwärts von ihm ein Schiff wahrgenommen, über dessen Bewegungen er aber nichts sagen konnte. Den gleichen Eindruck hatte der Schiffsführer von D B. mit dem Unterschiede, daß er zwei aufdrehende Schiffe gesehen haben will, denen K auszuweichen versuchte, um dabei mit D zu kollidieren. Einen Talfahrer, der K zu überholen versuchte, hat der Zeuge nicht gesehen. Nach der Aussage des Schiffsführer H. von MS V lag R, also nicht K, hinter seinem Schiff. Es konnte also K nicht überholen. Der Zeuge hat weiter das Schiff des Klägers hinter R gesehen und ausdrücklich eine Verwechslung beider ausgeschlossen.
Nach diesen Erklärungen bleibt offen, ob R K überholt hat oder ob es umgekehrt war. Offen bleibt weiter, wer es verschuldet hat, daß sich bei der Überholung beide Schiffe möglicherweise berührten und dabei K nach Backbord in den Kurs von D gedrückt wurde. Offen bleibt schließlich, ob es zu einer solchen Berührung überhaupt gekommen ist, oder ob nicht K dem aufdrehenden V ausweichen mußte und dabei mit D kollidierte. Den Beklagten zu 1 belastende Feststellungen können deshalb nicht getroffen werden.

Zu 3. Unstreitig ist, daß das zu Berg fahrende MTS D vor der Kollision mit dem MTS K einen Schubzug überholte. Nicht dagegen steht fest, daß diese Überholung die Kollision beeinflußt hat. Insbesondere sprechen keine Tatsachen dafür, daß sie das Fahrwasser der Talfahrt so verengte, daß K gegen die Überholer stoßen mußte. Die Beklagten können in diesem Zusammenhange nur Vermutungen vortragen. Diese können keine Grundlage von Feststellungen sein.

Zu 4. Der Vorwurf, bei nebligem Wetter die Fahrt nicht eingestellt zu haben, müßte, wäre es berechtigt, allen Schiffen gemacht werden, die kein Radargerät hatten, oder es nicht benutzen durften, weil kein Besatzungsmitglied das nötige Patent hatte. Es erscheint zweifelhaft, ob dieser Vorwurf erhoben werden kann. Es herrschte kein dichter, geschlossener Nebel. Vielmehr traten Nebelwände und Schwaden auf. Die Sicht wechselte häufig. In solchen Lagen pflegen Schiffer auch vorübergehende ausreichende Sicht zur Fortsetzung der Fahrt auszunützen, was nicht verboten ist. Im vorliegenden Falle ist von dieser Möglichkeit reichlicher Gebrauch gemacht worden, denn es war viel Berg- und Talfahrt im Revier. Schon diese Umstände erlauben es nicht, den erörterten pauschalen Vorwurf zu erheben. Hinzu kommt aber folgendes: Es steht nicht fest, daß es gerade die zu lange Fortsetzung der Fahrt eines oder mehrerer Schiffe im Nebel gewesen ist, welche diejenige Kette von Ereignissen ausgelöst hat, die zu der umstrittenen Kollision führten. Der Anfang dieser Kette ist vor allem nicht feststellbar. Er muß nicht einmal in einem Manöver der im vorliegenden Rechtsstreit namentlich genannten Schiffe liegen, sondern kann die Maßnahme der Führung eines ungenannten Schiffes sein. In Betracht kommt z. B. ein vor dem MS V fahrender Talfahrer, der gleichfalls aufgedreht haben soll. Die Führung des MS V hat sich darauf berufen, gezwungen gewesen zu sein, diese Maßnahme mitzuvollziehen, um einen Zusammenstoß beider Schiffe zu vermeiden. Schon der nicht feststellbare Beginn der zum Unfall führenden Ereigniskette macht die Feststellung unmöglich, die Havarie sei die Folge einer im Nebel zu lange fortgesetzten Fahrt. Hinzu kommt, daß auch die weiteren Kettenglieder nicht exakt greifbar sind, wie bereits dargelegt wurde.
......“