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11 Z - 3/71 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Decision Date: 19.03.1971
File Reference: 11 Z - 3/71
Decision Type: Urteil
Language: German
Court: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Department: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

Urteil

vom 19. März 1971

(Auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Mannheim vom 29. Januar 1970 - 39/68 RhSch)

Tatbestand:

Die Klägerin ist die Eignerin des MS "RR". Es ist 80 m lang und 8,20 m breit. Seine Grösse beträgt 1139 t, seine Maschinenkraft 560 PS. Das Schiff ist mit einer Radaranlage ausgerüstet. Der Beklagten zu 1 gehört das MS. "F", das 67 m lang und 8,20 m breit ist. Es fasst 920 t und hat eine 585 PS. starke Maschine, Sein Kapitän ist der Beklagte zu 2. Am 23.11.1966 befand sich das MS. "RR" auf dem Oberrhein auf der Bergfahrt. Es war auf 1,67 m Tiefgang abgeladen. Das Wetter war nebelig. Das Schiff wurde deshalb mit Hilfe des Radargerätes gesteuert. Das Gerät war so eingestellt, dass mit seiner Hilfe die Sicht voraus etwa 1.500 m weit möglich war. Im Ruderhaus befanden sich der Schiffsführer, der Lotse K. und ein Matrose. Er bediente das Ruder, während Schiffsführer und Lotse das Radarbild beobachteten und die Maschine bedienten. Keiner von ihnen hatte das Radarschifferpatent. Auf dem Vorschiff standen 2 Matrosen als Ausguck. Etwa bei Stromkilometer 331,8 wurde im Radarbild ein Talfahrer sichtbar, der etwa 1500 m entfernt war, wie sich später herausstellte das MS "F" Sein Kurs lag in der rechtsrheinischen Stromhälfte, aber mit Richtung auf das linksrheinische Ufer zu. Dort lag, wie ebenfalls im Radarbild sichtbar war, ein Schiff vor Anker, wie wie sich später ergab das MS "G". "F" hatte Kurs auf "G". Auf "RR" versuchte man zunächst über Sprechfunk (Kanäle 13 u. 10) Verbindung mit dem Talfahrer aufzunehmen. Als das nicht gelang, gab man akustisches Signal, wobei umstritten ist, welche Signale gegeben wurden und wie oft es geschah. Weiter verringerte man die Geschwindigkeit des Schiffes und richtete seinen Kurs zum linksrheinischen Ufer hin. Das MS. "F" versuchte in der Nähe des stilliegenden MS. "G" über Backbord aufzudrehen. Das Manöver konnte aber angesichts des plötzlich aus dem Nebel auftauchenden "G" nicht zu Ende geführt werden, weil die Gefahr eines Anstoßes an dieses Schiff drohte. Das MS, "F" drehte deshalb nach Steuerbord ab und kam knapp an "G" vorbei. Sofort nach der Passage wurde aber das MS. "RR" sichtbar, dessen Kurs genau auf "F" gerichtet war. "F" drehte daraufhin nach Backbord ab, um zwischen "RR" und dem linksrheinischen Ufer durchzufahren. Bei diesem Versuch stießen aber beide Schiffe zusammen und wurden beschädigt. Auf "F" bedienten der Lotse B. das Ruder und W. die Maschine. Auf dem Vorschiff stand der Schiffsführer Heinrich W. als Ausguck. Jedes der zusammengestoßenen Schiffe hält das andere für alleinschuldig. "F" verweist darauf, dass kein Mitglied der Besatzung von "RR" im Besitz eines Radarschifferpatentes gewesen sei. Das Schiff sei deshalb verbotenerweise mit Radareinsatz gefahren. Nur unmittelbar vor der Kollision sei ein kurzes akustisches Signal gegeben worden. Auf "RR" habe man auch dann die Fahrt nicht abgebrochen, als erkennbar gewesen sei, dass "F" mit Rücksicht auf die Stomenge und den Stillieger "G" nicht aufdrehen konnte. Da auch im Übrigen eine solche Möglichkeit vor dem Zusammenstoss nicht bestanden habe, sei "F" die Fortsetzung der Fahrt trotz; unsichtigen Wetters nicht vorzuwerfen. Diesen Vorwurf erhebt aber "RR". Es behauptet weiter, in einer Entfernung von 800 und 600 m von "F" je einen langen Ton und in einer Entfernung von 300 m einen kurzen Ton als akustische Signale gegeben zu haben. Außerdem wird behauptet, dass Schiffsführer Z. und Lotse K. hinreichende Übung in der Benutzung des Radargerätes besessen hätten.
 
Die Klägerin hat vor dem Rheinschifffahrtsgericht in Mannheim beantragt:

Die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin den Betrag von 28.360,09 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1.5.1967 zu bezahlen, und zwar die Beklagte zu 1 im Rahmen des Binnenschifffahrtsgesetzes sowohl persönlich haftend, als auch bei Vermeidung der Zwangsvollstreckung in das MS. "F".

Die Beklagten haben den Antrag gestellt,

die Klage abzuweisen.

Das Rheinschifffahrtsgericht Mannheim hat durch Urteil vom 29. Januar 1970 die Klage zu 3/4 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und sie im Übrigen abgewiesen.

Es stellt fest, dass "RR" seinen Kurs in einem Zeitpunkt zum linksrheinischen Ufer hin gerichtet habe, wo erkennbar gewesen sei, dass "F" den gleichen Kurs einschlug. "RR" habe mit dieser Kurswahl die besondere Sorgfaltspflicht verletzt, die das Schiff als Radarfahrer gehabt habe. Demgegenüber habe "F" im nebligen Wetter die Fahrt zu lange fortgesetzt und auch eine ihm von "RR" gegebene Kursweisung nicht beachtet.

Beide Parteien haben gegen das Urteil Berufung eingelegt und die Entscheidung der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt in Strasbourg verlangt.

Es beantragen:

Die Klägerin:

die Klage in voller Hohe dem Grunde nach für gerechtfertigt zu erklären und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagten:

die Klage im vollen Umfang abzuweisen und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Berufungskammer hat erwogen: Bezüglich der Zulässigkeit der Berufungen stellt die Berufungskammer fest:
Die Berufungen sind am 16. und 23. Juli 1970 bei dem erstinstanzlichen Gericht eingegangen. Da die Urteile des Rheinschifffahrtsgerichts Mannheim nicht zugestellt worden sind, ist die Berufungsfrist nach Artikel 37 Abs. 2 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte nicht in Lauf gesetzt worden. Die Berufungsbegründungen gingen am 31.Juli und 13. August 1970, also innerhalb der Frist von vier Wochen, wie sie in Artikel 37 Abs. 3 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte bestimmt ist, bei dem erstinstanzlichen Gericht ein.
Die Tatsache, dass sich der Schiffszusammenstoss auf französischem Hoheitsgebiet ereignet hat, hinderte die Parteien nicht, die örtliche Zuständigkeit des Rheinschifffahrtsgerichts Mannheim - ausdrücklich oder durch entsprechendes Verhalten -zu vereinbaren. Dieses Gericht durfte auch seiner Entscheidung das materielle deutsche Recht zugrundelegen, da auch dies dem Willen der Parteien entspricht, wie deren Verhalten -die in diesem Punkte rügelose Hinnahme des Urteils der ersten Instanz - zeigt. Mit Rücksicht auf diesen Parteiwillen hat auch die Berufungskammer ihre Entscheidung auf der Grundlage zu des materiellen deutschen Rechtes erlassen.
Im Gegensatz zum Rheinschifffahrtsgericht sieht die Berufungskammer den auf "RR" begangenen Fehler in unzulänglichen und verfehlten akustischen Signalen, nachdem man den Talfahrer, der sich später als "F" herausstellte, im Radarbild wahrgenommen hatte. Man hat einmal zu wenig Achtungssignale gegeben und damit gegen die Ziffer III der "Bekanntmachung für die Rheinschifffahrt über die Fahrt mit Radar und bei unsichtigem Wetter" der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Duisburg , Mainz u. Freiburg in der Fassung vorn 15.11.1966 verstoßen. Zum anderen hat man durch eine verfehlte Kursweisung der Vorschrift des § 38 der Rheinschifffahrtspolizeiverordnung zuwidergehandelt.

Im Einzelnen:
 
1. Nach der Ziffer III der erwähnten Bekanntmachung müssen mit Radarhilfe zu Berg fahrende Fahrzeuge als Nebelzeichen einen langen Ton u. a. dann geben, sobald sie auf dem Radarschirm Fahrzeuge bemerken, deren Kurs nicht den Eintritt jeglicher Gefahrenlage ausschließt. Das war schon der Fall, als man feststellte, dass man mit dem im Radarbild sichtbaren Talfahrer über Sprechfunk nicht in Verbindung treten konnte. Das deutete darauf hin, dass der Talfahrer ohne Radar fuhr, da mit Radarhilfe fahrende Schiffe üblicherweise mit einer Sprechfunkanlage ausgerüstet sind. Bei einem ohne Radar fahrenden Schiff musste angesichts der herrschenden Sichtverhältnisse jederzeit mit einem Aufdrehmanöver gerechnet werden, bei dem dieses in den Kurs von "RR" geraten musste. Vollends schloss der Kurs des Talfahrers nicht den Eintritt jeglicher Gefahrenlage aus, als dieser auf das linksrheinische Ufer hin gerichtet wurde, wohin auch "RR" seinen Kurs richtete. In dieser Situation sind nach den Aussagen des Lotsen K. und des Schiffsführers Zabel von "RR" 2 Achtungssignale in Gestalt eines langen Tons gegeben worden, nach der Aussage K., als beide Schiffe 800 bzw. 600 m voneinander entfernt waren. Das war zuwenig. Nach Ziffer III der erwähnten Bekanntmachung sind die Nebelzeichen "so lange als notwendig zu wiederholen und zwar in Abständen von längstens einer Minute." Diese Notwendigkeit bestand im vorliegenden Falle so lange, bis das Zeichen beantwortet wurde und damit klar war, dass es aufgenommen worden war. Beide Signale sind aber nach den Aussagen K. und Zabel nicht beantwortet worden. Zumindest haben beide Zeugen keine Antwort gehört. Dann durfte man sich aber auf "RR" nicht mit 2 Nebelsignalen begnügen.

2. Nach § 38 der Rheinschifffahrtspolizeiverordnung hatte "RR" als Bergfahrer dem Talfahrer den Kurs zu weisen. Da die in den ersten 3 Absätzen dieser Bestimmung geregelte optische Kursweisung angesichts der Sichtverhältnisse unanwendbar war, hatte die Weisung gemäß Abs. 4 durch akustische Zeichen zu erfolgen, also durch einen kurzen Ton, wenn die Vorbeifahrt an Backbord stattfinden sollte und durch 2 kurze Töne, wenn eine Vorbeifahrt an Steuerbord gewollt war. Diese Zeichen waren so rechtzeitig zu geben, dass sie vom Talfahrer ohne eine plötzliche Kursänderung befolgt werden konnten. Nach den Aussagen Z. u. K. ist von "RR" ein kurzer Ton gegeben worden, wobei K. erklärt hat, in diesem Zeitpunkt sei der Talfahrer noch etwa 300 m entfernt gewesen. Die Vorbeifahrt sollte also an Backbord stattfinden. Diese Kursweisung erfolgte zu spät. Richtigerweise hätte sie in Verbindung mit häufigen Nebelzeichen, etwa im Takt - langer Ton, Pause, langer Ton, Pause, kurzer Ton, Pause, langer Ton usw. gegeben werden müssen, damit der Talfahrer frühzeitig wusste, dass er Steuerbordkurs zu halten hatte. Hinzu kommt aber noch folgendes: Nach der Aussage des Lotsen K. erfolgte die Kursweisung, als "F" Kurs auf das am linksrheinischen Ufer liegende MS. "G" hielt. Bei diesem Kurs und bei einer Entfernung zwischen "F" und "RR" von etwa 300 m konnte die Weisung nur dadurch befolgt werden, dass "F" plötzlich nach Steuerbord abdrehte. Dieses Manöver musste zudem blind ausgeführt werden, da die genaue Position von "RR" nicht erkennbar war. Außerdem stand "F" vor der Aufgabe, den Kurswechsel so vorzunehmen, dass es nicht gegen "G" stieß, was drohte, wenn das Schiff zu hart sich nach Steuerbord wendete. Unter diesen Umständen war die Kursweisung nicht nur verspätet, sondern auch angesichts der konkreten Situation nicht sicher durchführbar.

3. Die auf "RR" begangenen Fehler haben zum späteren Zusammenstoss beigetragen. Hätte das Schiff genügend Nebelsignale und eine rechtzeitige, wiederholte Kursweisung gegeben, so wäre beides auf "F" so früh verstanden worden, dass das Schiff seinen Aufdrehversuch in Höhe von "G" unterlassen hätte und in der Nähe des rechtsrheinischen Ufers geblieben wäre. Es wäre dann nicht in den Kurs von "RR" geraten.

4. Weitere zum Unfall führende Fehler hat man auf "RR" nicht begangen. Zwar war niemand an Bord im Besitz eines Radarschiffer-Zeugnisses, wie es in Abschnitt I, Ziffer 3 der "Bekanntmachung für die Rheinschifffahrt über die Fahrt mit Radar Radar und bei unsichtigem Wetter" vorgeschrieben ist. Das Radargerät hätte deshalb nicht benutzt werden dürfen. Es gibt aber keinen Anhalt dafür, dass ein falscher Gebrauch dieses Gerätes zum Unfall beigetragen hat. Die Aussagen des Lotsen K. und des Kapitäns Zabel zeigen, dass beide über genügend Erfahrung in der Radarfahrt verfügten. Bei dem Lotsen wird dieser Eindruck dadurch unterstrichen, dass er am 30.1.1967, d.h. gut 2 Monate nach dem Unfall, das Radarschiffer-Patent erhalten hat. Die beiden Aussagen zeigen weiter, dass das Radargerät auf der zum Unfall führenden Fahrt richtig bedient und sein Bild richtig ausgewertet worden ist. Das fehlende Radarschiffer-Patent wurde also nicht zu einer der Ursachen des Unfalls. Mit diesen Ausführungen gibt die Berufungskammer auch ihrer auf den geschilderten Zeugenaussagen beruhenden Überzeugung Ausdruck, dass das Radargerät auf der zum Unfall führenden Fahrt eingesetzt worden ist. Es besteht kein Anlass, zu diesem Punkte die Zeugen K., Zabel und B. erneut zu hören. War das Radargerät aber in Betrieb und waren K. und Z. mit seiner Bedienung und Auswertung vertraut, so durfte bei der Entscheidung, die Fahrt trotz schlechter Sicht fortzusetzen, die Radarortung als nautisches Hilfsmittel berücksichtigt werden, wie aber schon I Ziffer 2 der bereits mehrfach erwähnten Bekanntmachung sagt. Das Radargerät erweiterte aber die Sicht der mit seiner Bedienung und Auswertung vertrauten Personen bis auf 1500 m voraus. Mit Rücksicht hierauf war für "RR" die Fortsetzung der Fahrt trotz unsichtigen Wetters kein Verstoss gegen § 80 Abs. 3 der Rheinschifffahrtspolizeiverordnung, da das Schiff auftauchende Hindernisse rechtzeitig erkennen und notfalls rechtzeitig vor ihnen anhalten konnte. Auch der vom Rheinschifffahrtsgericht gegen "RR" erhobene Vorwurf erscheint nicht gerechtfertigt. Das Schiff beschwor nicht durch seinen Kurs zum linksrheinischen Ufer hin die Gefahr eines Zusammenstosses herauf. Wurden die erforderlichen akustischen Signale rechtzeitig gegeben, so war dieser Kurs gefahrlos. Die Gefahr entstand erst durch die verfehlte Signalgebung.
 
5. Der auf dem MS. "F" begangene Fehler besteht darin, dass die Fahrt des Schiffes im unsichtigen Wetter zu lange fortgesetzt und damit gegen § 80 Abs. 2 der Rheinschifffahrtspolizei-Verordnung verstoßen wurde. 

Im Einzelnen:

Die Zeugenaussagen über die Sichtverhältnisse am Unfallort unterscheiden sich nicht wesentlich, Der Lotse K. hat die Sichtweite auf etwa 50 - 100 m geschätzt. Die entsprechende Schätzung des Lotsen Zimmermann lautet auf 100 - 120 m. Die Aussage: des Lotsen B. ergibt eine Sichtweite von etwa 200 m, denn auf diese Entfernung wurde im Ruderhaus von "F" das stilliegende MS. "G" sichtbar. Dessen Kapitän Glesser spricht von dichtem Nebel, in dem er nicht viel weiter als bis zu seinem Vorschiff habe sehen können. Nach der Aussage des Kapitäns Zabel von "RR" wechselte die Sichtweite zwischen etwa 150 und 80 m. Der Kapitän W. von "F" schätzt die Sichtweite kurz vor dem Unfall auf etwa 100 m, während die entsprechende Schätzung seines Bruders H.W. auf etwa 200 m. lautet. Insgesamt sprechen diese Aussagen für eine wahrscheinliche Sichtweite von 100 -150 m. Keinesfalls betrug die Sicht mehr als 200 m. Es leuchtet ein, dass "F" unter solchen Verhältnissen mit Rücksicht auf die örtlichen Umstände und den übrigen Verkehr die Fahrt nicht mehr ohne Gefahr fortsetzen konnte. Sie hätte also nach § 80 Abs. 2 der Rheinschifffahrtspolizeiverordnung vorher eingestellt werden müssen. Dem Vorwurf, dies nicht getan zu haben, könnte "F" nur dann entgehen, wenn entweder die Sichtverschlechterung plötzlich eingetreten wäre, oder das Schiff seine Fahrt nicht früher hätte einstellen können. Von einer plötzlich eingetretenen Sichtverschlechterung hat kein Zeuge gesprochen. Aus allen Aussagen ergibt sich vielmehr, dass der Nebel allmählich dichter wurde. "F" beruft sich darauf, dass ein Aufdrehen vor der Unfallstelle unmöglich gewesen, und dass hieran eine Einstellung der Fahrt gescheitert sei. Es kann dahingestellt bleiben, ob man diese Behauptung mit dem Rheinschifffahrtsgericht als widerlegt ansehen kann, denn auf ihre Richtigkeit kommt es aus den folgenden Gründen nicht an. Schon der § 80 Abs. 2 der Rheinschifffahrtspolizeiverordnung zeigt, dass Talfahrer ihre Fahrt nicht nur dadurch unterbrechen können, dass sie aufdrehen (Zu Berg wenden § 46 RSchPVO.), denn dort heißt es: "Talfahrer müssen anhalten oder aufdrehen, wenn... ".

Eine der Möglichkeiten, die Fahrt einzustellen, wäre im vorliegenden Fall das Anhalten mit Bug zu Tal gewesen. Das dieses Manöver durchführende Schiff stellt allmählich seine Maschine ab, lässt die Heckanker fallen und kommt mit Bug zu Tal zum Stillstand, wenn die Anker sich in die Flusssohle eingegraben haben. Dieses Manöver ist als Notmassnahme auf dem Rhein überall dort gebräuchlich, wo ein geeigneter Ankergrund vorhanden ist. Diese Voraussetzung ist oberhalb der Unfallstelle gegeben, da dort die Flusssohle aus Kies besteht. (So die Aussage des Lotsen K.). Der Lotse Zi. hat bestätigt, dass das geschilderte Manöver auf dem Oberrhein gebräuchlich ist. Er selbst hatte es vor seiner Vernehmung zweimal durchgeführt. Auch auf "F" hätte man dies als Notmassnahme tun müssen, wenn ein Aufdrehen unmöglich gewesen sein sollte. Die Erklärung des Kapitäns W., das Manöver sei am Oberrhein nicht üblich, hält die Berufungskammer für falsch. Als zweites Anhaltemanöver wäre für den Notfall das folgende speziell am Oberrhein geübte und von dem lotsen Zimmermann dargelegte Manöver in Betracht gekommen. Hier dreht das zu Tal fahrende Schiff zwar auf, verengt aber den Wendekreis dadurch, dass es mit dem Bug etwas in den Uferkies hinein¬führt und dann um den so geschaffenen Festpunkt zu Berg herumfällt. Diese Maßnahmen verkürzt den Wendekreis so sehr, dass ein Aufdrehen auch an engen Flussstellen möglich wird, wo es im Normalverfahren unmöglich wäre. Das Manöver kann auch so durchgeführt werden, dass das Schiff einen Buganker fallen lässt und mit seiner Hilfe im engen Kreise zu Berg herumfällt. Auch diese Notmassnahme hat man auf "F" nicht in Betracht gezogen. Der Verstoss des Schiffes gegen § 80 Abs. 2 der Rheinschifffahrtspolizeiverordnung steht mithin fest. Dagegen kann ihm nicht vorgeworfen werden, eine von "RR" gegebene Kursweisung nicht befolgt und dadurch gegen § 39 Abs. 1 der Rheinschifffahrtspolizeiverordnung verstoßen zu haben. Es wurde bereits an anderer Stelle dargelegt, dass diese Weisung unter Umständen gegeben wurde, welche sie undurchführbar machten. Wägt man die Fehler beider Schiffe ab, so erscheint derjenige von "F" erheblich schwerwiegender als derjenige von "RR". "F" für praktisch blind und wurde durch seine dadurch bedingte unsichere und dem Zufall preisgegebene Fahrt zu einer erheblich größeren Gefahrenquelle als "RR", wo man das Revier und die Ereignisse gut übersah, aber die notwendigen Signale nicht rechtzeitig und oft genug gab. Der Fehler von "F" wurde auch zu der primären Unfallursache, welche das falsche Verhalten des Bergfahrers zur Folge hatte. Die vom Rheinschifffahrtsgericht vorgenommene Haftungsverteilung erscheint deshalb im Ergebnis zutreffend. Rechtsgrundlage sind die §§ 823 Abs. 1 u. 2, 840 BGB in Verbindung mit den §§ 3, 4, 92, 114 des Binnenschifffahrtsgesetzes und den §§ 735 ff HGB.

Aus den dargelegten Erwägungen wird für Recht erkannt:

Die Berufungen beider Parteien werden zurückgewiesen und das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Mannheim vom 29.1.1970 wird bestätigt.

Von den Kosten des Berufungsverfahrens, die gemäß Art. 39 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte vom Rheinschifffahrtsgericht Mannheim festzusetzen sind, tragen die Klägerin 1/4 und die Beklagten als Gesamtschuldner 3/4.