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U 8/96 RhSch - Oberlandesgericht (Rheinschiffahrtsobergericht)
Entscheidungsdatum: 16.09.1997
Aktenzeichen: U 8/96 RhSch
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Abteilung: Rheinschiffahrtsobergericht

Leitsätze:

1) Zur Verantwortung eines Schiffsführers bei Mitnahme eines seitlich gekuppelten Pontons und zum Mitverschulden dessen Eigners.

2) Zur Anwendbarkeit haftungsbegrenzender Klauseln eines Frachtoder Werkvertrags zugunsten des Schiffsführers.

Urteil des Oberlandesgerichts (Rheinschiffahrtsobergerichts) Karlsruhe

vom 16.9.1997

U 8/96 RhSch

(rechtskräftig)

(Rheinschiffahrtsgericht Mannheim)

Zum Tatbestand:

Die Klägerin ist Eigentümerin des Stelzenpontons „L" (23,8 m lang, 9.0 m breit, 2 x 200 PS stark, maximale Verdrängung 215,75 cbm bei 1,1 m Tiefgang). Auf dem Ponton befand sich zum Unfallzeitpunkt ein Hydraulikbagger, den die Klägerin bei der Firma F angemietet hatte. Der Beklagte Ziffer 1 war zum Unfallzeitpunkt Eigner des inzwischen verschrotteten MS „S", der Beklagte Ziffer 2 war Schiffsführer.

Der aus dem Main zu Tal kommende Ponton „L" wurde am 12.07.1994 von MS „S" an dessen Steuerbordseite längsseits genommen und auf dem Rhein zu Berg zunächst bis G verbracht. Während der gemeinsamen Bergfahrt der gekuppelten Fahrzeuge liefen die Schottelantriebc des Pontons mit. In Höhe von G wurde die Verbindung gelöst und der Ponton setzte die Fahrt bis in Höhe von W allein fort. Gegen 20.00 Uhr wurden dann die Fahrzeuge wieder in der beschriebenen Weise gekuppelt. Sie setzten die Bergfahrt so gemeinsam fort. Als der Verband sich gegen 22.00 Uhr kurz unterhalb der F Brücke befand, ging der Ponton vorne runter. Notmaßnahmen blieben erfolglos. Ponton und Bagger sanken. Sie wurden später wieder gehoben.

Die Klägerin hat im ersten Rechtszug im wesentlichen geltend gemacht, der Unfall sei vom Beklagten Ziffer 2 zu verantworten. Er habe vorschriftswidrig den Ponton auf Steuerbordseite genommen und sei mit zu hoher Geschwindigkeit gefahren.
Die Beklagten haben im ersten Rechtszug im wesentlichen vorgetragen, der Unfall sei auf die Beschaffenheit des Pontons zurückzuführen. Das Festmachen des Pontons auf Steuerbordseite sei zwischen dem Beklagten Ziffer 2 und dem Schiffsführer des Pontons, S, abgesprochen worden. Die eingehaltene Geschwindigkeit sei nicht zu hoch gewesen.

Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Schadensersatzklage abgewiesen. Die Berufung hatte teilweise Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:

 „Der zweitbeklagte Schiffsführer von MS „S" ist der Klägerin als Eigentümerin des Pontons „L" nach § 823 Abs. 1 BGB sowie § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 1.04 RhSchPolVO unter Berücksichtigung eines erheblichen Mitverschuldens der Klägerin (dazu unten Ziffer 2) sowie der sich aus den Vertragsbeziehungen der Parteien und der DBR ergebenden Beschränkungen (dazu unter Ziffer 3) zum Ersatz von einem Viertel des Schadens verpflichtet, der der Klägerin durch Untergang des Pontons am 12.07.1994 bei Rhein-km 432,8 entstand. Die gleiche Verpflichtung trifft den Beklagten Ziffer 1 nach § 3 Abs. 1 BinSchG. Er haftet jedoch nur beschränkt persönlich im Rahmen des § 114 Abs. 1 BinSchG in Höhe des Wertes von DM 325.000 des inzwischen verschrotteten MS „S". Die Klägerin hat bereits im ersten Rechtszug klar gemacht, daß sie trotz ihres mißverständlichen Antrages beide Beklagten nur bis zur Höhe von DM 325.000 gesamtschuldnerisch in Anspruch nimmt, den Beklagten Ziffer 2 darüber hinaus auf Zahlung von insgesamt DM 564.479,28.

1. Der Beklagte Ziffer 2 war, nachdem MS „S" und Ponton „L" zu einem Verband gekuppelt worden waren, Schiffsführer beider gekuppelten Fahrzeuge. Dies ergibt sich aus § 1.02 Nr. 3 Satz 3 RhSchPolVO, wonach dann, wenn ein Fahrzeug mit Maschinenantrieb die Hauptantriebskraft stellt, dessen Schiffsführer zugleich der Führer der gekuppelten Fahrzeuge ist. Dies war der Beklagte Ziffer 2, da MS „S" über eine 500 PS starke Maschine verfügte, während der Stelzenponton „L" lediglich mit einer Antriebsleistung von 2x 200 PS ausgestattet war. damit oblag dem Beklagten Ziffer 2 als Schiffsführer in erster Linie die nautische Verantwortung für die sichere Durchführung der geplanten Reise.

Gegen die daraus folgenden Pflichten verstieß der Zweitbeklagte in mehrfacher, schadensursächlicher Hinsicht schuldhaft. Ihn traf zunächst die Pflicht, vor Antritt der Fahrt sich ein eigenes Bild von dem Ponton „L", dessen technischen Zustand und Besonderheiten zu verschaffen (vgl. dazu BGH ZfB 1976, 527; OLG - RhSchOLG - Köln ZfB,1987, 1 188). Diese Pflicht traf ihn unabhängig von der Pflicht des Geräteführers S, den Zweitbeklagten auf Besonderheiten des Pontons hinzuweisen (dazu unten Ziffer 2). Bei einer gründlichen Inaugenscheinnahme des Pontons hätte der Zweitbeklagte erkennen können und müssen, daß dieser nicht zuverlässig wasserdicht abgedichtet war, so daß die Gefahr bestand, daß Wasser, insbesondere Stauwasser, in den Maschinenraum des Pontons eindringen konnte.

Der Zweitbeklagte verstieß als verantwortlicher Schiffsführer ferner gegen die Vorschrift des § 6.21 Nr. 2 RhSchPolVO, wonach bei gekuppelten Fahrzeugen das Fahrzeug mit Maschinenantrieb, das die Hauptantriebskraft stellt - vorliegend also MS „S" -, sich an der Steuerbordseite befinden muß. Der Umstand, daß die Art der Kupplung mit Schiffsführer S abgesprochen worden war, führt zwar zu dessen Mitverantwortung (dazu unten Ziffer 2), rechtfertigt aber nicht den Verstoß des Zweitbeklagten. Diese falsche Kuppelungsweise wurde auch (mit-)schadensursächlich. Sie hat dazu beigetragen, daß Staudruck zwischen beiden Fahrzeugen entstand und Wasser durch nicht dichte Öffnungen in den Ponton gelangt ist. Dies wiederum führte letztlich dazu, daß der Ponton vorne runter ging.

Demgegenüber vermochte die Klägerin den ihr obliegenden Beweis dafür, daß der Zweitbeklagte mit zu hoher Geschwindigkeit gefahren sei, nicht zu führen. Nach den Feststellungen im Verklarungsverfahren ist davon auszugehen, daß sich die Geschwindigkeit beider gekuppelter Fahrzeuge bei ca. 8 km/h gegen Land bzw. ca. 10 km/h gegen Strom belief. Sie lag damit bei etwa 60 % der normalen Fahrgeschwindigkeit vorbeifahrender Schiffe und nur etwas mehr als 2 km/h höher als die Eigengeschwindigkeit des Pontons. Daß diese Geschwindigkeit an sich zulässigerweise eingehalten werden konnte, zeigt - worauf die Beklagten unter Bezugnahme auf die Ausführungen des privat hinzugezogenen Sachverständigen E hinweisen - der Umstand, daß die gekuppelten Fahrzeuge immerhin fünf Stunden gemeinsame Fahrt durchführten. Wären die offenen Stellen an dein Ponton „L" ordnungsgemäß verschlossen worden, so wäre der Schaden - unabhängig von der eingehaltenen Geschwindigkeit - nicht eingetreten. Umgekehrt ist davon auszugehen, daß auch bei einer geringeren Geschwindigkeit sich Stauwasser gebildet und in den Ponton eingetreten wäre.

2. Die Haftung der Beklagten ist jedoch dem Grunde nach auf ein Viertel begrenzt, da die Klägerin durch das ihr zuzurechnende Verhalten ihrer Mitarbeiter den Unfall zu einem ganz erheblichen Teil mitverursacht und mitverschuldet hat, § 254 Abs. 1 BGB.

Die Klägerin hätte durch den Zeugen K, auf dessen Wunsch hin die Kupplung beider Fahrzeuge erfolgte, oder durch Schiffsführer S vor Beginn der Reise die Beklagten unbedingt auf die Besonderheiten des Pontons aufmerksam machen müssen. Hierzu zählte zunächst, daß es zu jenem Zeitpunkt kein gültiges, nicht einmal ein vorläufiges Schiffsattest für den Ponton gab. Dies hat die Schiffsuntersuchungskommission des WSA Mannheim mit Schreiben vom 20.06.1997 auf Anfrage des Gerichts ausdrücklich bestätigt. Vor der Kuppelung beider Fahrzeuge hätte die Klägerin die Beklagten weiter besonders darauf hinweisen müssen, daß bei dem Ponton eine Maschinenraumentlüftungsöffnung im Deck vorhanden war, die nach oben hin mit einem Gitterrost abgedeckt, nach unter hin in Form eines Trichters mit den Abmessungen 30 x 30 cm ausgestattet war, der unten in ein direkt nach außenbord führendes Rohr mündete.... Diese Maschinenraumentlüftungsöffnung im Deck war zugleich auch Speigatt für ablaufendes Deckwasser. Ob dadurch der erforderliche Sicherheitsabstand lediglich mindestens 300 mm betrug (so die Ansicht der Schiffsuntersuchungskommission oder aber mindestens 500 mm (so das Rheinschiffahrtsgericht in Übereinstimmung mit den Ausführungen von E), braucht nicht entschieden zu werden. Jedenfalls war diese Konstruktion, was den zu befürchtenden Wassereintritt betraf, äußerst gefahrträchtig. Diese Gefahr hat sich auch bei der gemeinsamen Reise der gekuppelten Fahrzeuge verwirklicht.

Ferner war es vor Beginn der Reise die Pflicht des Schiffsführers S, dafür zu sorgen, daß sämtliche Decköffnungen, die zu einem Wassereintritt in das Innere des Pontons führen könnten, nachhaltig abgedichtet wurden und blieben.

Die Klägerin trifft eine Mitverantwortung ferner dafür, daß ihr Schiffsführer S mit dein Zweitbeklagten verabredete, entgegen der Vorschrift des § 6.21 Nr. 2 RhSchPolVO den Ponton „L" an die Steuerbordseite von MS „S" zu kuppeln.

Die Ansicht der Klägerin, S habe während der Zeit, in der der Zweitbeklagte nautischer Schiffsführer der gekuppelten Fahrzeuge war, keine eigene Verantwortung mehr getroffen, ist unzutreffend. Ihn traf auch während der Fahrt die Pflicht, auf seinem Ponton zu verbleiben und die Fahrt sorgfältig zu verfolgen (vgl. dazu auch BGH VersR 1975, 253 zur Verpflichtung des Führers eines geschleppten Fahrzeuges, selbst schiffahrtsrechtliche Vorschriften zu beachten; ferner: Bemm/ von Waldstein Rheinschiffahrtspolizeiverordnung 1995 § 1.02 Rdnr. 12). Ein Mitverursachungsbeitrag des Schiffsführers S besteht schließlich darin, daß dieser nicht an Bord des Pontons verblieb und ständig darauf achtete, daß kein Wasser ins Innere des Pontons dringen konnte. Er wurde erst auf die Gefahr aufmerksam, als er sich bereits seit einiger Zeit im Führerhaus von MS „S" bei dem Zweitbeklagten aufhielt und sich mit diesem unterhielt. Nicht ausreichend war, daß der Baggerführer an Bord des Pontons verblieb. Dieser konnte weder hinreichend wahrschauen, noch die mitlaufenden Schottelantriebe schnell stoppen.

In Abwägung der dargestellten beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile hält der Senat eine Haftungsverteilung von 3/4 zu 1/4 zu Lasten der Klägerin für angemessen.

3. Nach dem Ergebnis der zweitinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme ist der Senat davon überzeugt, daß keine unmittelbare Vertragsbeziehung zwischen der Klägerin und den Beklagten über die Schlepphilfe vom 12.07.1994 zustande kam.

Der Zeuge S bekundete, daß er telefonisch von dem Zeugen K die Anweisung erhalten habe, daß er mit dem Ponton „L" bei MS „S" ankuppeln solle. Er, der Zeuge S, habe mit den Beklagten nicht über den Grund des Zusammenkuppelns gesprochen. Der Zeuge K hat bei seiner Vernehmung bekundet, daß kein ausdrücklicher Vertrag zwischen der Klägerin und den Beklagten über die Schlepphilfe, die MS „S" dem Ponton „L" leisten sollte, abgeschlossen worden sei. Er habe allerdings zu dem Erstbeklagten gesagt, wenn sie unterwegs „L" sehen würden und „L" es nicht packen würde, dann könnten die Beklagten ihn ja mitnehmen. Dem habe der Erstbeklagte zugestimmt. Es sei allerdings nicht über eine Vergütung gesprochen worden.

Der Senat ist davon überzeugt, daß die Schlepphilfe im Rahmen der Vertragsbeziehungen durchgeführt wurde, in der die DBR eingeschaltet war. zum Unfallzeitpunkt, dem 12.07.1994, hatte die Klägerin den Ponton für das WSA Aschaffenburg eingesetzt. Die Klägerin hatte einen Vertrag mit der DBR geschlossen, aufgrund dessen diese MS „S" zur Verfügung stellte. Im Rahmen eines Beschäftigungsvertrages zwischen der DBR und dem Erstbeklagten als Schiffseigner war MS „S" bis einschließlich 12.07.1994 an die Klägerin verchartert, im Zuge von Ausbaggerungen am Untermain anfallende Transporte durchzuführen. Dafür war ein gleichbleibender Tagessatz vereinbart, der auch am 12.07.1994 in Rechnung gestellt und bezahlt wurde. Die Zeugen S und D haben in ihren schriftlichen Beantwortungen der Zeugenfragen bekundet, daß MS „S" für die Tagesmiete Transportleistungen im Zusammenhang mit der Wasserbaustelle am Untermain durchzuführen hatte und daß es dabei auch üblich sei, die An- und Abfahrt des Schiffes zu einer Baustelle in den Mietzeitraum mit einzubeziehen. Mangels anderweitiger ausdrücklicher Absprachen ist davon auszugehen, daß die von der Klägerin gefordert Schlepphilfeleistung vom Beklagten im Rahmen der bestehenden Vertragsbeziehungen über die DBR geleistet wurde. Aufgrund der Rechtsbeziehungen der Klägerin zur DBR wurden deren Verlade- und Transportbedingungen (VTB) Vertragsgegenstand. Diese Bestimmungen werden zulässigerweise gemäß § 21 VTB auf sämtliche an dem Transport Beteiligten und deren Beauftragten ausgedehnt. Sie sind auf das vorliegende Verhältnis anzuwenden, auch wenn ein „Schleppvertrag" nicht als „Frachtvertrag", sondern als „Werkvertrag" zu qualifizieren ist (RGZ 116, 27). Sie finden auch Anwendung auf außervertragliche Ansprüche, § 20 VTB. Im übrigen ist in der Rechtsprechung anerkannt (vgl. BGH VersR 1960, 727; 1977, 717; 1978, 836; 1980, 572 f; 1981, 229; sowie BGHZ 130, 223), daß bei See- und Binnenschiffstransporten Klauseln, die die Haftung des Frachtführers oder des Schiffseigners beschränken oder ausschließen, im allgemeinen auch zugunsten des Schiffsführers wirken.

Gemäß § 18 Abs. 1 Satz 2 VTB haftet der Frachtführer nicht für mittelbare, indirekte oder Folgeschäden. danach steht der Klägerin ein Anspruch auf Nutzungsverlust nicht zu, da es sich bei diesem um eine Form entgangenen Gewinns (§ 252 BGB) handelt, der zu dem Bereich mittelbarer Schäden zählt.

Die sich aus § 18 Abs. 5 Satz 1 VTB ergebende weitere Haftungseinschränkung hinsichtlich des Schadens am Bagger wirkt sich vorliegend deshalb nicht aus, weil die Klägerin ihre insoweit - von den Beklagten bestrittene - Aktivlegitimation nicht nachgewiesen hat. Unstreitig ist nicht sie, sondern ein anderes Unternehmen Eigentümerin des Baggers.

Damit ist von folgenden, im einzelnen nicht weiter bestrittenen, nachgewiesenen Schadenspositionen auszugehen:......" 

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1998 - Nr. 22 (Sammlung Seite 1712 ff.); ZfB 1998, 1712 ff.