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U 1/97 Bsch - Oberlandesgericht (Schiffahrtsobergericht)
Entscheidungsdatum: 05.03.1997
Aktenzeichen: U 1/97 Bsch
Entscheidungsart: Beschluss
Sprache: Deutsch
Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Abteilung: Schiffahrtsobergericht

Leitsätze:

1) Die Berufung gegen ein Urteil in zivilrechtlichen Binnen-schiffahrtssachen kann nicht beim Schiffahrtsgericht eingelegt werden. Weder findet § 13 BinSchVerfG auf diesen Fall unmittelbare oder entsprechende Anwendung noch lassen sich Besonderheiten, die für Rheinschiffahrtssachen gelten, auf diesen Fall übertragen.

2) Die Fürsorgepflicht des Schiffahrtsgerichts kann es gebieten, daß dieses im normalen, ordnungsgemäßen Geschäftsgang den Rechtsmittelführer auf seinen Fehler hinweist bzw. die Berufungsschrift an das Berufungsgericht weiterleitet. Geschieht dies nicht, so kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sein.

Beschluß des Oberlandesgerichts (Schiffahrtsobergerichts) Karlsruhe

vom 05.03.1997

U 1/97 Bsch

(rechtskräftig)

(Schiffahrtsgericht Mainz)

Aus den Gründen:

Das Amtsgericht - Schiffahrtsgericht - Mainz hat mit am 12.11.1996 verkündetem Urteil die Klage abgewiesen. Dieses Urteil wurde dem Kläger-Vertreter am 06.12.1996 zugestellt. Er legte mit Schriftsatz vom 23.12.1996, der an das Amtsgericht - Schiffahrtsgericht - Mainz adressiert war und bei diesem am 27.12.1996 einging, Berufung ein. Am 08.01.1997 verfügte der zuständige Richter des Schiffahrtsgerichts Mainz, daß eine Abschrift der Berufungsschrift an den Gegner zu leiten sei und die Akte am 01.03.1997 dem Richter wieder vorzulegen sei.


Am 20.01.1997 verfügte der Richter des Schiffahrtsgerichts:


„Vermerk: Die Verfügung B1. 180 wurde deshalb getroffen, um gegebenenfalls eine Begründung für die Einlegung der Berufung beim judex a quo abzuwarten. Rechtsanwalt Dr. F teilte heute telefonisch mit, daß die Einlegung der Berufung beim hiesigen Gericht auf einem Versehen beruht."


Die Akten wurden sodann dem Schifffahrtsobergericht zugeleitet, bei dem sie am 23.01.1997 eingingen.

Mit am 22.01.1997 beim Schiffahrtsobergericht eingegangenem Schriftsatz vom 21.01.1997 legte der Kläger-Vertreter namens der Klägerin Berufung ein, die er begründete. Zu deren Zulässigkeit trägt er vor: Die Klägerin sei der Auffassung, daß in Ansehung des § 13 BinSchVerfG das Rechtsmittel durch Einreichung eines Schriftsatzes vom 23.12.1996 beim Schifffahrtsgericht Mainz wirksam eingelegt worden sei. § 13 BinSchVerfG trage der Tatsache Rechnung, daß das gerichtliche Verfahren in Schiffahrtssachen einige Besonderheiten aufweise. So seien etwa in Rheinschiffahrtssachen aufgrund supranationaler Vorschriften die Berufung wie die Berufungsbegründung beim Gericht erster Instanz einzureichen, in Schiffahrtssachen dagegen beim Schifffahrtsobergericht, dem Gericht zweiter Instanz, während für allgemeine zivilrechtliche Streitigkeiten das Landgericht zuständig sei. Was für eine Verwechslung einer Schiffahrtssache mit einer allgemeinen zivilrechtlichen Sache gelte, müsse auch für die Verwechslung einer Schiffahrtssache mit einer Rheinschiffahrtssache gelten.

Für den Fall, daß die Berufung vom 23.12.1996 jedoch nicht fristwahrend eingelegt worden sei, beantragt die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Dem Schiffahrtsgericht habe im Rahmen prozessualer Fürsorgepflicht oblegen, die Berufungsschrift im normalen Geschäftsgang unter Hinweis auf die Eilbedürftigkeit des Vorgangs dem Schiffahrtsobergericht vorzulegen.


Der Beklagte erachtet die Berufung für unzulässig und tritt dem Wiedereinsetzungsantrag entgegen.

1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist ist zulässig.
a) Er ist rechtzeitig innerhalb von zwei Wochen nach Behebung des Hindernisses gestellt worden.
b) Der Wiedereinsetzungsantrag war nicht etwa deshalb überflüssig, weil die Berufung durch Einlegung einer Berufungsschrift beim Schiffahrtsgericht Mainz wirksam gewesen wäre. Gegen die Urteile der Schiffahrtsgerichte in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten ist Berufung grundsätzlich ausschließlich beim Schifffahrtsobergericht einzulegen. Besonderheiten, die für das Verfahren vor den Rheinschiffahrtsgerichten gelten, insbesondere die Möglichkeit, Berufung bei der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt durch Einreichen eines Schriftsatzes bei dem erstinstanzlichen Rheinschiffahrtsgericht einzulegen (Art. 37 bis MA), haben keinerlei Auswirkungen auf das Verfahren in Binnenschiffahrtssachen. Zwar wird in Schiffahrtssachen in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht dadurch berührt, daß es statt bei dem Oberlandesgericht bei dem dem Schiffahrtsgericht übergeordneten Landgericht eingelegt wird, § 13 BinSchVerfG. In diesen Fällen wird von Amts wegen die Sache an das zuständige Oberlandesgericht abgegeben. Damit soll verhindert werden, daß jemand in Binnenschiffahrtssachen allein deshalb einen Nachteil erleidet, weil die Berufungsschrift - entsprechen der allgemeinen Regelung des Instanzenzuges in zivilrechtlichen Streitigkeiten - bei dem dem Amtsgericht übergeordneten Landgericht eingereicht wird (vgl. BGH ZfB 1979, 747 m.w.N.; Hofmann, Die gerichtliche Zuständigkeit in Binnenschiffahrtssachen (1996), 193 f). Diese Vorschrift ist aber weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar auf den Fall, daß eine Berufung direkt beim Schiffahrtsgericht eingelegt wird. § 13 BinSchVerfG ist eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift. So hat der Bundesgerichtshof es auch abgelehnt (a.a.O.), eine Berufung als zulässig zu erachten, die gegen ein Urteil des Schifffahrtsgerichts Bremen beim OLG Bremen anstatt beim (nach einem Länderabkommen) zuständigen Schiffahrtsobergericht Hamburg eingelegt worden war.

2. Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist in der Sache nach § 233 ZPO begründet.
a) Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hat die Berufung bei dem nicht zuständigen Schiffahrtsgericht eingelegt. Dieses Verschulden des Prozeßbevollmächtigten ist der Klägerin zuzurechnen. Eine Partei, die eine Gerichtsentscheidung anfechten will, hat dafür Sorge zu tragen, daß das Rechtsmittel innerhalb der Rechtsmittelfrist an die richtige Stelle gelangt. Die Verantwortung für die ordnungsgemäße Einlegung des Rechtsmittels liegt stets bei der beschwerten Partei (vgl. BGH NJW 1972, 684; FamRZ 1988, 829).
b) Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat entschieden, daß dann, wenn ein beim Rechtsmittelgericht einzulegendes Rechtsmittel von einer anwaltlich nicht vertretenen Partei beim unteren Gericht eingelegt wurde, dieses, sobald es den Fehler erkennt, aus prozessualer Fürsorgepflicht gehalten ist, die Rechtsmittelschrift umgehend im normalen Geschäftsgang unter Hinweis auf die Eilbedürftigkeit des Vorgangs an das zuständige Gericht weiterzuleiten, wenn davon auszugehen ist, daß die Rechtsmittelschrift noch rechtzeitig beim zuständigen Gericht eingehen kann (OLGZ 1981, 241). Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat in dem zu entscheidenden Fall offen gelassen, ob dies auch dann gilt, wenn eine Partei anwaltlich vertreten ist und ob ein Gericht verpflichtet ist, besondere Eilmaßnahmen zu treffen, wenn die Fristversäumnis unmittelbar bevorsteht. Die letztere Frage, die in der gegenwärtigen Rechtsprechung anderer Gerichte in aller Regel verneint wird, ist auch im vorliegenden Falle nicht zu beantworten, denn es bedurfte keiner besonderen Eilmaßnahmen seitens des Schiffahrtsgerichts, um die Schrift fristwahrend dem Schiffahrtsobergericht zuzuleiten. Zwar handelt es sich bei dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin um einen in Schiffahrtssachen erfahrenen Rechtsanwalt, dem der Instanzenzug und die Vorschriften über die Einlegung einer zulässigen Berufung an sich bekannt waren und sind. Andererseits darf auch eine von einem derartig in Schiffahrtssachen erfahrenen Rechtsanwalt vertretene Partei von dem Gericht erwarten, daß dann, wenn genügend Zeit zur Verfügung steht, das Gericht, bei dem irrigerweise ein Rechtsmittel eingelegt wurde, zumutbare Maßnahmen ergreift. Die Verfügung des Schiffahrtsrichters, die Berufungsschrift dem Gegner zuzuleiten und eine Wiedervorlage erst nach ca. 1 1/2 Monaten anzuordnen, entsprach in keiner Weise der gebotenen gerichtlichen Fürsorgepflicht. Da das erstinstanzliche Urteil dem Kläger-Vertreter am 06.12.1996 zugestellt worden war, lief die Berufungsfrist unter Berücksichtigung der Tatsache, daß der 06.01.1997 in Baden-Württemberg, dem Sitz des für das Schiffahrtsgericht Mainz als Berufungsgericht zuständigen Schifffahrtsobergerichts Karlsruhe, ein gesetzlicher Feiertag ist, erst am Dienstag, den 07.01.1997 ab. Der Berufungsschriftsatz vom 23.12.1996 war bereits am 27.12.1996 beim Schiffahrtsgericht Mainz eingegangen. Auch ohne besondere Eilmaßnahmen wäre es daher für das Schiffahrtsgericht möglich aber auch geboten gewesen, im „normalen, ordnungsgemäßen Geschäftsgang" (BGH NJW 1987, 440) entweder den Kläger-Vertreter auf seinen Fehler hinzuweisen, so daß dieser noch fristgerecht einen (erneuten) Berufungsschriftsatz unmittelbar an das Schiffahrtsobergericht leiten konnte, oder aber den an das Schifffahrtsgericht Mainz gerichteten Berufungsschriftsatz unmittelbar dem Schiffahrtsobergericht zuzuleiten."

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1997 - Nr.15, 16 (Sammlung Seite 1651 ff.); ZfB 1997, 1651 ff.