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II ZR 268/95 - Bundesgerichtshof (-)
Entscheidungsdatum: 16.12.1996
Aktenzeichen: II ZR 268/95
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Norm: § 102 Nr 5 Abs 2 BinSchPRG, § 103 Abs 1 BinSchPRG, § 103 Abs 2 BinSchPRG, § 114 BinSchPRG
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: -

Leitsatz:

Bei der Gefährdung eines Schiffsgläubigerrechts durch Veräußerung des haftenden Schiffes ins Ausland ist BinnSchG § 114 analog anwendbar.

Urteil

des Bundesgerichtshofs

vom 16.12.1996

Tenor:

Die Revision gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsobergerichts Köln vom 19. September 1995 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen. Von Rechts wegen.

Tatbestand:

Die Klägerin ist Eigentümerin des TMS "D.", das am 10. Juli 1992 auf dem Rhein zu Tal fuhr. Im Bereich Du. kam es zu einer Kollision mit dem ebenfalls zu Tal fahrenden Personenboot "P.", bei der PMS "P." sank. Eigentümer dieses Bootes war der Beklagte; er hatte es der Streithelferin für eine Gästefahrt zur Verfügung gestellt. Die Parteien streiten darüber, ob dies mit oder ohne Besatzung geschah. Gesteuert wurde PMS "P." von dem Schiffsführer M., der bei der Streithelferin, einer Schiffsmaklerin, im Umschlagsbereich beschäftigt war. Nach der Behauptung der Klägerin hat er das Personenschiff unmittelbar vor den Kopf von TMS "D." gesteuert. Das Wrack verkaufte der Beklagte später in die Niederlande. 

Mit der Klage hat die Klägerin den ihr durch den Zusammenstoß entstandenen Schaden, beschränkt auf den Restwert von PMS "P.", geltend gemacht und Zahlung von 5.000,-- DM nebst Zinsen gefordert. Das Rheinschifffahrtsgericht hat den Klageantrag dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, das Rheinschifffahrtsobergericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich seine - zugelassene - Revision.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht, dessen Urteil in ZfB 1996, Nr 6, 41 veröffentlicht ist, hat ausgeführt: Der Beklagte hafte zwar nicht schon nach § 114 BinSchG persönlich, weil er das Schiff nicht zu einer neuen Reise ausgesandt habe. Auch eine analoge Anwendung der Vorschrift bei der Veräußerung eines Schiffes ins Ausland komme nicht in Betracht. Die persönliche Zahlungspflicht des Beklagten folge jedoch aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 103 Abs. 1, 102 Nr. 5 Satz 2 und §§ 3, 4 Abs. 1 Nr. 3 BinSchG analog. Die Klägerin habe an PMS "P." ein Schiffsgläubigerrecht erworben, auf das der Beklagte Bedacht habe nehmen müssen. Gleichwohl habe er das Schiff unrepariert ins Ausland veräußert, ohne der Klägerin die Möglichkeit zu geben, dingliche Ansprüche gegen den Erwerber geltend zu machen. Davon abgesehen hafte der Beklagte auch schuldrechtlich aus dem Schiffsgläubigerrecht. Es handle sich um eine durch das Pfandrecht am Schiff gesicherte Forderung gegen den, der zur Zeit ihrer Entstehung Eigner oder Ausrüster sei. Schuldner dieser Forderung bleibe der Eigner, in dessen Person die Forderung entstanden sei, lediglich die dingliche Haftung wandere mit dem Schiff. Auch alle sonstigen Anspruchsvoraussetzungen lägen vor. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei die Havarie auf das alleinige Verschulden des Schiffsführers M. zurückzuführen, der TMS "D." mit PMS "P." an Steuerbord überholt und dann versucht habe, das Tankschiff nach Backbord zu passieren. Ein Mitverschulden falle der Klägerin nicht zur Last. Für das Verschulden von Schiffsführer M. hafte der Beklagte. Es könne dahinstehen, ob die Streithelferin als Ausrüsterin von PMS "P." anzusehen sei. Schiffsführer M. sei jedenfalls im Verhältnis zu geschädigten Dritten als eine Person der Schiffsbesatzung (§ 3 BinSchG) anzusehen, auch wenn ein Dienstverhältnis zwischen ihm und dem Beklagten nicht bestanden habe. Auf eine solche Fallgestaltung sei § 3 BinSchG analog anzuwenden; aus der Sicht Dritter habe der Beklagte das Schiff zur Binnenschifffahrt verwendet.

II.

Diese Erwägungen halten den Angriffen der Revision im Ergebnis stand. Der Beklagte haftet der Klägerin für die Schäden aus der Kollision vom 10. Juli 1992 jedenfalls gemäß §§ 3, 4 Abs. 1 Nr. 3, 102 Nr. 5 und 114 BinSchG persönlich.

1. Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Klägerin nach § 102 Nr. 5 Abs. 2 BinSchG ein Schiffsgläubigerrecht und zugleich ein gesetzliches Pfandrecht an PMS "P." erworben hat (§ 103 Abs. 1 BinSchG). Dazu bedarf es keiner Entscheidung, ob für das vom Berufungsgericht rechtsfehlerfrei festgestellte Verschulden des Schiffsführers M. entsprechend § 3 Abs. 1 BinSchG der Beklagte als Schiffseigner oder - wie die Revision meint - aufgrund §§ 2 Abs. 1 und 3 Abs. 1 BinSchG die Streithelferin als Ausrüster verantwortlich war. § 102 Nr. 5 Abs. 2 BinSchG setzt nur voraus, dass die Ersatzforderung des geschädigten Dritten auf dem Verschulden einer Person der Schiffsbesatzung in Ausführung ihrer Dienstverrichtungen beruht (§§ 3, 4 Abs. 1 Nr. 3 BinSchG). Zur Schiffsbesatzung gehört nach der Legaldefinition des § 3 Abs. 2 BinSchG auch der Schiffer. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt die Vorschrift zwar unmittelbar nur zum Zuge, wenn ein Dienstverhältnis zwischen dem Schiffseigner und dem schuldhaft handelnden Besatzungsmitglied bestand, kraft dessen es auf eine gewisse Dauer in den arbeitsteiligen Organismus der Schiffsdienste und der Bordgemeinschaft eingegliedert war (BGHZ 3, 34, 39; 26, 152, 155; 57, 308, 313; Urt. v. 1. März 1979 - II ZR 215/77, VersR 1979, 570, 571). Ein solches Dienstverhältnis ist hier nur im Verhältnis zur Streithelferin festgestellt und hatte selbst dort keinen Bezug zur Schifffahrt. Ob an dieser engen Auslegung des § 3 BinSchG festzuhalten ist, kann hier offenbleiben. In den genannten Entscheidungen ist bereits ausgeführt, dass die Haftungsbestimmungen der §§ 3, 4 BinSchG entsprechend anzuwenden sind, wenn die Gleichheit der Interessenlage es gebietet. So verhält es sich aber auch im Streitfall, wie das Berufungsgericht richtig sieht. Die mit dem Betrieb eines Schiffes verbundenen Gefahren, die zum Erlass der besonderen Haftungsvorschriften des Binnenschifffahrtsgesetzes geführt haben, bestehen unabhängig davon, ob ein Dienstverhältnis zwischen dem Schiffseigner und dem Schiffer vorliegt oder diesem die Schiffsführung nur ausnahmsweise und vorübergehend überlassen worden ist. Haftungsrechtlich können beide Fallgestaltungen daher nicht unterschiedlich behandelt werden.

2. Der Schiffseigner haftet allerdings, wenn der Anspruch auf das Verschulden einer Person der Schiffsbesatzung gegründet wird, nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 BinSchG grundsätzlich dinglich begrenzt nur mit Schiff und Fracht; dies gilt unabhängig davon, ob ihn als Eigner gemäß § 3 Abs. 1 BinSchG unmittelbar die Verantwortung für Fehler der Besatzung trifft oder ob er lediglich in die während der Dauer eines Ausrüsterverhältnisses zunächst begründete beschränkt dingliche Haftung des Ausrüsters (§ 2 Abs. 1 BinSchG i.V.m. §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 Nr. 3, 103 BinSchG) nach Rückgabe des Schiffes eintritt (vgl. dazu RGZ 78, 307, 310; BGHZ 3, 34, 45; 25, 244, 250), wie es bei einer ursprünglichen Haftung der Streithelferin hier der Fall gewesen wäre.

3. Das Berufungsgericht hat die Voraussetzungen einer nach § 114 BinSchG ausnahmsweise eintretenden beschränkt- persönlichen Haftung des Schiffseigners für den Streitfall verneint und will die persönliche Zahlungspflicht des Beklagten statt dessen aus § 823 Abs. 1 BGB und zugleich aus schuldrechtlichen Elementen des Schiffsgläubigerrechts begründen. Dem folgt der Senat nur im Ergebnis. Bei der hier vorliegenden Gefährdung des Schiffsgläubigerrechts durch Veräußerung des haftenden Schiffes ins Ausland ist § 114 BinSchG analog anwendbar.

Nach § 114 BinSchG wird der Schiffseigner, wenn er trotz Kenntnis von der Forderung eines Schiffsgläubigers, für die er nur mit Schiff und Fracht haftet, das Schiff unbefugt zu einer neuen Reise aussendet, in Höhe des sonst sich ergebenden Verteilungserlöses auch persönlich verpflichtet. Vorliegend scheidet eine neue Reise zwar aus, da der Beklagte PMS "P." in beschädigtem Zustand verkauft hat. Der Grundgedanke des § 114 BinSchG, dem Schiffsgläubiger zum Ausgleich der durch eine neue Reise eintretenden Gefährdung seines dinglichen Anspruchs eine persönliche Forderung in entsprechender Höhe gegen den Schiffseigner zu gewähren (vgl. hierzu RGZ 151, 271, 277; BGHZ 25, 244, 250; Vortisch/Bemm, BinSchR, 4. Aufl. 1991, § 114 Rdn. 2), trifft bei einer Veräußerung des Schiffes ins Ausland gleichwohl zu. Das verlangt eine analoge Anwendung jener Vorschrift.

Das Binnenschifffahrtsgesetz geht davon aus, dass die Veräußerung eines Schiffes das Schiffsgläubigerrecht nicht beeinträchtigt. Das mit dem Schiff nach § 103 Abs. 1 BinSchG verbundene gesetzliche Pfandrecht ist gegen jeden dritten Besitzer des Schiffes ohne zeitliche Begrenzung verfolgbar (§ 103 Abs. 2 BinSchG), somit auch gegen einen neuen Eigentümer. Einen gutgläubigen lastenfreien Erwerb kennt das Gesetz hier - abweichend von der Grundregel des § 936 BGB - nicht (vgl. Vortisch/Bemm, § 103 Rdn. 4, § 110 Rdn. 2). Der Erwerber hat lediglich das Recht, die Ausschließung unbekannter Schiffsgläubiger mit ihren Pfandrechten im Wege des Aufgebotsverfahrens zu beantragen (§ 110 BinSchG). Dann haftet der Veräußerer gemäß §§ 113 und 112 Abs. 2 BinSchG den Schiffsgläubigern im Umfang des eingezogenen Kaufgeldes persönlich.

Durch eine Veräußerung des Schiffes ins Ausland wird dieses primär auf dem dinglichen Zugriffsrecht des Gläubigers auf das Schiff und der nur sekundär eintretenden persönlichen Zahlungspflicht des Eigners beruhende Haftungssystem in Frage gestellt. Ob das fremde Recht das nach deutschem Recht entstandene Schiffsgläubigerrecht anerkennt und ob und unter welchen Umständen das Pfandrecht bei einer Veräußerung erlischt oder nur innerhalb bestimmter Fristen geltend gemacht werden kann, entscheidet das ausländische internationale Privatrecht wie das materielle Recht des anderen Staates. Selbst wenn es das Schiffsgläubigerrecht letztlich mit demselben Inhalt anerkennt wie das deutsche Recht, wird durch diese zahlreichen, für den Gläubiger nur schwer abschätzbaren Unsicherheiten die Durchsetzung seiner Rechte nicht weniger gefährdet als durch Aussendung des Schiffes zu einer neuen Reise mit der dadurch eintretenden Gefahr eines Schiffsverlustes oder eines Rangrücktritts infolge neuer vorgehender dinglicher Rechte. Hinzu kommen auch in heutiger Zeit nicht zu vernachlässigende Erschwernisse einer Rechtsverfolgung im Ausland. Zu Recht stellt deswegen die herrschende Meinung die durch Veräußerung eines Schiffes ins Ausland eintretende tatsächliche und rechtliche Gefährdung der Schiffsgläubigerrechte dem gesetzlich geregelten abstrakten Gefährdungstatbestand einer neuen Reise gleich und wendet auf solche Fallgestaltungen § 114 BinSchG - oder im Bereich der Seeschifffahrt die frühere inhaltsgleiche Bestimmung des § 774 HGB - analog an (Pappenheim, Handbuch des Seerechts, Bd. II 1906, S. 282 f.; Schaps/Abraham, Das Deutsche Seerecht, Bd. II, 3. Aufl. 1962, § 774 Anm. 17; Schlegelberger, Seehandelsrecht, 2. Aufl. 1964, § 774 Rdn. 8; Wüstendörfer, Neuzeitliches Seehandelsrecht, 2. Aufl. 1950, S. 131; OLG Hamburg HansRZ 1927 Nr. 92; HansRGZ 1932 B Nr. 178; einschränkend Mittelstein, Deutsches Binnenschifffahrtsrecht, Bd. I, 2. Aufl. 1906, § 114 Anm. 1; ders. in Ehrenberg, Handbuch des gesamten Handelsrechts, Bd. VII/1 1918, S. 59; a.A. Vortisch/Bemm, § 114 Rdn. 14; offengelassen in RGZ 133, 167, 169 f.). Dass die §§ 102 ff. BinSchG Ausnahme und Sondervorschriften sein mögen (Vortisch/Bemm aaO), hindert entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts eine entsprechende Anwendung innerhalb ihrer engeren Zweckbestimmung nicht.

Die besonderen Umstände des vorliegenden Falles führen zu keinem abweichendem Ergebnis. Die Klägerin hat zwar ihren Sitz ebenso wie der Käufer von PMS "P." in den Niederlanden, so dass aus prozessualer Sicht mit dem Verkauf dieses Schiffes nach Holland ihr die Rechtsverfolgung eher erleichtert als erschwert sein wird. Es ist aber weder vorgetragen noch ersichtlich, dass dort materiell-rechtlich die Durchsetzung ihres Schiffsgläubigerrechts ebenso gesichert wäre wie bei einem Verbleib des Schiffes in Deutschland. Außerdem ist aus Gründen der Rechtssicherheit eine typisierende Betrachtungsweise geboten.

4. Vergeblich beruft sich schließlich die Revision auf ein der Klägerin zuzurechnendes Mitverschulden ihrer Schiffsbesatzung an der Kollision (§ 92 c Abs. 1 BinSchG). Das Berufungsgericht hat in tatrichterlicher Würdigung der zahlreichen Zeugenaussagen festgestellt, dass beide Schiffe zunächst in ausreichendem Abstand parallel zu Tal gefahren sind und dass die Situation erst dann auf einmal bedrohlich wurde, als PMS "P." plötzlich und abrupt seinen Kurs nach Backbord änderte. Zu diesem Zeitpunkt sei es aber für die Abgabe von Schallzeichen seitens "D." sowie für ein Zurückschlagen ihrer Maschine oder Betätigen des Bugstrahlruders bereits zu spät gewesen. Das lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Die Verfahrensrügen der Revision hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet; von einer Begründung wird abgesehen (§ 565 a ZPO).

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1997 - Nr.20 (Sammlung Seite 1658 f.); ZfB 1997, 1658 f.