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II ZR 247/86 - Bundesgerichtshof (-)
Entscheidungsdatum: 25.05.1987
Aktenzeichen: II ZR 247/86
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: -

Leitsatz:

Die Bestimmung, daß „der Versicherer keinen Ersatz für Schäden leistet, verursacht durch mangelhafte Vertäuung oder Verankerung", enthält eine Obliegenheit und keine Risikobeschränkung.

Urteil des Bundesgerichtshofs

vom 25. Mai 1987

- II ZR 247/86 -

(Landgericht Aachen; Oberlandesgericht Köln)

Zum Tatbestand:

Der Kläger war während eines Urlaubs in Spanien mit seinem Motorboot (51 m lang; 125 PS) vom Hafen Moraira zum Sandstrand von Calpe gefahren und hatte es dort an einer ca. 100 m vom Strand entfernten Boje festgemacht. Als er an Land geschwommen war, sah er nach einiger Zeit das Boot auf den Strand zutreiben. Die Boje hatte sich aus der Verankerung am Meeresboden herausgerissen. Der Kläger konnte nicht verhindern, daß das Boot, das durch die Brandungswelle mit Wasser vollgeschlagen war, auf den Strand aufsetzte. Mit Hilfe Dritter entfernte der Kläger das Wasser aus dem Boot und fuhr mit ihm nach Moraira zurück, wo es von einem Hafenarbeiter mit Süßwasser ausgespritzt wurde. Der Kläger verlangt von der Beklagten, die das Boot kaskoversichert hatte, Ersatz seines Kaskoschadens von über 21000,- DM. Das Boot habe er auf Weisung eines Strandmeisters an der Boje festgemacht und sich durch ruckartiges Ziehen von deren fester Verankerung überzeugt.
Die Beklagte wendet ein, daß das Boot nur mangelhaft an der Boje befestigt und verankert gewesen sei. Nach Nr. 3.4.4 AVB 1976 (Allg. Bedingungen für die Kasko-Versicherung von Wassersportfahrzeugen) sei sie deshalb nicht ersatzpflichtig. Außerdem seien nach Nr. 3 BBWF 1976 (Besondere Bedingungen für die Kasko-Versicherung von Wassersportfahrzeugen) Schäden ausgeschlossen, „die dadurch entstanden sind, daß das Fahrzeug vor der offenen Küste unbemannt gelegen hat". Ferner habe der Kläger seine Schadensminderungspflicht verletzt.
Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von rd. 14500,- DM verurteilt. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Auch ihre Revision blieb erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

„...

1. Nach Nr. 3.4.4 AVB 1976 „leistet der Versicherer keinen Ersatz für Schäden, verursacht durch mangelhafte Vertäuung oder Verankerung".
...
Insoweit ist richtig, daß die Parteien in den Vorinstanzen davon ausgegangen sind, Nr. 3.4.4 AVB 1976 umschreibe eine Obliegenheit. Indes kann offen bleiben, ob damit ein Geständnis der Beklagten i.S. des § 288 ZPO vorliegt und inwieweit ein solches Bindungswirkung hätte. Denn jedenfalls ist den Vorinstanzen darin zu folgen, daß Nr. 3.4.4 AVB 1976 eine (verhüllte) Obliegenheit beinhaltet.
Ob eine Versicherungsbedingung eine Obliegenheit oder eine Risikobeschränkung darstellt, richtet sich nicht nach dem Wortlaut der Bedingung oder ihrer räumlichen Stellung in dem Bedingungswerk, sondern nach ihrem materiellen Gehalt (Senatsurt. v. 11. Februar 1985 - II ZR 290/83'), LM Allg. Bed. f. d. Flußkasko-Police Nr. 4 = VersR 1985, 629, 630 m.w.N.). Es kommt darauf an, ob die Bedingung eine individualisierende Beschränkung eines bestimmten Wagnisses enthält, für das (allein) der Versicherer Schutz gewähren will, oder ob sie in erster Linie ein bestimmtes vorbeugendes Verhalten des Versicherungsnehmers fordert, von dem es abhängt, ob er einen zugesagten Versicherungsschutz behält oder ob er ihn verliert. Steht ein solches Verhalten im Vordergrund und tritt es nicht hinter objektive Voraussetzungen, wie z. B. den Versicherungsort oder den Zustand der versicherten Sache zurück, so handelt es sich um eine Obliegenheit (BGH, Urt. v. 3. Juli 1985 - [Va ZR 4/84, LM AVB f. Reisegepäck Nr. 2 = VersR 1985, 854, 855). So verhält es sich hier. Nach Nr. 3.1 AVB trägt der Versicherer alle Gefahren, denen die versicherten Sachen während der Dauer der Versicherung ausgesetzt sind. Es handelt sich demnach um eine Allgefahrenversicherung (für Wassersportfahrzeuge). Von dieser sind nach Nr. 3.2 AVB 1976 bestimmte „Gefahren ausgeschlossen" wie die des Krieges oder ähnlicher Ereignisse (Nr. 3.2.1), ferner aus Streik, Aussperrung und bestimmter Unruhen (Nr. 3.2.2), der Kernenergie (Nr. 3.2.3) sowie der Beschlagnahme, Entziehung oder sonstiger Eingriffe von hoher Hand (Nr. 3.2.4). Insoweit mag es sich um die Beschränkung der Versicherung für Risiken handeln, die mit außergewöhnlichen Ereignissen, hingegen nicht mit einem Verhalten des Versicherungsnehmers zusammenhängen.
...
Insoweit hängt der Versicherungsschutz davon ab, daß der Versicherungsnehmer bestimmte Tätigkeiten jeweils ordnungsgemäß ausführt oder von bestimmten Handlungen absieht, also bestimmten Verhaltenspflichten nachkommt. Richtig ist, daß die Regelung in Nr. 3.4.1 AVB 1976 („Der Versicherer leistet keinen Ersatz für Schäden, verursacht durch Fahruntüchtigkeit des Fahrzeugs") eine Risikobeschränkung enthält; sie knüpft den Versicherungsschutz an den Zustand des Fahrzeugs (vgl. Senatsurt. v. 11. Februar 1985 - II ZR 290/83'), LM Allg. Bed. f. d. Flußkasko¬Police Nr. 4 = VersR 1985, 629/630; vgl. ferner Senatsurt. v. 21. Februar 1974 - II ZR 169/722), LM VVG § 132 Nr. 1 = VersR 1974, 589/590). Das spricht jedoch nicht dagegen, in der Bestimmung der Nr. 3.4.4 AVB 1976 eine Obliegenheit zu sehen, weil nach ihr Leistungsfreiheit des Versicherers von einem bestimmten Verhalten des Versicherungsnehmers abhängt, nämlich der mangelhaften Vertäuung und Verankerung des versicherten Fahrzeugs (vgl. auch Senatsurt. v. 8. März 1982 - II ZR 10/813), VersR 1982, 645, 646). Auch kann entgegen der Ansicht der Revision bei einem mangelhaft vertäuten oder verankerten Fahrzeug nicht ohne weiteres gesagt werden, es sei „fahruntüchtig in dem Sinne, daß es die gewöhnlichen Gefahren, die mit dem Ankern verbunden sind, nicht zu bestehen vermag". Eine solche Betrachtung könnte erst dann Platz greifen, wenn die Ausrüstung des Schiffes selbst eine ordnungsgemäße Befestigung nicht erlaubt. Derartiges hat die Beklagte hier aber nicht vortragen können. Vielmehr geht ihr Vorbringen dahin, daß der Kläger das Sportboot nicht ordnungsgemäß vertäut oder verankert hat.

2. Das Berufungsgericht hat einen schuldhaften Verstoß des Klägers gegen Nr. 3.4.4 AVB 1976 verneint. Die Bestimmung beziehe sich bei richtigem Verständnis auf das Fahrzeug, nicht aber auf die Boje. Sie lege damit dem Führer eines Fahrzeugs nicht die Pflicht auf, die Verankerung der Boje zu überprüfen. Allerdings müsse er beim Festmachen an einer Boje ohne Verschulden davon ausgehen können, daß sie für eine ausreichende Vertäuung des Fahrzeugs geeignet sei.
...
Die Revision wendet sich gegen diese Ausführungen ohne Erfolg. Macht der Führer eines Sportbootes sein Fahrzeug an einer hierfür vorgesehenen Einrichtung fest, so kann er grundsätzlich davon ausgehen, daß sich diese in einem ordnungsgemäßen Zustand befindet. Das gilt insbesondere für die Verankerung einer Boje auf dem Grund eines Gewässers. Er verstößt deshalb regelmäßig nicht gegen seine Pflicht, sein Fahrzeug ordnungsgemäß zu vertäuen, wenn er es unterläßt, die Verankerung der hierzu benutzten Boje auf dem Gewässergrund zu überprüfen. Sind allerdings Umstände erkennbar, daß die Boje für die Vertäuung des Fahrzeugs nicht geeignet ist oder bestehen insoweit greifbare Zweifel, so darf er sie zum Festmachen nicht gebrauchen. In dieser Richtung hat jedoch das Berufsgericht nichts feststellen können.
...
3. Nach Ansicht des Berufsgerichts vermag Nr. 3 BBWF 1976 den Klagabweisungsantrag der Beklagten ebenfalls nicht zu stützen.
...
Auch dagegen wendet sich die Revision jedenfalls im Ergebnis ohne Erfolg.
a) Nr. 3 BBWF 1976 schließt die Versicherung von Schäden aus, die ein Fahrzeug in einem bestimmten Ortlichkeitsbereich („vor der offenen Küste") bei einem bestimmten Zustand („unbemannt") erleidet. Die Bestimmung beinhaltet demnach einen Risikoausschluß in Form einer sekundären Risikobegrenzung (vgl. zu diesem Begriff BGHZ 23, 355 sowie Senatsurt. v. 14. Januar 1985 - II ZR 72/84°), VersR 1985, 541, 542) und nicht, wie die Revisionserwiderung meint, eine Obliegenheit. Deshalb muß ihn Hinweis auf die Vorschrift des § 6 Abs. 1 Satz 3 VVG ins Leere gehen, wonach sich der Versicherer bei einer Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers nicht auf die vereinbarte Leistungsfreiheit berufen kann, wenn er den Versicherungsvertrag nicht innerhalb eines Monats seit Kenntnis der Verletzung gekündigt hat.
...
b) Nr. 3 BBWF 1976 kennzeichnet mit den Worten „vor der offenen Küste" sowie „unbemannt" eine besondere (von der Versicherung ausgeschlossene) Gefahrenlage. Diese besteht zum einen darin, daß ein „vor der offenen Küste" liegendes Fahrzeug sich außerhalb des Schutzbereichs der Küste oder dort vorhandener Einrichtungen befindet und damit den Gefahren von Wind, Seegang und Wetter uneingeschränkt ausgesetzt ist; sie ist zum anderen darin zu sehen, daß sich bei einem „unbemannten" Fahrzeug kein Besatzungsmitglied an Bord oder in unmittelbarer Nähe aufhält, deshalb bei einer Gefahrenlage des Fahrzeugs nicht unverzüglich eingreifen und sofort die erforderlichen Abwehrmaßnahmen treffen kann. Im Hinblick darauf erscheinen beide Merkmale dem Senat nicht unklar. Jedoch scheitert die Anwendung des Nr. 3 BBWF 1976 vorliegend daran, daß ihre Voraussetzungen nur teilweise erfüllt sind. Zwar konnte der Kläger bei einer Gefahrenlage seines Sportbootes nicht sofort eingreifen, weil er sich am Strand aufhielt und eine Strecke von mindestens 100 m durchschwimmen mußte, um zu diesem zu gelangen, sein Fahrzeug mithin „unbemannt" gewesen ist. Indes lag das Fahrzeug, wie das Berufungsgericht festgestellt hat, in einer Badebucht mit typischem Strandleben (schwimmen, surfen, Bootsverleih), also nicht außerhalb des Schutzbereichs der Küste.

4. Nach Nr. 9.2 AVB 1976 hatte der Kläger „die Anweisungen des Versicherers für den Schadenfall" zu befolgen. In diesen Anweisungen heißt es unter Nr. 2, daß der Versicherungsnehmer für Minderung des entstandenen und Abwendung weiteren Schadens zu sorgen hat. Verletzt er diese Pflicht vorsätzlich oder grobfahrlässig, so ist der Versicherer von der Leistung frei (§ 10 AVB 1976 i.V.m. § 62 Abs. 2 Satz 1 VVG). Eine derartige Verletzung hat das Berufungsgericht verneint. Seine Ausführungen hierzu lassen keinen Rechtsfehler erkennen. Es hat weder den Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit verkannt, noch wesentliche Tatsachen bei der Prüfung des Verschuldensgrades des Klägers unberücksichtigt gelassen. Daß es in dem Nichtverbringen des - nur kurze Zeit mit Seewasser vollgeschlagenen - Bootes in eine Fachwerkstatt keine grobe Fahrlässigkeit des Klägers gesehen hat, kann aus Rechtsgründen nicht beanstandet werden. Das gilt auch, soweit der Kläger vor dem Ausspritzen und Säubern des Bootes mit Süßwasser keinen fachmännischen Rat eingeholt hat."