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505 Z - 1/16 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 21.03.2016
Aktenzeichen: 505 Z - 1/16
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Tatbestand:

Die Klägerin hat das MS „K.-G.“ gegen die Gefahren der Schifffahrt versichert und dessen Eigner wegen eines Schadens Deckung gewährt, der am 10. Oktober 2012 bei der Ausfahrt des Motorschiffs aus einem von der Beklagten betriebenen Baggerloch an MS „K.-G.“ entstanden war.

MS „K.-G.“, das dem Versicherungsnehmer K. O. s. der Klägerin gehört und von ihm zur Schifffahrt genutzt wird, ist 73,30 m lang, 8,15 m breit und hat bei einem maximalen Tiefgang von 2,84 m eine Tragfähigkeit von 968 t. Es ist mit einer Hauptmaschine mit 660 PS und einem Bugstrahlruder mit 220 PS ausgerüstet.

Die Beklagte betreibt Kiesabbau am Rhein. Sie ist Eignerin des Baggerschiffs „E. 30“. Das Baggerschiff ist 110 m lang, 12,24 m breit und hat einen Tiefgang von 1,30 m und eine Verdrängung von 1.270 t.

Das Baggerschiff „E. 30“ lag am 10. Oktober 2012 linksrheinisch bei Rhein-km 782,5 in einem Baggerloch mit dem Heck in Richtung Rhein. Es war mit vier Seitendrähten jeweils an Land festgemacht. Die Drähte liefen an Deck über eine Winde, dann außerhalb der Reling über eine Rolle durch ein Rohr nach unten über eine Umlenkrolle in 3,50 m Tiefe unter dem Wasserspiegel, von wo aus sie an Land geführt und dort verankert wurden. Der Abstand der Steuerbordseite des Baggerschiffs zum Ufer betrug etwa 25 bis 30 m.

MS „K.-G.“ wurde am 10. Oktober 2012 in dem Baggerloch mit Kies beladen, der nach Winschoten in den Niederlanden transportiert werden sollte. Zu diesem Zweck fuhr Schiffsführer O. sen. am Vorabend nach telefonischer Absprache mit dem Baggerführer rückwärts in das Baggerloch ein und machte mit seiner Steuerbordseite an der Steuerbordseite des Baggerschiffs fest. Am Morgen des 10. Oktober 2012 wurde MS „K.-G.“ mit 953 t Kies auf 2.80 m Tiefgang abgeladen. Nach Beendigung des Ladevorgangs sprach Schiffsführer O. sen. mit dem Baggerführer S. über Funk die Wegfahrt ab. Nachdem der Baggerführer S. erklärt hatte, der Steuerbord-Heckhaltedraht des Baggerschiffs sei lose gegeben, setzte MS „K.-G.“ zur Ausfahrt aus dem Baggerloch an. Bei der Ausfahrt geriet der Haltedraht in den Propeller und die Ruderanlage des MS „K.-G.“ und riss in der Folge. MS „K.-G.“ erlitt Schäden an Propeller und Ruderanlage und konnte seine Fahrt nicht fortsetzen. Es wurde mit Hilfe einer Barge der Beklagten wieder zu dem Baggerschiff zurückgeschleppt und machte dort fest. Die Kiesladung wurde gelöscht und am Ufer des Baggerlochs gelagert. MS „K.-G.“ wurde zu einer niederländischen Werft geschleppt und dort instandgesetzt.

Die Klägerin begehrt aus übergegangenem und abgetretenem Recht Erstattung ihrer Aufwendungen zur Schadensregulierung und Ersatz des Nutzungsausfallschadens, der dem Schiffseigner des MS „K.-G.“ entstanden ist, sowie Freistellung des Schiffsführers O. sen. von Forderungen der Käuferin der Kiesladung nebst Zinsen und Kosten.

Zum Schadenshergang hat sie vorgetragen:

MS „K.-G.“ sei bei der Ausfahrt aus dem Baggerloch in einem engen Abstand von etwa 50 cm an dem Baggerschiff entlang in Richtung Rhein gefahren. Als MS „K.-G.“ mit dem Heck auf Höhe des Hecks des Baggerschiffs gewesen sei, hätten der Propeller und die Ruderanlage Kontakt zu dem Seitendraht gehabt. Schiffsführer O. sen. habe sofort auf Freilauf geschaltet. Durch den weiter wirkenden Schub sei MS „K.-G.“ weiter in Richtung Rhein getrieben. Dabei sei das Heck nach Steuerbord gezogen worden, dann habe es einen Knall gegeben und die Ruderanlage habe sich nicht mehr bewegen lassen. Schiffsführer O. sen. habe rückwärts gemacht, um nicht manövrierunfähig von der Strömung erfasst und talwärts gezogen zu werden. Bei diesem Hergang spreche ein Beweis des ersten Anscheins für eine schuldhafte Pflichtverletzung der Mitarbeiter der Beklagten dergestalt, dass der Steuerbord-Heckhaltedraht des Baggerschiffs bei der Wegfahrt des MS „K.-G.“ nicht tief genug abgefiert gewesen sei. Selbst wenn dem aber so gewesen sein sollte, habe die Beklagte ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt, weil sie nicht darauf hingewiesen habe, dass das Schiff mit dem Heck dicht am Baggerschiff habe bleiben müssen, weil sonst „der nötige Tiefgang“ nicht gewährleistet sei.

Auf Antrag der Klägerin hat das Rheinschifffahrtsgericht im schriftlichen Vorverfahren am 31. August 2013 gegen die Beklagte ein Versäumnisurteil auf Zahlung von 50.073,27 € nebst Zinsen erlassen, gegen das die Beklagte rechtzeitig Einspruch eingelegt hat.

Die Klägerin hat beantragt,

das Versäumnisurteil vom 31. August 2013 aufrechtzuerhalten,

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, Schiffer K. O. sen. von Forderungen der Firma V. N. G. e. Z. B.V. gemäß Rechnung vom 13. Juni 2013 über 11.102,45 € netto freizustellen,

hilfsweise,

die Beklagte zu verurteilen, an sie, die Klägerin, weitere 11.102,45 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 11. Juli 2013 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

das Versäumnisurteil vom 31. August 2013 aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.

Sie hat zum Schadenshergang vorgetragen:

Bei normaler Ausfahrt hätte MS „K.-G.“ bei einem Tiefgang von 2,80 m selbst dann nicht gegen den Draht geraten können, wenn dieser rack gespannt gewesen wäre. Tatsächlich sei der Draht aber vor der Ausfahrt von „K.-G.“ komplett von der Winde abgelassen gewesen. Angesichts seines Eigengewichts habe er auf dem Boden des Baggerlochs gelegen. Die Havarie sei auf einen Fahrfehler des Schiffsführers des MS „K.-G.“ zurückzuführen. Dieser sei mit einigen Metern Abstand von der Steuerbordseite des Baggerschiffs aus dem Baggerloch gefahren und in die Strömung des Rheins geraten, die den Bug nach Backbord gedrückt habe. Der Schiffsführer habe deshalb das Ruder nach Steuerbord gelegt, um das Heck des Schiffs nach Backbord zu drücken und aufzufangen. Hierdurch habe sich das Heck des Schiffs vom E. 30 weg in Richtung Land bewegt und deshalb dort im seichten Wasser den Draht mitgenommen. Der Schiffsunfall beruhe auf alleinigem Verschulden des Schiffsführers des MS „K.-G.“. Sie, die Beklagte, habe ihre Verkehrssicherungspflicht in vollem Umfang wahrgenommen, da der Draht flach am Boden gelegen habe.

Das Rheinschifffahrtsgericht hat zum Schadenshergang Beweis erhoben durch urkundliche Verwertung der Aussagen der in dem Verklarungsverfahren 25 II 5/12 BSch des Schifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vernommenen Zeugen K. O. sen., K. O. jun., S. und Sp.

Mit Urteil vom 2. Juli 2014 hat das Rheinschifffahrtsgericht das Versäumnisurteil vom 31. August 2013 aufrechterhalten, dem Freistellungsbegehren teilweise in Höhe von 5.098,55 € stattgegeben und die weitergehende Klage abgewiesen.

Zur Begründung hat es in Bezug auf den Schadenshergang im Wesentlichen ausgeführt:

Die Havarie habe ihre Ursache in einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht der Beklagten im Hinblick auf die sichere Wegfahrt abgeladener Schiffe aus dem Baggerloch. Für eine schuldhafte Verletzung von Sorgfaltspflichten durch die Beklagte streite ein Beweis des ersten Anscheins. Dieser erlaube bei typischen Geschehensabläufen den Nachweis eines ursächlichen Zusammenhangs oder eines schuldhaften Verhaltens ohne exakte Tatsachengrundlage, sondern aufgrund von Erfahrungssätzen. Das Geschehen müsse auf den ersten Blick zu jenen gehören, die nach einem durch Regelmäßigkeit, Üblichkeit und Häufigkeit geprägten Muster abzulaufen pflegten.

Nach dem Vorbringen der Parteien, soweit es unstreitig sei, liege hier ein Sachverhalt vor, bei dem nach der Lebenserfahrung auf die Verursachung durch ein bestimmtes Verhalten geschlossen werden könne. Danach komme als Ursache für das Aufnehmen des Haltedrahtes durch den Propeller des MS „K.-G.“ nur ein Fehler beim Lösen des zuvor gespannten Drahtes infrage, möglicherweise im Zusammenwirken mit den unbekannten Gegebenheiten auf der Sohle des Baggerlochs, für deren Zustand die Beklagte ebenfalls verantwortlich sei. Für die Entscheidung sei nicht maßgeblich, dass nicht mehr aufgeklärt werden könne, auf welche Weise genau sich der Draht in dem Propeller verfangen habe.

Der von der Beklagten behauptete Fahrfehler des Schiffsführers von „K.-G.“ sei bereits nautisch nicht nachvollziehbar. Die Beklagte habe auch keinen in den örtlichen Gegebenheiten liegenden Grund vorgetragen, aus dem heraus MS „K.-G.“ nicht parallel zu dem Baggerschiff hätte losfahren können. Das Heck von „K.-G.“ könne sich zu dem Zeitpunkt, als es sich auf der Höhe des Hecks des Baggerschiffs befunden und der Propeller den Draht mitgenommen habe, nicht bereits in mehreren Metern Abstand von der Steuerbordseite des Baggers befunden haben.

Die Beweisaufnahme im Verklarungsverfahren habe für eine solche Ausgangslage ebenfalls nichts ergeben. Die von der Beklagten benannten Zeugen S. und Sp. hätten die Abfahrt von MS „K.-G.“ nicht so geschildert, wie die Beklagte vortragen lasse. Der Zeuge S. habe in Übereinstimmung mit der Aussage des Zeugen O. sen. bekundet, „K.-G.“ sei in einem Abstand von 20 bis 30 cm zum Bagger parallel aus dem Kiesloch herausgefahren. Er habe mit keinem Wort erwähnt, dass an der Abfahrt oder dem Kurs des Schiffes etwas Besonderes gewesen sei. Der Zeuge Sp. habe ebenfalls nicht von einem ungewöhnlichen Fahrmanöver von „K.-G.“ berichtet. Hätten die mit den örtlichen Gegebenheiten vertrauten Zeugen den Kurs des Schiffs beim Ablegen als gefährlich im Hinblick auf eine Grundberührung und das Mitnehmen des Haltedrahts angesehen, wäre eine Reaktion von ihrer Seite zu erwarten gewesen. Gegebenenfalls hätte der Zeuge S. den Schiffsführer über Funk warnen können und müssen.

Das von beiden Zeugen übereinstimmend geschilderte Verfallen des Vorschiffs von „K.-G.“ zu Tal müsste sich zu einem Zeitpunkt ereignet haben, zu dem das Heck des Schiffs sich noch etwa mittschiffs parallel neben dem Bagger befunden hätte. Dies folge notwendigerweise daraus, dass bei der behaupteten Reaktion auf das Verfallen des Vorschiffs der Propeller den Steuerbord-Heckdraht habe mitnehmen können. Die „fehlerhafte“ Ruderbewegung nach Steuerbord müsste mithin erfolgt sein, als „K.-G.“ mit dem Heck noch in geringem Abstand parallel zum Bagger gefahren sei. Der Zeuge Sp. habe bekundet, als erstes ungewöhnliches Manöver sei ihm aufgefallen, dass „K.-G.“ mit dem Heck massiv gegengesteuert habe. Der sei „richtig rum mit dem Heck“. Weshalb dieses Manöver gefahren worden sei, wisse er aber nicht. Er habe lediglich vermutet, dass das Vorschiff in die Strömung geraten sein könnte. In einer weiteren Aussage habe er allerdings angegeben, erst nach dem Reißen des Drahtes in einer Entfernung des Hecks von „K.-G.“ vom Heck des Baggerschiffs von etwa 15 m habe „K.-G.“ dann über die Backbordseite zu Tal gedreht.

Die Zeugen der Beklagten hätten im Übrigen nichts dazu gesagt, wie der Schiffsführer von „K.-G.“ dem weiteren Verfallen des Vorschiffs in der Strömung hätte anders begegnen sollen, als das Ruder nach Steuerbord zu legen. Wenn die örtlichen Gegebenheiten tatsächlich so beschaffen gewesen wären, dass die Strömung aus dem Baggerloch ausfahrende Schiffe bereits zu einem Zeitpunkt erfasst habe, zu dem sie das Heck des Baggers noch lange nicht passiert gehabt hätten, wäre dies das nautisch einzig mögliche Manöver gewesen. Dann habe der Steuerbordheck-Haltedraht dieses Manöver aber keinesfalls behindern dürfen.

Die gewürdigten Gegebenheiten und Umstände sprächen dafür, dass die Zeugen S. und Sp. das unstreitige Verfallen des Schiffs in der Strömung vorverlegt hätten. Nach der Überzeugung des Gerichts sei es erst erfolgt, als das Schiff wegen der Havarie mit dem Draht bereits ruderlos gewesen sei.

Die Behauptung der Beklagten, der Haltedraht sei bei der Abfahrt von „K.-G.“ vollständig abgefiert gewesen, habe der Zeuge Sp. ebenfalls nicht bestätigt. Nach seinem Bekunden habe er lediglich so viel Draht gegeben, dass auf dem Baggerschiff und an Land keine Spannung mehr angelegen habe. Erst als der Draht in den Propeller geraten sei, habe er weiteren Draht abgefiert, bis dieser gerissen sei.

Gegen dieses jeweils am 8. August 2014 zugestellte Urteil haben beide Parteien mit dem Antrag auf Entscheidung durch die Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt form- und fristgerecht Berufung eingelegt und ihr Rechtsmittel form- und fristgerecht begründet.

Die Beklagte trägt unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens im Wesentlichen vor:

Das Rheinschifffahrtsgericht habe die Zeugenaussagen zu Unrecht zu Lasten der Mitarbeiter der Beklagten gewürdigt und zudem objektive Gegebenheiten außer Betracht gelassen, die die Schilderung der Beklagtenseite stützten und gegen die Schilderung der Klägerin sprächen. Nach den übereinstimmenden Aussagen der Zeugen S. und Sp. sei der Draht gefiert worden und habe lose an Deck und am Ufer gelegen, bevor das Kommando zum Losfahren von MS „K.-G.“ gegeben worden sei. Unstreitig sei geblieben, dass der Draht erst in einer Tiefe von 3,50 m unter der Wasseroberfläche ins Wasser gelange. Da der Draht unstreitig aus Metall und damit deutlich schwerer als Wasser sei, könne es nicht anders gewesen sein, als dass der Draht beim Fieren abgesunken und auf dem Grund des Baggerlochs zu liegen gekommen sei. Diesen Draht könne sich MS „K.-G.“ nur durch ein fehlerhaftes Fahrmanöver „gefangen“ haben, indem es zu nahe ans Ufer gekommen sei. Dies entspreche einem typischen Geschehensablauf aufgrund von Erfahrungssätzen. Berücksichtige man dies, so gebe es mindestens zwei mögliche Geschehensabläufe, die zu dem in Rede stehenden Schaden geführt haben könnten. Damit sei der Anscheinsbeweis im Sinne der Rechtsprechung erschüttert. Denn die Grundsätze des Anscheinsbeweises kämen dann nicht mehr zur Anwendung, wenn der Gegner des Beweispflichtigen die ernsthaft Möglichkeit eines anderen als des erfahrungsgemäßen Ablaufs beweise oder die dazu gehörigen Tatsachen unstreitig seien. Insoweit könne sich der Gegner des Beweispflichtigen auf einen vereinfachten Gegenbeweis stützen mit der Folge, dass die Beweispflicht auf Seiten des ursprünglich Beweispflichtigen verbleibe. So liege der Fall hier. Es sei nicht nur der von der Klägerin geschilderte Geschehensablauf wahrscheinlich, sondern mindestens genauso der von der Beklagten geschilderte Geschehensablauf. Damit sei der vom Rheinschifffahrtsgericht angenommene Anscheinsbeweis erschüttert mit der Folge, dass die Klägerin beweisen müsse, dass sich der Vorfall wie von ihr behauptet abgespielt habe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Amtsgerichts – Rheinschifffahrtsgerichts – Duisburg-Ruhrort vom 2. Juli 2014 – 5 C 7/13 BSch – sowie das Versäumnisurteil vom 31. August 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils ihrem erstinstanzlichen Freistellungsbegehren in vollem Umfang, hilfsweise der insoweit erhobenen Zahlungsklage in Höhe weiterer 4.765 € nebst Zinsen stattzugeben sowie die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt, was die Haftung dem Grunde nach angeht, das angefochtene Urteil und macht in Bezug auf den Schadenshergang unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens im Wesentlichen geltend:

Die Beklagte habe entgegen ihrer Darstellung nicht bewiesen, dass der Haltedraht bei der Abfahrt von „K.-G.“ vollständig abgefiert gewesen sei. Die Zeugen S. und Sp. hätten lediglich bekundet, der Draht habe locker ohne Spannung an Land gelegen und auch an Deck sei der Draht nicht mehr rack gewesen. Wie weit der Draht tatsächlich abgefiert gewesen sei, sei offen geblieben. Erst recht sei völlig unklar geblieben, wie der Draht vom Baggerschiff zum Ufer verlaufen sei. Soweit die Beklagte behaupte, „K.-G.“ habe sich bei der Ausfahrt aus dem Baggerloch in Folge eines Fahrfehlers des Schiffsführers O. sen. in dem Seitendraht verfangen, verkenne sie, dass sie für diesen atypischen Geschehensablauf beweispflichtig sei und das Rheinschifffahrtsgericht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zu Recht angenommen habe, dass diese andere Ursache nicht erwiesen sei. Das angeblich fehlerhafte Fahrmanöver von „K. -G.“ sei aus nautischer Sicht nicht nachvollziehbar und von den Zeugen S. und Sp. auch nicht nachvollziehbar geschildert worden. Die Klägerin habe bestritten, dass das Profil des Baggerlochs an der Unfallstelle durchweg eine schräge Böschung sei, und betont, dass die Annahme der Beklagten, der Haltedraht habe auf dem Grund des Baggerlochs gelegen, nicht gerechtfertigt sei. Die Beklagte habe auch in der Berufungsbegründung zum Profil der Baggerlochsohle nicht vorgetragen. Ihre Behauptung, die drehende Schraube würde den Draht nicht ansaugen, sondern wegdrücken, sei in dieser Allgemeinheit unrichtig und könne mangels Erheblichkeit auch dahinstehen. Jedenfalls wäre mit dem Rheinschifffahrtsgericht auch für diesen Fall eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht zu bejahen, weil die Beklagte unstreitig die Schiffsführung des MS „K.-G.“ nicht darauf hingewiesen habe, man dürfe mit dem Heck keinesfalls nach Steuerbord Richtung Ufer kommen, weil dort die konkrete Gefahr bestehe, sich im abgefierten Haltedraht zu verfangen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufungen beider Parteien sind zulässig. Die Berufung der Beklagten hat Erfolg, die Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das Rheinschifffahrtsgericht hat eine Schadensersatzpflicht der Beklagten für die Schäden, die Gegenstand der Klage sind, zu Unrecht bejaht. Eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht der Beklagten für den Schiffsverkehr in dem von ihr betriebenen Baggerloch ist entgegen der Auffassung des Rheinschifffahrtsgerichts weder dem ersten Anschein nach bewiesen, weil die Voraussetzungen für das Eingreifen des Anscheinsbeweises nicht erfüllt sind, noch unter den gegebenen Umständen nach allgemeiner Lebenserfahrung zu vermuten.

I.

Der Beweis des ersten Anscheins greift bei typischen Geschehensabläufen ein, also in Fällen, in denen ein bestimmter Tatbestand nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache für den Eintritt eines bestimmten Erfolgs hinweist. Im Wege des Anscheinsbeweises kann gegebenenfalls von einem bestimmten eingetretenen Erfolg auf die Ursache geschlossen werden (BGH VersR 2014, 1099; 2010, 392, jeweils mit weiteren Nachweisen). Dieser Schluss setzt einen typischen Geschehensablauf voraus (BGH VersR 2014, 1099; 2010, 392), wobei Typizität in diesem Zusammenhang bedeutet, dass der Kausalverlauf so häufig vorkommen muss, dass die Wahrscheinlichkeit, einen solchen Fall vor sich zu haben, sehr groß ist (BGH VersR 2014, 1099; 2010, 392, jeweils mit weiteren Nachweisen). Auch das Rheinschifffahrtsgericht geht im Ansatz zutreffend davon aus, dass das Geschehen „auf den ersten Blick zu jenen gehören (muss), die nach einem durch Regelmäßigkeit, Üblichkeit und Häufigkeit geprägten Muster abzulaufen pflegen“. Dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt wären, ist dem Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts indessen nicht zu entnehmen. Das Rheinschifffahrtsgericht meint vielmehr, es genüge, dass ein – hier singulärer – Lebenssachverhalt vorliege, bei dem nach der Lebenserfahrung auf die Verursachung durch ein bestimmtes Verhalten geschlossen werden könne. Das ist nicht richtig und mit der ständigen Rechtsprechung zur Anwendbarkeit des Anscheinsbeweises nicht zu vereinbaren.

II.

Davon abgesehen kann dem Rheinschifffahrtsgericht aber auch nicht in seiner Beurteilung gefolgt werden, bei der von ihm angenommenen, von der Klägerin behaupteten Fahrweise des MS „K.-G.“ komme nach der Lebenserfahrung allein ein nicht ausreichendes Abfieren des Steuerbordheck-Haltedrahts des Baggerschiffs als Ursache dafür in Betracht, dass der Haltedraht in den Propeller und in die Ruderanlage des MS „K.-G.“ geriet.

Das Rheinschifffahrtsgericht legt seiner Beurteilung die Angaben der Besatzungsmitglieder des MS „K.-G.“ zur Fahrweise beim Verlassen des Baggerlochs zugrunde. Danach soll MS „K.-G.“ bis zur Berührung der Ruderanlage mit dem Haltedraht mit einem seitlichen Abstand von etwa 50 cm parallel zu dem Baggerschiff in Richtung Rhein gefahren sein. Bei dieser Fahrweise kann schon aus physikalischen Gründen eine Berührung mit dem Haltedraht nicht stattgefunden haben, wie die Beklagte mit Recht geltend macht. Nach den Feststellungen des Rheinschifffahrtsgerichts, die es auf den insoweit unstreitigen Tatsachenvortrag der Parteien stützt, trat der Haltedraht in einer Tiefe von 3,50 m unter der Wasseroberfläche über eine Umlenkrolle aus einem Führungsrohr aus. Bei einem seitlichen Abstand des MS „K.-G.“ von der Steuerbordseite des Baggerschiffs betrug der Abstand zum Propeller und der Ruderanlage des 8,15 m breiten MS „K.-G.“ knapp fünf Meter. Um mit dem Propeller und der Ruderanlage des auf 2,80 m abgeladenen MS „K.-G.“ in Berührung zu kommen, müsste der Haltedraht somit auf einer Strecke von knapp fünf Metern um ca. 70 cm angestiegen sein. Das könnte allenfalls dann der Fall gewesen sein, wenn der Draht straff gespannt in einer geraden Linie von der Umlenkrolle in 3,50 m Tiefe bis zum Austritt aus dem Wasser am 25 bis 30 m entfernten Ufer verlaufen wäre. Das ist jedoch auszuschließen. Am Ufer lag der Haltedraht unstreitig ohne Spannung auf dem Boden; schon dieser Umstand schließt es aus, dass er von der Umlenkrolle in 3,50 m Tiefe bis zu diesem Punkt straff gespannt gewesen sein könnte. Zudem ist weiter unstreitig, dass der Haltedraht vor dem Ausfahren des MS „K.-G.“ gefiert worden war, und zwar nach der Aussage des Zeugen Sp., die das Rheinschifffahrtsgericht seiner Entscheidung zugrunde legt, so weit, dass auf dem Baggerschiff und an Land keine Spannung mehr anlag. Der 34 mm starke Haltedraht kann somit schon aufgrund seines Gewichts zwischen den beiden Punkten, an denen er ohne Spannung (Zug) lose auflag, nicht in einer geraden Linie verlaufen sein, sondern nur auf der Sohle des Baggerlochs gelegen haben.

Das Rheinschifffahrtsgericht sieht seine davon abweichende Auffassung, der Haltedraht sei nicht weit genug, jedenfalls nicht vollständig abgefiert gewesen, durch die Aussage des Zeugen Sp. bestätigt, er habe zunächst nur so viel Draht gegeben, dass auf dem Baggerschiff und an Land keine Spannung mehr angelegen habe, und weiter Draht erst abgefiert, nachdem dieser in den Propeller des MS „K.-G.“ geraten sei. Bei dieser Argumentation verkennt das Rheinschifffahrtsgericht, dass vor dem Beginn der Ausfahrt des MS „K.-G.“ aus dem Baggerloch ein weiteres Abfieren des Haltedrahts gar nicht möglich war, weil der Draht ohne Spannung auf Deck lag, also nicht mehr nach unten gezogen wurde. Nach der Aussage des Zeugen Sp., der die Winde auf dem Baggerschiff bediente, war der Haltedraht so weit abgefiert, dass die Schläge des Drahts auf der Trommel der Winde gerade anfingen, lose zu werden. Damit war vor dem Beginn der Ausfahrt des MS „K.-G.“ die größtmögliche Absenkung des Haltedrahts erreicht. Dass der Zeuge später noch viel Draht abfierte, ist, wie auch der Zeuge bekundet hat, allein darauf zurückzuführen, dass der Draht dadurch wieder gespannt wurde, dass MS „K.-G.“ ihn bei der Ausfahrt mitnahm. Das Nachfieren in dieser Phase des Geschehens lässt mithin nicht den Schluss zu, der Draht hätte schon vor der Havarie weiter gefiert werden können.

Somit kann die Havarie mit dem Haltedraht nicht auf dem von der Klägerin behaupteten Kurs erfolgt sein, den die Besatzungsmitglieder des MS „K.-G.“ im Verklarungsverfahren bestätigt haben. Zu erklären ist die Havarie nach der Lebenserfahrung vielmehr nur unter der Voraussetzung, dass MS „K.-G.“ bei der Ausfahrt auf Steuerbordkurs ging und dabei mit dem Achterschiff nach Backbord so nah an das Ufer geriet, dass es mit dem Propeller und der Ruderanlage den lose auf dem Boden des Baggerlochs aufliegenden Haltedraht aufnahm. Einen solchen Geschehensablauf legt insbesondere die Aussage des Zeugen Sp. nahe, MS „K.-G.“ habe „auf einmal mit dem Heck gegensteuert“ und durch dieses Gegensteuern habe sich das Hinterschiff in Richtung Land bewegt; MS „K.-G.“ sei „richtig rum mit dem Heck“, habe „mit dem Heck richtig ausgeholt“, und dann habe er auf einmal gemerkt, wie wieder Spannung auf den Seitendraht gekommen sei. Das Rheinschifffahrtsgericht will diese Aussage mit der Begründung beiseiteschieben, die Zeugen Sp. und S. hätten „das unstreitige Verfallen des Schiffes in der Strömung zeitlich vorverlegt“, weil es sich zu einem Zeitpunkt ereignet haben müsste, zu dem das Heck des MS „K.-G.“ sich noch etwa mittschiffs parallel neben dem Bagger befunden hätte. Diese Bedenken teilt die Berufungskammer nicht. Der Zeuge Sp. hat nicht bekundet, MS „K.-G.“ sei bei dem von ihm beobachteten Gegensteuern bereits mit dem Kopf in Strömung gewesen, dies vielmehr lediglich als Grund für das Gegensteuern nach Steuerbord vermutet. Dass auch nach seiner Aussage MS „K.-G.“ erst in einem Abstand von 15 m zum Heck des Baggerschiffs nach dem Reißen des Haltedrahts über Backbord zu Tal drehte, steht seiner Aussage zu der vorausgegangenen Kursänderung des MS „K.-G.“ nach Steuerbord in keine Weise entgegen.

III.

Nach alledem ist eine schuldhafte Verletzung der Verkehrssicherungspflicht der Beklagten in Gestalt eines unzureichenden Absenkens des Steuerbord-Heckhaltedrahts des Baggerschiffs weder dem ersten Anschein nach bewiesen noch nach allgemeiner Lebenserfahrung zu vermuten. Demzufolge hätte die Klägerin ein schuldhaftes Verhalten der Beklagten oder ihrer Mitarbeiter nachweisen müssen. Dieser Beweis ist ihr angesichts des Ergebnisses der Beweisaufnahme im Verklarungsverfahren nicht gelungen. Nach der Aussage des Zeugen Sp., gegen deren Glaubhaftigkeit jedenfalls keine größeren Bedenken bestehen als gegen die Glaubhaftigkeit der Aussagen der Besatzungsmitglieder des MS „K.-G.“, war der Haltedraht beim Beginn der Ausfahrt des MS „K.-G.“ aus dem Baggerloch vollständig gefiert; mehr mussten und konnten die Mitarbeiter der Beklagten nicht tun, um MS „K.-G.“ eine ungehinderte Ausfahrt zu ermöglichen. Ob die Verkehrssicherungspflicht der Beklagten für eine sichere Ausfahrt beladener Schiffe es darüber hinaus erforderte, den Haltedraht in abgefiertem Zustand auch in Ufernähe auf eine bestimmte Tiefe abzusenken, hängt davon ab, wie nahe beladene Schiffe das Ufer für eine sichere Ausfahrt in den Rhein anhalten mussten. Dazu hat die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Klägerin nichts vorgetragen. Sie hat auch nicht (hilfsweise) behauptet, MS „K.-G.“ habe mit dem Achterschiff in dem von dem Zeugen Sp. bekundeten Maße nach Backbord schwenken – d. h. Steuerbordruder legen – müssen, um bei der Ausfahrt in den Rhein nicht durch die Strömung in die linksrheinische Kribbe zu verfallen. Dass dieses Manöver für eine sichere Ausfahrt erforderlich gewesen sein sollte, ist zudem unwahrscheinlich, weil nach der nicht bestrittenen Behauptung der Beklagten sämtliche anderen Schiffe in der von der Klägerin behaupteten Weise in dichtem Abstand parallel zum Baggerschiff geradeaus aus dem Baggerloch fahren, ohne dass es zu irgendwelchen Unfällen kommt. Aus diesem Grund traf die Beklagte entgegen der beiläufig geäußerten Ansicht des Rheinschifffahrtsgerichts für Bereiche des Baggerlochs außerhalb des üblichen Fahrwegs der beladen ausfahrenden Fahrzeuge auch weder eine Verkehrssicherungspflicht noch eine Warnpflicht im Hinblick auf die mit der Annäherung an das Ufer abnehmende Wassertiefe.

Fehlt es somit an einer schuldhaften Verursachung des an MS „K.-G.“ entstandenen Schadens durch die Beklagte und ihre Mitarbeiter, erweist sich die Klage als unbegründet. Die Berufung der Beklagten ist daher begründet und führt zur vollumfänglichen Klageabweisung. Die Berufung der Klägerin gegen die Teilabweisung der Klage durch das Rheinschifffahrtsgericht ist dem entsprechend zurückzuweisen.

IV.

Aus den dargelegten Gründen wird daher für Recht erkannt:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts – Rheinschifffahrtsgerichts – Duisburg-Ruhrort vom 2. Juli 2014 – 5 C 7/13 BSch – geändert. Das Versäumnisurteil vom 31. August 2013 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen mit Ausnahme der Kosten der Säumnis, die der Beklagten auferlegt werden.

Die Gerichtskanzlerin:                                                                                  Die Vorsitzende: