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5 C 11/16 BSchRh - Amtsgericht (Rheinschiffahrtsgericht)
Entscheidungsdatum: 04.04.2018
Aktenzeichen: 5 C 11/16 BSchRh
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Amtsgericht Düsseldorf
Abteilung: Rheinschiffahrtsgericht

Leitsätze:

1) Die Schadenminderungspflicht erlegt dem Geschädigten grundsätzlich auf, die Reparatur eines Schadens, der nicht fahrt- oder wohnbehindernd ist, nur bei Gelegenheit eines anstehenden Werftaufenthaltes auszuführen oder zu Zeiten, in denen das Schiff ohnehin nicht gewinnbringend hätte eingesetzt werden können. Dies gilt aber nur, wenn die Gelegenheit zur Reparatur in einem zeitlich absehbaren nahen Zeitpunkt ernsthaft in Betracht kommt. Der Geschädigte ist nicht verpflichtet, bei geringfügigen Reparaturen auf Bordmittel zurückzugreifen. Der Geschädigte muss nicht die nächstgelegene Werft anlaufen.

2) Die Höhe des Nutzungsverlustes kann abstrakt anhand der indexierten Liegegeldsätze nach § 32 BinSchG a.F., konkret durch Beweis eines genau bezifferten entgangenen Gewinns oder abstrakt/konkret durch Vorlage der Einfahrergebnisse drei Monate vor und nach der Havarie, respektive der Reparatur berechnet werden. Nutzungsverlust ist nicht zwingend tageweise abstrakt zu berechnen, sondern kann auch stundenweise berechnet werden.

Urteil des Rheinschiffahrtsgerichtes Duis­burg­-Ruhrort

vom 4. April 2018

Az.: 5 C 11/16 BSchRh, rechtskräftig

(der Rechts­streit wurde durch Vergleich endgültig beendet).



... hat das Amtsgericht – Rhein­Schiff­fahrtsgericht – Duisburg­-Ruhrort ... für Recht erkannt:

Aus den Gründen:

Die Klägerin war am 04.12.2015 Alleinei­gentümerin des Schubverbandes Schub­schiff »X« und des mit eigener Maschinen­anlage versehenen Leichters »Y«.

Der Schubverband ist 19392 m lang, 11,45 m breit und hat einen maximalen Tiefgang von 3,70 m. Die Hauptmaschine hat eine Leistung von 1.760 kw. Das Lade­vermögen beträgt 5.920,006 t.

Die Beklagte ist Eigentümerin des Tank­motorschiffes »Hoop 9.

Am 04.12.2015 kam es bei Rhein­-km 785 zu einer Havarie zwischen dem Schubverband und dem überholenden TMS »Hoop 9«. An den beteiligten Schiffen des Schubverbandes entstanden Schäden. Diese wurden in der kontradiktori­schen Schadenstaxe vom 02.02.2016 fest­gehalten und mit 5.885,00 € taxiert. Die Schäden waren weder fahrt­ noch wohn­behindernd. Der für die Beklagte tätige Sachverständige, Ing. O, erklärte in der kontradiktorischen Schadenstaxe den Vorbehalt, dass die Reparatur »bei Ge­legenheit« ausgeführt werden könne. Die Haftung der Eigentümerin von TMS »Hoop 9« für die Folgen der streifenden Kolision steht außer Streit.

Die Klägerin begehrt Schadensersatz in Gestalt von Nutzungsverlust.

Das Heck des SL »Y« weist an Steuerbord und an Backbord angebrachte schlanke, pollerartige Zylinder auf (»Einfahrpin«; nl. »petbolder«), zwischen die der Kopf des SS »X« genau passt. Zwischen dem Kopf und den Pinnen besteht ausreichend Spiel, so dass sich beide Schiffe im Höhen­niveau bewegen können, solange sie nicht fest durch Draht verkoppelt sind. Bei der Havarie wurde unter anderem der Steuer­bordpin nach innen verbogen.

Der Schubverband wurde von der Kläge­rin seit 1999 eingesetzt. Er befördert im Rundlauf Schüttgüter wie Kohle von den ARA­Häfen zu Berg und vom Oberrhein Container nach ARA. Zwei Besatzungen wechseln sich in B­Fahrt rund um das Jahr ab.

Die Kollision ereignete sich am 04.12.2015 um 5:20 Uhr. Um 10:30 konnte die Reise nach Freigabe seitens der WSP fortgesetzt werden. Zwischen 16:30 und 18:30 Uhr machte der Schubverband im Hafen ljzendoorn für die Besichtigung durch die eigenen Experten fest. Am 11.12.2015 wurde die Reise für 2 Stunden für die gegnerischen Experten in Houten unterbrochen ...

Die Klägerin hatte in der Zwischenzeit Schüttguttransporte und einen Con­tainertransport durchgeführt. Der letz­te Transport endete am 24.12.2015 mit dem Löschen der Container in Antwer­pen um 11.00 Uhr. Die Kollisionsschä­den an dem Schubverband wurden nach dem 24.12.2015 repariert. Der SV wurde am 31.12.2015 nach Rotterdam zum Ter­minal APM geführt, der am 01.01.2016 um 14 Uhr den Betrieb aufnahm. Die Schiffe wurden beladen.

Die Klägerin macht 204 Stunden Nut­zungsausfall, dies sind 8,5 Tage, gel­tend. Sie legt dabei einen Tagessatz von 6.190,45 € zu Grunde. Dies macht einen Be­trag von 52.618,83 € aus ...

Die Klägerin ist nunmehr hälftige Eigen­tümerin des Schubverbandes. In einem Kaufvorvertrag (Voorlopig Koopovereen­komst) vom 20.11.2015 war der Verkauf des SV von T an die B vorgesehen.

Entscheidungsgründe


Schifffahrtsüblich ergeht zunächst ein Grundurteil ...
Die Klägerin hat ... dem Grunde nach ... einen Schadensersatzanspruch wegen entgangenen Gewinns in Form von Nut­zungsausfall. Es entspricht der Lebens­erfahrung, dass dem Schiffseigner ein Schaden entsteht, wenn er sein Schiff zeitweilig nicht gewerblich nutzen kann. Der Zeitraum des Nutzungsausfalls um­fasst all diejenige Zeit, in der das geschä­digte Schiff havariebedingt nicht ein­gesetzt werden kann. Zu dem Zeitraum gehört nicht nur die eigentliche Repara­turzeit. Hierzu zählen auch die Zeiten für die Fahrt zur und von der Werft, Löschung und Umschlag aufgrund der Havarie, Not­reparatur und Verschleppung (Bemm/von Waldstein, Rheinschiffahrtspolizeiverord­nung, 3. Aufl. Einführung Rn. 53; ähnlich von Waldstein/Holland, a.a.O., Binnen­schiffahrtsgesetz, 5. Aufl., § 92 b, Rn. 47 ff; OLG Köln Urteil vom 15.01.2002 AZ 3 U 144/01, ZfB 2002, Sammlung Seite 1873 f).

Nach diesen Grundsätzen hat die Kläge­rin Anspruch auf Nutzungsausfall für ei­nen Zeitraum von insgesamt 4 Tagen und 5 Stunden.

Dieser Zeitraum setzt sich zusammen aus­
- 5 Stunden am 04.12.2015 in der Zeit nach der Anfahrung um 5:20 bis zur Wieder­aufnahme der Fahrt um 10:30 Uhr,­

- 2 Stunden am 04.12.2015 in der Zeit vom 16:30 bis 18:30, in denen der Experte der Klägerin D an Bord war, weiteren­

- 2 Stunden am 11.12.2015, in denen der Experte der Beklagten an Bord war,­

- 3 Tagen, die kontradiktorisch als Repara­turdauer festgelegt wurden‚ sowie­

- 20 Stunden, die jeweils zehn Stunden Fahrt zur Werft und zurück zur Lade stelle berücksichtigen ...

1.2 Stundenweise Abrechnung. Es beste­hen keine Bedenken gegen eine stunden­weise Abrechnung des Nutzungsausfalls. So hat auch das OLG Köln (OLG Köln Urteil vom 15.01.2002 AZ 3 U 144/01, ZfB 2002, Sammlung Seite 1873 f) Nutzungsausfall nicht für zwei volle Tage, sondern nur für 36 Stunden zugesprochen. Zur Begrün­dung hat der Senat ausdrücklich ausge­führt, wie viele Stunden für Fahrten zur Werft und zurück anzurechnen seien und welche Pflichten dem Schiffseigner im Rahmen der Schadensminderungspflicht oblagen.

1.3 3 Tage. Der Klägerin steht für drei Tage Reparaturdauer Nutzungsverlust zu. Dies ist in der kontradiktorischen Taxe so fest­gestellt worden.

1.3.1
Kein Verstoß gegen Schadensminde­rungspflicht durch zeitnahe Reparatur.
Die Klägerin hat nicht dadurch gegen ihre Schadensminderungspflicht verstoßen, dass sie nicht bis zu einem regulären Werft aufenthalt gewartet hat, um die Re­paraturen durchzuführen ... Die Schadens­minderungspflicht erlegt dem Geschädig­ten ... hinsichtlich des Nutzungsausfalls auch grundsätzlich auf, die Reparatur ei­nes Schadens, der nicht fahrt­ oder wohn­behindernd ist, nur bei Gelegenheit eines anstehenden Werftaufenthaltes auszuführen oder zu Zeiten, in denen das Schiff ohnehin nicht gewinnbringend hätte eingesetzt werden können.

Dies bedeutet aber nicht, dass ein Schiff möglicherweise jahrelang ohne Reparatu­ren fahren oder bei geringfügigen Repara­turen immer auf Bordmittel zurückgegrif­fen werden muss. Es lässt sich im Rahmen der Schadensminderungspflicht keine den Eigentümer des geschädigten Schif­fes betreffende Verpflichtung zur Repara­tur bei Gelegenheit rechtfertigen, wenn diese Gelegenheit nicht in einem zeitlich absehbaren nahen Zeitpunkt ernsthaft in Betracht kommt (Rheinschifffahrtsober­gericht Köln, Urteil vom 29.05.1998 3 U 177/97 BSchRh ZfB 1998, Sammlung Seite 1717 ff; Rheinschifffahrtsobergericht Köln, Urteil vom 17.03.2009 – 3 U 36/08 BschRh; von Waldstein/Holland, a.a.O., § 92 b Rn. 47). Ein solcher Werftaufenthalt stand nicht an und war auch nicht absehbar.

Die Klägerin hat zur Überzeugung des Gerichts den Beweis erbracht, dass der SV im Oktober 2015 für eine Summe von etwa 130.000,00 € instandgesetzt worden ist. Damit stand aller Voraussicht nach ab dem Zeitpunkt der Havarie binnen Jahres­frist kein Werftaufenthalt an, um bei die­ser Gelegenheit die Schäden mit zu behe­ben. Dies hat die Vernehmung des Zeugen F ergeben ... Insgesamt fasste er zusam­men, dass das Schiff »umfangreich repa­riert« und für den Verkauf »brandneu ge­macht« wurde ...

1.3.2 Keine Reparatur anlässlich eines »Ohnehin« Werftaufenthalts. Nach der Beweisaufnahme steht zur Überzeugungdes Gerichts aus den genannten Gründen gleichfalls fest, dass während der Repara­turzeit über die Weihnachtstage 2015 keine anderen Reparaturen durchgeführt wor­
den sind ...

1.4 2 x 10 Stunden Fahrten zur Werft und zurück. Der Klägerin steht auch Nutzungs­verlust zu für die Fahrten von der letzten Löschstelle zur Werft und zurück. Dies gilt unabhängig davon, wann die Repara­tur durchgeführt wurde. Das Gericht geht davon aus, dass die Reparatur auch zu ei­nem anderen Zeitpunkt bei der Werft H in Dordrecht durchgeführt worden wäre. Die Klägerin war aus dem Gesichtspunkt der Schadensminderung heraus nicht verpflichtet, eine andere näher als ihre Stammwerft gelegene Werft ausfindig zu machen und diese mit den Reparaturarbei­ten zu beauftragen ...

2.
Kein darüberhinausgehender Nutzungs­verlust

Der Klägerin steht kein Nutzungsausfall für weitere Tage zu. Sie hat durch die Re­paratur über die Weihnachtstage des Jah­res 2015 gegen die ihr obliegende Scha­densminderungspflicht verstoßen.

Grundsätzlich kann zwar der Geschädigte den ihm genehmen Zeitraum aussuchen, in dem er havariebedingte Schäden behe­ben lassen will (von Waldstein, Rheinschif­fahrtspolizeiverordnung, Einführung Rn. 44). Arbeitsfreie Tage (Samstage, Sonn­tage, Feiertage, Streiktage) sind aber nur dann zusätzlich zu den Reparaturtagen zu ersetzen, wenn die Reparatur einen Zeit­raum von mehr als 5 Arbeitstagen in An­spruch nimmt (von Waldstein, a.a.O., Rn. 53; von Waldstein/Holland, a.a.O., § 92 b, Rn 47 mit Nachweisen).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze war die Klägerin verpflichtet, den Schub­verband so vorzulegen, dass bei einer Re­paraturzeit von drei Tagen nicht drei zu­sätzliche Ausfalltage anfielen. Die Klägerin hätte den SV so vorlegen sollen und kön­nen, dass die Arbeiten innerhalb der Ar­beitswoche erledigt werden konnten. Dass dies fahrtbedingt nicht möglich gewesen wäre, hat die Klägerin nicht hinreichend dargetan ...

Die Käufer (dabei zu 1/2 die Klägerin selbst) des Schubverbandes hatten sich mit einer Übergabe statt am 01.01.2016, wie im vor­läufigen Kaufübereinkommen vorgese­hen, am 04.01.2016 einverstanden erklärt.

In der Zeit ab dem 01.01.16 (Beladung bei APM in Rotterdam) hat die Klägerin dem­nach eine Reise durchgeführt, obwohl die Übergabe am 01.01.2016 nach Abschluss der Reparaturen am 31.12.2015 möglich gewesen wäre. Eine Reparatur im An­schluss hätte mit den Käufern ausgehan­delt werden können. In dem Kaufvertrag, der erst am 27.12.2015 und somit nach der Havarie geschlossen worden ist, ist un­ter Punkt 2 der Kaufbedingungen aufge­führt, dass die tatsächliche Lieferung des Schiffs in Dordrecht am 4. Januar 2016 er­folgen soll, jedoch spätestens am 1. Febru­ar 2016 (»... 2. De feitelijke levering van het schip dientte geschieden te Dordrecht op 4 januari 2016, doch uiterlijk op 1 februari 2016«). Insofern wurde der Liefertermin 1. Januar 2015, der noch im Kaufvorvertrag vom 20.11.2015 vorgesehen war, ohnehin bereits abgeändert.

Die Schiffe waren nach dem klägerischen Vorbringen außerdem über 16 Jahre, bzw. über 10 Jahre im Einsatz rund um die Uhr. Es handelte sich um langjährig gebrauchte Binnenschiffe. Dass der Miterwerber von dem Kauf wegen der geringfügigen Män­gel am Kasko Abstand nehmen würde, hat die Klägerin selbst nicht vorgetragen. Die Schadenssumme stand mit 5.885,00 € fest. Bei einem entsprechenden Preis­nachlass hätten die Erwerber die Schiffe dann bei dem nächsten Werftaufenthalt mit reparieren lassen können.

Im Übrigen war der Klägerin bekannt, dass sie jeweils im 1. Quartal die niedrigsten Einfahrergebnisse erzielen würde. Auch unter diesem Gesichtspunkt hätte nichts näher gelegen, als die Reparatur in die Zeit Anfang Januar 2016 zu legen. Es war der Klägerin auch zuzumuten, trotz des be­schädigten Pins auf der Steuerbordseite über die Feiertage zum Jahreswechsel wei­tere Fahrten zu unternehmen. Die Klägerin hat nicht bewiesen, dass Containerfahrten mit dem Pin, so wie er durch die Havarie beschädigt wurde, nicht möglich waren. Die Klägerin trägt insofern selbst vor, dass Containerfahrten nicht ausgeschlossen, sondern nur unter erschwerten Bedingun­gen möglich waren, insbesondere im Hin­blick auf das Laden und Löschen ...

Insgesamt ist daher Nutzungsverlust für die Dauer von 4 Tagen und 5 Stunden zu zahlen.

3. Die Höhe des Nutzungsverlustes ist nach Wahl der Klägerin zu berechnen. Dies erfolgt entweder abstrakt im Wege verein­fachter Schadensschätzung durch Heran­ziehung der Liegegeldsätze nach § 32 Bin­SchG a.F. (OLG Köln Urteil vom 22.01.2008, AZ 3 U 77/2008, ZfB 2008, Sammlung Sei­te 1974 ff; BGH Urteil vom 16.12.2008 AZ VI ZR 48/08 ZfB 2009, Sammlung Seite 2008 ff) oder konkret durch Nachweis ei­nes genau bezifferten entgangenen Ge­winns, den die Klägerin zu beweisen hätte. Eine weitere Form der Schätzung ist die abstrakt/konkrete Form, bei der nach stän­diger Rechtsprechung des Gerichts die Einfahrergebnisse von drei Monaten vor der Havarie und drei Monaten nach die­ser bzw. nach der Reparatur heranzuzie­hen sind. In diesem Falle für den Zeitraum 04.09.2015 bis 04.12.2015 und für den vom 01.01.2016 bis 31.03.2016 ...

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2018 - Nr.6 (Sammlung Seite 2535 f.); ZfB 2018, 2535 f.