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3 U 128/91 - Oberlandesgericht (Rheinschiffahrtsobergericht)
Entscheidungsdatum: 21.02.1992
Aktenzeichen: 3 U 128/91
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Oberlandesgericht Köln
Abteilung: Rheinschiffahrtsobergericht

Leitsatz:

Ein bei sorgfältiger nautischer Fahrweise vermeidbares Manöver kann nicht als Steuermanöver„des letzten Augenblicks" gewürdigt werden.

 

Urteil des Oberlandesgerichts (Rheinschiffahrtsobergerichts) Köln

vom 21.2.1992

3 U 128/91

(Rheinschiffahrtsgericht St. Goar)

Zum Tatbestand:

Die Klägerin hat zur Markierung des Fahrwassers an verschiedenen Stellen im Rhein Bojen ausgelegt, die mit Reflektoren für Radargeräte ausgestattet sind. Am 5. Juli 1990 befand sich der Beklagte als Schiffsführer mit dem TMS P talwärts. Gegen 11.20 Uhr passierte er die bei Stromkilometer 541,30 ausliegende Fahrrinnentonne. Obgleich das MB F, das ihn zuvor überholt hatte, vor einer Berührung mit der Tonne warnte, streifte das TMS die Boje, wobei diese etwa an der Hälfte des Schiffskörpers entlangschleifte.
Die Klägerin hat von dem Beklagten die Reparaturkosten für die Boje ersetzt verlangt.
Der Beklagte hat die Anfahrung der Boje darauf zurückgeführt, daß das MB F nach dem Überholen so kurz vor dem Bug von TMS P eingeschert sei, daß es nicht mehr wahrnehmbar gewesen sei. Deshalb habe er das Schiff auf Steuerbordkurs gebracht und sei hierbei der Boje zu nahe gekommen.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung hatte keinen Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:

„ ... Auch unter Zugrundelegung des Berufungsvortrags des Beklagten ist die Anfahrung der roten Tonne bei Stromkilometer 541,3 schuldhaft von ihm herbeigeführt worden. Dem Beklagten war bekannt, daß die Sicht vom Steuerhaus des TMS P voraus eingeschränkt war, weil vor dem Bug des Schiffes ein nicht einsehbarer toter Winkel bestand. Er mußte ferner damit rechnen, daß bei Beendigung des Überholmanövers von MB F das Boot nach Steuerbord gehen konnte, um in Kiellinie vorauszulaufen, ohne daß ein unmittelbarer Sichtkontakt bestand. Der Beklagte hätte daher, wenn er befürchtete, MB F vorübergehend aus den Augen zu verlieren, mit der Schiffsführung des Bootes einen Sichtkurs abstimmen können. Er hätte auch oder zusätzlich sein Schiff durch Verringerung der Geschwindigkeit am Ende des Überholvorgangs so steuern können, daß MB F schneller an ihm vorbeilief und beim „Einscheren" nach Steuerbord nicht aus dem Blickfeld geriet. Auch hätte der Beklagte einen Wahrschauposten am Bug des Schiffes einsetzen können, so daß er sich jederzeit über die Fahrweise des vorauslaufenden MB F hätte unterrichten lassen können. Schließlich bestand auch beim Einscheren von MB „Falke" nach Steuerbord vor den Bug von TMS P als auch in der Zeit unmittelbar danach die Möglichkeit, über Funkkontakt von Schiff zu Boot abzuklären, welche Fahrt MB F durchzuführen beabsichtigte. Hätte der Beklagte von einer oder von mehreren dieser Möglichkeiten Gebrauch gemacht, so hätte er die rote Tonne sicher passieren können. Das von ihm eingeleitete Steuermanöver „des letzten Augenblicks" wäre bei sorgfältiger nautischer Fahrweise daher vermieden worden.
Die Haftung des Beklagten besteht in vollem Umfang. Sie ist nicht quotenmäßig beschränkt, weil die Klägerin kein Mitverschulden am Zustandekommen der Anfahrung trifft. Auch aus dem Berufungsvorbringen läßt sich nämlich ein Fehlverhalten der Schiffsführung von MB F nicht herleiten. Das Überholmanöver ist fachmännisch ausgeführt worden, wie die Beweisaufnahme in erster Instanz ergeben hat. Eine Irritation der Schiffahrt im Revier über die Fahrtabsichten von MB F ist nicht entstanden. Die Sichtbehinderung des Beklagten durch das aufgeschwommene Vorschiff von TMS P hat die Schiffsführung von MB F nicht zu verantworten. Auch ist es grundsätzlich - ohne Hinzutreten weiterer Umstände - nautisch nicht zu beanstanden, wenn ein Talfahrer, der die Fahrt mit Überholgeschwindigkeit fortsetzt, auf freier Strecke in den toten Vorauswinkel des überholten Schiffes einfährt, so daß vorübergehend für kurze Zeit der Sichtkontakt vom Steuerhaus des Nachfolgers zum Vorausfahrer unterbrochen wird. Nicht anders ist aber MB F nach der Darstellung des Beklagten in der für ihn kritischen Annäherungssituation an die rote Tonne zu Tal gekommen ... "


Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1992- Nr.22 (Sammlung Seite 1398); ZfB 1992, 1398