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3 U 105/93 - Oberlandesgericht (Schiffahrtsgericht)
Entscheidungsdatum: 18.02.1994
Aktenzeichen: 3 U 105/93
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Oberlandesgericht Köln
Abteilung: Schiffahrtsgericht

Leitsätze:

1) Anfängliche Fahruntüchtigkeit eines Binnenschiffs nach § 58 BinSchG ist gegeben, wenn die Wetterbedingungen eine gefahrlose Fahrt nicht erlauben, weil auf der vorgesehenen Reiseroute (Ijsselmeer) mit Windund Seegangsverhältnissen zu rechnen ist, bei denen das Schiff von dem geplanten Kurs abweichen muß oder vollschlagen kann. Zu den allgemeinen Pflichten eines Schiffsführers gehört es, alle maßgeblichen Wetterinformationen auszunutzen, gegebenenfalls auch Seewetterberichte und nicht nur örtliche Wetterbeobachtungen sowie Rundfunknachrichten. 

2) Die anfängliche Fahruntüchtigkeit ist nicht absolut zu sehen; sie ist auch gegeben, wenn das Schiff nicht fähig ist, die gewöhnlichen Gefahren der geplanten Reise zu bestehen, selbst wenn diese erst nachträglich eintreten und nur für einen bestimmten Teil der Reise bestehen.

3) Wird die vertragliche Kardinalpflicht, ein anfänglich fahrtüchtiges Schiff zu stellen, verletzt, scheidet die Berufung auf eine Haftungsfreizeichnung gemäß den Konnossementsbedingungen nach Treu und Glauben gemäß §§ 242 BGB, 9 AGB aus.

Urteil des Oberlandesgerichts (Schiffahrtsobergerichts)

vom 18.02.1994

3 U 105/93

Schiffahrtsgericht (Duisburg-Ruhrort)

 

Zum Tatbestand: 

Die Klägerin beauftragte als Absenderin und vorgesehene Empfängerin die Beklagte zu 1) mit dem Transport einer Ladung Kraftwerksfeinkohle von Rotterdam nach Emden. Die Beklagte zu 1) gab den Transport an die Firma D weiter. Diese übertrug die Durchführung des Transports dem Beklagten zu 2) als Schiffseigner von MS „Freedom". Der Beklagte zu 2) übernahm am 14.2.1992 die Ladung. Auf dem Ijsselmeer gelangte bei stürmischem Wind Wasser über die offenen Luken in den Laderaum und brachte MS „Freedom" zum Sinken.

Die Klägerin nimmt die Beklagten als Gesamtschuldner auf Ersatz des dabei an der Ladung entstandenen Schadens sowie Expertisekosten in Anspruch. Sie vertritt die Auffassung, der Beklagte zu 2) hätte die Fahrt über das Ijsselmeer nicht antreten dürfen, da bereits am 14.2.1992 gegen 13.30 der KNMI Wetterbericht Südwestwind, zunehmend 7 - 8, morgen nach West drehend angekündigt gehabt habe; MS „Freedom" sei deshalb für diese Reise fahr- untüchtig gewesen, zumal sie auch mit 10 t Ladung über die vorgesehene Ladungskapazität hinaus überladen gewesen sei. 
Die Beklagten berufen sich auf die ihre Haftung einschränkenden Konnossementsbedingungen und stellen die von der Klägerin angenommenen Fahruntüchtigkeit des Schiffs in Abrede. Zu dem Wassereinbruch sei es nur gekommen, weil der Wind, entgegen dem von dem Beklagten zu 2) gehörten Wetterbericht, plötzlich von Südwest auf West gedreht und erheblich zugenommen habe.

Das Schiffahrtsgericht hat der Klage dem Grunde nach stattgegeben. Die Berufung hatte keinen Erfolg.


Aus den Entscheidungsgründen: 

„…Für den der Klägerin entstandenen Ladungsschaden haften die Beklagte zu 1) gemäß § 58 BinSchG, der Beklagte zu 2) - nicht nur dinglich, sondern auch persönlich - gemäß §§ 3,4 Abs. 2, 7 Abs. 2, 8 Abs. 2 und 4 BinSchG und § 823 Abs. 1 BGB.

Die Haftung ergibt sich daraus, daß der Beklagte zu 2) mit dem für die geplante Reise über das Ijsselmeer bei Starkwind anfänglich fahruntüchtigen MS „Freedom" die Fahrt durchgeführt hat. Der beklagte Schiffsführer hat seine ihm obliegenden Sorgfaltspflichten verletzt, indem er mit einem offenen Binnenschiff bei einer anfänglichen Windstärke von Beaufort 7 aus Südwest das Ijsselmeer befuhr.

Geht man von den Wetterbedingungen aus, die dem Beklagten zu 2) nach seinen eigenen Angaben bekannt gewesen sind, also 7 Bf aus Südwest, so erlauben diese schon nicht ein gefahrloses Befahren des Ijsselmeers mit dem offenen MS „Freedom". Auch wenn eine Überquerung des Ijsselmeers unter diesen Bedingungen noch möglich sein mag, wenn der Wind auf der gesamten Strecke genau von achtern kommt und die Wellen damit nur den hinteren Schiffsrumpf treffen, so ist bei einer solchen Überfahrt doch stets damit zu rechnen, daß der Wind seine Richtung ändert beziehungsweise auffrischt oder man gezwungen ist, mit dem Schiff von der geplanten Kurslinie abzuweichen.

Da auf dem Ijsselmeer Wellenhöhen von 1 m bis 1,5 m erreicht werden können, genügte unter den gegebenen Bedingungen ein Freibord von weniger als einem Meter nicht, um die erforderliche Seetüchtigkeit zu gewährleisten.

Daß die Überfahrt bei achterlichem Wind der Stärke 7 Bf nicht mehr zu verantworten war, belegt deutlich, daß die bloße Winddrehung von Südwest auf West genügte, um das Schiff durch die nun quer in den Laderaum schlagenden Wellen vollschlagen zu lassen, so daß es zu sinken drohte.

Darüber hinaus ist dem Beklagte zu 2) vorzuwerfen, daß er sich über die Windverhältnisse lediglich durch einen einfachen Wetterbericht informieren ließ, statt den KNMI-Seewetterbericht zu hören, der schon am Mittag des 14. 2. 1992 ankündigte, daß der stürmische Wind mit 7 - 8 Bf am nächsten Tag auf West drehen werde.

Zu den allgemeinen Pflichten eines Schiffsführers gehört selbstverständlich die für die Entscheidung über eine Reise unerläßliche Einholung der für die vorgesehenen Reiseroute maßgeblichen Wetterinformationen. Dies gilt um so mehr, wenn, wie vorliegend, mit einem offenen Binnenschiff ungeschützte Reviere befahren werden sollen und die Kenntnis von den herrschenden und zu erwartenden Wind- und Seegangsverhältnissen für das Gelingen der Fahrt ausschlaggebend ist. Für die Einholung der entsprechenden Informationen sind sämtliche zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen auszunutzen, also nicht nur die örtliche Wetterbeobachtung und gegebenenfalls der allgemeine, aber nicht auf die Erfordernisse der Schiffahrt zugeschnittene Wetterbericht des Rundfunks, sondern insbesondere auch ein Seewetterbericht, der die maßgeblichen Wind- und Seegangsverhältnisse mit der nötigen Genauigkeit erfaßt. In dem von dem Beklagte zu 2) befahrenen Gebiet war für diesen ein Seewetterbericht sowohl über den herkömmlichen Rundfunkempfänger als auch über UKW-Funk zu empfangen (vgl. Nachweis ANWBAlmanak deel 2 1987 Vaargegevens S. 562 ff.)

Die Beklagten können sich nicht erfolgreich auf die dem Frachtvertrag zugrundeliegenden haftungsausschließenden Konnossementsbedingungen berufen, weil die vertragliche Kardinalpflicht, ein anfänglich fahrtüchtiges Schiff zu stellen, verletzt worden ist und deshalb eine Berufung auf die Haftungsfreizeichnung nach Treu und Glauben gemäß §§ 242 BGB, 9 AGB ausscheidet (vgl. BGHZ 49, 356 ff. ; 65, 334 ff. ; 71, 167 ff.)

MS „Freedom" war - wie das Schiffahrtsgericht zutreffend ausgeführt hat - fahruntüchtig, weil es die anfänglich bei der Abfahrt in Rotterdam bekannten Gefahren der geplanten Reise (vorhergesagte Wetterbedingungen auf dem Ijsselmeer) mit offenem Laderaum nicht bestehen konnte.

Die Fahruntüchtigkeit ist nicht absolut zu sehen, sondern bemißt sich nach der relativen, an der konkreten Reise orientierten Seetüchtigkeit, denn als fahruntüchtig wird ein Schiff angesehen, wenn es nicht fähig ist, die gewöhnlichen Gefahren der geplanten Reise zu bestehen (BHG ETR 1984, 186; Vers.R 1974, 483).

Daß die genannten Gefahren nur für einen Teil der Reise von Rotterdam nach Emden, nämlich nur für das Ijsselmeer, galten, hindert nicht, eine anfängliche Fahruntüchtigkeit anzunehmen. Die Fahruntüchtigkeit muß dem Schiff nicht von Anfang an gleichsam körperlich anhaften. Sie kann auch nachträglich eintreten, wenn sie bereits bei Antritt der Reise in ihrem Kern vorhanden ist (OLG Hamburg VersR 1972, 365 ; Vortisch- Bemm § 58 Rdn 89). Es ist ohne Belang, ob die Gefahr für das Schiff und die Ladung während der gesamten Reise oder nur für einen bestimmten Teil derselben besteht, denn auch in diesem Fall fehlt dem Schiff schon bei Beginn der Reise die Tauglichkeit (BGH VersR 1980, 65 ff.). Daraus ergibt sich auch, daß sich die nautische Fehlentscheidung des Beklagten zu 2), bei Erreichen des Ijsselmeers die Fahrt fortzusetzen, auf die anfängliche Fahruntüchtigkeit nicht auswirkt, sie insbesondere nicht verdrängt beziehungsweise aufhebt.

Bei einem behebbaren Mangel könnte eine darauf beruhende anfängliche Fahruntüchtigkeit nur dann verneint werden, wenn anzunehmen ist, daß der Mangel im regelmäßigen Schiffsbetrieb alsbald entdeckt und beseitigt wird (vgl. BGHZ 60, 39 ff.). Eine solche Annahme scheidet vorliegend jedoch aus, weil aus Gründen, die in der Person des beklagten Schiffsfiihrers liegen, eine die Fahruntüchtigkeit behebende Unterbrechung der Reise nicht zu erwarten war, hegte dieser doch grundsätzlich keine Bedenken, das Ijsselmeer auf der geplanten Route unter den vorhergesagten Wetterbedingungen zu befahren …."


Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1994 - Nr.20 (Sammlung Seite 1496f.); ZfB 1994, 1496 f.