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297 C - 24/93 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 24.02.1994
Aktenzeichen: 297 C - 24/93
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt

vom 24. Februar 1994

297 C – 24/93

(ergangen auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Strassburg v. 14. September 1992 NR 3/88)

Tatbestand und Verfahren:

Am 11. Februar 1987 gegen 16 Uhr kollidierte der zu Tal fahrende Verband, bestehend aus dem Gütermotorschiff „W“ und dem backbords gekuppelten Leichter „W 17“,  dessen Eigner/Ausrüster die Reedereigesellschaft Reinhard W war, unter der Führung von H. Werner S auf der Rheinstrecke zwischen Flusskilometer 340 und 340,400  nach kurzem Festfahren nacheinander mit dem in der Bergfahrt befindlichen Motorschiff P und der Gierfähre von Seltz-Plittersdorf, die ernsthaft beschädigt wurde.

An diesem Tag bestand zwischen FK 339,700 und 340,500 eine Fahrwasserverengung und umgekehrtes Vorrecht auf Wahl der Vorbeifahrt (blaue Tafel).

Aus den Ermittlungen, die von der Wasserschutzpolizei eingeleitet und der französischen Gendarmerie fluviale fortgesetzt wurden, geht hervor, dass die beiden den Verband bildenden Schiffe aus Dalhunden (Frankreich) kommend mit 4.420 t Kies beladen waren und das Motorschiff mit einer Einsenkung von 2,76m und der Leichter mit 3,35m fuhren. Die Gesamtbreite des Verbandes betrug 22,37m und die größte Länge, nämlich die des Motorschiffes, 104,80m.

Beim Annähern an die Pontonbrücke in Seltz-Plittersdorf berührte der Leichter „W 17“ oberhalb von FK 340 den Grund des Flussbettes. H. S unternahm sofort das nötige Manöver, um seinen Verband wieder auf Kurs zu bringen, was ihm jedoch nicht gelang, woraufhin der Kopf des Leichters kurz darauf auf die Kiesbank am  Rand des linksufrigen Buhnenfeldes auflief. Unter dem Druck der Strömung auf der Backbordseite der beiden Schiffe drehte sich der Verband um sich selbst und trieb zu Tal ab.

Der Schiffsführer der MS „W“ beteuerte, drei Anker geworfen und die Maschinen auf „volle Kraft voraus“ geschaltet zu haben, um wieder auf seinen normalen Kurs zu Berg zu kommen, aber dass weder die Motorenkraft des Güterschiffes noch das Werfen der Anker ausgereicht hätten, die Strömungsgeschwindigkeit zu brechen, die in diesem Moment einer Abflussgeschwindigkeit von 1.120 m³/s entsprach.

Der Verband, den sein Kapitän somit nicht mehr unter Kontrolle hatte, trieb weiter ab und stieß zunächst gegen den Tanker P, der zu Berg fuhr, und zwar mit der vorderen Backbordseite des Leichters gegen das vordere Steuerbord der P, die deren Schiffsführer, der die Schwierigkeiten des Verbandes erkannt hatte, nach seiner Aussage auf Höhe von FK 340,150 so nah am rechten Rheinufer wie möglich gestoppt hatte.

Durch dieses Anfahren wurde die Abdriftrichtung des Verbandes gegen die Mitte der Schiffsdurchfahrt der Schwimmbrücke abgelenkt, jedoch konnte der Schiffsführer nicht die Kollision mit der Gierfähre vermeiden, die am rechtsufrigen Ende dieser Brücke festgemacht war und stark beschädigt wurde.

H. S wurde in erster Instanz wegen mangelnder Sorgfalt zu einer Geldbuße verurteilt, die anschließend durch Amnestie aufgehoben wurde, sowie gesamtschuldnerisch mit der Gesellschaft W zur Zahlung eines Betrages von 1.092.065 Franken als Schadensersatz an den Französischen Staat als Eigentümer der Fähre.

Dieses Urteil wurde von obiger Kammer durch Urteil vom 6.Mai 1991 (239 C – 1/91) bestätigt. In der Erwägung, dass der solcher Art geahndete Fehler nur zu einem Viertel den Schadensfall mit ausgelöst hat, hat die Gesellschaft W die Compagnie P AG und H. A gesamtschuldnerisch auf die Rückerstattung von vier Fünftel (drei Viertel ? d.Ü.) der obigen Summe verklagt. Sie wirft dem Kapitän A vor, bei Näherkommen des zu Tal fahrenden W-Verbandes eine Fahrwasserenge gequert und damit Herrn S zu einem Rettungsmanöver veranlasst zu haben, das die Ursache für den Schadensfall war. Zudem verlangt sie genau so anteilig die Zahlung ihres eigenen Schadens, d.h., den Gegenwert der Summe von 23.633 DM in Franken zum Kurs am Tag der Bezahlung mit den entsprechenden Auslagen und 80.000 Franken als nicht erstattungsfähige Kosten.

Die P AG und H. A haben Einspruch gegen diesen Antrag erhoben und geltend gemacht, das H. A nach erfolgter Voruntersuchung nicht strafrechtlich verfolgt wurde und der richterliche Gutachter, H. Berg, der in einem getrennten Verfahren zur Beweissicherung bestellt wurde, als einzige Ursache für den Unfall die Fehler des H. S angegeben hat. Ihrer Auffassung nach ist H. A ordnungsgemäß an der Fähre vorbei gefahren, indem er der von H. S akzeptierten umgekehrten Vorbeifahrt gefolgt ist und hat dann am äußersten rechten Rheinufer außerhalb der Fahrrinne angehalten, sobald er gesehen hat, dass der Verband W in Schwierigkeiten war. Ihrer Meinung nach besteht keinerlei ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Queren der Fahrwasserenge, das im vorgeworfen wird, und dem Schadensfall.

Das Rheinschifffahrtsgericht Strassburg hat den Antrag mit Urteil NR 3/88 am 14. September 1992 abgewiesen und die Gesellschaft W zur Übernahme der Kosten so wie zur Zahlung eines Betrag von 20.000 Franken gemäß Artikel 700 Neue StPO an die beklagten Parteien verurteilt. Gegen dieses Urteil hat die Gesellschaft W in dem vorliegenden Verfahren Berufung eingelegt.

Sie wirft dem Erstrichter vor, sich darauf gestützt zu haben, dass keine Kausalität zwischen dem Queren der Fahrwasserengeneinfahrt durch die P und dem Aufsetzen des Leichters W bestehe, das der Auslöser dafür war, dass die Kontrolle über den Verband verloren wurde. In Wirklichkeit und wegen der erzwungenen Vorbeifahrt sei es jedoch das Einfahren der P in die Fahrwasserenge gewesen, das den Kapitän S veranlasst habe, die Fahrrinne sich weitestgehend backbord haltend zu verlassen, und somit das Aufsetzen hervorrief, und ihn anschließend zwang, Rettungsmaßnahmen zu ergreifen, die nacheinander scheiterten. Die Gesellschaft W wiederholt folglich ihre Klageanträge und fügt ihnen noch die Anrechnung der aufgelaufenen Zinsen hinzu.

Die P AG und H. A beantragen ihrerseits die Bestätigung des Urteils, die Verurteilung der Gesellschaft W zur Übernahme der gesamten Kosten für das Berufungsverfahren so wie der Kosten für das Gutachten und der Zahlung von 80.000 Franken plus MWSt als Entschädigung für das Verfahren.

Begründung:

Die eingelegte und betriebene  Berufung ist laut Gesetz frist und formgerecht aber unbegründet und damit abzuweisen.

Es ist zutreffend, dass laut Mitteilung an die Schifffahrt NR 53 vom 25. September 1986 zwischen FK 339,7 und FK 340,5 eine Fahrwasserenge bestand und die P leicht in diese hinein gefahren zu sein scheint, wobei dieser Umstand, wie der Erstrichter festgestellt hat, nicht mit dem Schadensfall in Zusammenhang steht.

In dem betreffenden Abschnitt war das Vorrecht für die Wahl der Vorbeifahrt umgekehrt und stand der stromauf fahrenden P zu. Mangels einer anders lautenden Angabe von letzterer, hätte die Vorbeifahrt demnach normalerweise Backbord-Backbord erfolgen müssen.

In mehreren Schriftsätzen in dem Verfahren C 1/82  wurde von Kapitän S beteuert, er habe sich beim Heranfahren an die Durchfahrt in der Fahrrinne befunden, Behauptung, die durch das Urteil der obigen Kammer vom 6.Mai 1991 zurück gewiesen wurde, die in einer ausschlaggebenden Begründung der Auffassung war, dass „die einzig mögliche Erklärung für das Aufsetzen auf den Grund der Umstand sei, dass sich der Verband nicht richtig in der Fahrrinne befunden habe, die sich an dieser Stelle nicht in der Strommitte befindet und dass er zu nahe an der Kiesbank Seltz-Plittersdorf fuhr. Nach dem Aufsetzen konnte der Verband nicht mehr angemessen auf Kurs gehen und war nicht mehr manövrierfähig“.

Der falsche Kurs führte eindeutig zu dem Aufsetzen des Leichters auf den Grund und war Ursache des erfolglosen Manövers des Kapitäns.

Die W AG änderte ihre Behauptung bezüglich der Position des Verbandes und  machte in dem vorliegenden Verfahren die Präsenz der P dafür verantwortlich, dass der Verband die Fahrrinne verlassen habe, weil sie ihn gezwungen habe, den Kurs zu ändern. Es gibt jedoch bezüglich der Ursache keinerlei Anhaltspunkte, die diese Behauptung stützen könnten und im übrigen hat Kapitän S in der Voruntersuchung zu keinem Zeitpunkt erklärt, er sei in irgend einer Weise durch die Anwesenheit der P behindert worden.

Den Aussagen des H. A, denen zu folge er sein Fahrzeug stoppte und sich dabei weitestgehend backbord hielt, sobald er sah, dass der Verband W in Schwierigkeiten war,
wurde von H. S nicht formell widersprochen; es gibt in jedem Fall keinerlei Beweis für das Gegenteil.

Es steht fest, dass es H. S nach dem Aufsetzen nicht gelang, wieder Kontrolle über den Verband zu bekommen, der zunächst auf Grund ging und anschließend quer zum Fluss verfiel; der Unfall ist somit ausschließlich seiner mangelnden Sorgfalt zuzuschreiben, so wie von dem Gutachter, H. Berg, in seinem gut dokumentierten Bericht festgestellt.

Folglich ist die Berufung zurück zu weisen und sind die entsprechenden Kosten zu tragen; es ist recht, den Berufungsbeklagten den Betrag von 40.000 Franken als vom Kläger zu tragende  Kosten zuzuerkennen.
 

Auf Grund dieser Erwägungen:

erklärt die Berufungskammer die Berufung der W AG gegen des Urteil das Rheinschifffahrtsgerichts Strassburg vom 14. September 1992 für unbegründet;

weist sie die Berufung ab und bestätigt das betreffende Urteil in allen seinen Punkten;

verurteilt sie die W KG zur Übernahme sämtlicher Kosten des Berufungsverfahrens so wie der Kosten für das Gutachterverfahren;

verurteilt sie sie über dies, laut Artikel 700 Neue StPO der Compagnie P AG und H. A gemeinschaftlich den Betrag von 40.000 Franken MWSt nicht gerechnet zu zahlen.