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273 Z - 21/92 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 10.12.1992
Aktenzeichen: 273 Z - 21/92
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

vom 10. Dezember 1992

273 Z - 21/92

(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 17. September 1991 - 5 C 25/90 BSch -)

Tatbestand:


Die Parteien streiten um die Folgen einer Schiffskollision, die sich am 17.12.1988 gegen 18.20 Uhr bei Dunkelheit in einer starken Rechtskrümmung des Rheinstroms bei km 550,6 Ortslage Oberwesel in Höhe der Signalstelle A "Am Ochsenturm" ereignet hat.

Die Klägerin ist der Versicherer des Tankmotorschiffs P (1.239 t, 80 m x 8,20 m, 660 PS), das zur Zeit nachbeschriebener Ereignisse von Schiffsführer R geführt worden ist. Sie klagt aus übergangenem und abgetretenen Recht.

Die Beklagte zu 1) ist Eignerin, zumindes Ausrüsterin des Schubbootes M (18,5 m x 11,20 m, 2 x 920 PS). Der Beklagte zu 2) war am Unfalltage Schiffsführer dieses Schubbootes.

Am 7.12.1988 gegen 18.20 Uhr befand sich der Schubverband M, bestehend aus dem gleichnamigen Schubboot und den nebeneinander gekoppelten Tankschubleichtern A und K bei Hochwasser mit steigender Tendenz in der Gebirgsstrecke in der Talfahrt. Dem Schubverband folgte das leere, jedoch noch nicht entgaste TMS P, das zuvor Superbenzin transportiert hatte. Schiffsführer R wollte den Schubverband erst unterhalb von St. Goar überholen und fuhr deshalb zunächst hinter dem Schubverband zu Tal. Etwa bei km 550,1 begegnete dem Schubverband das auf der Bergfahrt befindliche beladene MS S. In Zusammenhang mit der Begegnung dieser Schiffe geriet der Schubverband bei km 550,6 in der starken Rechtskrümmung des Stromes zu weit zum linken Ufer hinüber. Um die Krümmung passieren zu können, musste der Verband ständig werden. Schiffsführer Rabenberg wollte nunmehr den Schubverband auf dessen Steuerbordseite passieren. Hierbei kam es zur Kollision der Schiffe, wobei TMS P und TSL K beschädigt wurden.

Die Beklagte zu 1) hat in Kenntnis des Unfalls und seiner Folgen ihr Schubboot M zu neuen Reisen ausgesandt.

Die Klägerin hat behauptet, nachdem TMS P dem Schubverband auf etwa 800 m aufgelaufen sei, habe man langsamer gemacht, weil man den Schubverband erst unterhalb von
St. Goar habe überholen wollen. Zu dieser Zeit sei die Begegnung zwischen dem Schubverband und dem Bergfahrer erfolgt. Als sich diese Schiffe auf gleicher Höhe oberhalb des Tauberwerths befunden hätten, habe M über Kanal 10 mitgeteilt, dass der Verband die Kurve nicht mehr kriege und rückwärts machen müsse; TMS P solle an der Steuerbordseite des Schubverbandes überholen. Da ein Aufdrehen zu Berg angesichts der starken Strömung unmöglich gewesen sei, habe Schiffsführer R versucht, die roten Tonnen möglichst nahe anzuhalten, um den Schubverband zu passieren. Während der Einleitung des Überholmanövers habe der Schubverband rückwärts gemacht und nach Steuerbord gehalten, weil er das Tauberwerth habe freifahren wollen. Hierdurch sei es zur Anfahrung der Fahrzeuge gekommen, obwohl TMS P noch sein Bugstrahlruder eingesetzt habe. Nach der Kollision habe TMS P noch Kimmschäden an der Steuerbordseite und Schraubenschäden durch Berührungen mit den Felsen des Jungferngrundes erlitten.

Ferner hat die Klägerin behauptet, dass der Schubverband die Stromkrümmung nicht habe ausfahren können, beruhe nicht auf der Fahrweise des MS S. Die Kollision sei eine Folge des Fahrfehlers des Beklagten zu 2). TMS P hätte auch gefahrlos an der Steuerbordseite des Schubverbandes vorbeifahren können, wenn der Schubverband ständig geblieben und nicht zur Strommitte hin verfallen wäre.

Die Klägerin hat die Klageforderung auf 38.251,-- DM beziffert und Zahlungsverzug ab 24.2.1989 dargetan.

Die Klägerin hat beantragt,

 die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, die Beklagte zu 1) ausser dinglich haftend mit dem Schubboot M im Rahmen des Binnenschiffahrtsgesetzes auch persönlich haftend, an die Klägerin 38.251,-- DM nebst 4% Zinsen seit dem 24.2.1989 zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt,

 die Klage abzuweisen.

Die Beklagten haben die Darstellung der Klägerin bestritten und ausgeführt, MS S sei weit aus dem linken Ufer gefahren. Der Beklagte zu 2) habe wegen dieser Fahrweise nach der Begegnung mit S wieder nach Backbord halten müssen, um den Jungferngrund freizufahren, anstelle in einer Rechtskurve den Jungferngrund zu umfahren. Durch dieses Manöver, das durch das Hochwasser noch erschwert worden sei, sei der Schubverband zu weit unter das linke Ufer gekommen und habe ständig machen müssen. Zu dieser Zeit habe TMS P überholt, obwohl der Beklagte zu 2) noch vor dem Überholmanöver gewarnt habe.

Die Beklagten meinen, Schiffsführer Rabenberg von TMS P habe den Unfall allein verschuldet. Er hätte unter den gegebenen Umständen den Schubverband nicht überholen dürfen. TMS P hätte aber auch aufdrehen können, was gefahrlos möglich gewesen sei, nachdem man mitgeteilt habe, dass der Schubverband ständig machen müsse. Hätte diese Möglichkeit nicht bestanden, sei TMS P dem vorausfahrenden Schubverband zu dicht aufgelaufen. Zu dem Unfall sei es letztlich auch nur deshalb gekommen, weil P die roten Tonnen nicht nahe genug angehalten habe.
 

Das Rheinschiffahrtsgericht hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. In den Entscheidungsgründen hat das Rheinschiffahrtsgericht ausgeführt, der Schubverband M habe in einer scharfen, fast rechtwinkligen Rheinkrümmung ständig werden müssen und sei danach zur Strommitte hin verfallen, ohne dass dies durch die Fahrweise eines anderen Schiffes erzwungen worden sei. Der Beklagte zu 2) habe die Stromkrümmung nicht durchfahren können, sondern habe manövrieren müssen. Hierdurch habe er für die nachfolgende Schiffahrt eine nachteilige Situation geschaffen. Wenn sich in dieser Situation Schiffsführer R entschlossen habe, auf der Steuerbordseite des Schubverbandes vorbeizufahren, sei das nicht nautisch fehlerhaft gewesen. Der Schubverband habe ständig gemacht. Er habe sich deshalb nicht mehr in der Vorausfahrt befunden. Es sei aus diesem Grund kein Überholen, sondern lediglich ein Vorbeifahren anzunehmen. Als Schiffsführer Rabenberg mitgeteilt worden sei, der Schubverband sei in Schwierigkeiten, sei er noch mit seinem Schiff mindestens 500 m weit entfernt gewesen. Der Abstand zu dem Schubverband sei in einem Bereich mit starker Strömung und bei Nacht für ein Aufdrehmanöver zu kurz und zu gefährlich gewesen. Die Vorbeifahrt habe geringere Risiken gehabt. Dazu habe auch der Beklagte zu 2) aufgefordert. Zum Unfall sei es gekommen, weil es zu eng geworden sei. Der Schubverband sei rückwärts und auf P zugefahren. Dass Schiffsführer R nicht die roten Tonnen nahe genug angehalten habe, sei nicht bewiesen.

Die Beklagten wenden sich mit ihrer Berufung gegen das angefochtene Urteil. Sie meinen, Schiffsführer R habe den Unfall allein verschuldet.

Die Beklagten beantragen,

 unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

  die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und tritt den Ausführungen der Beklagten entgegen.


Entscheidungsgründe:


Die Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. In der Sache konnte die Berufung keinen Erfolg haben.

Das Rheinschiffahrtsgericht hat mit Recht die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt (§§ 3, 4, 92, 92b BinSchG; § 1.04 RheinSchPV; §§ 823, 249 BGB; § 304 Abs. 1 ZPO).
Die hiergegen gerichteten Angriffe der Berufung sind unbegründet.

Die Kollision des Schubverbandes M mit dem TMS P beruht auf einem Verschulden des Beklagten zu 2), der als Schiffsführer des zu Tal fahrenden Schubverbandes M in der scharfen Rechtskrümmung des Stromes bei km 550,6 nicht hart genug den Rand des rechtsrheinischen Fahrwassers angehalten hat und deshalb zu weit nach linksrheinisch verfallen ist, so dass er in Gefahr geriet, auf das Tauberwerth zu geraten. Er musste deshalb seine Fahrt anhalten und zurückschlagen. Als TMS P, wie zwischen den beteiligten Schiffsführern abgesprochen, vorbeifuhr, verfiel der Schubverband beim Manövrieren nach Steuerbord und geriet in den Kurs des Tankmotorschiffes.
 

Hingegen trifft die Führung des TMS P kein Verschulden. Das Tankmotorschiff ist dem Schubverband vor dem Unfall nicht zu dicht aufgelaufen. Als der Schubverband in Schwierigkeiten geriet und die Stromkrümmung nicht ohne besondere Manöver durchfahren konnte, konnte das Tankmotorschiff zunächst wegen des zu Berg kommenden MS S und dann auch noch wegen der starken, auf das linke Ufer gerichteten Strömung nicht mehr gefahrlos aufdrehen, so dass eine Vorbeifahrt an der Steuerbordseite des Schubverbandes für Schiffsführer R als die allein geeignete Massnahme erschien, in der gegebenen Situation eine Kollision mit dem Schubverband M zu vermeiden. Seine Fahrweise war unter diesen Umständen gerechtfertigt.

Diese Überzeugung stützt die Berufungskammer im einzelnen auf folgende Erwägungen:

1. Der Beklagte zu 2) hätte mit seinem Schubverband bei nautisch richtiger Fahrweise in der Stromkrümmung im Revier bei km 550,6 den Rand des rechtsrheinischen Fahrwassers scharf anhalten müssen, weil die infolge Hochwassers noch erhöhte Strömung seinen
Verband nach linksrheinisch versetzen konnte, so dass er Gefahr lief, auf das Tauberwerth zu geraten. Dem hat der Beklagte zu 2) keine Rechnung getragen und ist nach linksrheinisch versetzt worden, so dass er die Rechtskrümmung nicht mehr ohne weitere Manöver durchfahren konnte, ohne zuvor ständig zu werden. So hat das der Beklagte zu 2) selbst bei seiner Vernehmung vor dem Rheinschiffahrtsgericht in der Parallelsache 5 C 42/90 BSch als Zeuge ausgesagt.

Dass der Beklagte zu 2) in seiner Fahrweise durch das ihm entgegenkommende MS S behindert worden ist, schliesst die Berufungskammer aus. Der Schiffsführer dieses Schiffes, der Zeuge T, hat näher dargelegt, dass er den üblichen Bergweg am linken Ufer eingehalten und die Tonne, die oberhalb der Wahrschaustation liegt, auf etwa 20 m angehalten hat. Mit diesem Kurs sei er weitergefahren. Selbst der Beklagte zu 2) hat bei seiner Zeugenvernehmung angegeben, er wolle dem Zeugen T nicht unbedingt den Vorwurf machen, ihm nicht genug Platz gemacht zu haben. Es könne sein, dass er das im Radarbild falsch eingeschätzt habe. Soweit der Beklagte zu 2) an anderer Stelle seiner Aussage unter Bezugnahme auf seine polizeiliche Aussage im Bussgeldverfahren erklärt hat, S sei oberhalb der letzten grünen Tonne vor dem Tauberwerth zu weit vom linken Ufer gefahren und habe dann den Bogen nicht ausgefahren, sei praktisch geradeaus gefahren und dadurch natürlich näher zur Strommitte gekommen, hält das die Berufungskammer für eine reine Schutzbehauptung, die einerseits durch die Angaben des Zeugen T und andererseits durch die von Schiffsführer R widerlegt ist, der bekundet hat, S sei aus seiner Sicht vielleicht nicht gerade ganz an den grünen Tonnen aber noch deutlich in seinem Fahrwasser gewesen, er selbst habe keinen Grund gesehen, diese Fahrweise zu beanstanden. Schon hieraus folgt, dass von einer Behinderung des Schubverbandes durch das zu Berg kommende MS S keine Rede sein kann.

Dass der Kurs des Schubverbandes schon in seiner Anlage verfehlt war, ergeben die weiteren Aussagen des Zeugen T. Dieser Zeuge hat weiter ausgesagt, es sei für einen Talfahrer völlig unüblich, über die Strommitte hinauszufahren. Er möchte sagen, dass der Schubverband zu der Zeit, als er diesem Verband begegnet sei, über die Strommitte hinaus gefahren sei. Der Begegnungsabstand habe im Bereich von einer oder zwei Schiffsbreiten gelegen. Fuhr aber der Beklagte zu 2) schon zur Zeit der Begegnung mit dem Bergfahrer über die Strommitte hinaus, musste sein Kurs angesichts der starken nach linksrheinisch gerichteten Strömung dazu führen, ihn an dem Durchfahren der Stromkrümmung ohne weitere Manöver zu hindern.
 

Auf dem fehlerhaften Kurs des Beklagten zu 2) beruht der Unfall. Dabei kann es nicht entscheidend sein, ob nun der Beklagte zu 2) im weiteren Verlauf der Geschehnisse durch eine Rückwärtsbewegung ein Verfallen seines Schiffes in den Kurs des TMS P herbeigeführt hat oder ob der Schubverband nur durch die Gewalt der Strömung nach rechtsrheinisch hin geraten ist. Jedenfalls wurde durch die Schwierigkeit, in die der Schubverband geraten war, die Rechtskrümmung des Stromes ungehindert zu durchfahren, das nachfolgende TMS P seinerseits in eine gefährliche Situation gebracht, die die Schiffsführung dieses Schiffes nicht beherrschen konnte. Unter diesen Umständen muss die verfehlte Fahrweise des Beklagten zu 2) als adäquat kausal für den Unfall angesehen werden.

Bei Anwendung der gebotenen nautischen Sorgfalt und unter Berücksichtigung der für einen Schiffsführer selbstverständlichen Streckenkenntnis hätte der Beklagte zu 2) die Gefährlichkeit seines nicht hart rechtsrheinisch verlaufenden Kurses erkennen und dementsprechend rechtzeitig verkehrsrichtig handeln können und auch müssen, um eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschliessen. Auf diesem schuldhaften Verstoss gegen die nautischen Sorgfaltspflichten (§ 1.04 RheinSchPV) beruht letztlich die Kollision. Hierfür müssen die Beklagten einstehen.

2a). Der Schiffsführung des TMS P kann nicht vorgeworfen werden, dem vorausfahrenden Schubverband zu dicht aufgelaufen zu sein. Schiffsführer R hat bei seiner Zeugenvernehmung angegeben, er sei dem Schubverband M bei Lorch aufgelaufen, dort sei der Schubverband noch 1.000 m vor ihm gewesen, es könnten auch nur 800 m gewesen sein. Er habe dann nicht vor St. Goar überholen wollen. Er sei danach mit unveränderter Geschwindigkeit weitergefahren, jedoch dem Schubverband nähergekommen. Nach der Begegnung mit MS S habe ihn der Beklagte zu 2) direkt angesprochen und erklärt, er kriege die Kurve nicht und müsse rückwärts machen. P solle bitte Steuerbord vorbeifahren. Zu dieser Zeit habe er sich dem Schubverband weiter genähert gehabt. Der Abstand habe nunmehr maximal 500 m bis 800 m betragen. Er sei mit sehr geringer Maschinenleistung seines Schiffes von etwa 120 UpM von möglichen 360 Umdrehungen und so mit einer Geschwindigkeit von etwa 17 km/h gefahren.

In etwa gleichem Sinne hat sich der Beklagte zu 2) zu der Annäherung der Schiffe bei seiner Vernehmung geäussert. Aus dem Zusammenhang seiner Erklärungen folgt, dass sich der Beklagte zu 2) nach seiner Begegnung mit S, als er ständig machen musste, über den ihm folgenden Verkehr vergewissert und dabei P im Radarbild etwa 500 bis 800 m hinter seinem Verband gesehen hat.

Berücksichtigt man, dass ein Schiffsführer darauf vertrauen darf, bei einem Abstand von etwa 500 m zu einem vorausfahrenden Schiff einen ausreichenden Sicherheitsabstand zu haben, weil man im Regelfall bei einem solchen Abstand auf plötzliche Manöver des Vorausfahrenden angemessen reagieren kann, kann der von Schiffsführer Rabenberg nach dem Auflaufen eingehaltene Abstand nicht als verfehlt erachtet werden. Dieser Einschätzung stehen hier auch nicht die besonderen Umstände des Falles entgegen. Dass der vorausfahrende Schubverband infolge einer fehlerhaften Fahrweise daran gehindert sein konnte, die allgemein bekannte scharfe Rechtskrümmung im Bereich von km 550,6 zu durchfahren und nach linksrheinisch geriet, wo er nicht hingehörte und dann manövrieren musste, um den Jungferngrund freizufahren und danach die Krümmung zu passieren, lag ausserhalb jeder vernünftigen Wahrscheinlichkeit und brauchte von Schiffsführer Rabenberg nicht in Rechnung gestellt zu werden. Auch konnte er darauf vertrauen, dass ein vorausfahrender Schubverband in der Gebirgsstrecke, insbesondere bei Hochwasser und starker Strömung, nicht durch einen nautisch verfehlten Kurs der durchgehenden Schiffahrt das Fahrwasser für die Dauer weiter erforderlich werdender Manöver sperrte.
 

b). Unter den hier gegebenen Umständen war Schiffsführer R gehindert, mit seinem Schiff aufzudrehen, als er dem Schubverband näher auflief und dann auch dessen Schwierigkeiten feststellte.

Ist, wie ausgeführt, davon auszugehen, dass der Schubverband M bereits bei der Begegnung mit S über die Strommitte hinausgekommen war, hätte Schiffsführer R den verfehlten Kurs des Schubverbandes, sei es im Radarbild, sei es durch optische Wahrnehmungen feststellen können. Hierauf hätte er aber nicht durch ein sofortiges Aufdrehmanöver reagieren können. Im Falle eines Aufdrehmanövers zu Berg bestand für P die unmittelbare Gefahr, dem Bergfahrer vor den Kopf zu fallen, da es in dem nicht sehr breiten Revier in der Ortslage Oberwesel infolge des Gegenkommers nur wenig Raum hatte und das leere Fahrzeug in der starken Strömung nur beschränkt steuerfähig war. Zudem sprach gegen ein solches gewagtes und gefährliches Manöver, dass aus der Sicht von Schiffsführer Rabenberg der vorausfahrende Schubverband durch Einsatz seiner Flankenruder die Situation noch beherrschen und jedenfalls als letzte Möglichkeit am linken Ufer ständig machen konnte, um ihn durchfahren zu lassen. Dass nach der Begegnung des TMS P mit MS S, als der Beklagte zu 2) Schiffsführer Rabenberg über Kanal 10 ansprach, ein Aufdrehmanöver nicht mehr möglich war, hat selbst der Beklagte zu 2) bei seiner Vernehmung dargetan. Die Richtigkeit seiner Auffassung ergibt sich daraus, dass P im Falle eines Aufdrehversuchs nach dieser Begegnung von der Strömung nach linksrheinisch in den Hang und gegen den Schubverband gedrückt worden wäre. Zudem war zu dieser Zeit TMS P dem Schubverband noch dichter aufgelaufen, weil der Schubverband wegen seiner Schwierigkeiten inzwischen ständig geworden war und möglicherweise zurückgesetzt hatte.

Anstelle eines sofort vor der Begegnung mit dem MS S durchgeführten Aufdrehmanövers brauchte Schiffsführer R die Maschinenleistung seines Schiffes zur Verminderung seiner Fahrgeschwindigkeit auch nicht herabzusetzen.

Verringerte Schiffsführer R die Maschinenleistung, minderte er gleichzeitig die Steuerkraft seines Schiffes, weil das Fahrzeug leer war. Er war aber gerade deshalb auf eine ausreichende Steuerkraft durch Druck auf das Ruder angewiesen, weil infolge des Hochwassers die Strömung in diesem Teil des Reviers erheblich ist und zudem die Strömung in der Rechtskrümmung des Rheins sein Schiff nach linksrheinisch versetzen konnte. Ohne ausreichende Steuerkraft wäre er in der sich abzeichnenden Gefahrenlage völlig hilflos gewesen. Darauf durfte er es auch wegen der von seinem nicht entgasten Schiff im Falle eines Unfalls ausgehenden möglichen Gefahren nicht ankommen lassen.

c). Schiffsführer R kann schliesslich nicht vorgeworfen werden, dass er entsprechend der Abrede mit dem Beklagten zu 2) über Kanal 10 versucht hat, den Schubverband an dessen Steuerbordseite zu passieren, wobei es dann zur Kollision gekommen ist.

Es bedarf unter den hier gegebenen besonderen Umständen des Falles keiner Erörterung darüber, ob die Fahrweise von Schiffsführer R unter Berücksichtigung der allgemeinen Grundsätze über das Begegnen und Überholen nach § 6.03 RheinSchPV Anlass zu Beanstandungen gibt; denn sein leeres, nicht entgastes Tankmotorschiff war durch die fehlerhafte Fahrweise des Schubverbandes M und ohne eigenes Verschulden in eine plötzliche und unmittelbar drohende Gefahrensituation geraten, die ihn zu einer Reaktion zwang, um einen Unfall zu vermeiden. Bei unmittelbar drohender Gefahr müssen nach § 1.05 RheinSchPV die Schiffsführer alle Massnahmen treffen, die die Umstände gebieten, auch wenn sie dadurch von den Vorschriften der Rheinschiffahrtspolizeiverordnung abweichen. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob Schiffsführer Rabenberg bei Beachtung der Grundsätze über das Begegnen von einem Überholmanöver hätte absehen müssen, wie die Beklagten meinen. Schiffsführer R musste vielmehr versuchen, zwischen dem nach linksrheinisch geratenen Schubverband und dem rechten Ufer durchzufahren, um ein Auffahren auf den Schubverband zu vermeiden. Dieses Manöver hat letztlich den Unfall nicht abwenden können, weil der Schubverband nach rechtsrheinisch in den Weg des Tankmotorschiffs verfiel, wie die Berufungskammer als erwiesen ansieht. Der Beklagte zu 2) hat zwar über ein Verfallen seines Verbandes nichts ausgesagt und angegeben, P sei in die Lücke zwischen seinem Verband und den roten Tonnen in einer gewissen Schräglage hineingefahren und hätte auch unbeschadet durch die Lücke kommen müssen, wenn es nahe genug an die Tonnen herangekommen wäre. Seinen Angaben stehen aber die von Schiffsführer R und dessen Matrosen D entgegen, die übereinstimmend angegeben haben, dass der Schubverband auf ihr Schiff zugetrieben ist. Nach ihren weiteren Angaben ist P auch unmittelbar an den roten Tonnen vorbeigefahren. Im übrigen hat auch der Zeuge W, der Matrose auf M gewesen ist, ausgesagt, der Schubverband sei nach dem Ständigmachen nicht genau ständig geblieben, sondern etwas abgetrieben, was die Angaben von Schiffsführer R und die seines Matrosen D zur Überzeugung der Berufungskammer bestätigt. Soweit W angegeben hat, er könne sich die Anfahrung nur so erklären, dass P die roten Tonnen nicht hart genug angehalten hat, handelt es sich lediglich um eine Schlussfolgerung aus der Tatsache des Unfalls. Wie P die roten Tonnen tatsächlich angehalten hat, hat der Zeuge W nach dem Inhalt seiner Aussage nicht wahrgenommen.

Hat aber P nach dem vorgeschilderten Beweisergebnis die roten Tonnen nahe angehalten und kam es letztlich deshalb zu der Anfahrung, weil der Schubverband in den Kurs dieses Schiffes verfiel, kann Schiffsführer R nicht vorgeworfen werden, zu weit zur Strommitte hin die Stromkrümmung durchfahren und hierdurch schuldhaft zum Unfall beigetragen zu haben.

3. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten in entsprechender Anwendung der §§ 97, 100 Abs. 4 ZPO als Gesamtschuldner.


Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 19. September 1991 wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.

3. Deren Festsetzung gemäss Artikel 39 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte erfolgt durch das Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort.

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1993 - Nr.15, 16 (Sammlung Seite 1434 f.), ZfB 1993, 1434 f.