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27 U 23/93 - Oberlandesgericht (Schiffahrtsobergericht)
Entscheidungsdatum: 15.06.1993
Aktenzeichen: 27 U 23/93
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Abteilung: Schiffahrtsobergericht

Leitsatz:

Die Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht sind gegenüber Gefahren, vor denen man sich durch eigene Vorsicht ohne weiteres schützen kann, herabgesetzt. Bei gravierendem Eigenverschulden fehlt schon ein unfallursächlicher Beitrag. Die zur Eigensicherung unerläßliche Vorsicht wird gröblichst außer acht gelassen, wenn ein Herft überquert wird, statt den sicheren Weg über ein Gangbord zu nehmen.

Urteil des Oberlandesgerichts (Schiffahrtsobergerichts) Hamm

vom 15.6.1993

27 U 23/93

(Schiffahrtsgericht Minden)

Zum Tatbestand:

Der Kläger nimmt den Beklagten als Schiffsführer und Schiffseigner des MS A wegen Verkehrssicherungspflichtverletzung auf materiellen und immateriellen Schadensersatz (Schmerzensgeldvorstellung: 8 000 DM) einschließlich der Feststellung der künftigen Ersatzpflicht in Anspruch anläßlich eines Unfalls vom 28.4.1990 gegen 22.00 Uhr an der Liegestelle Lashorst bei km 73,15 des Mittellandkanals.

Der Kläger fiel in einen teilweise geöffneten, 3 Meter tiefen Laderaum der 8,20 Meter breiten A, als er diese von dem an ihr längsseits festgemachten MS An aus, auf dem er als Matrose arbeitete, über ein hüfthohes Herft überqueren wollte, um an Land zu kommen. Der Kläger erlitt im wesentlichen eine komplizierte Fraktur des rechten Handgelenks; wegen der dadurch gegebenen 20%igen Erwerbsminderung bezieht er eine monatliche Rente von 470,-- DM.

Der Kläger hat dem Beklagten vorgeworfen, es entgegen § 27 Abs. 3 der Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaft unterlassen zu haben, bei Dunkelheit die Ladeluken vollständig zu schließen oder den geöffneten Laderaum zumindest abzusichern, zumal er damit habe rechnen müssen, daß ein anderes Schiff längsseits des MS A" festmache.

Das Schiffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung hatte keinen Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:

„Die Frage einer etwaigen Verkehrssicherungspflichtverletzung des Beklagten bedarf keiner näheren Erörterung und Entscheidung, denn den Kläger trifft an dem Unfall ein so gravierendes Eigenverschulden, daß ein unfallursächlicher Verursachungsbeitrag des Beklagten im vorstehenden Sinne ohnehin nicht haftungsbegründend wäre (§ 254 BGB). Der Kläger hat die zur Eigensicherung unerläßliche Vorsicht gröblichst außer acht gelassen. Es war äußert leichtsinnig, das MS A ohne Taschenlampe bei tiefer Dunkelheit, die nach den eigenen Angaben des Klägers die optische Erfassung der Verhältnisse an Bord des fremden Schiffes nicht zuließ, so daß er sich nur vortasten konnte, über ein mindestens hüfthohes Herft überqueren zu wollen, statt den sicheren Weg über das Gangbord zu nehmen. Der vom Kläger eingeschlagene Weg war in hohem Maße gefahrenträchtig, weil schon die dazu erforderliche Kletterei auf das Herft das Risiko barg, auf dem Metall abzurutschen und dann keinen Halt mehr zu finden, und weil auch damit zu rechnen war, daß das Herft mit Tauen oder anderem Gerät belegt sein mochte, so daß sicherer Tritt nicht erwartet werden konnte. Außerdem gab es an dem Herft keine seitliche Bewehrung, an der sich der Kläger bei der Dunkelheit hätte orientieren oder notfalls festhalten können. Zudem hatte er keine Gewähr, daß sämtliche Luken geschlossen oder aber offene Luken deutlich abgesichert sein würden, wie § 27 der Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaft vorsieht, weil er die Gepflogenheiten an Bord der A nicht kannte. Umstände, die ein dahingehendes Vertrauen hätten begründen können, sind weder dargetan noch sonst ersichtlich.

Mit Blick darauf, daß die Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht herabgesetzt sind gegenüber Gefahren, die jedem vor Augen stehen müssen und vor denen man sich deshalb durch die zu verlangende eigene Vorsicht ohne weiteres schützen kann (BGH NJW 1985, 1076), überwiegt das Eigenverschulden des Klägers - ohne daß es darauf ankäme, ob er sich auch noch die Überschreitung der zulässigen Liegebreite haftungsmindernd zurechnen lassen müsste – eine etwaige Verantwortlichkeit des Beklagten für den Unfall so sehr, dass dessen Haftung nicht begründet ist.....“

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1993 - Nr.20 (Sammlung Seite 1445 f.); ZfB 1993, 1445 f.