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227 Z - 7/89 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 29.05.1989
Aktenzeichen: 227 Z - 7/89
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Einander widersprechende Darstellungen von Besatzungen der an Unfällen beteiligten Schiffe müssen im einzelnen bewertet werden (§ 286 ZPO), auch wenn das Gericht daraus keine sicheren Feststellungen treffen kann.

Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt


Urteil

vom 29. Mai 1989

(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 27. Mai 1988 - 5 C 47/87 BSch -)

Tatbestand:

Am 25.9.1985 gegen 4 Uhr fuhr das Motorschiff "C" der Klägerin bergwärts auf die Schleuse Rheinau (Höhe Strassburg) zu. Aus dieser Schleuse kommend fuhr ein Koppelverband zu Tal, der aus dem Motorschiff "GD" und dem Tankleichter "GT" bestand. Eignerin des Verbandes ist die Beklagte zu 1. Sein Schiffsführer war der Beklagte zu 2. Bei der Begegnung stießen die genannten Einheiten zusammen. Dabei wurde u. a. "C" beschädigt. Die Verpflichtung der Beklagten, gesamtschuldnerisch diesen Schaden zu ersetzen, ist der Gegenstand dieses Rechtsstreites.
Jedes der beteiligten Schiffe wirft dem anderen vor, in seinen Kurs hineingefahren zu sein und so den Zusammenstoss herbeigeführt zu haben. Die Klägerin hat zur Begründung ihrer Behauptung u. a. vorgetragen, ihr Schiff habe in Zusammenhang mit der Kollision einen Buganker verloren. Die Schiffsführung habe die Lage des Ankers auf der Flusssohle festgestellt und durch eine Boje markiert. Dort sei der Anker später gehoben worden. Er habe in der Kurslinie des MTS "C" gelegen, was zeige, dass der Verband der Beklagten in diese Linie hineingefahren sein müsse.
Dem haben die Beklagten mit der Behauptung widersprochen, der Anker sei nicht bei der Kollision, sondern später verloren gegangen. Er habe nämlich mit der daran hängende Kette talwärts gelegen, während "C" bei dem Zusammenstoss zu Berg gefahren sei.
Die Beklagten haben gegen die Klageforderung mit der Forderung auf Ersatz der an dem Koppelverband entstandenen Schäden von angeblich DM 84.929,63 aufgerechnet.
 
Es haben beantragt:

1. Die Klägerin,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie DM 119.266,34 nebst 8%  Zinsen seit dem 16.5.1987 zu bezahlen und auszusprechen, dass die Beklagte im Rahmen des
Binnenschifffahrtsgesetzes sowohl persönlich als auch dinglich mit dem MTS "GD" hafte.

2. Die Beklagten,

die Klage abzuweisen.

Der Unfall hat zu dem Verklarungsverfahren 5 II 26/85 des Schifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort geführt. Das Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort hat diese Akten beigezogen, selbst den Sachverständigen K. gehört und sodann die Klage abgewiesen.
Es ist der Ansicht, die Unfallursache sei deshalb nicht feststellbar, weil dazu nur Mitglieder der Besatzungen der beteiligten Schiffe hätten gehört werden können. Jede Besatzung habe das andere Schiff belastet. Es bestehe kein Anlass, einer der einander widersprechenden Darstellungen den Vorzug zu geben.
Auch der Fundort des Ankers des TMS "C" erhelle die Unfallsache nicht. Es könne zwar davon ausgegangen werden, dass er in der Kurslinie von "C", also eindeutig linksrheinisch, gelegen habe. Dagegen sei zweifelhaft, ob er beim Unfall verloren gegangen sei, seine Fundstelle also etwas über den Unfallort aussage. Dagegen sprächen die Lage des Ankers auf der Stromsohle - talwärts, während "C" beim Zusammenstoss zu Berg gefahren sei- und die unbeschädigte Ankerklüse.

Die Klägerin hat Berufung eingelegt.
Sie rügt die Beweis Würdigung des Rheinschifffahrtsgerichts als pauschal und oberflächlich, weil sie die Zeugenaussagen ohne jede Wertung einander gegenüber und ihre Unvereinbarkeit feststelle. Weiter beanstandet die Klägerin, dass das Rheinschifffahrtsgericht bei der Auswertung der Ankerfundstelle dem Gutachten des Sachverständigen Kocks gefolgt ist, ohne ihren Antrag gemäß diesen ein zweites Mal gehört zu haben. Sein Gutachten berücksichtige nicht die Bauweise des Tankleichters, zu dem der Anker gehört habe.

Die Beklagten widersprechen diesen Darlegungen.

Es beantragen:

1. Die Klägerin,

nach ihren Schlussantragen aus dem ersten Rechtszuge zu erkennen.

2. Die Beklagten,

die Berufung zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die formell nicht zu beanstandende Berufung hat aus den folgenden Gründen keinen Erfolg.

1. Der Klägerin ist zuzugestehen, dass die Würdigung der Zeugenaussagen durch das Rheinschifffahrtsgericht nicht hingenommen werden kann. Selbst wenn man berücksichtigt, dass die Aussagen von Mitgliedern der Besatzungen von an Unfällen beteiligten Schiffen fast immer die Schuldlosigkeit des eigenen Schiffes darlegen und deshalb mit größter Vorsicht zu bewerten sind, bleibt eine ins einzelne gehende Bewertung der Aussagen notwendig. Sie fehlt aber im Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts. Es stellt lediglich fest, dass die Aussagen jeder Schiffsbesatzung dem Vortrag der jeweiligen Partei dieses Rechtsstreites entsprechen, und das kein Anlass bestehe, einer Darstellung den Vorzug zu geben. Das ist überhaupt keine Bewertung der Aussagen, sondern nur deren Gegenüberstellung. In dieser Behandlung der Aussagen liegt ein Verstoß gegen § 286 der deutschen Zivilprozessordnung, nach dem das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Ergebnisses einer Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden hat, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für unwahr zu erachten ist.

2. Die Berufungskammer ist in der Lage, auf der Grundlage der beigezogenen Verklarungsakten diese bisher unterlasse Würdigung vorzunehmen. Von besonderer Bedeutung sind dabei diejenigen Teile der Aussagen der beteiligten Schiffsführer O. und S., welche inhaltlich übereinstimmen. Sie sind daraufhin zu untersuchen, ob sie den Standpunkt eines Schiffes über die Havarieursache bestätigen. Bei der Gegenüberstellung der Schiffsführer hat derjenige des Koppelverbands, der Beklagte zu 2 S., bestätigt, dass man nach dem Verlassen des Vorhafens der Schleuse Rheinau als Talfahrer zunächst nach Backbord Kurs nehmen müsse. Das spricht dafür, dass der Koppel verband sich auch vor dem Unfall so verhalten hat. Hätte er diesen Backbordkurs beibehalten, so hätte er sich im Kurse von "C" befunden, wie von der Besatzung dieses Schiffes behauptet wird. Dem widerspricht aber die weitere Aussage des Beklagten zu 2, er habe seinen zunächst eingeschlagenen Backbordkurs nicht beibehalten, sondern sei nach Steuerbord gegangen, was vor dem Unfall möglich gewesen sei. Hiermit steht wiederum die Tatsache im Einklang, dass zwischen der Ausfahrt aus der Schleuse und der Unfallstelle eine gewisse Stromstrecke liegen muss, auf der eine Kursänderung vorgenommen werden konnte. Auch nach der Darstellung des Schiffsführers von "C" musste der Koppelverband an 2 hintereinander liegenden Schiffen vorbeifahren ehe der Zusammenstoss erfolgte. Außerdem hat dieser Schiffsführer erklärt, der Koppelverband sei dabei gewesen "nach Steuerbord aufzustrecken". Besonders bedeutsam ist die weitere Aussage des Schiffsführers O., die Kurse beider Schiffe hätten zunächst so gelegen, dass eine Passage ihm möglich erschienen sei. Wenn der Raum dann doch nicht ausgereicht habe, so könne er dies nur darauf zurückführen, dass der Koppel verband weiter nach Backbord gekommen sei. Beobachtet hat der Zeuge also dieses nach Backbord kommen nicht. Zu diesem Punkte ist die Aussage des Beklagten zu 2 präziser, da er den Kurswechsel von "C" nach Backbord in die Kurslinie des Koppelverbandes hinein gesehen haben will. Seine Aussage zeigt aber auch einen wiederholten Kurswechsel des eigenen Verbandes auf, weil der Zeuge nicht recht wusste, was er tun sollte. Diese Unsicherheit lässt es möglich erscheinen, dass der Verband schließlich in den Kurs von "C" gesteuert worden ist, oder dass die Kurse beider Schiffe schließlich gegeneinander liefen. Irgendwelche sicheren Feststellungen lassen beide Aussagen nicht zu, sodass sie die Unfallursache nicht aufhellen können.

3. Die Fundstelle des Ankers von "C" könnte den Ort des Zusammenstoßes markieren, wenn feststünde, dass der Anker bei diesem Zusammenstoss ins Wasser gefallen ist. Diese Gewissheit besteht aber nicht. In seinem dem Rheinschifffahrtsgericht erstatteten Gutachten hat der Sachverständige K. dargelegt, dass im Bereich der Ankerklüse Schäden vorhanden sein müssten, wenn der Anker durch die Gewalt der Kollision ins Wasser gefallen wäre. Solche Schäden existieren nicht. Nach der weiteren Feststellung des Sachverständigen widersprachen auch die an dem Gefo-Tankleichter entstandenen Schäden der Annahme, der Anker von "C" sei bei der Kollision ins Wasser gefallen. Schließlich ist der Sachverständige der Ansicht, der Umstand, dass die Flunken und die Kette des Ankers auf der Flusssohle in Talrichtung gelegen hätten, lasse es als nicht möglich erscheinen, dass der Anker bei der Kollision ins Wasser gefallen sei.
Es ist nicht zu beanstanden, dass sich das Rheinschifffahrtsgericht der überzeugend begründeten Ansicht des Sachverständigen angeschlossen hat. Nicht zu beanstanden ist auch, dass es aufgrund des Schriftsatzes der Klägerin vom 20.4.1988 keine erneute Anhörung des Sachverständigen angeordnet hat. Der Schriftsatz kritisiert das Gutachten auf der Grundlage von Vermutungen und Unterstellungen. Diese Kritik bot weder Anlass, noch Material für eine erneute Anhörung des Sachverständigen. Dessen Gutachten zeigt, dass die Lage des Ankers auf der Flusssohle keinen Hinweis auf die Stelle der Kollision gibt und deshalb auch nicht darüber aussagt, welches der am Unfall beteiligten Schiffe in den Kurs des anderen gefahren ist.

Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 27.5.1988 wird zurückgewiesen.

Das genannte Urteil wird bestätigt.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

3. Die Festsetzung der Kosten gemäß Artikel 39 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte erfolgt durch das Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort.