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201 B - 10/87 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 21.09.1987
Aktenzeichen: 201 B - 10/87
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsätze:

1) Die unter Anwendung von Gewalt erfolgende polizeiliche Durchsetzung einer Aufforderung zur Einstellung der Fahrt wegen Unterbemannung oder Überschreitung der zulässigen Höchstfahrzeit ist eine Frage des pflichtgemäßen Ermessens der Beamten, sollte aber nur in schwerwiegenden Ausnahmefällen in Betracht gezogen werden.
2) Die durch die vorgeschriebenen Höchstfahrzeiten angestrebte Sicherheit des Schiffsverkehrs darf als höherwertiges Rechtsgut gegenüber dem im Falle der Beachtung der Vorschriften zu erwartenden Vermögensschaden nicht geopfert werden.

Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

Urteil

vom 21.September 1987

(Auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgericht St. Goar vom 2.7.1986 - 109 Js (a) 52970/86 - 4 OWi BSchRh -)

Tatbestand und Entscheidungsgründe:

Der Betroffene ist der Führer des Motorschiffs "D". Er hatte am 11.11.1985 in Viaardingen eine Ladung Kaolin an Bord genommen und dabei sein Schiff auf 2,30 m Tiefe abgeladen. Die Pegelstände am Nieder- und Mittelrhein Hessen eine solche Abladung zu. Am Oberrhein fielen aber die Pegel. Da die vom MS "D" übernommene Ladung für Nürnberg bestimmt war, fürchtete der Betroffene, sein Schiff leichtern zu müssen, wenn er vor der Einfahrt in den Main von den vom Oberrhein her drohenden fallenden Wasserständen erreicht würde. Eine Leichterung hätte nach der Ansicht des Betroffenen die Gefahr einer Verunreinigung und einer damit verbundenen Entwertung der empfindlichen Kaolinladung heraufbeschworen. Der Betroffene fuhr in der Betriebsform A. Die dafür notwendige Besatzung (Schiffsführer, Matrose, Schiffsjunge) war an Bord, wobei die Ehefrau des Betroffenen der Matrose und der Sohn der Schiffsjunge waren. Um die in der genannten Betriebsform vorgeschriebenen Ruhezeiten nicht einhalten zu müssen und trotzdem ausreichend zu schlafen, hatte der Betroffene in Remagen einen zweiten Schiffsführer, den Zeugen R., an Bord genommen und sich durch ihn am Steuer ablösen lassen. Der Schiffsjunge war von Bord gegangen.
Am 14.11.1985 gegen 0,30 Uhr wurde das Schiff im Raume Andernach durch Beamte der Wasserschutzpolizei kontrolliert. Der Betroffene schlief, während der Zeuge R. am Ruder stand. Die Beamten stellten fest, dass die in der Betriebsform A zulässige ununterbrochene Höchstfahrzeit um 3 Stunden überschritten war. Es ist umstritten, ob sie von dem Betroffenen die Einstellung der Fahrt verlangt haben. Der Betroffene bestreitet dies. Außerdem beruft er sich darauf, insofern in einer Notstandslage gewesen zu sein, als er seine Fahrt habe fortsetzen müssen, um eine Entwertung seiner Ladung als Folge einer bei fallenden Wasserständen drohenden Leichterung seines Schiffes abzuwenden. Das Rheinschifffahrtsgericht hat festgestellt, dass der Betroffene zur Einstellung der Fahrt von den sein Schiffkontrollierenden Beamten aufgefordert worden sei. Eine Notstandslage, welche die Fortsetzung der Fahrt gerechtfertigt habe, hat es nicht anerkannt. Es hat deshalb gegen den Betroffenen wegen Zuwiderhandlung gegen § 1.19 RSchPVO eine Geldbusse von 250 DM. festgesetzt. Der Betroffene hat Berufung eingelegt. Er wiederholt seine Darlegungen aus dem ersten Rechtszuge.
Die Berufung ist formell nicht zu beanstanden, hat aber aus den folgenden Gründen keinen Erfolg.

1. Die Überschreitung der in der Betriebsform A vorgeschriebenen ununterbrochenen Höchstfahrzeit durch den Betroffenen ist unstreitig. Dieser behauptet auch nicht, in einer Betriebsform gefahren zu sein, welche die festgestellte ununterbrochene Fahrzeit erlaubte. Das wäre bei der Betriebsform D der Fall gewesen. Die für diese Form notwendige Besatzung war aber unstreitig nicht an Bord.

2. Es steht auch fest, dass der Betroffene von den sein Schiff kontrollierenden Beamten der Wasserschutzpolizei aufgefordert worden ist, die Fahrt zu unterbrechen. Das zeigt die Aussage des Betroffenen vor dem Rheinschifffahrtsgericht, er habe den Beamten erklärt, in jedem Falle weiterzufahren. Diese Erklärung setzt eine vorausgegangene Aufforderung zur Einstellung der Fahrt zwingend voraus, ohne eine solche ist sie nicht verständlich. Die abweichende Ansicht des Betroffenen überzeugt die Berufungskammer   nicht.
Entgegen seiner Ansicht kommt es auch nicht darauf an, wie die Beamten ihre Aufforderung formuliert haben. Entscheidend ist vielmehr, dass sie so klar und eindeutig war, dass der Betroffene sie verstanden hat. Dem ist aber so, wie seiner bereits geschilderte Reaktion darauf zeigt.
Gegen die Aufforderung spricht nicht, dass die Beamten darauf verzichtet haben, ihre Befolgung durch Gewaltanwendung zu erzwingen. Ob Polizeibeamte zur Durchsetzung rechtmäßiger Anordnungen Gewalt anwenden oder nicht, ist eine Frage ihres pflichtmäßigen Ermessens. Sie muss nicht in jedem Falle durch Entscheidung für die Gewalt beantwortet werden. Der Aufforderung kann vielmehr auch durch Androhung einer Anzeige für den Fall der Nichtbefolgung Nachdruck gegeben werden. Das sollte sogar die Regel und Gewalt die Ausnahme sein, die nur in besonders schwerwiegenden Fällen in Betracht zu ziehen ist.

3. Mit dem Rheinschifffahrtsgericht verneint auch die Berufungskammer eine des Verhaltens des Betroffenen rechtfertigende oder entschuldigende Notstandslage. Dafür folgen alle Voraussetzungen.
Einmal hatte sich der Betroffene in die Lage, auf die er sich bezieht, selbst begeben, als er sein Schiff auf eine Tiefe abladen ließ, die bei fallenden Wasserstande dessen Leichterung notwendig machte. Ihm war bei der Abladung bekannt, dass am Oberrhein die Pegelstände fielen. Er wusste, beziehungsweise er musste damit rechnen, dass die Gefahr bestand, während der Fahrt auf dem Rhein von sinkenden Wasserständen erreicht zu werden. Er hat sich also in die angebliche Notstandslage bewusst begeben in der Hoffnung, durch den Einsatz eines zweiten Schiffsführers seine Fahrt so beschleunigen zu können, dass ihn das fallende Wasser vor der Einfahrt in den Main nicht erreichte. Der Einsatz des zweiten Schiffsführers war aber eine in diesem Zusammenhänge ungeeignete Maßnahme, da er die Betriebsform und mit ihr auch die erlaubten ununterbrochenen Höchstfahrzeiten nicht veränderte. Die richtige Maßnahme wäre demgegenüber eine Abladung des Schiffes auf eine Tiefe gewesen, die bei jedem Wasserstande die erlaubte Fahrt in der Betriebsform A ohne Leichterung des Schiffes ermöglichte. Auf seine falsche Entscheidung kann sich der Betroffene nicht berufen.
Eine Notstandslage setzt weiter Rechtsgüter voraus, von denen eines geopfert werden muss, um ein höherwertiges zu retten. Der Betroffene wollte einen ihm drohenden Vermögensschaden abwenden und dazu die Sicherheit des Schiffsverkehrs aufs Spiel setzen, die bedroht ist, wenn vorgeschriebene Höchstfahrzeiten nicht eingehalten werden. Deren Missachtung führt zu Übermüdung der Schiffsbesatzungen, diese wiederum zur Unaufmerksamkeit mit der Gefahr daraus entstehender Schiffsunfälle. Diese Sicherheit des Schiffsverkehrs ist das höherwertige der hier im Streit liegenden Rechtsgüter. Sie darf zur Rettung eines geringerwertigen Rechtsgutes - Vermögensschaden - nicht geopfert werden.
 
Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:

1. Die Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts St. Goar vom 2.7.1986 wird zurückgewiesen.
Das genannte Urteil wird bestätigt.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Betroffene.

3. Ihre Festsetzung gemäß Artikel 39 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte erfolgt durch das Rheinschifffahrtsgericht St. Goar.